Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung, Zulässigkeit der Festlegung von Übergangsregelungen durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss
Gründe:
I. Streitig ist ein Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der Kläger, Facharzt für Orthopädie und seit Dezember 1993 im Arztregister für den Zulassungsbezirk Berlin eingetragen, stellte
am 24.7.2003 einen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zum 1.9. bzw 1.10.2003 unter einer Praxisanschrift
im Stadtteil F. im Bezirk T.. Die Zulassungsgremien lehnten den Antrag ab, da durch Beschluss des Landesausschusses der Ärzte
und Krankenkassen (im Folgenden: Landesausschuss) vom 20.8.2003 im neu gebildeten Planungsbereich "Berlin - Bundeshauptstadt"
ua für Orthopäden mit Wirkung ab 1.6.2003 eine Zulassungssperre wegen Überversorgung angeordnet worden sei (Bescheid des Zulassungsausschusses
vom 17.10.2003, Widerspruchsbescheid des beklagten Berufungsausschusses vom 27.2.2004).
Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 15.12.2004). Hingegen hat das Landessozialgericht
(LSG) den Beklagten verpflichtet, den Kläger als Facharzt für Orthopädie an dem beantragten Vertragsarztsitz zuzulassen. Nach
Auffassung des LSG kann die im Beschluss des Landesausschusses vom 20.8.2003 für den Planungsbereich Gesamtberlin angeordnete
Zulassungssperre dem Zulassungsbegehren des Klägers nicht entgegengehalten werden, da dessen Antrag vom 24.7.2003 gemäß §
19 Abs 1 Satz 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) vor dieser Zulassungssperre geschützt sei. Der Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen habe in seinem Beschluss vom 24.3.2003 zur Schaffung des Planungsbereichs Gesamtberlin in den
"Richtlinien über die Bedarfsplanung und die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen
Versorgung" (Bedarfsplanungs-RL-Ärzte) die Wirksamkeit der für den neuen Planungsbereich anzuordnenden Zulassungsbeschränkungen
nicht mit normativer Wirkung auf den 1.6.2003 festlegen wollen. Doch auch dann, wenn die Übergangsbestimmungen gemäß Nr 3
des Beschlusses vom 24.3.2003 in diesem Sinne interpretiert würden, seien diese wegen Verstoßes gegen die ranghöhere Norm
des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV nichtig. Denn es fehle eine bundesgesetzliche Regelung, die dem Bundesausschuss die Kompetenz
verleihe, hiervon abweichend eine Entscheidungssperre für Zulassungsanträge im Hinblick auf erst noch zu treffende Zulassungsbeschränkungen
anzuordnen, so wie dies in Art 33 § 3 Abs 2 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21.12.1992 bzw in §
95 Abs
12 SGB V (in der ab 1.1.1999 geltenden Fassung) für vergleichbare Konstellationen geregelt worden sei (Urteil vom 14.12.2005 - juris).
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung der Vorschriften des
SGB V und der Ärzte-ZV über Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung und über die Verbindlichkeit der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte.
Er macht im Wesentlichen geltend, die Regelung des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV könne nach Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkungen
für solche Zulassungsanträge keine Anwendung finden, die gestellt würden, solange aufgrund von Änderungen in den Grundlagen
der Bedarfsplanung Zulassungsbeschränkungen noch nicht festgelegt seien. Eine effektive Bedarfsplanung erfordere die zumindest
analoge Anwendung der Regelung des Art 33 § 3 Abs 2 Satz 1 GSG in allen Fällen, in denen Änderungen der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte neue Entscheidungen des Landesausschusses notwendig machten,
da andernfalls nicht tolerierbare Schlupflöcher für Zulassungsbewerber entstünden. In dieser besonderen Situation sei auch
eine Rückwirkung des Beschlusses des Landesausschusses nicht zu beanstanden; dies diene der Sicherung der finanziellen Stabilität
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), mithin müssten die privaten Interessen der Zulassungsbewerber hinter diesem gewichtigen
Gemeinwohlbelang zurücktreten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.12.2005 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Sozialgerichts Berlin vom 15.12.2004 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Berufungsurteil für zutreffend. Ergänzend verweist er darauf, dass eine Regelungslücke als Voraussetzung für die
vom Beklagten befürwortete analoge Anwendung von Art 33 § 3 Abs 2 GSG nicht bestehe. Das mögliche Versäumnis einer durch den Landesausschuss verspätet getroffenen Feststellung von Überversorgung
im neu gestalteten Planungsbereich dürfe sich nicht zu Lasten der Zulassungsbewerber auswirken.
Die Beigeladenen haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt und sich auch zur Sache nicht geäußert.
II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Dessen Entscheidung, dem Kläger die Zulassung als Orthopäde für einen Praxissitz
in Berlin-F. zu versagen, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung über das Zulassungsbegehren des Klägers sind §
95 Abs
2 iVm §
103 Abs
1 SGB V sowie die konkretisierenden Bestimmungen in § 16b, §
18 und §
19 Ärzte-ZV. Danach ist ein Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung trotz Erfüllung der materiellen Zulassungsvoraussetzungen
abzulehnen, wenn für den Planungsbereich des gewünschten Praxissitzes im Rahmen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung eine
Zulassungsbeschränkung wirksam und rechtzeitig angeordnet worden ist (vgl auch §
95 Abs
2 Satz 8 [Satz 9]
SGB V in der ab 1.1.2004 [1.1.2007] geltenden Fassung für den Sonderfall der Zulassung von Ärzten in einem Medizinischen Versorgungszentrum).
Eine Zulassungssperre kann einem Zulassungsbegehren grundsätzlich nur dann entgegengehalten werden, wenn sie bereits bei Stellung
des Antrags auf Zulassung angeordnet war (§ 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV). Allerdings kann für besondere Konstellationen zunächst
ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Entscheidungssperre normiert werden, die so lange gilt, bis der zuständige Landesausschuss
die gemäß §
103 Abs
1 SGB V erforderlichen Feststellungen über das Vorliegen von Überversorgung als Voraussetzung für die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen
getroffen hat. Zulassungsanträge, die während eines solchen Zeitraums eingereicht werden, sind abzulehnen, falls nach Antragstellung
eine Zulassungsbeschränkung angeordnet wird (vgl Art 33 § 3 Abs 2 Satz 2 GSG für die Situation nach Einführung der verschärften Bedarfsplanung zum 1.1.1993 - s hierzu BSGE 79, 152, 153 = SozR 3-2500 § 103 Nr 1 S 2; BSGE 81, 207, 211 = SozR 3-2500 §
101 Nr
2 S 12 - sowie §
95 Abs
12 Satz 2
SGB V in Bezug auf die Einbeziehung der Psychotherapeuten in die vertragsärztliche Versorgung zum 1.1.1999 - s hierzu BSG SozR
4-2500 § 101 Nr 1 RdNr 9).
Der Beschluss des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (dessen Rechtsnachfolge ab 1.1.2004 der Gemeinsame
Bundesausschuss angetreten hat, vgl Art 35 § 6 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
[GMG] vom 14.11.2003, BGBl I 2190, und dessen Richtlinien gemäß Art 35 § 6 Abs 4 GMG weiter gelten) vom 24.3.2003 zur Änderung
der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte (BAnz Nr 125 vom 10.7.2003, S 14785) regelt ein solches prozedurales Entscheidungsmoratorium
mit der Folge der Wirksamkeit von nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen vom Landesausschuss verfügten Zulassungsbeschränkungen
auch für die in diesem Zeitraum eingegangenen Zulassungsanträge.
Der Bundesausschuss hat in Nr 1 und Nr 2 dieses Beschlusses für den Bereich des Landes Berlin die bis dahin durch die Bezirksgrenzen
definierten regionalen Planungsbereiche durch einen einheitlichen Planungsbereich Gesamtberlin ersetzt. Zu einer solchen Regelung
ist der Bundesausschuss befugt (vgl BSGE 86, 242, 246 = SozR 3-2500 § 101 Nr 5 S 29; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 1 RdNr 6); dies wird im Revisionsverfahren auch vom Kläger nicht
mehr in Frage gestellt, sodass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen. Darüber hinaus hat der Bundesausschuss in Nr 3
seines Beschlusses vom 24.3.2003 ergänzende Regelungen anlässlich der Änderung des maßgeblichen Planungsbereichs im Land Berlin
getroffen. Diese lauten - soweit hier von Bedeutung - wie folgt:
"3. Die Änderungen der Richtlinien treten mit folgenden Maßgaben in Kraft:
1. Dieser Beschluss tritt am 1. Juni 2003 in Kraft.
2. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Berlin trifft erstmals mit Wirkung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses
Beschlusses die Feststellung nach §
103 Abs
1 SGB V auf der Grundlage der geänderten Tabelle nach Anlage 3.1 der Richtlinien und der sich daraus ergebenden neuen Verhältniszahlen.
3. Bis zu dieser Feststellung des Landesausschusses gelten für Zulassungsanträge von Ärzten an den Zulassungsausschuss für
Ärzte, Zulassungsbezirk Berlin, welche vor In-Kraft-Treten dieses Beschlusses entsprechend der Ärzte-ZV vollständig und ordnungsgemäß
gestellt worden sind oder werden, die Einteilung der Planungsbereiche für das Land Berlin in Bezirke nach Anlage 3.1 in der
bis zum In-Kraft-Treten dieser Richtlinienänderung geltenden Fassung sowie die sich daraus ergebenden allgemeinen Verhältniszahlen
weiter."
Die Auslegung dieser untergesetzlichen Norm des Bundesrechts (zur Normqualität der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
s BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, jeweils RdNr 28) ergibt, dass der Bundesausschuss mit dieser Maßgaberegelung die inhaltliche Neuordnung
der Planungsbereiche in Berlin um Verfahrensvorschriften zur Behandlung solcher Zulassungsanträge ergänzt hat, die im Zeitraum
zwischen dem Inkrafttreten der Neuregelung bis zur Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens von Überversorgung durch
den hierfür zuständigen Landesausschuss auf Basis der neuen bedarfsplanungsrechtlichen Grundlage eingehen. Die abweichende
Ansicht des Berufungsgerichts, der Bundesausschuss habe mit diesen Regelungen lediglich den Landesausschuss auf dessen gesetzlichen
Auftrag gemäß §
103 Abs
1 SGB V hinweisen wollen, ohne selbst den Zeitpunkt der Wirksamkeit eventueller Zulassungsbeschränkungen gegebenenfalls rückwirkend
festzulegen, trifft nicht zu. Ein bloßer Hinweis auf die gesetzlichen Aufgaben des Landesausschusses in den Bedarfsplanungs-RL-Ärzte
würde keine inhaltliche "Maßgabe" für das Inkrafttreten der beschlossenen Richtlinienänderung enthalten; es spricht nichts
dafür, dass der Bundesausschuss mit den detailliert ausgearbeiteten Bestimmungen in Nr 3 seines Beschlusses vom 24.3.2003
lediglich Selbstverständliches - mithin gänzlich Überflüssiges - kundtun wollte. Den Regelungen ist vielmehr deutlich zu entnehmen,
dass die Änderung der bedarfsplanungsrechtlichen Grundlagen für das Land Berlin gemäß Nr 3.1 des Beschlusses am 1.6.2003 in
Kraft treten sollte und dass gemäß dessen Nr 3.2 die Feststellungen zum Bestehen von Überversorgung und zur Anordnung von
Zulassungsbeschränkungen auf dieser neuen Grundlage "mit Wirkung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Beschlusses" zu
treffen waren. Ergänzt wird dieses Regelungskonzept für Übergangsfälle durch die Bestimmung in Nr 3.3 des Beschlusses; danach
gelten für Zulassungsanträge, welche vor Inkrafttreten dieses Beschlusses vollständig und ordnungsgemäß gestellt wurden, die
bisherigen bedarfsplanungsrechtlichen Grundlagen - Planungsbereiche und allgemeine Verhältniszahlen - weiter. Mithin sollen
nach dem Willen des Bundesausschusses nur solche Zulassungsbegehren noch auf dieser alten Grundlage beurteilt werden, während
alle erst nach Inkrafttreten der Richtlinienänderung vollständig und ordnungsgemäß eingereichten Zulassungsanträge bedarfsplanungsrechtlich
nach dem neuen Rechtszustand und unter Anwendung der auf dieser Basis gegebenenfalls - und möglicherweise erst später - vom
Landesausschuss angeordneten Zulassungsbeschränkungen zu bescheiden sind. Damit hat der Bundesausschuss im Ergebnis für Übergangsfälle
eine Regelung getroffen, die der vom Gesetzgeber in Art 33 § 3 Abs 2 GSG bzw in §
95 Abs 12
SGB V für vergleichbare Problemlagen vorgenommenen Ausgestaltung entspricht.
Diese Regelung der im Zusammenhang mit der Richtlinienänderung entstehenden Übergangsproblematik in Nr 3 des Beschlusses vom
24.3.2003 ist rechtmäßig. Der Bundesausschuss ist hierzu durch die gesetzlichen Bestimmungen in ausreichender Weise ermächtigt.
Die Regelung steht auch nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht.
Die Vorschriften über die Bedarfsplanung und über Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung wirken auf die Berufsfreiheit
der Bewerber um eine vertragsärztliche Zulassung ein. Eingriffe in dieses Recht sind gemäß Art
12 Abs
1 Satz 2
GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung zulässig, die hinreichend deutlich die Entscheidung des Gesetzgebers über
den Umfang und die Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Für die Vorschriften über Zulassungsbeschränkungen für Vertragsärzte,
die als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren sind, denen keine einer Berufswahl nahe kommende Bedeutung zukommt, muss
die Regelungstiefe im Gesetz selbst nicht besonders intensiv ausgeprägt sein (vgl BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr
21, mwN). In §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
9 SGB V hat der Gesetzgeber dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: dem Gemeinsamen Bundesausschuss) in nicht zu
beanstandender Weise die Befugnis zur Normkonkretisierung im Bereich der vertragsärztlichen Bedarfsplanung durch Erlass von
Richtlinien übertragen (BSG, aaO, jeweils RdNr 9). Im Hinblick auf die sog Außenseitererstreckung dieser Richtlinien - also
ihre Verbindlichkeit auch gegenüber nicht bereits in die vertragsärztliche Versorgung einbezogenen Dritten, nämlich den sich
um eine Zulassung bewerbenden Ärzten - sind hierzu allerdings engmaschige Vorgaben im Gesetz selbst erforderlich (BSGE 96,
261 = SozR 4-2500 §
92 Nr 5, jeweils RdNr
46). Solche Vorgaben enthalten §
101 SGB V in materieller und §
104 Abs
2 SGB V in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Soweit §
104 Abs
2 SGB V vorsieht, dass das Nähere über das Verfahren bei der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen "nach Maßgabe des § 101" in der
Zulassungsverordnung zu regeln ist, wird hierdurch eine abgestufte Form der Normsetzungsdelegation sowohl an den Verordnungsgeber
der Ärzte-ZV als auch an den Gemeinsamen Bundesausschuss vorgenommen. Daraus ergibt sich, dass auch die Verfahrensweise im
Zusammenhang mit der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses näher ausgestaltet
werden kann, soweit die Ärzte-ZV entsprechende Regelungen nicht selbst trifft (vgl BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr 11).
Die Übergangsregelung in Nr 3 des Beschlusses des Bundesausschusses vom 24.3.2003 zur Änderung der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte
enthält eine solche Ausgestaltung des Verfahrens zur Umsetzung von Zulassungsbeschränkungen für diejenigen Zulassungsanträge,
die im zeitlichen Kontext mit einer Änderung von Grundlagen der Bedarfsplanung gestellt werden. Wie bereits ausgeführt, ordnet
sie im Zusammenhang mit der Veränderung der maßgeblichen Planungsbereiche im Land Berlin ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens
eine Entscheidungssperre an, solange der hierfür zuständige Landesausschuss die erforderlichen Feststellungen zum Versorgungsgrad
im neuen Planungsbereich noch nicht getroffen hat, und bestimmt die Maßgeblichkeit der auf dieser Grundlage erlassenen Zulassungsbeschränkungen
auch für Zulassungsanträge, die zwar nach Inkrafttreten der Änderung, aber noch vor Anordnung einer Zulassungsbeschränkung
gestellt wurden. Die Regelung erfolgt in Umsetzung des gesetzlichen Auftrags an den Bundesausschuss, in Richtlinien die erforderlichen
Vorschriften für eine funktionsfähige und deren Sinn und Zweck verwirklichende Bedarfsplanung zu schaffen.
Das Instrument der Bedarfsplanung ist nach der Beurteilung des Gesetzgebers zur Sicherung der finanziellen Stabilität der
GKV zumindest im ärztlichen Bereich nach wie vor notwendig (zu den Gründen für eine Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen
wegen Überversorgung zunächst nur im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung - §
103 Abs
8 SGB V, eingefügt mit Wirkung vom 1.4.2007 durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 26.3.2007, BGBl I 378 - vgl BT-Drucks 16/3100, S 88 - unter Nr 2 - sowie S 136 - Zu Nr 69 - iVm S 135 - Zu Nr 67, Zu Buchstabe
b). Dieses Instrument kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn abrupte Veränderungen und vor allem die kurzzeitige völlige Freigabe
von Zulassungen in für Neuzulassungen attraktiven Bereichen vermieden werden. Das hat der Senat bereits zur Konstellation
des Wegfalls der Voraussetzungen einer Überversorgung in einem Planungsbereich entschieden; die in diesem Fall erforderliche
Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen darf nicht dazu führen, dass in einem kurzen Zeitraum ohne Rücksicht auf eine erneut
entstehende Überversorgung alle zulassungswilligen Ärzte zugelassen werden müssen (BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr 12). Andernfalls könnte sich der Versorgungsgrad in einem Planungsbereich sprunghaft
erhöhen und der als bedarfsgerecht festgestellte Versorgungsgrad noch deutlicher als zuvor verfehlt werden. Dieselbe Erwägung
steht einer Schaffung von Zeitfenstern für eine unbeschränkte Zulassung sämtlicher zulassungswilliger Ärzte bei Änderungen
von Grundlagen der Bedarfsplanung entgegen. Deshalb müssen auch in solchen Konstellationen - seien es Änderungen der Planungsbereiche,
die zB aufgrund einer Neugliederung der Stadt- und Landkreise erforderlich werden, oder auch Änderungen in der fachlichen
Ordnung der für die Bedarfsplanung relevanten Arztgruppen - Anpassungen stets so vorgenommen werden, dass die Konsistenz der
Bedarfsplanung hierdurch nicht in Frage gestellt wird. Es ist eine nachhaltige Regulierung des Zugangs neuer Leistungserbringer
in bereits überversorgten Bereichen anzustreben, die gewährleistet, dass die nachrückenden Bewerbergenerationen möglichst
gleichmäßige Teilhabechancen erhalten. Im hier bedeutsamen Fall einer Zusammenlegung mehrerer Planungsbereiche, von denen
einzelne bereits wegen Überversorgung für weitere Zulassungen gesperrt sind, muss deshalb dafür Sorge getragen werden, dass
sich eine bereits bestehende Überversorgung aufgrund der Neuordnung nicht plötzlich und unkontrollierbar weiter verschärft.
Dies kann nur durch Anordnung einer Entscheidungssperre bis zum Vorliegen der Beschlussfassung des zuständigen Landesausschusses
auf der neuen bedarfsplanungsrechtlichen Grundlage bewerkstelligt werden, so wie dies für vergleichbare Konstellationen durch
die Regelungen in Art 33 § 3 Abs 2 GSG und in §
95 Abs 12
SGB V ebenfalls umgesetzt worden ist.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verstößt die Übergangsregelung in Nr 3 des Beschlusses des Bundesausschusses
vom 24.3.2003 nicht gegen § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV. Nach dieser Vorschrift kann ein Zulassungsantrag wegen Zulassungsbeschränkungen
nur abgelehnt werden, wenn diese bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung angeordnet waren. Sie betrifft den Fall, dass aufgrund
der Entwicklung der Arztzahlen für eine Arztgruppe Zulassungsbeschränkungen neu eingeführt werden, und regelt hierfür die
Übergangsproblematik. Die hier zu beurteilenden besonderen Konstellationen aus Anlass von Rechtsänderungen, welche die Grundlagen
der Bedarfsplanung beeinflussen, werden vom Anwendungsbereich des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV von vornherein nicht erfasst.
Dies zeigt sich bereits darin, dass weder Art 33 § 3 Abs 2 GSG noch §
95 Abs 12
SGB V einen Hinweis darauf enthält, dass durch diese Vorschriften von §
19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV abgewichen wird. Die besonderen Fallgestaltungen, welche aus Anlass von Rechtsänderungen bei den Grundlagen
der Bedarfsplanung entstehen, müssen deshalb vom jeweiligen Normgeber im Kontext mit diesen Änderungen einer spezifischen
und dem Zweck der Bedarfsplanung entsprechenden Lösung zugeführt werden. Auf die pauschale, für andere Problemlagen normierte
Regelung des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV kann zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf
ihren anders gelagerten Anwendungsbereich führt die Vorschrift des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV mithin nicht dazu, dass dem
Normgeber der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte die Kompetenz fehlt, Regelungen für die Übergangsprobleme anlässlich von Rechtsänderungen
in den Grundlagen der Bedarfsplanung zu treffen. Vielmehr greift insoweit der in §
104 Abs
2 SGB V enthaltene Vorbehalt ("nach Maßgabe des §
101") zugunsten des Bundesausschusses ein. Aus demselben Grund widerspricht die vom Bundesausschuss getroffene Regelung auch
nicht den Vorgaben des höherrangigen Verordnungsrechts.
