Nachträgliche Korrektur eines vertragsärztlichen Honorarbescheids aus Anlass einer Qualitätsprüfung
Pseudonymisierung von versichertenbezogenen Daten
Beurteilung einer ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung nach der Kollegialgerichts-Richtlinie
Gründe:
I
Der Kläger, ein in Berlin zur hausärztlichen Versorgung zugelassener und in der suchtmedizinischen Grundversorgung tätiger
praktischer Arzt, wendet sich gegen die nachträgliche Korrektur des ihm von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV)
erteilten Honorarbescheids für das Quartal 1/2010 aus Anlass einer Qualitätsprüfung.
Der Kläger ist seit 1996 berechtigt, Substitutionsbehandlungen Opiatabhängiger nach Anlage I Nr 2 der Richtlinie (RL) des
Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung (RL Methoden
vertragsärztliche Versorgung - idF vom 17.1.2006, DÄ 2006, A-808) durchzuführen. Die Beklagte wählte ihn gemäß § 4 der RL
des GBA zu Auswahl, Umfang und Verfahren bei Qualitätsprüfungen im Einzelfall nach §
136 Abs
2 SGB V (Qualitätsprüfungs-RL - in der am 1.1.2007 in Kraft getretenen Fassung vom 18.4.2006, BAnz 2006 Nr 135 vom 21.7.2006, S 5141)
für eine Stichprobenprüfung von Substitutionsbehandlungen im Quartal 1/2010 aus. Sie forderte von ihm für 12 namentlich bezeichnete,
nach dem Zufallsprinzip ermittelte Patienten Behandlungsdokumentationen an. Den Widerspruch des Klägers gegen die mehrfach
wiederholte Anforderung der Unterlagen wies die Beklagte als unzulässig zurück; ein insoweit eingeleitetes Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg. Schließlich erließ die Beklagte am 11.5.2011 einen Bescheid mit folgendem Tenor:
"Auf der Grundlage dieses Ergebnisses hat der Vorstand beschlossen,
1. die Rückforderung der bereits geleisteten Vergütung für die zu überprüfenden Substitutionsbehandlungen bei den zufallsgesteuert
ausgewählten 12 Patienten in I/2010 auf dem Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zu veranlassen
und
2. aus dem Folgequartal II/2010 erneut Dokumentationen zu 12 zufallsgesteuert ausgewählten Patienten anzufordern und auf die
Einhaltung der Qualitätsanforderungen bei der Leistungserbringung zu überprüfen."
Zur Begründung dieser Entscheidung führte die Beklagte aus, die Nichtvorlage der angeforderten Patientendokumentationen wäre
nur dann iS von § 5 Abs 2 S 2 Qualitätsprüfungs-RL nicht vom Kläger zu vertreten, wenn er deren Herausgabe aus Datenschutzgründen
berechtigterweise hätte verweigern können. Das sei aber nicht der Fall. Die bereits geleistete Vergütung für die Substitutionsbehandlungen
werde im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zurückgefordert; zur Höhe des Rückforderungsbetrags ergehe noch ein
gesonderter Bescheid.
In seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.5.2011 bezog sich der Kläger auf einen Hinweis in dem in seiner Sache ergangenen
Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.6.2011 (L 7 KA 50/11 B ER), dass die 2006 erlassene Qualitätsprüfungs-RL nicht mehr den Vorgaben des zum 1.4.2007 neu gefassten §
299 SGB V zur Pseudonymisierung versichertenbezogener Daten im Rahmen von Qualitätsprüfungen entspreche. Zudem legte der Kläger eine
Stellungnahme der von ihm eingeschalteten Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit - der Beigeladenen
zu 2. - vor, wonach die Anforderung nicht pseudonymisierter Daten für Qualitätsprüfungen rechtswidrig sei. Gleichwohl wies
die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.11.2011). Die Argumentation zu §
299 SGB V sei irrelevant, da sich der Kläger zu der Frage, ob er das Nichteinreichen der Unterlagen zu vertreten habe, nur mit Gründen
exkulpieren könne, "die sich nicht im rechtlichen Bereich wieder finden" eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Anforderung
von Unterlagen stehe dem "Vertreten müssen" nicht entgegen. §
299 SGB V enthalte einen Regelungsauftrag an den GBA; solange dieser die Qualitätsprüfungs-RL nicht angepasst habe, ergebe sich die
Befugnis zur versichertenbezogenen Übermittlung der Daten aus §
298 SGB V.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.5.2014). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG diese Entscheidung sowie die angefochtenen
Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 9.5.2018). Die Bescheide verstießen gegen höherrangiges Recht. Gemäß §
299 Abs
1 S 1 Nr
1 und
2, Abs
2 SGB V in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung, die mit der bis zum 22.7.2015 geltenden Normfassung inhaltsgleich sei, habe
der Gesetzgeber eine Anpassung schon bestehender RL des GBA dahingehend verlangt, dass patientenbezogene Informationen im
Rahmen von Qualitätsprüfungen pseudonymisiert werden. Ausnahmen von dieser Regel seien erstmals im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
(GKV-VSG vom 16.7.2015 - BGBl I 1211) mit Wirkung ab 23.7.2015 zugelassen worden. Es müsse hingenommen werden, dass nach diesen
Vorgaben Qualitätsprüfungen nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar gewesen seien, da der Gesetzgeber mit der Regelung
in §
299 SGB V aF selbst einen Ausgleich zwischen der Kernaufgabe Qualitätssicherung und dem verfassungsrechtlich verbürgten Sozialdatenschutz
vorgenommen habe. Der Standpunkt der Beklagten und des Beigeladenen zu 3. würde dazu führen, dass der GBA einem parlamentsgesetzlichen
Auftrag ohne jede Folgen nicht nachkommen könne. Doch selbst wenn die Aufforderung der Beklagten zur Einreichung der Patientendokumentationen
rechtmäßig gewesen wäre, seien die angefochtenen Richtigstellungsbescheide rechtswidrig, da der Kläger die Nichtvorlage der
Dokumentationen nicht zu vertreten habe. Nach dem Maßstab des §
276 Abs
1 BGB, auf den insoweit zurückzugreifen sei, sei hier ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Klägers anzunehmen, weil die Rechtslage
in Bezug auf eine untergesetzliche Norm, die höherrangigem Recht nicht entspreche, zweifelhaft und schwierig gewesen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision, die das LSG damit begründet hat, dass die hier streitentscheidenden Regelungen bereits
ausgelaufenes Recht darstellten, wenden sich die Beklagte und der Beigeladene zu 3. mit ihren Beschwerden. Beide machen die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und der Beigeladene zu 3. zudem eine Rechtsprechungsabweichung geltend (Revisionszulassungsgründe
gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG). Der Kläger und der Beigeladene zu 2. beantragen, die Beschwerden zurückzuweisen.
II
A) Die Beschwerde des Beigeladenen zu 3. ist zulässig, erweist sich aber als nicht begründet.
1. Die Beschwerde des zu 3. beigeladenen GBA ist zulässig. Dieser ist durch das Urteil des LSG nicht nur als Beteiligter des
Verfahrens formell, sondern auch - wie für das Rechtsmittel eines Beigeladenen erforderlich (BSG Urteil vom 20.3.1996 - 6 RKa 51/95 - BSGE 78, 98, 99 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 34; BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 19 mwN) - materiell beschwert. Der Beigeladene zu 3. macht zutreffend geltend, dass die von
ihm angefochtene Entscheidung des LSG in eigene ihm zukommende Rechtspositionen eingreife, nämlich in die ihm übertragene
Aufgabe zum Erlass von RL zu verpflichtenden Maßnahmen der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung (§ 92 Abs
1 S 2 Nr 13 iVm §
135a Abs
2, §
136 Abs
1 S 1 Nr
1, S 2
SGB V in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung bzw - §
136 - in der ab 1.1.2017 geltenden Fassung). In diesem Sinne hat der Senat bereits eine materielle Beschwer der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung als am Zustandekommen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) beteiligter
Vertragspartner im Hinblick auf ein Urteil bejaht, das im Honorarstreit eines Vertragsarztes gegen die KÄV Regelungen des
EBM-Ä zur begrenzten Gesamtpunktzahl abrechnungsfähiger Laborleistungen inzident für unwirksam erachtet hatte (BSG Urteil vom 20.3.1996 - 6 RKa 51/95 - BSGE 78, 98, 100 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 35). In vergleichbarer Weise hat auch das hier angefochtene Urteil des LSG inzident die vom
GBA erlassene Regelung in § 4 Abs 4 S 2 Qualitätsprüfungs-RL (zutreffend: S 1 aaO) als mit höherrangigem Recht unvereinbar
und somit für unwirksam gehalten (LSG-Urteil S 13: "verstieß diese Vorschrift zumindest bis zum 22. Juli 2015 gegen §
299 Abs
1 S 1 Nr
1 und
2, Abs
2 SGB V"). Für die Bejahung einer Beschwer des Beigeladenen zu 3. spielt es dabei keine Rolle, dass das LSG seine Entscheidung selbstständig
tragend auch noch auf eine weitere Begründung (fehlendes Vertreten müssen des Klägers) gestützt hat, die eigene Rechte des
GBA unberührt lässt. Es genügt vielmehr für die Annahme eines Rechtsschutzinteresses des Beigeladenen zu 3. für das Rechtsmittelverfahren,
dass er jedenfalls durch einen der - gleichrangigen - Begründungsstränge des LSG-Urteils materiell beschwert ist, sofern dieses
Bestand hat. Insofern sind für die Beurteilung der Beschwer des Rechtsmittelführers andere Kriterien maßgeblich als für die
Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit eines geltend gemachten Revisions(zulassungs)grundes (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 9g; BSG Beschluss vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 23).
2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
a) Der Beigeladene zu 3. bezeichnet als grundsätzlich klärungsbedürftig folgende Rechtsfragen:
(1) War die Anforderung nicht-pseudonymisierter Behandlungsdokumentationen von einem Vertragsarzt durch die KÄV auf der Grundlage
von § 4 Abs 4 S 1 iVm § 5 Abs 1 Qualitätsprüfungs-RL wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht rechtswidrig, weil der GBA
seinem geänderten Regelungsauftrag aus §
299 SGB V idF des GKVW ettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) nicht nachgekommen ist?
(2) Die Rechtswidrigkeit der Anforderung nicht-pseudonymisierter Behandlungsdokumentationen unterstellt: Folgt die Pflicht
der KÄV zur Anforderung sowie die Pflicht des Vertragsarztes zur Einreichung pseudonymisierter Behandlungsdokumentationen
unmittelbar aus §
299 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB V idF des GKV-WSG?
(3) Lässt sich dem Vertragsarztrecht entnehmen, was ein Vertragsarzt im Verhältnis zu seiner KÄV im Rahmen des § 5 Abs 2 S
2 Qualitätsprüfungs-RL zu vertreten hat und dass insofern nicht auf den allgemeinen Vertretungsmaßstab des §
276 Abs
1 S 1
BGB zurückgegriffen werden kann, da aus der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eine strengere Haftung folgt?
zu Frage (1):
Die Frage zielt darauf, welche Folgen die Änderung des §
136 Abs
2 S 2
SGB V und die Einfügung des §
299 SGB V durch das GKV-WSG vom 26.3.2007 (BGBl I 378) zum 1.4.2007 auf die bereits zuvor mWv 1.1.2007 vom GBA erlassenen Regelungen zur Durchführung
von Stichprobenprüfungen in der vertragsärztlichen Versorgung nach der Qualitätsprüfungs-RL vom 18.4.2006 gehabt hat. Das
LSG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die gegenüber dem bisherigen Rechtszustand (insbesondere in Bezug auf
die generelle Verpflichtung zur Sicherstellung einer Pseudonymisierung versichertenbezogener Daten) verschärften Vorgaben
des §
299 SGB V sofort zu beachten waren und die unterbliebene Anpassung der RL durch den GBA zur Rechtswidrigkeit des bisherigen Procedere
- Anforderung umfangreicher Behandlungsunterlagen mit zahlreichen sensiblen Daten der Patienten ohne vorherige Pseudonymisierung
- geführt hat. Demgegenüber meint der Beigeladene zu 3., es sei zweifelhaft, ob §
299 SGB V einen Normanwendungsbefehl aufgrund eines unmittelbaren Geltungsanspruchs enthalte.
Ein Bedarf zur Klärung dieser Frage in einem Revisionsverfahren besteht indes nicht. Zwar existiert noch keine Entscheidung
des BSG, die sich speziell zu den Auswirkungen der Ergänzung des §
136 Abs
2 S 2
SGB V und der Einfügung des §
299 SGB V zum 1.4.2007 auf die damals bereits bestehende Qualitätsprüfungs-RL des GBA äußert. Eine Rechtsfrage ist aber nicht lediglich
dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits in einer höchstrichterlichen Entscheidung ausdrücklich beantwortet worden
ist. Weiterer Klärungsbedarf fehlt vielmehr auch, falls sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder
aus schon vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung klar ergibt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - Juris RdNr 4; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 8, 8a). So verhält es sich hier.
Bereits der Wortlaut des §
299 Abs
1 S 1 Halbs 1
SGB V verdeutlicht, dass immer dann, wenn für Zwecke der Qualitätssicherung nach §
135a Abs
2 oder §
136 Abs
2 SGB V Sozialdaten von Versicherten erhoben werden sollen, die RL des GBA "sicherzustellen" haben, dass diese versichertenbezogenen
Daten pseudonymisiert werden. Dabei wurde vorgegeben, dass das Verfahren der Pseudonymisierung unter Berücksichtigung der
Empfehlungen des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik in den RL des GBA festzulegen ist (§
299 Abs
1 S 3 Halbs 1 iVm Abs
2 S 2
SGB V); gemäß §
299 Abs
1 S 3 Halbs 2
SGB V haben die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte auf dieser Grundlage die erforderlichen Daten zu erheben
und zu übermitteln. Mit diesen Bestimmungen wollte der Gesetzgeber "die datenschutzrechtlichen Anforderungen der Qualitätssicherungsverfahren"
festlegen (Gesetzentwurf zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 175 - zu § 299, zu Abs 1). Ihr Wortlaut, der mit ihnen verfolgte Zweck sowie der Umstand, dass die genannten Regelungen - anders als weitere
Änderungen des GKV-WSG zu Datenübermittlungen (zB für Zwecke der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß §
296 Abs
1 und
2 SGB V - vgl Art 1 Nr 199 iVm Art 46 Abs 8 GKV-WSG) - ohne Aufschub oder Übergangsregelung sofort zum 1.4.2007 in Kraft treten sollten (vgl Art 1 Nr 201 iVm Art 46 Abs 1 GKV-WSG), lassen keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Ansicht des LSG zur sofortigen Maßgeblichkeit dieser Vorgaben für die
im Rahmen von Qualitätsprüfungen von Vertragsärzten zu übermittelnden versichertenbezogenen Daten zutrifft.
Etwas anderes kann aus Entscheidungen des BVerfG oder des BSG zu ähnlichen Sachverhalten nicht hergeleitet werden. Soweit das BVerfG in ständiger Rechtsprechung annimmt, dass sowohl das
nachträgliche Fortfallen einer Ermächtigungsgrundlage als auch die nachträgliche Änderung einer Ermächtigung "ohne Einfluss
auf den Rechtsbestand der vor ihrer Änderung ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnungen" seien (BVerfG Beschluss vom 25.7.1962
- 2 BvL 4/62 - BVerfGE 14, 245, 249 = Juris RdNr 16; BVerfG Beschluss vom 10.5.1988 - 1 BvR 482/84 ua - BVerfGE 78, 179, 198), bedeutet "Rechtsbestand" nicht die Aussage, dass nach einer Änderung der Ermächtigungsgrundlage sämtliche Regelungen
einer bereits zuvor erlassenen Verordnung ohne Weiteres rechtmäßig bleiben. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht,
dass allein die Änderung der Ermächtigungsgrundlage nicht zum automatischen Wegfall (Außerkrafttreten) der zuvor auf anderer
Grundlage rechtmäßig erlassenen Verordnung führt. Ob aber die einzelnen Regelungen einer solchen Verordnung mit den ranghöheren
Normen des neu gestalteten Gesetzesrechts - insbesondere mit den inhaltlichen Vorgaben des Gesetzes für die untergesetzliche
Rechtsetzung - übereinstimmen, muss unabhängig davon beurteilt werden (vgl BVerfG Beschluss vom 10.5.1988 - 1 BvR 482/84 ua - BVerfGE 78, 179, 198 f: "Dennoch kann die außer Kraft getretene Ergänzungsermächtigung hier nicht mehr als Grundlage für die in Rede stehende
Verordnungsbestimmung herangezogen werden. [...] Der Bedeutungswandel des Gesetzes [...] lässt einen Rückgriff auf die erloschene
Ergänzungsermächtigung allenfalls für solche Verordnungsbestimmungen zu, die auch nach dem heutigen Verständnis des Gesetzes
eine sinnvolle Einheit mit ihm bilden. Eingriffe, die dazu in Widerspruch stehen, [...] entbehren daher der erforderlichen
gesetzlichen Grundlage"). Das im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip angelegte Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes erfordert
nämlich generell, dass eine Rechtsverordnung sich in den Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung halten muss; anderenfalls wären
die Vorgaben in Art
80 Abs
1 GG an das ermächtigende Gesetz sinnlos (BVerfG Beschluss vom 1.4.2014 - 2 BvF 1/12 ua - BVerfGE 136, 69 RdNr 45).
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat - wie der Beigeladene zu 3. selbst vorträgt - auch das BSG mehrfach betont, dass nach einer Änderung der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer RL des GBA die zuvor von ihm erlassene
RL zwar fortwirkt, aber im Einzelnen nunmehr an der neuen Gesetzesfassung zu messen ist, sofern dieser wegen des "unmittelbaren
Geltungsanspruchs ohne Übergangsregelung ein solcher Normanwendungsbefehl zu entnehmen ist" (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 1 KR 10/10 R - BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 58; BSG Urteil vom 28.9.2016 - B 6 KA 25/15 R - SozR 4-2500 § 92 Nr 19 RdNr 30). Das entspricht der Qualität der RL des GBA, die als untergesetzliche Rechtsnormen stets
auf ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden höherrangigen Recht zu überprüfen sind (so bereits BSG Urteil vom 20.3.1996 - 6 RKa 62/94 - BSGE 78, 70, 77 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 32 ebenso BSG Urteil vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 20 mwN). Für die Durchsetzung des Vorrangs des höherrangigen Gesetzesrechts ist dabei gänzlich
unerheblich, ob die neue gesetzliche Regelung lediglich schon bisher zu beachtende Vorgaben verschärft oder - wie hier - neue
bzw zusätzliche Vorgaben für die untergesetzliche Normsetzung macht. Sind solche Vorgaben ab einem bestimmten, vom Gesetzgeber
in den Bestimmungen zu ihrem Inkrafttreten festgelegten Zeitpunkt zu beachten, folgt daraus ohne Weiteres ab diesem Zeitpunkt
die Nichtigkeit damit unvereinbarer Regelungen in RL des GBA, die bereits zuvor noch unter Geltung einer Ermächtigungsgrundlage
erlassen wurden, die solche Vorgaben nicht enthielten.
Wenn danach die Klärungsbedürftigkeit der vom Beigeladenen zu 3. aufgeworfenen Rechtsfrage (1) schon deshalb nicht bejaht
werden kann, weil sich die Antwort auf diese Frage ohne Weiteres klar aus den einschlägigen Rechtsvorschriften und aus vorhandener
höchstrichterlicher Rechtsprechung ergibt, kommt es auf die Ansicht des LSG zum Fehlen (Entfallen) von Klärungsbedarf im Hinblick
darauf, dass diese Vorschriften nach der Neugestaltung des §
299 SGB V durch das GKV-VSG seit dem 23.7.2015 bereits ausgelaufenes Recht darstellten, nicht mehr an (zu den Voraussetzungen für einen
fortbestehenden Klärungsbedarf bei ausgelaufenem Recht vgl BSG Beschluss vom 28.6.2017 - B 6 KA 84/16 B - Juris RdNr 6 mwN).
zu Frage (2):
Mit dieser Frage will der Beigeladene zu 3. ersichtlich geklärt wissen, ob ohne - unterstellt: erforderliche - Regelungen
des GBA in der Qualitätsprüfungs-RL zur Art und Weise der Pseudonymisierung der Versichertendaten eine KÄV unmittelbar aufgrund
von §
299 SGB V zur Anforderung ausschließlich pseudonymisierter Unterlagen verpflichtet ist oder ob sie bis zum Erlass solcher Regelungen
gemäß §
285 Abs
2 iVm §
298 SGB V weiterhin vom Vertragsarzt die Vorlage nicht pseudonymisierter Unterlagen verlangen darf. Er verweist dazu auf Rechtsprechung
des BVerfG und des BVerwG, wonach im Fall einer Untätigkeit des Verordnungsgebers, der mit der Ausfüllung eines gesetzlichen
Auftrags beauftragt ist, es der Verwaltung nicht ausnahmslos verwehrt ist, die Vorschriften des Gesetzes selbst anzuwenden
(BVerfG Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 - BVerfGE 79, 174, 194 - Anwendung der Grundsätze des BundesImmissionsschutzgesetzes im Rahmen des Bauplanungsrechts, obwohl die vorgeschriebene
Rechtsverordnung zu Immissionsgrenzwerten noch nicht erlassen war; BVerwG Urteil vom 13.2.1991 - 8 C 15.89 - BVerwGE 88, 13, 21 f - ersatzweise Anwendung des örtlichen Mietspiegels zur Ermittlung des Höchstbetrags einer Fehlbelegungsabgabe, solange
die im Gesetz vorgesehene Höchstbetragsverordnung fehlt).
