Bestimmung des Streitwerts bei Wahlanfechtungsklagen im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Die Verpflichtung des (ursprünglichen) Klägers zu 7. und alleinigen Beschwerdeführers zur Tragung der Kosten für das Beschwerdeverfahren
beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm einer entsprechenden Anwendung von §
155 Abs
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Der Kläger zu 7. hat seine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) zurückgenommen, in
dem seine Anfechtungsklage gegen die Wahlen der Beigeladenen zu 1. bis 4. zu Mitgliedern des Vorstands der beklagten Kassenärztlichen
Vereinigung (KÄV), gegen die Wahlen der Beigeladenen zu 1. und zu 2. zum Vorsitzenden des Vorstands bzw zu dessen Stellvertreter
sowie gegen die Wahlen der Beigeladenen zu 5. und zu 6. zum Mitglied bzw zum stellvertretenden Mitglied der Vertreterversammlung
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) abgewiesen worden war. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für das
Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig, da diese keine Anträge gestellt haben (§
162 Abs
3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 2 und Abs 3, § 39 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Für Wahlanfechtungsklagen ist der Regelstreitwert gemäß § 52 Abs 2 GKG zu Grunde zu legen, da genügende Anhaltspunkte für eine Bewertung des Streitgegenstandes nach dem wirtschaftlichen Interesse
des Klägers zu 7. fehlen (vgl BVerwG Buchholz 250 § 25 BPersVG Nr 14; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1996, 480; Wenner/Bernard, NZS 2001, 57, 65; ebenso Nr 22.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327, 1330, sowie Nr 14 des Streitwertkatalogs 2006 für die Sozialgerichtsbarkeit, NZS 2006, 350, 356). Die mit dem streitigen Wahlamt verbundenen Vergütungen oder Aufwandsentschädigungen sind regelmäßig kein geeigneter
Anknüpfungspunkt zur Bemessung des wirtschaftlichen Interesses von Klägern an einer Wahlanfechtungsklage, weil diese auch
im Falle einer erfolgreichen Wahlanfechtung nicht automatisch selbst in das betreffende Amt gewählt sind (vgl VGH Mannheim,
VBlBW 1983, 32, 34). Wird die Besetzung mehrerer Positionen angefochten, für die jeweils gesonderte Wahlhandlungen vorgesehen sind, bildet
jedes dieser separat zu erlangenden Wahlämter einen eigenständigen Streitgegenstand, sodass der Regelwert dementsprechend
mehrfach anzusetzen und gemäß § 39 Abs 1 GKG zusammenzurechnen ist (vgl BayVGH, BayVBl 2000, 478; zu einer vergleichbaren Konstellation auch Senatsbeschluss vom 8. April 2005 - B 6 KA 60/04 B - juris).
Hingegen ist die Zahl der die Wahlanfechtungen betreibenden Kläger für die Bestimmung des Streitgegenstands des Verfahrens
sowie für die Bemessung des Streitwerts ohne Bedeutung. Gemäß § 39 Abs 1 GKG kommt es im Falle subjektiver Klagehäufung nicht auf die Anzahl der Prozessrechtsverhältnisse, sondern lediglich darauf an,
ob mehrere unterschiedliche Streitgegenstände iS dieser Vorschrift vorliegen. Dies ist bei der Anfechtung einer bestimmten
Wahlhandlung durch eine Mehrheit von Klägern nicht der Fall. Hierbei handelt es sich vielmehr um identische Ansprüche, die
auf demselben Rechtsgrund beruhen, auf dasselbe Ziel gerichtet sind und die aus materiellrechtlichen Gründen nur einheitlich
entschieden werden können (vgl VGH Mannheim, NVwZ 1991, 275, 276). Eine Zusammenrechnung bei solchermaßen wirtschaftlich identischen Ansprüchen ist auch bisher schon nach den Grundsätzen
des Streitwertrechts im Rahmen der Vorschrift des §
5 Zivilprozessordnung (
ZPO) allgemein als unzulässig erachtet worden (vgl BGH NJW-RR 2004, 638, 639, mwN; Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur
ZPO, 22. Aufl 2003, §
5 RdNr 1, 8, 13 - beispielsweise für Anfechtungsklagen mehrerer Aktionäre gegen denselben Hauptversammlungsbeschluss; Schneider/Herget,
Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 11. Aufl 1996, RdNr 4057, 4058; s auch BVerwG NVwZ-RR 1991, 669, 670 zur wirtschaftlichen Identität der Klagen von Ehegatten gegen ihre Ausweisung; BVerwG Buchholz 250 § 25 BPersVG Nr 14 zur Anfechtung einer Personalratswahl durch mehrere Kläger). Soweit dagegen der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
(aaO) in Nr 1.1.3 vorsieht, dass im Falle gemeinschaftlicher Klagen mehrerer Kläger eine Addition der Werte der einzelnen
Klagen nur unterbleibt, wenn die Kläger eine Maßnahme "als Rechtsgemeinschaft" begehren oder bekämpfen (s auch Nr 45.2: Ansatz
des Auffangwerts je Kläger, wenn einzelne Mitglieder eines Vereins dessen Verbot anfechten), ist dies angesichts des Regelungsgehalts
des § 39 Abs 1 GKG zu eng und lässt die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Additionsverbot bei wirtschaftlicher Identität der
verfolgten Ansprüche außer Acht. Die vereinzelt vertretene Ansicht, bei Klagen mehrerer einfacher Streitgenossen gegen die
Gültigkeit einer Wahl seien die Streitwerte zu addieren (vgl VGH Mannheim, NVwZ-RR 1996, 480; dem folgend Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl 2006, Anhang I B zu § 52 GKG, Streitwertkatalog, RdNr 5; aA BayVGH, NVwZ-RR 1997, 755; zu kommunalrechtlichen Organstreitverfahren s auch Sächs OVG, Beschluss vom 15. März 2005 - 4 B 436/04 - juris), kann daher auf Wahlanfechtungsklagen im Bereich der vertragsärztlichen Selbstverwaltung nicht übertragen werden.