Die vom Bundesausschuss in Nr 3 seines Beschlusses vom 24.3.2003 getroffene Übergangsregelung verstößt auch nicht gegen das
aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art
20 Abs
3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
Die maßgeblichen Grundsätze zur Rückwirkung von Normen sind vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhand formeller Gesetze
entwickelt worden; sie gelten in gleicher Weise aber auch für untergesetzliche Rechtsnormen zB des Vertragsarztrechts (BSG
SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 10 mwN). Hiernach liegt eine - nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen rechtmäßige - echte
Rückwirkung vor, wenn eine Norm nachträglich abändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift,
eine - unter erleichterten Voraussetzungen zulässige - unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, indem sie Rechtspositionen nachträglich
entwertet. Bei dieser Abgrenzung, die jeweils nur im Einzelfall unter Würdigung der Eigenarten des in Betracht kommenden Regelungsbereiches
vorgenommen werden kann, ist auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung der Norm abzustellen (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 30 RdNr
14 mwN).
Nach diesen Maßstäben bewirkt die streitige Übergangsregelung jedenfalls für Zulassungsanträge, die ordnungsgemäß und vollständig
erst nach dem Zeitpunkt der Bekanntmachung des Beschlusses vom 24.3.2003 bei den Zulassungsbehörden eingereicht wurden, allenfalls
eine unechte Rückwirkung. Der Beschluss zur Änderung der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte wurde am Tage seiner Bekanntmachung im Bundesanzeiger
- am 10.7.2003 - rechtlich existent (§
94 Abs
2 SGB V); er misst sich allerdings unter Nr 3.1 bereits für Zeiträume vor diesem Datum, nämlich ab 1.6.2003, Wirksamkeit bei. Eine
echte Rückwirkung, die auch in der Veränderung einer individuell zugeordneten Rechtsposition (eines "Status") - hier in Gestalt
eines Anspruchs auf Berufszulassung bei Erfüllung aller hierfür vorgesehenen Voraussetzungen - enthalten sein kann (vgl BVerfG
[Kammer], Beschluss vom 15.5.2007 - 1 BvR 866/07 - NZS 2008, 34, RdNr 5 [dort fälschlich unter dem Datum des 28.4.2007]), kommt damit lediglich in Bezug auf Zulassungsanträge in Frage,
die zwischen dem 1.6.2003 und dem 10.7.2003 vollständig eingereicht worden sind. Dem braucht hier allerdings nicht weiter
nachgegangen zu werden. Denn der Zulassungsantrag des Klägers lag den Zulassungsbehörden erstmals am 24.7.2003 vor. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatte der Kläger im Hinblick auf eine vertragsärztliche Zulassung noch keine statusähnlich verfestigte Rechtsposition
erworben; ein Eingriff in bereits abgeschlossene Sachverhalte und damit eine echte Rückwirkung scheidet mithin in seinem Falle
aus.
Es kann offen bleiben, ob der Kläger aufgrund seiner Eintragung in das Arztregister und wegen des Umstands, dass vor dem Beschluss
des Bundesausschusses vom 24.3.2003 in dem von ihm für eine Zulassung ausgewählten Berliner Bezirk keine Zulassungsbeschränkungen
galten, eine Rechtsposition erlangt hatte, die durch die Änderungen der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte nachträglich entwertet worden
ist. Wenn diesem Beschluss insoweit unechte Rückwirkung zukommen sollte, verstieße diese nicht gegen Art
20 Abs
3 GG. Eine unechte Rückwirkung ist rechtmäßig, wenn ausreichende Gemeinwohlgründe sie erfordern und das schutzwürdige Vertrauen
der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht überwiegt (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 30 RdNr 19 mwN;
BVerfG [Kammer] NZS 2008, 34, RdNr 7). Die hiernach gebotene Interessenabwägung ergibt, dass die hier streitbefangene Übergangsregelung jedenfalls insoweit
verfassungsrechtlich unbedenklich ist, als sie lediglich eine unechte Rückwirkung zur Folge hätte.
Wie oben bereits ausgeführt, sind die Regelungen zur Bedarfsplanung und zu Zulassungssperren bei Überversorgung zur Sicherung
der finanziellen Stabilität der GKV - einem im Sozialstaat überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (BVerfGE 114, 196, 244, 248 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 131, 139; BVerfG [Kammer] NZS 2008, 34 RdNr 12) - nach der insoweit nicht zu beanstandenden Beurteilung des Gesetzgebers weiterhin erforderlich. Eine diesem Zweck
entsprechende Umsetzung der Bedarfsplanungsvorschriften verlangt zugleich, dass es anlässlich von Änderungen in den rechtlichen
Grundlagen der Bedarfsplanung nicht zu einer sprunghaften Verschärfung einer bereits bestehenden Überversorgung kommt. Dies
rechtfertigt es, in Übergangsregelungen für solche Konstellationen eine sofort wirksame Entscheidungssperre vorzusehen und
die vom Landesausschuss erst noch zu treffenden Feststellungen zur Überversorgung und zu daraus resultierenden Zulassungsbeschränkungen
auch auf während dieses Zeitraums eingehende Zulassungsbegehren anzuwenden. Schutzwürdiges Vertrauen potenzieller Zulassungsbewerber,
die bis zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Änderung der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte noch keinen konkret und hinreichend verbindlich
vorbereiteten Niederlassungswunsch durch Abgabe eines vollständigen Zulassungsantrags dokumentiert haben (vgl hierzu BSGE
94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr 22), wird dadurch nicht beeinträchtigt. Denn die allgemeine Erwartung, dass sich die
bestehende Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeiten einer Vertragsarztzulassung nicht verändern werde, ist nicht Gegenstand
des von der Verfassung gewährten Vertrauensschutzes (vgl BVerfG [Kammer], aaO, RdNr 6 mwN). Zulassungsbewerber müssen unter
dem Regime der Bedarfsplanung stets damit rechnen, dass in bestimmten Bereichen bislang noch bestehende Zulassungsmöglichkeiten
aufgrund neuer Entwicklungen wegfallen; dies ergibt sich bereits aus der Verpflichtung des Landesausschusses, die Voraussetzungen
für Zulassungsbeschränkungen zumindest alle sechs Monate zu überprüfen (§ 16b Abs 4 Ärzte-ZV; zur Notwendigkeit einer fortlaufenden
Anpassung s auch BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr 13). Nur wenn ein Niederlassungsvorhaben an einem bestimmten Praxissitz mit entsprechenden
Investitionsentscheidungen und beruflichen Dispositionen bereits so weit verdichtet ist, dass von Seiten des Bewerbers alles
Erforderliche getan und ein konkreter Zulassungsantrag bereits eingereicht wurde, ist das Vertrauen auf eine von diesem Zeitpunkt
an nicht nachteilige Veränderung der für die Zulassung maßgeblichen Rechtslage schutzwürdig (vgl auch § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV).
Eine solche Situation besteht im Falle des Klägers nicht. Dieser musste ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung des Beschlusses
des Bundesausschusses vom 24.3.2003 im Bundesanzeiger - am 10.7.2003 - damit rechnen, dass im nunmehr neu geschaffenen Planungsbereich
Gesamtberlin seinem Niederlassungsvorhaben als Orthopäde Zulassungsbeschränkungen entgegengehalten werden. Er kann deshalb
für sein erst nach diesem Zeitpunkt - am 24.7.2003 - konkretisiertes Zulassungsbegehren einen gegenüber gewichtigen Gemeinwohlinteressen
vorrangigen Vertrauensschutz nicht beanspruchen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger eine Zulassung im Bezirk
T. schon früher, als dieser Bezirk noch einen eigenständigen Planungsbereich bildete und für Orthopäden nicht gesperrt war,
ohne Weiteres hätte erlangen können - allerdings damals ohne die Möglichkeit, seinen Praxissitz innerhalb Gesamtberlins in
den Bereich eines anderen - mit Zulassungsbeschränkungen belegten - Stadtteils zu verlegen (vgl § 24 Abs 7 Ärzte-ZV).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Danach hat der Kläger als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§
154 Abs
1 VwGO). Eine Erstattung von Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keinen Antrag gestellt haben (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 §
63 Nr
3, jeweils RdNr 16).