Auch für diese Frage besteht im vorliegenden Verfahren kein Klärungsbedarf. Wenn - wie oben näher dargelegt - davon ausgegangen
werden muss, dass der Gesetzgeber des GKV-WSG mit der ohne Übergangsregelung neu geschaffenen speziellen Vorschrift des §
299 SGB V sogleich ab Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.4.2007 die von da an maßgeblichen "datenschutzrechtlichen Anforderungen der
Qualitätssicherungsverfahren" festlegen wollte (Gesetzentwurf zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 175 - zu § 299, zu Abs 1) und hierzu für versichertenbezogene Daten ausnahmslos eine Pseudonymisierung vorschrieb, entbehrt die Annahme,
die KÄVen hätten bis zum Erlass der entsprechenden RL durch den GBA weiterhin - wie früher - nicht pseudonymisierte Daten
anfordern dürfen, jeder rechtlichen Grundlage. Die in der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG für möglich erachteten
Ausnahmen von einer "Rechtsanwendungssperre", die an sich aufgrund eines vom Gesetzgeber zwingend erteilten Auftrags zur untergesetzlichen
Normkonkretisierung bis zum Erlass entsprechender Vorschriften eintritt, zielen darauf ab, der Verwaltung bzw den Gerichten
eine "Notkompetenz" für die Dauer der Untätigkeit des untergesetzlichen Normgebers zuzugestehen. Diese sollen die neue gesetzliche
Regelung selbst unmittelbar anwenden dürfen, sofern das möglich und zwingend geboten ist. Eine Fortsetzung des Gesetzesvollzugs
"wie bisher" trotz entgegenstehender gesetzlicher Neuregelung ist davon jedoch offenkundig nicht umfasst. Bei Bejahung einer
solchen "Notkompetenz" stellt sich allenfalls die Frage, ob die Beklagte aufgrund der Untätigkeit des GBA vom Kläger die Vorlage
versichertenbezogener Daten in pseudonymisierter Form nach Maßgabe eigener Vorgaben zur Art und Weise der vorzunehmenden Pseudonymisierung
hätte verlangen dürfen. Da die Beklagte gegenüber dem Kläger aber nicht in dieser Weise vorgegangen ist, ist diese Frage für
das vorliegende Verfahren jedoch nicht entscheidungserheblich.
zu Frage (3):
Diese Frage betrifft den Begründungsstrang des LSG-Urteils, nach dem die angefochtenen Bescheide auch bei unterstellter Rechtmäßigkeit
der Anforderung nicht pseudonymisierter Behandlungsunterlagen durch die Beklagte rechtswidrig sind, weil der Kläger die Nichteinreichung
der von ihm geforderten Dokumentationen jedenfalls nicht iS von § 5 Abs 2 S 2 Qualitätsprüfungs-RL "zu vertreten" habe. Damit
erfüllt der Beigeladene zu 3. zwar in formeller Hinsicht seine Darlegungspflichten für eine Beschwerdebegründung, die ein
Urteil angreift, das sich auf zwei selbstständig tragende Begründungen stützt (vgl BSG Beschluss vom 24.9.1980 - 11 BLw 4/80 - SozR 1500 § 160a Nr 38 S 55; BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3). Dennoch kann auch diese Frage nicht zur Revisionszulassung führen, weil in einer solchen
Konstellation die Nichtzulassungsbeschwerde nur erfolgreich sein kann, wenn für jeden dieser tragenden Gründe mit Erfolg ein
Zulassungsgrund geltend gemacht wird (BSG Beschluss vom 28.9.2016 - B 6 KA 15/16 B - Juris RdNr 15). Da aber - wie bereits dargestellt - die Angriffe der Beschwerde gegen den ersten Begründungsstrang des
LSG-Urteils nicht zur Revisionszulassung führen können, bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob der auf den zweiten Begründungsstrang
zielenden Frage (3) grundsätzliche Bedeutung zukommt bzw ob sie überhaupt eine aus sich heraus verständliche und entscheidungserhebliche
Rechtsfrage enthält.
An der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage bestehen nicht zuletzt auch deshalb Zweifel, weil der Senat in Anwendung der
vom BGH zu §
839 BGB entwickelten sog "Kollegialgerichts-Richtlinie" eine Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes regelmäßig verneint, wenn ein
mit drei Berufsrichtern besetzter Senat des LSG dessen Vorgehen als rechtmäßig angesehen hat (zuletzt BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 18 RdNr 38). Hier hat zudem nicht nur das LSG das Verhalten des Klägers, der noch vor Abschluss des
Verwaltungsverfahrens (dem maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide) unter Bezugnahme
auf den LSG-Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Nichtvorlage der zur Qualitätsprüfung angeforderten
Unterlagen jedenfalls auch auf Datenschutzaspekte gestützt hat, als "unverschuldet" bewertet. Zusätzlich konnte sich der Kläger
auf Stellungnahmen der zuständigen Datenschutzbehörde berufen (Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 21.7.2011 und vom 3.8.2011),
die eine Anforderung nicht pseudonymisierter Unterlagen durch die Beklagte ausdrücklich als datenschutzrechtlich rechtswidrig
bewertet hatte. Wie unter diesen Umständen selbst bei Anwendung eines strengeren Haftungsmaßstabs iS von §
276 Abs
1 S 1 Halbs 2
BGB ein Verschulden des Klägers bejaht werden könnte, ist nicht erkennbar.
b) Die nur in Bezug auf den Haftungsmaßstab vom Beigeladenen zu 3. erhobene Divergenzrüge ist - ihre Zulässigkeit unterstellt
- aus den soeben genannten Gründen ebenfalls nicht geeignet, zur Revisionszulassung zu führen. Da sie sich lediglich auf den
zweiten Begründungsstrang des LSG-Urteils bezieht, hinsichtlich des ersten Begründungsstrangs aber kein durchgreifender Zulassungsgrund
besteht, kann das LSG-Urteil von vornherein nicht auf der behaupteten Rechtsprechungsabweichung beruhen (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
B) Auch die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Die von ihr geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) liegt ebenfalls nicht vor.
Die Beklagte bezeichnet folgende Rechtsfragen als grundsätzlich bedeutsam:
(1) "Darf die Kassenärztliche Vereinigung im Rahmen von Stichprobenprüfungen auf Grundlage der mit Wirkung zum 01.01.2007
in Kraft getretenen und seither unveränderten 'Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung' des Gemeinsamen
Bundesausschusses nicht pseudonymisierte Daten anfordern, obwohl §
299 SGB V in der ab 01.04.2007 geltenden Fassung vorsieht, dass die versichertenbezogenen Daten durch den Vertragsarzt pseudonymisiert
werden müssen?
(2) Hat ein Vertragsarzt die Pflicht, im Rahmen von Stichprobenprüfungen auf Grundlage der mit Wirkung zum 01.01.2007 in Kraft
getretenen und seither unveränderten 'Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung' des Gemeinsamen Bundesausschusses
an einer datenschutzgerechten Übermittlung von pseudonymisierten Patientendokumentationen an die Kassenärztliche Vereinigung
mitzuwirken, wenn die Richtlinien entgegen der Ermächtigungsgrundlage des §
299 SGB V kein festgelegtes Verfahren für die Pseudoymisierung der zu übermittelnden versichertenbezogenen Daten vorgibt?"
Frage (1) der Beklagten ist inhaltsgleich mit der vom Beigeladenen zu 3. aufgeworfenen Frage (1); sie kann aus denselben,
oben näher dargelegten Gründen nicht zur Revisionszulassung führen. Für Frage (2) der Beklagten fehlt es an der Klärungsfähigkeit
im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits. Sie bezieht sich nach den Darlegungen der Beklagten ausdrücklich auf den zweiten,
selbstständig tragenden Begründungsstrang des LSG-Urteils. Da aber zur ersten Begründungslinie kein Revisionszulassungsgrund
durchgreift, kann auch diese Frage nicht die Zulassung der Revision bewirken.
C) 1. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 und
3, §
159 S 1
VwGO und §
100 Abs
1 ZPO und beruht auf dem Umstand, dass die Beschwerden ohne Erfolg geblieben sind. Die Rechtsmittelführer haben auch der Beigeladenen
zu 2., die einen eigenen Antrag gestellt hat, deren außergerichtliche Kosten zu erstatten (§
162 Abs
3 VwGO).
2. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 47 Abs 1 und 3, § 52 Abs 2 GKG. Sie entspricht den Festsetzungen der Vorinstanzen, denen keiner der Beteiligten widersprochen hat.