Fristgerechte Erhebung des Widerspruchs gegen einen Arzneimittelregressbescheid; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Bestandskraft
bei Versagung der Wiedereinsetzung durch zuständige Behörde
Gründe:
I
Der Prüfungsausschuss setzte gegen den seit 1996 als Arzt für Chirurgie an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden
Kläger für die Quartale I/2000 bis I/2002 Arzneikostenregresse in Höhe von insgesamt 151.340,03 Euro fest. Diese Entscheidungen
aus einer Sitzung des Prüfungsausschusses vom 13.8.2003 wurden unter dem 12.1.2004 ausgefertigt und dem Kläger am 13.1.2004
in Bescheidform zugestellt. Nachdem innerhalb der Widerspruchsfrist keine Äußerung des Klägers bei den Prüfgremien eingegangen
war, wurde der in Regress genommene Betrag auf dem Honorarkonto des Klägers verbucht.
Dieser wandte sich am 21.4.2004 an die "Gemeinsame Prüfeinrichtung", die im Kopf der Bescheide vom 13.1.2004 angegeben war,
und beantragte unter Vorlage von per Fax übermittelten Widerspruchsschreiben und eines Sendeberichts - jeweils vom 4.2.2004
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er rechtzeitig Widerspruch eingelegt habe.
Mit Bescheid vom 16.7.2004 wies der beklagte Beschwerdeausschuss den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück.
Dagegen hat der Kläger am 9.8.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Mainz erhoben (S 2 KA 434/04), diese aber am 29.10.2004 zurückgenommen.
Mit Bescheid vom 2.9.2004 wies der Beklagte sodann die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheidung des Prüfungsausschusses
als unzulässig zurück, weil die Widerspruchsfrist nicht gewahrt sei. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger irrtümlich zweimal
Klage erhoben, und zwar am 27.9.2004 (S 2 KA 517/04) und am 11.10.2004 (S 2 KA 542/04). Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte die Widersprüche des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen habe. Die Entscheidung
des Beklagten vom 16.7.2004 über die Versagung der Wiedereinsetzung sei mit der Rücknahme der dagegen zunächst erhobenen Klage
bestandskräftig geworden (Urteil vom 25.10.2006).
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil sowie den Bescheid vom 2.9.2004 aufgehoben und
den Beklagten verpflichtet, über die Widersprüche des Klägers gegen die Prüfbescheide vom 12.1.2004 hinsichtlich der streitbefangenen
Quartale in der Sache zu entscheiden. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren, weil
er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten. Der ursprünglich mit der Klage angefochtene Bescheid des
Beklagten vom 16.7.2004 über die Versagung von Wiedereinsetzung stehe ihrer Gewährung im gerichtlichen Verfahren nicht entgegen.
Die Behörde sei nicht berechtigt, über die Wiedereinsetzung durch isolierten Bescheid zu entscheiden. Vielmehr hätte der Beklagte
die Entscheidung über die Versagung der Wiedereinsetzung mit der Entscheidung in der Hauptsache verbinden müssen (Urteil vom
14.6.2007).
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, das LSG habe die Bestandskraft seines Bescheides vom 16.7.2004 über die Versagung
von Wiedereinsetzung nicht beachtet.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14.6.2007 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Sozialgerichts Mainz vom 25.10.2006 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Revision des Beklagten für unzulässig, weil ihre Begründung den Anforderungen des §
164 Abs
2 Satz 3
SGG nicht entspreche. Der Beklagte habe lediglich den Sachverhalt geschildert und seine Auffassung vertreten, das LSG habe falsch
entschieden. Das reiche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Wahrung der Zulässigkeitsanforderungen
nicht. Im Übrigen sei die Revision unbegründet. Die dem angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 2.9.2004 zu Grunde liegenden
Entscheidungen des Prüfungsausschusses seien entgegen der Auffassung des LSG bereits nichtig. Im Hinblick auf die Zuständigkeitsänderungen
bei der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung in Folge des zum 1.1.2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG]), hätten die noch in alter Besetzung gefassten Bescheide
nicht ergehen dürfen. Zum Zeitpunkt der Ausfertigung der Entscheidungen sei der Prüfungsausschuss rechtlich nicht handlungsfähig
gewesen, sodass in seinem Namen keine Bescheide hätten ausgefertigt und zugestellt werden dürfen. Dabei handele es sich um
einen besonders schwerwiegenden offenkundigen Mangel iS des § 40 SGB X, der zur Nichtigkeit der Ausgangsbescheide geführt habe. Entsprechend seien Widersprüche auch dann rechtzeitig erhoben worden,
wenn erst der Tag der Beantragung der Wiedereinsetzung (21.4.2004) als Tag der Widerspruchseinlegung gewertet werde.
Zumindest sei der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Gewährung von Wiedereinsetzung zu folgen. Der Beklagte
habe nicht isoliert über die Wiedereinsetzung entscheiden dürfen, sein Bescheid vom 16.7.2004 sei deshalb nicht anfechtbar
gewesen. Entweder handele es sich insoweit schon gar nicht um einen Verwaltungsakt, weil ihm der Regelungscharakter fehle,
oder die gleichwohl erhobene Klage sei zumindest mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen, sodass ihre Rücknahme
unschädlich sei. Dass dem Kläger in der Sache zu Recht Wiedereinsetzung gewährt worden sei, stelle der Beklagte im Revisionsverfahren
nicht mehr in Abrede.
Die Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.
II
Die Revision ist zulässig. Der Beklagte hat die Begründungsanforderungen des §
164 Abs
2 Satz 3
SGG gewahrt. Auf dem Hintergrund seiner Ausführungen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, die zur Zulassung der Revision
geführt hat, ist trotz der sehr knappen rechtlichen Ausführungen in der Revisionsbegründung noch hinreichend deutlich, dass
der Beklagte der Auffassung ist, das LSG habe Bundesrecht deshalb verletzt, weil es sich über die Bestandskraft seiner - des
Beklagten - isolierten Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist hinweggesetzt
habe. Im Hinblick auf die Darlegungen zu dieser für die Zulassung der Revision entscheidenden Rechtsfrage im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
reicht insoweit die Begründung noch aus (vgl zu der Möglichkeit einer Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
164 RdNr 9g).
Die Revision ist auch begründet. Das LSG hätte das erstinstanzliche Urteil nicht ändern dürfen, weil dieses zu Recht die Klage
abgewiesen hat. Der Bescheid des Beklagten vom 2.9.2004, mit dem dieser die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidungen
des Prüfungsausschusses vom 12.1.2004 wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist zurückgewiesen hat, ist rechtmäßig. Ob dem
Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren wäre, ist nicht mehr zu klären. Die Entscheidung des
Beklagten vom 16.7.2004, dass die Wiedereinsetzung versagt wird, ist bestandskräftig.
1. Die am 13.1.2004 zugestellten Bescheide des Prüfungsausschusses aus der Sitzung vom 13.8.2003 sind entgegen der Auffassung
des Klägers nicht nichtig iS des § 40 Abs 1 SGB X.
Diese Bescheide dürften trotz der Veränderungen der Zusammensetzung der Prüfgremien im Zuge des GMG (dazu näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, jeweils RdNr 6 ff) sogar rechtmäßig sein. Dafür spricht zunächst, dass der Prüfungsausschuss über
die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers in den streitbefangenen Quartalen der Jahre 2000 bis 2002 am 13.8.2003
in der von §
106 Abs
4 Satz 2
SGB V (Fassung bis 31.12.2003) vorgeschriebenen Besetzung mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen
in gleicher Zahl entschieden hat. Lediglich Ausfertigung und Zustellung der Entscheidungen sind zu Beginn des Jahres 2004
erfolgt, als der Prüfungsausschuss in der paritätischen Besetzung ohne unparteiischen Vorsitzenden nicht mehr entscheidungsbefugt
war. Die Geschäftsstelle des Prüfungsausschusses durfte die in der richtigen Besetzung bis zum Ende des Jahres 2003 getroffenen
Entscheidungen auch im Januar 2004 ausfertigen und zur Zustellung geben.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 28.4.2004 (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5), auf das sich der Kläger vor allem bezieht, ausgeführt, die Prüfgremien dürften nach dem 1.1.2004
auch über Quartale bis zum Ende des Jahres 2003 nur in der ab dem 1.1.2004 ohne Übergangsregelung vorgeschriebenen Besetzung
mit einem unparteiischen Vorsitzenden entscheiden (BSGE, aaO = SozR, aaO, jeweils RdNr 7). Eine "Entscheidung" in diesem Sinne
war hier aber nach dem 31.12.2003 nicht mehr zu treffen, weil schon entschieden war. Wenn die Geschäftsstelle des Prüfungsausschusses
nicht berechtigt gewesen wäre, auch noch nach dem 31.12.2003 bereits getroffene Entscheidungen bzw fertiggestellte Bescheide
auszufertigen, wären alle noch nicht ausgefertigten Bescheide aus Sitzungen des Prüfungsausschusses im Jahre 2003 hinfällig
geworden, und der Prüfungsausschuss hätte neu entscheiden müssen. Das wäre kaum im Sinne der Regelungsabsicht des Gesetzgebers
gewesen. Der Gesetzgeber des GMG hat zum 1.1.2004 keine gänzlich neuen Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung geschaffen,
sondern die Zusammensetzung der seit Jahrzehnten bestehenden Gremien geändert. Da sich diese Änderungen vor allem auf die
Person des Vorsitzenden bezogen haben, der den Ausschuss nach §
71 Abs
4 iVm §
70 Nr
4 SGG gerichtlich vertritt, ist der Senat der Auffassung, dass ein Ausschuss ohne einen nach neuem Recht bestellten Vorsitzenden
ab dem 1.1.2004 prozessual nicht handlungsfähig ist (aaO RdNr 11). Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, dem Prüfungsausschuss
als einem rechtlich gegenüber seinen Trägerorganisationen verselbstständigten Entscheidungsgremium iS des §
70 Nr 4
SGG hätte bis zur Ernennung eines unparteiischen Vorsitzenden die Fähigkeit gefehlt, schon getroffene Entscheidungen in Form
eines Verwaltungsaktes durch Bekanntgabe (§ 37 iVm § 39 Abs 1 SGB X) gegenüber dem Adressaten wirksam werden zu lassen.
Die dem Kläger am 13.1.2004 zugestellten Bescheide sind auch nicht aus anderen formellen Gründen nichtig. Sie lassen den Prüfungsausschuss
als die ausstellende Behörde iS des § 40 Abs 2 Nr 1 SGB X erkennen; diese ist in ihrer Existenz und Rechtsform durch die Änderungen zur Beschlussbesetzung in §
106 Abs
4 Satz 2
SGB V nicht betroffen. Seine Geschäftsstelle ist in §
106 Abs
4a SGB V zum 1.1.2004 erstmals gesetzlich erwähnt worden (vgl BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, jeweils RdNr 7), doch haben die Geschäftsstellen der Prüfgremien zuvor schon bestanden und waren
auch in der Zeit der Vakanz des Vorsitzes des Prüfungsausschusses handlungsfähig. Sie mussten sogar Entscheidungen, die in
Sitzungen im Jahre 2003 getroffen worden waren, den Betroffenen bekannt geben, weil andernfalls Ausschlussfristen für den
Erlass von Prüfbescheiden (vgl dazu Senatsurteil vom 6.9.2006, BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, jeweils RdNr 16 ff) unter Umständen nicht hätten gemacht werden können. Damit wäre das erklärte
Ziel des Gesetzgebers einer Effektivierung der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Phase des Übergangs zum neuen Recht vereitelt
worden. Jedenfalls sind im Hinblick auf diese Erwägungen die Bescheide des Prüfungsausschusses keinesfalls nichtig. Wenn sie
- entgegen der Auffassung des Senats - rechtswidrig sein sollten, ergäbe sich diese Rechtsfolge erst als Ergebnis einer komplexen
rechtlichen Würdigung und wäre keineswegs "offensichtlich" iS des § 40 Abs 1 SGB X. Einer der sonstigen Tatbestände des § 40 Abs 2 SGB X, der stets zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führt, liegt ohnehin nicht vor.
Da die am 13.1.2004 zugestellten Bescheide des Prüfungsausschusses zumindest nicht nichtig sind, musste der Kläger gegen sie
den beklagten Beschwerdeausschuss anrufen (§
106 Abs
5 Satz 3
SGB V). Über Satz 5 dieser Vorschrift galt insoweit die Monatsfrist des §
84 Abs
1 SGG. Diese Frist hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG (§
163 SGG) nicht eingehalten. Das nimmt der Kläger ohne Gegenrügen im Revisionsverfahren hin.
2. Das LSG hat dem Kläger allerdings auf der Grundlage des §
67 Abs
1 SGG Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist gewährt. Das ist mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil über die Wiedereinsetzung
schon bestandskräftig entschieden war.
Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 21.4.2004 bei der "Gemeinsamen Prüfeinrichtung" Wiedereinsetzung beantragt. Dieser Antrag
war fristgerecht gestellt worden (§ 27 Abs 2 SGB X). Zuständig für die Entscheidung über diesen Antrag war nach § 27 Abs 4 SGB X der Beklagte, weil dieser nach dem im Jahre 2004 geltenden Recht über "die versäumte Handlung" zu entscheiden hatte. Nach
§
106 Abs
5 Satz 3
SGB V in der ab dem 1.1.2004 geltenden Fassung konnten ua die betroffenen Ärzte gegen Entscheidungen des Prüfungsausschusses den
Beschwerdeausschuss anrufen. Dessen Entscheidung galt als Widerspruchsentscheidung.
Der Beklagte hatte über den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 16.7.2004 entschieden und eine Wiedereinsetzung
abgelehnt. Diese Entscheidung ist bestandskräftig, nachdem der Kläger die am 9.8.2004 gegen diesen Bescheid erhobene Klage
zum SG Mainz (S 2 KA 434/04) am 29.10.2004 zurückgenommen hatte. Diese Rücknahme ist wirksam. Zwar kann nach dem Akteninhalt nicht vollständig ausgeschlossen
werden, dass dem Bevollmächtigten des Klägers bei Abfassung des Schriftsatzes vom 29.10.2004 ein Versehen unterlaufen ist
und er ursprünglich eine der beiden versehentlich doppelt gegen den hier streitbefangenen Bescheid vom 2.9.2004 erhobenen
Klagen hat zurücknehmen wollen. Die Rechtsfrage der Wirksamkeit der Rücknahme der Klage im Verfahren S 2 KA 434/04 (SG Mainz) hätte jedoch nur in diesem Verfahren geklärt werden können (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
102 RdNr 12). Das hat indessen der schon im Berufungsverfahren den Kläger vertretende Bevollmächtigte gegenüber dem LSG, das
eine Aussetzung des bei ihm anhängigen Verfahrens zur Klärung der Wirksamkeit der Klagerücknahme angeboten hatte, ausdrücklich
abgelehnt. In seinem Schriftsatz vom 9.5.2007 hat er formuliert: "Teilen wir auf Nachfrage des Senats mit, dass die Frage
der Wirksamkeit der Klagerücknahme im Verfahren S 2 KA 434/04 des Sozialgerichts Mainz nicht weiterverfolgt werden soll. Es besteht also keine Veranlassung, das Berufungsverfahren auszusetzen."
Damit steht zumindest für das Revisionsverfahren fest, dass die gegen den Bescheid vom 16.7.2004 erhobene Klage wirksam zurückgenommen
worden ist. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt daraus zugleich, dass die Versagung von Wiedereinsetzung bestandskräftig
geworden ist.
Bei der Entscheidung der Widerspruchsbehörde über die Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist handelt es sich
um einen Verwaltungsakt, der der Bestandskraft zu Gunsten und zu Lasten der Beteiligten fähig ist und hier auch tatsächlich
bestandskräftig geworden ist. Die daraus abzuleitende Bindungswirkung (§
77 SGG) steht der erneuten Prüfung der Wiedereinsetzung entgegen. Deshalb hätte das LSG dem Kläger keine Wiedereinsetzung gewähren
dürfen.
Die Bestandskraft des Bescheides des Beklagten vom 16.7.2004 hat nach §
77 SGG zur Folge, dass die getroffene Entscheidung für die Beteiligten "in der Sache bindend" ist. Diese Bindungswirkung hat - vergleichbar
der Rechtskraft gerichtlicher Urteile (vgl Roos in: von Wulffen [Hrsg], SGB X, 6. Aufl 2008, Vor § 39 RdNr 1) - auch das Gericht zu beachten. Das LSG hätte deshalb die im Bescheid des Beklagten vom 16.7.2004 bindend ausgesprochene
Versagung der Wiedereinsetzung nicht erneut prüfen dürfen, sondern - wie das SG - seiner Entscheidung zu Grunde legen müssen. Etwas anderes käme nur in Betracht, wenn die Entscheidung des Beklagten vom
16.7.2004 als "Nichtakt" zu werten, als Verwaltungsakt nichtig oder mangels Anfechtbarkeit keiner Bestandskraft fähig wäre.
Nichtakte oder nichtige Verwaltungsakte werden nicht iS des §
77 SGG bindend (vgl Leitherer, aaO, §
77 RdNr 4). Die Entscheidung des Beklagten vom 16.7.2004 ist jedoch weder ein "Nichtakt" noch ein nichtiger Verwaltungsakt,
noch ist sie in entsprechender Anwendung des §
44a Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) einer Anfechtbarkeit nicht zugänglich gewesen.
Das Urteil des Berufungsgerichts nimmt weder zur Eigenschaft der Entscheidung des Beklagten vom 16.7.2004 als "Nichtakt" noch
zur Nichtigkeit dieser Entscheidung Stellung und lässt nicht erkennen, aus welcher rechtlichen Erwägung das LSG sich von der
Bindung an diese Entscheidung frei sieht. Das LSG hält eine "gesonderte Verpflichtungsklage auf Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist",
wie sie der Kläger hier am 9.8.2004 entsprechend der Rechtsmittelbelehrung der Entscheidung des Beklagten vom 16.7.2004 erhoben
hat, für "unstatthaft". Die vom LSG dazu angeführten Belege aus dem wissenschaftlichen Schrifttum tragen diese Aussage aber
nicht. Leitherer (aaO, § 84 RdNr 8) führt lediglich aus, dass die Annahme verfehlt sei, das Gesetz schreibe zwingend ein zweistufiges
Verfahren in dem Sinne vor, dass der Betroffene zunächst mit der Verpflichtungsklage die Wiedereinsetzung in die versäumte
Widerspruchsfrist erstreiten müsse und erst nach Erfolg dieser Klage den Widerspruchsbescheid in der Sache angreifen könne.
Diese - vom Senat geteilte - Rechtsauffassung betrifft nicht die hier zu beurteilende Konstellation, dass die Behörde antragsgemäß
zunächst nur über die Wiedereinsetzung und nicht zugleich in der Hauptsache entschieden hat. Auch die Auffassung von von Wulffen
(aaO, § 27 RdNr 3), Rechtsbehelfe gegen die Versagung der Wiedereinsetzung könnten nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, verhält sich nicht zu der Frage, was zu gelten hat, wenn die Behörde zunächst
allein über die Wiedereinsetzung entscheidet und den Betroffenen korrekt über das für ihn dann in Betracht kommende Rechtsmittel
belehrt.
Der Senat folgt dem LSG auch insoweit nicht, als dieses sich inzident zu der Frage äußert, ob der Beklagte isoliert über die
bei ihm beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist hätte entscheiden sollen bzw - nicht eindeutig - dürfen.
Die Annahme des Berufungsgerichts, eine solche Entscheidung sei generell ausgeschlossen, ist unzutreffend. Im Übrigen wäre
die Auffassung des Berufungsgerichts selbst dann nicht richtig, wenn der Beklagte verfahrensfehlerhaft vorgegangen wäre. Der
Bindungswirkung iS des §
77 SGG sind auch rechtswidrige Verwaltungsakte fähig; die Bindungswirkung würde dann nur entfallen, wenn die Entscheidung - wie
oben bereits angesprochen - nichtig wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
Zweifel daran, dass die Entscheidung einer Behörde über die Gewährung oder Versagung von Wiedereinsetzung der Bestandskraft
fähig ist, sind nicht berechtigt. Denn sie stellt einen Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X dar (von Wulffen, aaO, § 27 RdNr 3; Pickel/Marschner, SGB X, Stand Dezember 2008, § 27 RdNr 27; Timme, LPK-SGB X, 2. Aufl 2007, § 27 RdNr 15; Vogelsang in: Hauck/Noftz, SGB X, § 27 RdNr 14; Ganter, VBlBW 1984, 402, 404). Der anderslautenden Auffassung von Thieme (Wannagat, SGB X, § 27 RdNr 12), derzufolge der Wiedereinsetzung der Regelungscharakter iS des § 31 Satz 1 SGB X fehlt, kann nicht gefolgt werden. Die Entscheidung der Behörde, auf Antrag oder von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren,
erfüllt alle Merkmale des Verwaltungsaktes. Das wird auch im Schrifttum zu der § 27 SGB X entsprechenden Vorschrift des § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ganz einhellig so gesehen (vgl nur Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs [Hrsg], VwVfG, 7. Aufl 2008, § 32 RdNr 45). Dies gilt unabhängig davon, ob die Behörde die als Verwaltungsakt ergehende Entscheidung über die Gewährung oder
Versagung von Wiedereinsetzung gesondert oder zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache trifft (Timme, aaO, RdNr 15).
In der Regel werden beide Entscheidungen zusammen ergehen. Nur dann trifft die ganz überwiegend im Schrifttum vertretene Auffassung
zu, dass der Betroffene die Versagung der Wiedereinsetzung nicht isoliert anfechten kann. Zwar liegt ein Verwaltungsakt vor,
aber für eine isolierte Anfechtung würde es an der fortdauernden Beschwer fehlen, weil ohne Anfechtung der Entscheidung in
der Hauptsache letztere bestandskräftig würde, sodass die Versagung der Wiedereinsetzung bedeutungslos würde.
Es kann aber Konstellationen geben, in denen es sinnvoll ist, dass die Behörde über die Wiedereinsetzung vorab entscheidet
(vgl Krasney, Kasseler Kommentar, SGB X, § 27 RdNr 16; Ganter, aaO, S 405). Das ist etwa der Fall, wenn die Behörde nach dem aktuellen Rechts- und Verfahrensstand zum
Zeitpunkt ihrer Entscheidung dem Widerspruch - seine Zulässigkeit unterstellt - zumindest teilweise abhelfen würde, weil sie
etwa zwischenzeitlich ihre Verwaltungspraxis geändert hat oder eine anderslautende Rechtsprechung zu berücksichtigen wäre.
Auch in Fällen mit Drittbezug, in denen die Behörde im Verwaltungsverfahren § 12 SGB X über die Hinzuziehung anderer Betroffener fehlerhaft angewandt hat, kann es sinnvoll sein zu vermeiden, die Hauptsache in
das gerichtliche Verfahren gelangen zu lassen, wenn die Widerspruchsbehörde selbst - die Zulässigkeit des Widerspruchs unterstellt
- noch behördliche Maßnahmen (zB die Beteiligung Dritter, Sachaufklärung) für geboten hält. In derartigen Konstellationen
besteht regelmäßig die begründete Erwartung, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung das Widerspruchsverfahren
zumindest vorläufig entschieden ist, weil der Widerspruch jedenfalls insoweit teilweise als begründet anzusehen ist. Es sind
keine Gründe dafür erkennbar, die Behörde zu zwingen, immer die Hauptsache in das gerichtliche Verfahren zu tragen, wenn (zunächst)
nur über die Verfristung des Widerspruchs bzw die Wiedereinsetzung in eine evtl versäumte Widerspruchsfrist zu entscheiden
ist, und alle Beteiligten die Erwartung haben, sich in der Sache einigen zu können, soweit die Verwaltungsentscheidung nicht
schon bestandskräftig ist. Im Zweifel mag die Behörde mit dem Widerspruchsführer klären, welche Entscheidungsvariante er für
sachgerecht hält.
Für die rechtliche Befugnis der Behörde, in besonders gelagerten Fällen über die Wiedereinsetzung vorab zu entscheiden, spricht
auch die hier vorliegende Konstellation. Der Kläger hatte mit dem Schreiben seiner Anwälte vom 21.4.2004 Wiedereinsetzung
beantragt, ohne zur Sache selbst Stellung zu nehmen. In den mit diesem Schriftsatz übersandten, auf den 4.2.2004 datierenden
(ursprünglichen) Widersprüchen hatte er zur Vorbereitung der Widerspruchsbegründung Akteneinsicht begehrt. Auf dieses Begehren,
das für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag erkennbar ohne Bedeutung war, ist er in dem Schreiben vom 21.4.2004
nicht zurückgekommen. Daraus hat der Beklagte mit Recht geschlossen, dem Kläger sei - auch aus Gründen der Verfahrensökonomie
- vorrangig an einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung gelegen. Diese hat der Beklagte dann auch getroffen. Dass er dann
mit seiner Entscheidung in der Sache (schon) am 2.9.2004 die Bestandskraft seiner Entscheidung vom 16.7.2004 gerade nicht
abgewartet hat, war nicht sachgerecht, hat den Kläger aber in seiner Rechtsverfolgung nicht beeinträchtigt.
Ist also davon auszugehen, dass die Behörde jedenfalls in besonders gelagerten Fällen ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften
auch isoliert über die beantragte Wiedereinsetzung in eine versäumte Widerspruchsfrist entscheiden darf, so ist der Annahme,
eine in einem solchen Verfahren ergehende Entscheidung sei völlig wirkungslos oder offensichtlich fehlsam und daher iS des
§ 40 Abs 1 SGB X von vornherein nichtig, die Grundlage entzogen.
Danach könnte dem Eintritt von Bestandskraft und Bindungswirkung der isolierten Entscheidung der Behörde über die Versagung
von Wiedereinsetzung allenfalls der Rechtsgedanke des §
44a VwGO entgegenstehen. Nach dieser Vorschrift können behördliche Verfahrenshandlungen nur zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache
angegriffen werden. Es bedarf hier keiner Klärung, inwieweit diese Norm, die weder im SGB X noch im
SGG eine Parallele hat, im sozialgerichtlichen Verfahren bzw in den durch das SGB X determinierten Sozialverwaltungsverfahren entsprechend anzuwenden ist. Jedenfalls in der Konstellation, dass die Behörde
isoliert über die Wiedereinsetzung im Rahmen einer Teilentscheidung - also ohne Entscheidung in der Hauptsache - entschieden
hat, sind gegen derartige Entscheidungen die allgemeinen Rechtsbehelfe möglich, da eine solche Entscheidung nicht nur als
Verfahrenshandlung iS von §
44a VwGO, sondern vielmehr als ein mit einem Zwischenurteil nach §
109 VwGO vergleichbarer Teilverwaltungsakt zu werten ist (von Mutius in Krause ua [Hrsg], Gemeinschaftskommentar, SGB X, 1991, § 27 RdNr 36; Ganter, aaO, S 404). Der Rechtsschutz des Betroffenen wird nicht unangemessen beeinträchtigt, soweit die Behörde
ihrer (isolierten) Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag eine Rechtsmittelbelehrung beifügt.
Allerdings wird im Schrifttum und in einigen instanzgerichtlichen Entscheidungen allgemein formuliert, die Entscheidung der
Behörde über die Wiedereinsetzung in eine versäumte Widerspruchsfrist sei ein Anwendungsfall des §
44a Satz 1
VwGO (zB Kopp/Schenke,
VwGO, 15. Aufl 2007, §
44a RdNr 5). Das ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig, weil der Behörde nicht ausnahmslos verwehrt ist, die Wiedereinsetzung
in einer eigenständigen Entscheidung abzulehnen (vgl zum allg Verwaltungsrecht VGH Baden-Württemberg, DVBl 1982, 206, 207). In einem solchen Fall muss der Betroffene gegen diese Entscheidung vorgehen und kann nicht abwarten, bis die Widerspruchsbehörde
in der Sache selbst entscheidet. Insoweit kommt §
44a VwGO für die hier maßgebliche Rechtsfrage keine eigenständige Bedeutung zu. Wenn es - entsprechend der oben dargelegten Auffassung
des Senates - der Behörde in besonders gelagerten Fällen, insbesondere aus prozessökonomischen Gründen und auf Antrag des
Betroffenen gestattet ist, auch isoliert über die Wiedereinsetzung zu entscheiden, kann und muss diese Entscheidung eigenständig
angefochten werden können. Stünde dagegen der Behörde diese Möglichkeit in keinem Fall zur Verfügung, wäre eine isolierte
Versagung einer Wiedereinsetzung regelmäßig nichtig. §
44a Satz 1
VwGO bestätigte dann nur, was ohnehin gilt, dass eine Anfechtung nämlich weder geboten noch statthaft ist, weil der Betroffene
Rechtsschutz nur gegenüber der Entscheidung über den Widerspruch selbst erhalten kann und dessen auch nur insoweit bedarf.
Ob ggf Vertrauensschutzgesichtspunkte es gebieten, die Überprüfung einer bestandskräftigen Versagung von Wiedereinsetzung
im Streitverfahren gegen die Hauptsacheentscheidung vorzunehmen, wenn der Betroffene geltend machen kann, er habe im Hinblick
auf die in der Literatur zur Anwendbarkeit des §
44a VwGO vertretene Rechtsauffassung (zB von Wulffen, aaO, §
27 RdNr 3) von einer Anfechtung des Bescheides über die Versagung der Wiedereinsetzung abgesehen, bedarf hier keiner Entscheidung.
Der anwaltlich vertretene Kläger hat die Wiedereinsetzungsentscheidung des Beklagten vom 16.7.2004 mit dem richtigen Rechtsbehelf
(Klage) angegriffen und diese Klage zurückgenommen. Etwaigen Zweifeln an der Wirksamkeit der Rücknahme im Hinblick auf einen
eventuellen Irrtum des Klägers über das zurückzunehmende Rechtsmittel hätte, wie oben ausgeführt, in Fortsetzung des durch
Rücknahme zumindest formell erledigten Klageverfahrens beim SG Mainz nachgegangen werden können. Das LSG hat dem anwaltlich
vertretenen Kläger dazu ausdrücklich Gelegenheit gegeben, und dieser hat davon keinen Gebrauch gemacht. Deshalb muss es dabei
bewenden, dass in Konstellationen, in denen die Behörde auf Antrag zunächst isoliert über die Gewährung von Wiedereinsetzung
entscheidet, die diesen Antrag ablehnende Entscheidung, soweit sie als Verwaltungsakt erkennbar und mit einer korrekten Rechtsmittelbelehrung
versehen ist, nach Ablauf der Widerspruchsfrist des §
84 Abs
1 SGG bzw nach Rücknahme einer fristgerecht erhobenen Klage bestandskräftig wird.
Über die mithin eingetretene Bestandskraft des Bescheides des Beklagten vom 16.7.2004 hätte sich das LSG nicht hinweg setzen
dürfen. Den darin liegenden Rechtsfehler kann der Beklagte mit der Revision rügen. §
67 Abs
4 Satz 2
SGG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist der Beschluss, der die Wiedereinsetzung bewilligt, unanfechtbar. Diese
Bestimmung bezieht sich auf gerichtliche Entscheidungen über die Gewährung von Wiedereinsetzung in gerichtliche Fristen und
soll verhindern, dass einem Verfahren in der Hauptsache nachträglich durch eine abweichende Beurteilung der Wiedereinsetzungsfrage
durch das Rechtsmittelgericht die Grundlage entzogen wird. Auf die Entscheidung eines Gerichts über die Wiedereinsetzung im
Widerspruchsverfahren ist §
67 Abs
4 Satz 2
SGG nicht anzuwenden (Zeihe,
SGG, §
67 RdNr
35d). Das Rechtsmittelgericht ist deshalb nicht an eine positive Entscheidung des Vordergerichts über die Wiedereinsetzung in
die versäumte Widerspruchsfrist gebunden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 67 RdNr 19). Ob die Gerichte an
die Gewährung von Wiedereinsetzung durch eine Behörde gebunden sind (so Leitherer, aaO, § 84 RdNr 8a), kann auf sich beruhen,
weil der Beklagte dem Kläger gerade keine Wiedereinsetzung gewährt hat.
Danach ist das sozialgerichtliche Urteil, das die Klage gegen den Bescheid des Beklagten in der Hauptsache vom 2.9.2004 allein
im Hinblick auf die Versäumung der Widerspruchsfrist abgewiesen hat, wiederherzustellen.