Die Anfechtungsklage betraf im vorliegenden Fall insgesamt sechs unterschiedliche Wahlämter im Zusammenhang mit der Konstituierung
des Vorstands der beklagten KÄV. Gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 der Hauptsatzung iVm §§ 31 Abs 2, 32 Abs 2 der Wahlordnung der neu zu gründenden KÄV Rheinland-Pfalz waren jeweils getrennte Wahlgänge zur Bestimmung jedes einzelnen der vier Vorstandsmitglieder
sowie anschließend des Vorsitzenden des Vorstands und von dessen Stellvertreter vorgesehen. Hinzu kommen die ebenfalls angefochtenen
Wahlen des weiteren Mitglieds der Vertreterversammlung der KBV und von dessen Stellvertreter. Die Addition des somit achtfach
anfallenden Regelwerts von 5.000 EUR ergibt einen Streitwert in Höhe von 40.000 EUR für das gesamte Verfahren.
Der Senat ist an der Festsetzung dieses Streitwerts für das Beschwerdeverfahren nicht durch den Umstand gehindert, dass das
LSG mit Beschluss vom 2. Februar 2006 den Streitwert des erstinstanzlichen Verfahrens unter Abänderung der Entscheidung des
Sozialgerichts (SG) lediglich auf 5.000 EUR festgesetzt hat. Zwar bestimmt § 47 Abs 2 Satz 1 GKG, dass der Streitwert in einem Verfahren höherer Instanz durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt
ist. Für den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs ist aber nicht der in erster Instanz festgesetzte, sondern der
objektiv angemessene Streitwert maßgeblich (BVerwG Buchholz 360 § 14 GKG Nr 4 bzw § 25 GKG Nr 3; BFH/NV 2003, 338; aA Hartmann, aaO, § 47 RdNr 8). Insbesondere vermittelt die genannte Vorschrift keinen Vertrauensschutz zugunsten eines Klägers erster Instanz,
der zugleich Rechtsmittelführer ist. Der Sinn der Vorschrift besteht vielmehr darin, den Wert des Streitgegenstandes auch
dann auf die Höhe des Streitwertes der ersten Instanz zu begrenzen, wenn das an sich nach § 47 Abs 1 GKG maßgebliche Interesse des das Rechtsmittel führenden Beklagten oder des Beigeladenen höher als das des Klägers zu bewerten
wäre (zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 14 Abs 2 Satz 1 GKG aF vgl BVerwG, aaO, § 14 GKG Nr 4; BFH, aaO). Ist aber der Kläger erster Instanz zugleich Rechtsmittelführer, muss er schon nach der Regelung in § 63 Abs 3 GKG (= § 25 Abs 2 Satz 2 GKG aF) noch bis zu sechs Monate nach Rechtskraft der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache oder nach sonstiger Erledigung
des Verfahrens mit einer Änderung des Streitwerts rechnen (zur fehlenden Anwendbarkeit des Verböserungsverbots im Streitwertverfahren
s auch LAG Baden-Württemberg, LAGE § 9 KSchG Nr 37; Hessischer VGH, BauR 2006, 818; Straßfeld in Jansen,
Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl 2005, §
197a RdNr 40; Schneider/Herget, aaO, RdNr 3).
Der Senat macht in der hier vorliegenden Konstellation von dem ihm in § 63 Abs 3 Satz 1 GKG eingeräumten Ermessen zur Abänderung der niedrigeren Streitwertfestsetzungen der Vorinstanzen keinen Gebrauch (zu dieser
Befugnis - nicht Verpflichtung - des Rechtsmittelgerichts vgl BVerwG Buchholz 360 § 25 GKG Nr 3; BGH VersR 1989, 817, 818; BFH/NV 1999, 1608, 1609; aA - iS einer Rechtspflicht zur Korrektur - BayVGH, Beschluss vom 6. Februar 2006 - 4 C 05.3292 - und wohl auch LSG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Juli 2006 - L 5 ER 130/06 KA -, juris; ebenso Schneider/Herget, aaO, RdNr 10 ff, s aber
auch RdNr 16 ff; Hillach, Handbuch des Streitwerts in Zivilsachen, 9. Aufl 1994, S 482, 486; Hartmann, aaO, § 63 GKG RdNr 38). Zwar ist die hierfür zur Verfügung stehende Frist von sechs Monaten seit Eintritt der Rechtskraft der Hauptsache
- hier infolge Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde am 9. Mai 2006 - noch nicht verstrichen. Gegen eine Abänderung der
vorinstanzlichen Streitwertfestsetzungen durch den Senat spricht aber, dass die Kläger erster Instanz zu 1. bis 6. sowie zu
8. bis 10., die vom SG nach Kopfteilen und vom LSG als Gesamtschuldner (insoweit nur die Kläger zu 2. bis 7.) zur Tragung der Verfahrenskosten verpflichtet
worden sind, an dem Beschwerdeverfahren und der hierfür vorzunehmenden Streitwertfestsetzung nicht beteiligt waren. Eine mögliche
Änderung der vorinstanzlichen Streitwertfestsetzungen muss deshalb dem LSG überlassen bleiben.