Rechtmäßigkeit von Honorarbegrenzungsregelungen in der vertragsärztlichen Versorgung
Gründe:
I. Der Kläger begehrt von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) höheres Honorar für die Quartale III/1999 bis II/2000,
IV/2000, I/2001, III/2001, I bis III/2002.
Zwischen 1987 und Ende August 2003 war der Kläger in Bonn als Chirurg zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seine
Honorarabrechnung in den streitbefangenen Quartalen wurde in Anwendung der Vorschriften über die "Individualbudgets" auf der
Grundlage des § 7 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Beklagten begrenzt. Der Kläger hält die der Begrenzung seines Honoraranspruchs
zugrunde liegenden Vorschriften des HVM für unwirksam, weil sie ihm entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)
nicht ermöglichten, den durchschnittlichen Umsatz seiner Fachgruppe in angemessener Zeit zu erreichen.
Widersprüche, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden,
dass die Erhöhung des Individualbudgets für unterdurchschnittlich abrechnende Altpraxen davon abhängig gemacht werde, dass
der anerkannte Leistungsbedarf der Praxis, der dem Individualbudget unterliege, in Punkten gegenüber dem Bemessungszeitraum
bzw gegenüber dem durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der jeweiligen Fachgruppe gesteigert worden sei. Nach der Rechtsprechung
des BSG sei für die Zulassung einer Wachstumschance für unterdurchschnittliche Praxen nicht allein auf die Steigerung der
Patientenzahl, sondern auch auf eine damit verbundene Umsatzsteigerung abzustellen. Da der Kläger seinen Leistungsbedarf gegenüber
dem Referenzzeitraum (1997/1998) nicht gesteigert habe, habe die Beklagte ihm zu Recht in den streitbefangenen Quartalen kein
höheres Individualbudget zugestanden (Urteil vom 15.8.2007).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, das Berufungsurteil
weiche vom Urteil des Senats vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - ab und beruhe auf dieser Abweichung (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Zulassungsgrund der Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG ist zwar in einer den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG genügenden Form bezeichnet, eine Entscheidungsabweichung liegt aber tatsächlich nicht vor.
Die Entscheidung im Rechtsstreit hängt davon ab, ob die Regelungen des § 7 Abs 5 Buchst b iVm § 13 Abs 1 Satz 1 des zum 1.
Juli 2004 in Kraft getretenen, rückwirkend aber auch für die streitbefangenen Quartale geltenden Honorarverteilungsvertrags
(HVV) der Beklagten (zur Ersetzung der Honorarverteilungsmaßstäbe durch Honorarverteilungsverträge s §
85 Abs
4 Satz 2
SGB V idF des Art 1 Nr 64 Buchst h aa des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190) rechtmäßig sind. Dass das Individualbudget der früheren
Praxis des Klägers richtig berechnet und die HVV-Vorschriften zutreffend angewandt worden sind, ist zwischen den Beteiligten
nicht mehr umstritten.
Nach § 7 Abs 5b HVV wird einem Vertragsarzt, der am 1.7.1999 länger als 20 Quartale im Bereich der KÄV Nordrhein zugelassen
war und mit seinem Individualbudget unterhalb des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwerts der Fachgruppe liegt, ein erlaubter
Zuwachs von jährlich 10 % bezogen auf den durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der jeweiligen Fachgruppe zugeordnet. Dies
gilt aber nur, wenn die Voraussetzungen des § 13 HVV erfüllt sind. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass ein erlaubter Zuwachs
von jährlich 10 % sog Altpraxen unter der Voraussetzung zugeordnet wird, dass die vertragsärztliche Praxis ihren anerkannten
Leistungsbedarf, der dem Individualbudget unterliegt, in Punkten gegenüber dem Bemessungszeitraum gesteigert hat. Ist keine
Steigerung erfolgt, wird ein Zuwachs nicht zugestanden.
Das LSG hat festgestellt, dass der Kläger seinen Leistungsbedarf in Punkten in den streitbefangenen Quartalen gegenüber dem
Bemessungszeitraum 1997/1998 nicht gesteigert hat, und hält die Bindung eines Zuwachses des Individualbudgets an eine Erhöhung
des anerkannten Leistungsbedarfs gemäß § 13 Abs 1 Satz 1 HVV für rechtmäßig. Das Berufungsgericht hat das mit folgendem, von
der Beschwerdebegründung zutreffend hervorgehobenen Rechtssatz begründet: "Entgegen anders lautender Interpretation hat das
BSG in der Entscheidung vom 10. Dezember 2003 im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit unterdurchschnittlich abrechnende Praxen
die Möglichkeit haben müssen, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der
Arztgruppe zu erreichen, ausgeführt, dass nicht nur auf eine Erhöhung der Fallzahl, sondern auch eine damit verbundene Umsatzsteigerung
abzustellen sei". Dem stellt die Beschwerdebegründung folgenden Rechtssatz aus der Senatsentscheidung vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - gegenüber: "In der Rechtsprechung ist wiederholt klargestellt worden, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende
Praxen ... die Möglichkeit haben müssen, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen
Umsatz der Arztgruppe zu erreichen ... . Dabei muss der HVM es dem einzelnen Vertragsarzt mit unterdurchschnittlichem Umsatz
nicht nur überhaupt, sondern auch in effektiver Weise ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen
(BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 20 bis 22)". Zwischen beiden Rechtssätzen besteht keine für den hier zu beurteilenden
Fall entscheidungserhebliche Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG.
Aus der Rechtsprechung des Senats ist abzuleiten, dass Honorarbegrenzungsregelungen wie die Vorschriften über das Individualbudget
umsatzmäßig unterdurchschnittlichen Praxen in "effektiver Weise" ermöglichen müssen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe
zu erreichen. Nach diesen Vorgaben ist jede Regelung unbedenklich, die Honorarzuwächse unterdurchschnittlich abrechnender
Altpraxen davon abhängig macht, dass auch Fall- bzw Patientenzahlerhöhungen vorliegen. Danach ist die Versagung einer Honorarsteigerung
gemäß § 7 Abs 5 Buchst b iVm § 13 Abs 1 HVV bei fehlender Steigerung des Punktzahlvolumens jedenfalls in solchen Fällen nicht
zu beanstanden, in denen der Arzt seine Fall- bzw Patientenzahl gegenüber dem Referenzzeitraum nicht gesteigert hat (Senatsbeschluss
vom 28.11.2007 - B 6 KA 45/07 B -). Noch nicht entschieden hat das BSG, ob es zulässig ist, die Erhöhung des Individualbudgets bei unterdurchschnittlich
abrechnenden Praxen davon abhängig zu machen, dass neben der Fall- bzw Patientenzahl auch der Honorarumsatz gesteigert worden
ist, also der anerkannte Leistungsbedarf in Punkten der betroffenen Praxis sich erhöht hat. In der bisherigen Rechtsprechung
des Senats ist die Steigerung der Fall- bzw Patientenzahl immer als typische Konstellation angesehen worden, die für einen
gewissen "Erfolg" des Arztes im Wettbewerb um Patienten Indizcharakter haben kann, und regelmäßig den Weg darstellt, den vertragsärztlichen
Umsatz zu erhöhen. Ob in diesem Sinne die Erhöhung der Zahl der behandelten Fälle nicht nur eine notwendige, sondern auch
eine allein hinreichende Voraussetzung dafür ist, dass im HVM (HVV) Steigerungsmöglichkeiten für das Individualbudget vorgesehen
werden müssen, ist durch das BSG noch nicht abschließend entschieden worden. Da es an einer entsprechenden Festlegung des
BSG fehlt, kann das LSG mit seiner Rechtsauffassung, Zuwachsmöglichkeiten dürften auch von der mit einer Erhöhung der Fallzahl
zwar typischerweise - aber eben nicht immer - verbundenen Steigerung des anerkannten Leistungsbedarfs in Punkten abhängig
gemacht werden, nicht iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein.
Danach könnte die Revision nur zugelassen werden, wenn die für das Berufungsurteil tragende, vom Senat noch nicht abschließend
entschiedene Frage grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hätte. Das kann der Senat in diesem Verfahren prüfen, obwohl der Kläger eine Grundsatzrüge ausdrücklich nicht erhoben hat.
Die Grundsatzrüge ist hier Bestandteil der zulässigen Divergenzrüge. Den Darlegungsanforderungen nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG für eine Grundsatzrüge wird jedoch durch das Vorbringen des Klägers zur Divergenz nicht hinreichend entsprochen.
Für die Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung
bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
(klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Zu der über den hier zu beurteilenden
Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Rechtsfrage ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nichts zu entnehmen.
Der Kläger selbst hat seine vertragsärztliche Tätigkeit Mitte 2003, also vor mehr als vier Jahren eingestellt. Ob über seinen
Fall hinaus zu der untypischen Konstellation, dass eine Praxis gegenüber dem Referenzzeitraum 1997/1998 zwar die Fallzahl
- wenn auch nur geringfügig und auch nicht in allen Quartalen - erhöht hat, ohne dass sich das aber in einer Erhöhung des
vertragsärztlichen Umsatzes niedergeschlagen hat, noch Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, die auf der Grundlage der Regelung
des § 7 Abs 5 Buchst b HVV iVm § 13 Abs 1 Satz 1 HVV zu entscheiden sind, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen
und auch sonst nicht ersichtlich. Dasselbe gilt für die Frage, ob Bestimmungen in Honorarverteilungsmaßstäben oder Honorarverteilungsverträgen
anderer KÄVen, die vergleichbare Zuwachsbegrenzungsregelungen bezogen auf die einzelne Praxis in Relation zu einem bestimmten
Referenzzeitraum kennen, gegenwärtig noch umstritten sind. Ohne entsprechende Darlegungen besteht für die Durchführung eines
Revisionsverfahrens zu dieser Frage kein Anlass.
Die Festsetzung des Streitwerts auf 71.890,70 Euro entspricht dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 4.9.2007. Sie beruht
auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm §§ 62 Abs
2, 53 Abs 3 Nr 4 iVm §§ 54, 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz.