Rechtmäßigkeit eines Hinweises auf eine Unwirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und ua zur Führung der Zusatzbezeichnung
Chirotherapie berechtigt. 2008 kritisierte die Gemeinsame Prüfungseinrichtung Saarland, dass der Kläger zu viele Chirotherapien
nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 30201 (Chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen
(EBM-Ä) im Vergleich zu anderen Fachärzten für Allgemeinmedizin und Hausärzten verordne, sah aber von Prüfmaßnahmen ab.
Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten für das Quartal 4/2014 teilte die Prüfungsstelle dem Kläger
mit Schreiben vom 16.9.2015 mit, es sei folgender Beschluss gefasst worden: "Hinweis auf die Nr. 30201 EBM". Die Anforderung
des Klägers bei der beanstandeten Leistungsposition stehe in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Durchschnittswert der
Vergleichsgruppe der "Praktischen Ärzte/Allgemeinärzte/Ärzte des Abrechnungsbereiches" (Überschreitung von 231 %). Es sei
damit der Anschein der Unwirtschaftlichkeit gegeben. Trotz der hohen Überschreitung werde von einer Kürzungsmaßnahme Abstand
genommen und als Erstmaßnahme ein Hinweis beschlossen. Dieser beinhalte die Bitte um stärkere Beachtung der gesetzlichen und
vertraglichen Bestimmungen hinsichtlich Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit, damit weitere Prüfungen und Maßnahmen vermieden
werden könnten. Das Schreiben war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Beschluss vom 13.1.2016/Bescheid vom 29.2.2016). Zur Begründung führte der beklagte Beschwerdeausschuss aus, Ziel eines Hinweises sei es, dem Arzt Informationen an die Hand
zu geben, wonach er seine Leistungserbringung überprüfen könne und solle, um eventuelle Einsparpotentiale nutzen zu können.
Der Gesamtfallwert des Klägers liege zwar unter dem Durchschnitt seiner Arztgruppe, die Abrechnung der GOP 30201 EBM-Ä bewege sich jedoch mit einer Überschreitung von 231 % im Vergleich zu den Anforderungen der 65 ausführenden Ärzte
der Vergleichsgruppe im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Praxisbesonderheiten seien nicht dargelegt. Aus den
vorliegenden Unterlagen ergebe sich kein wesentlich von der Vergleichsgruppe abweichendes Patientenklientel des Klägers. Zum
Teil sei auch der Ansatz der GOP 30201 EBM-Ä anhand der angegebenen Diagnosen nicht nachvollziehbar gewesen.
Das SG hat den Beschluss vom 13.1.2016/Bescheid vom 29.2.2016 des Beklagten aufgehoben und den Beklagten verurteilt, über den Widerspruch
des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 29.5.2018). Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Bei dem Schreiben vom 16.9.2015 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt im
materiellen Sinne. Die Prüfungseinrichtung habe lediglich ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des Ergebnisses der Wirtschaftlichkeitsprüfung
dargelegt, ohne hieraus Konsequenzen zu ziehen. Sie habe allerdings nach Form und Inhalt den Anschein erweckt, einen Verwaltungsakt
zu erlassen (sog bloß formeller Verwaltungsakt). Da Gegenstand des Klageverfahrens allein der Beschluss des Beklagten vom
13.1.2016/Bescheid vom 29.2.2016 sei, komme aber ein Durchgriff auf den ursprünglichen Akt der Behörde nicht in Betracht.
Vielmehr habe der Beklagte über den Widerspruch des Klägers neu zu entscheiden. Dabei werde er zu beachten haben, dass ein
bloß formeller Verwaltungsakt stets rechtswidrig und aufzuheben sei.
Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Verpflichtungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat es festgestellt, dass der Beschluss des
Beklagten vom 13.1.2016/Bescheid vom 29.2.2016 rechtswidrig war. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Der vom
Beklagten erlassene Verwaltungsakt habe sich erledigt. In den dem streitigen Quartal nachfolgenden Quartalen der Jahre 2015
und 2016 seien insgesamt vier weitere mittlerweile bestandskräftige Hinweise auf die GOP 30201 EBM-Ä erteilt und einmal eine - ebenfalls bestandskräftige - Honorarkürzung verfügt worden. Inwieweit die Feststellung
der Unwirtschaftlichkeit der Behandlung und der Hinweis auf die GOP 30201 EBM-Ä im Quartal 4/2014 unter diesen Umständen für den Kläger noch Auswirkungen haben könne, sei weder vorgetragen
noch ersichtlich. Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers sei jedoch zulässig und begründet. Insbesondere
fehle es nicht an einer Beschwer, da es sich nur um eine Maßnahme der Beratung handele. Die Rechtsprechung des BSG zur Richtgrößenprüfung (BSG Urteil vom 5.6.2013 - B 6 KA 40/12 R) lasse sich insofern auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 Abs
5 SGB V aF übertragen. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr. Der Bescheid des
Beklagten sei auch rechtswidrig gewesen. Zwar habe der Beklagte in der Form eines Verwaltungsaktes Feststellungen über die
Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers treffen und den Kläger auf das Ergebnis hinweisen dürfen. Er habe dies
aus der Sicht des Klägers auch auf der Grundlage von §
106 Abs
5 iVm §
106 Abs
1a SGB V (jeweils aF) iVm der Prüfungsvereinbarung getan und nicht lediglich einen rechtlich unverbindlichen Hinweis erteilt. Der
Bescheid leide aber an einem Beurteilungsmangel. Denn der Beklagte habe relevante Gesichtspunkte bei der Bildung der Vergleichsgruppe
(nur 65 Ärzte/kein homogenes Verhalten) und zu Praxisbesonderheiten (Größe des Einzugsgebiets des Klägers) nicht berücksichtigt.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren
klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres
aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde
oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle
nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen
Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7).
Der Kläger hält die Rechtsfragen für klärungsbedürftig,
a. "ob eine Prüfungseinrichtung befugt ist, dem Kassenarzt einen Hinweis auf eine Unwirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlung
in Form eines Verwaltungsakts auf der Grundlage von §
106 Abs.
5 SGB V i.V.m. §
106 Abs.
1a SGB V in der Fassung des Jahres 2014 zu erteilen"
sowie
b. "ob ein in Form/Gestalt eines Verwaltungsakts erlassener Unwirtschaftlichkeitshinweis der Prüfungsstelle nach §
106 Abs.
1a SGB V 2014 gegenüber einem Kassenarzt auf eine (angebliche) Unwirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlungsweise auf einem bestimmten
Behandlungsgebiet gegenüber Kassenpatienten für ein bestimmtes Quartal sich dadurch erledigt, dass für von der Prüfungsstelle
geprüfte zeitlich nachfolgende fünf Quartalen vier gleichlautende Hinweise auf die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung und
letztlich wegen dieser einmal zuletzt eine Honorarkürzung zulasten des Kassenarztes erfolgen".
a) Die erste Frage kann auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres beantwortet werden und ist nicht klärungsbedürftig.
Der Senat hat bereits in seinem auch vom LSG zitierten Urteil vom 5.6.2013 (B 6 KA 40/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 41) entschieden, dass eine Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung selbstständig anfechtbar ist. Dies trifft zumindest
auf die Festsetzung einer Beratung zu, mit welcher jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes
erfolgt (vgl BSG Urteil vom 5.6.2013 - B 6 KA 40/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 und LS 1 zur Beratung nach §
106 Abs
1a iVm Abs
5a Satz 1 und 2
SGB V idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes <GKV-WSG> vom 26.3.2007, BGBl I 378, im Folgenden: aF; vgl auch LSG Baden-Württemberg
Urteil vom 28.4.2021 - L 5 KA 2670/18 - juris RdNr 26).
Dies zieht der Kläger auch nicht in Zweifel, denn er führt selbst aus: "Nach diesseitiger Auffassung gibt §
106 Abs.
5 Satz 1 und Satz 2
SGB V in der im Jahr 2005 geltenden Form eine Rechtsgrundlage dafür, eine Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung
gegen den Kassenarzt per Verwaltungsakt festzusetzen" (vgl S 6 der Beschwerdebegründung). Jedoch stellt sich der Kläger auf den Standpunkt, die Erteilung eines Unwirtschaftlichkeitshinweises, wie hier geschehen,
stelle nicht die Festsetzung einer Beratung dar, sondern sei schon Bestandteil der Beratung. Die eigentliche Beratung sei
jedoch kein Verwaltungsakt, sondern tatsächliches Handeln und könne auch nicht als Verwaltungsakt erfolgen (S 6 f der Beschwerdebegründung). Dabei übersieht der Kläger allerdings, dass der Senat diesbezüglich bereits entschieden hat, dass die Maßnahme der "Beratung",
der sich der Vertragsarzt unterziehen muss, uU auch nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides bestehen kann (vgl BSG Urteil vom 5.6.2013 - B 6 KA 40/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 aE). In einer solchen Konstellation bleibt für einen eigenständigen Realakt "Beratung" kein Raum (zur Durchführung eines individuellen Beratungsgesprächs als Realakt vgl dagegen SG Marburg Urteil vom 21.6.2017 - S 16 KA 588/16).
Ob ein solcher Fall vorliegt und ein Hinweisschreiben tatsächlich die Festsetzung einer Beratung iS des §
106 Abs
1a, Abs
5 Satz 2
SGB V aF (vgl jetzt §
106 Abs
1 Satz 1, Abs
3 Satz 4, ab 20.7.2021 Satz 6
SGB V) beinhaltet oder - was auch möglich wäre - lediglich einen unverbindlichen Hinweis im Vorfeld einer Wirtschaftlichkeitsprüfung
erteilen will, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
b) Soweit der Kläger mit der zweiten Frage geklärt wissen will, ob sich ein als Verwaltungsakt erlassener Hinweis auf die
Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise dadurch erledigt, "dass für von der Prüfungsstelle geprüfte zeitlich nachfolgende
fünf Quartalen vier gleichlautende Hinweise auf die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung und letztlich wegen dieser einmal
zuletzt eine Honorarkürzung zulasten des Kassenarztes erfolgen", genügt die Beschwerde schon nicht den Darlegungsanforderungen
des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG und ist daher unzulässig. Der Kläger formuliert damit keine Frage, die mit einer verallgemeinerungsfähigen, von den konkreten
Umständen des Einzelfalles unabhängigen Aussage beantwortet werden könnte (zu diesem Erfordernis vgl etwa BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 8 mwN). Es ist nicht erkennbar und auch nicht dargetan, dass der von ihm aufgeworfenen Fragestellung Bedeutung über den Einzelfall
hinaus zukommt. Die bloße Behauptung, die Frage sei "von allgemeiner Bedeutung für eine Vielzahl gleichgelagerter oder ähnlich
gelagerter Fälle von Kassenärzten, die sich gegen einen Unwirtschaftlichkeitshinweis in Bescheidsform wehren, für die Folgequartale
dann aber weitere entsprechende Unwirtschaftlichkeitshinweise in VA-Form erteilt bekommen und gegen die von der Prüfungsstelle
letztlich eine Honorarkürzung verhängt wird", ist insofern unzureichend.
Zudem ist nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger durch den streitgegenständlichen Hinweis des Beklagten, er habe in Bezug
auf die GOP 30201 EBM-Ä im Quartal 4/2014 unwirtschaftlich gehandelt, noch materiell beschwert sein kann. Das LSG hat auf den Hilfsantrag
des Klägers festgestellt, dass der Beschluss des Beklagten vom 13.1.2016/Bescheid vom 29.2.2016 rechtswidrig ist. Bei Feststellungsklagen
gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts kann jedoch angenommen werden, dass ein Beklagter aufgrund seiner verfassungsrechtlich
verankerten Bindung an Gesetz und Recht (Art
20 Abs
3 GG) rechtskräftige (feststellende) Urteile beachten wird (vgl zuletzt BSG Urteil vom 26.5.2021 - B 6 KA 7/20 R - juris RdNr 16, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, mwN; vgl auch BSG Urteil vom 14.5.2014 - B 6 KA 21/13 R - BSGE 116, 1 = SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 20, jeweils mwN). Damit ist - unabhängig davon, ob der Bescheid seine Erledigung gefunden hat - ausgeschlossen, dass sich der Beklagte in
Zukunft zulasten des Klägers in anderen Verfahren, etwa bei einer erneuten Wirtschaftlichkeitsprüfung, in einem Disziplinarverfahren
oder auch einem Zulassungsentziehungsverfahren, auf diesen Bescheid stützen wird.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §§
154 ff
VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt
haben (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
3. Die Festsetzung des Streitwerts in Höhe des Regelstreitwerts entspricht der von den Beteiligten nicht angegriffenen Festsetzung
des LSG (§
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG).