Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, Änderung der Sach- und Rechtslage
Gründe:
I
Umstritten ist die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der 1943 geborene Kläger nimmt seit 1976 als Frauenarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sein Verhalten war seit
Beginn der 90er-Jahre Gegenstand zahlreicher berufs- und vertragsarztrechtlicher Verfahren. Nachdem er wegen Übersehens einer
Eileiterschwangerschaft bei einer Patientin vom Amtsgericht S. wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig
zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 300 DM verurteilt worden war, setzte das Bezirksberufsgericht wegen desselben Vorwurfs
sowie wegen der Vernachlässigung der Dokumentationspflicht eine Geldbuße von 3.000 DM gegen ihn fest. Im März 1995 verurteilte
das Bezirksberufsgericht ihn zur Zahlung einer Geldbuße von 5.000 DM wegen unberechtigten Führens der Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin".
Im Juni 1997 setzte das Bezirksberufsgericht gegen den Kläger eine Geldbuße von 7.000 DM wegen unberechtigten Führens der
Zusatzbezeichnung "Betriebsarzt" fest. Wegen desselben Vorwurfs setzte das Bezirksberufsgericht im November 1998 eine weitere
Geldbuße von 10.000 DM fest.
Im vertragsärztlichen Bereich verhängte der Disziplinarausschuss der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV)
durch Beschluss vom 28. Juni 1996 eine Geldbuße von 10.000 DM. Gegenstand der Ahndung waren fortgesetzte Verstöße gegen das
Wirtschaftlichkeitsgebot in den Quartalen II/1990 bis einschließlich II/1993, die Nichtbeachtung der Fachgebietsgrenzen durch
die Behandlung von Männern sowie die Verweigerung der Erteilung von Auskünften gegenüber den Prüfgremien bzw der KÄV. Das
Sozialgericht (SG) wies die Klage gegen den Disziplinarbescheid rechtskräftig ab.
Ende 1998 erhielt die zu 1. beigeladene KÄV Kenntnis davon, dass der Kläger Therapiestunden für drogenabhängige Männer zu
einem Stundensatz von 150 DM angeboten habe. Das Schreiben des bei der Beigeladenen zu 1. tätigen Arztes B. , mit dem der
Kläger um Stellungnahme gebeten wurde, sandte er mit der Adresse "Facharzt f. Schriftverkehr" ohne inhaltliche Stellungnahme
zurück. In einem weiteren Schreiben vom 14. Januar 1999 äußerte er sich gegenüber dem Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1. wie
folgt: "Nehmen Sie z. K., dass Sie mir gar nichts zu sagen haben!
- Strengen Sie Ihr Gehirn - falls möglich - an, um ggf doch noch eine Promotion zu schaffen.
- Sie sich - allerdings mit zweifelhaften Erfolgsaussichten - bereits um eine Hausmeisterstelle bewerben können.
- Die Differenziertheit Ihres Briefes am Besten so zu bezeichnen ist: blöd - blöder - b. blöd!
- Nach Meinung meiner Tochter (12 Jahre, Klasse 7 im G 8-Zug d. Gymnasiums) "Blöd-Briefe" zum Media-Markt geschickt
werden könnten.
- Es Sie jetzt u. auch in Zukunft nichts angeht, was ich im Ärztehaus S.-W zusammen mit meiner Frau therapiere."
Der Vorstand der Beigeladenen zu 1. leitete daraufhin erneut ein Disziplinarverfahren ein. An der Sitzung des Disziplinarausschusses
vom 16. Juni 1999 nahm der Kläger nicht teil; der Ausschuss verhandelte deshalb in seiner Abwesenheit, ordnete das Ruhen der
vertragsärztlichen Zulassung für drei Monate an und belegte ihn zusätzlich mit einer Geldbuße von 15.000 DM. Das SG wies seine Klage gegen den Bescheid des Disziplinarausschusses - soweit die Anordnung des Ruhens der Zulassung angefochten
war - mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Juni 2000 ab.
Nachdem dem Kläger der Bescheid des Disziplinarausschusses aus der Sitzung vom 16. Juni 1999 mit Schreiben vom 27. Juli 1999
noch ohne Bestimmung des Zeitraums des Ruhens der Zulassung zugeleitet worden war, teilte der Vorsitzende der Beigeladenen
zu 1. dem Kläger unter dem Datum vom 4. August 1999 mit, Ruhenszeitraum sei die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 31. Dezember
1999. Der Kläger verfolgte einen ursprünglich angekündigten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheides im Klageverfahren
gegen die Entscheidung des Disziplinarausschusses nicht weiter. Gleichwohl behandelte er im Quartal IV/1999 Versicherte und
reichte der Beigeladenen zu 1. eine Quartalsabrechung ein. Diese lehnte eine Honorierung im Hinblick auf das Ruhen der Zulassung
ab; wegen der Kosten der von ihm zu Lasten der beigeladenen Krankenkassen verordneten Arzneimittel beantragte sie bei den
Prüfgremien die Festsetzung eines sonstigen Schadens.
Bereits im März 1999 beantragte die Beigeladene zu 1., dem Kläger mangels Eignung für die vertragsärztliche Tätigkeit die
Zulassung zu entziehen, nachdem die Bezirksärztekammer Nord-Württemberg unter Hinweis auf seine berufsrechtlichen Verfehlungen
und seine weitere Verhaltensweise die Überprüfung seiner Geeignetheit für die vertragsärztliche Versorgung angeregt hatte.
Einer vom Zulassungsausschuss am 14. April 1999 angeordneten psychiatrischen Untersuchung kam der Kläger nicht nach. Daraufhin
entzog ihm der Zulassungsausschuss die Zulassung mit der Begründung, er sei nicht mehr zur Ausübung der vertragsärztlichen
Tätigkeit geeignet (Beschluss vom 29. September 1999, Bescheid vom 17. November 1999).
Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch des Klägers zurück. Ihm sei die Zulassung zu entziehen, weil er seine
vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe. Er habe die Verpflichtung zu peinlich genauer Abrechnung wiederholt gravierend
verletzt, und seine Abrechnungen in den Quartalen I/1992 bis II/1993 hätten mehrfach berichtigt werden müssen. Zuletzt habe
er trotz des Ruhens seiner Zulassung in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 31. Dezember 1999 weiterhin Versicherte der gesetzlichen
Krankenkassen behandelt und eine Quartalsabrechnung eingereicht. Darüber hinaus habe er das Vertrauensverhältnis zur KÄV und
den Krankenkassen so nachhaltig gestört, dass diesen eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden könne. Von der Anordnung
des Sofortvollzuges sei Abstand genommen worden, um dem Kläger die Chance zu geben, durch so genanntes "Wohlverhalten" die
Zulassung wieder zu erlangen (Beschluss vom 10. Mai 2000, Bescheid vom 21. Juni 2000).
Die vom Kläger nicht näher begründete Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf seine Berufung, die er nicht begründet hat, den Gerichtsbescheid
des SG sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben, weil sich nicht feststellen lasse, dass die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung
bereits vorlägen. Die dem Kläger vorgeworfenen Überschreitungen des Fachgebiets beträfen nur die Quartale I/1992 bis II/1993.
Danach liegende Verstöße seien nicht vorgetragen worden. Das unberechtigte Führen der Zusatzbezeichnung "Betriebsarzt" stelle
primär eine Störung im Verhältnis des Klägers zur Bezirksärztekammer, aber nicht zu den Beteiligten der vertragsärztlichen
Versorgung dar. Bei den Beleidigungen der Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1. handele es sich zwar um schwer wiegende Pflichtverletzungen,
die aber mit der Disziplinarstrafe eines Ruhens der Zulassung von drei Monaten ausreichend geahndet worden seien. Als gravierendster
Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten stelle sich dar, dass der Kläger das Ruhen seiner Zulassung nicht beachtet habe.
Dies könne ihm allerdings hier nicht entgegengehalten werden, da das zu Grunde liegende Verfahren nicht rechtsstaatlich bedenkenfrei
abgelaufen sei. Nicht beachtet worden sei, dass dem Widerspruch des Klägers aufschiebende Wirkung zugekommen sei. Auch die
Zusammenschau aller Vorwürfe rechtfertige die Entziehung der Zulassung nicht (Urteil vom 11. September 2002).
Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen der beklagte Berufungsausschuss und die Beigeladene zu 1. eine fehlerhafte
Anwendung des §
95 Abs
6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) sowie eine unzureichende Sachaufklärung iS des §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Vor allem habe er kontinuierlich Männer behandelt.
Die darauf gestützten Honorarberichtigungsbescheide von 1995 und 1996 seien im Wesentlichen bestandskräftig geworden. Soweit
das LSG angenommen habe, die fachfremden Behandlungen beträfen nur die Quartale I/1992 bis II/1993, sei das unzutreffend.
Berichtigungen wegen der Behandlung von Männern seien auch noch in den Quartalen IV/1993, I/1994, II/1994 und II/1996 erfolgt.
Dies habe die Beigeladene zu 1. gegenüber dem LSG vorgetragen, ohne dass das Gericht darauf eingegangen sei. Darin liege eine
Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Bei dem Kläger sei der Tatbestand eines "notorischen Wiederholungstäters" gegeben.
Die Behauptung des LSG, in vergleichbaren Fällen werde bei ähnlichen Verfehlungen an der Eignung für die vertragsärztliche
Versorgung nicht gezweifelt, entbehre jeder tatsächlichen Grundlage. Das LSG habe nicht zu erkennen gegeben, worauf es diese
Einschätzung stütze. Darin liege eine Verletzung des §
103 iVm §
128 SGG. Rechtlich unzutreffend sei auch die vom LSG vorgenommene Wertung, dass der Kläger im Quartal IV/1999 trotz bestandskräftig
angeordneten Ruhens der Zulassung seine vertragsärztliche Tätigkeit habe fortsetzen dürfen. Rechtsmittel gegen Disziplinarbescheide
hätten nach dem bis zum 1. Januar 2002 geltenden Verfahrensrecht keine aufschiebende Wirkung gehabt, solange nicht deren Vollziehung
durch gerichtliche Entscheidung ausgesetzt worden sei. Um eine solche habe sich der Kläger nicht bemüht, obwohl er mit Schreiben
vom 4. August 1999 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass die Zulassung ab dem 1. Oktober 1999 ruhe. Durch unzulässige
Arzneiverordnungen im Quartal IV/1999 sei den Kassen ein Schaden von 14.000 DM entstanden. Nicht zu folgen sei schließlich
der Auffassung des LSG, die vom Kläger in zahlreichen Schreiben ausgesprochenen massiven Beleidigungen von Mitarbeitern der
Beigeladenen zu 1. rechtfertigten die Entziehung der Zulassung nicht. Denn dadurch sei den an der vertragsärztlichen Versorgung
beteiligten Institutionen (Krankenkassen, KÄV) eine Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar gewesen.
Unzureichend habe das LSG auch den Umstand gewürdigt, dass der Kläger strafgerichtlich und berufsgerichtlich wegen Übersehens
einer Eileiterschwangerschaft bei einer Patientin im Jahre 1991 verurteilt worden sei. Zwar könne hierauf allein eine Zulassungsentziehung
nicht gestützt werden, doch sei unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Patientenwohls von Bedeutung, dass der Kläger sich
nach wie vor weigere, an Maßnahmen der Qualitätssicherung mitzuwirken, dies vielmehr als "überflüssige und zeitaufwändige
Kommissionsarbeitsbeschaffungsmaßnahme" abtue. Deswegen seien beim LSG weitere Verfahren anhängig. Zumindest hätte seine Weigerung
dem LSG Anlass zur weiteren Sachaufklärung nach §
103 SGG hinsichtlich der Bereitschaft geben müssen, seine vertragsärztlichen Pflichten in Zukunft zu erfüllen. Die Zusammenschau
aller Vorwürfe mache deutlich, dass er für die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr geeignet sei.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. September 2002 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Juli 2001 zurückzuweisen
hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. September 2002 aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beigeladenen zu 2., 6. und 7. schließen sich den Revisionsbegründungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. an. Die
übrigen Beteiligten äußern sich nicht.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen für die Vertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Bevollmächtigten
vertreten und äußert sich auch zur Sache nicht.
II
Die Revisionen des beklagten Berufungsausschusses und der zu 1. beigeladenen KÄV haben im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das Berufungsgericht Erfolg.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist §
95 Abs
6 SGB V. Danach ist einem Vertragsarzt die Zulassung ua zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt.
Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen
Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in
die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört
ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (BSGE 73, 234, 237 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 12; BSGE 66, 6, 7 = SozR 2200 § 368a Nr 24 S 82; BVerfGE 69, 233, 244 = SozR 2200 § 368a Nr 12 S 30). Sowohl wiederholt unkorrekte Abrechnungen als auch nachhaltige Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot
können die Zulassungsentziehung rechtfertigen (vgl BSGE 73, 234, 242 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 18). Für den Tatbestand einer gröblichen Pflichtverletzung iS von §
95 Abs
6 SGB V ist nicht erforderlich, dass den Vertragsarzt ein Verschulden trifft; auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur
Zulassungsentziehung führen (BSGE 66, 6, 8 = SozR 2200 § 368a Nr 24 S 82; BSGE 34, 252, 253 = SozR Nr 36 zu § 368a
RVO). Dem LSG kann bei der Beurteilung, ob sich die einzelnen Pflichtverstöße des Klägers als gröbliche Pflichtverletzungen iS
des §
95 Abs
6 SGB V darstellen, nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Die vom Berufungsgericht festgestellten Verstöße können geeignet sein,
die vom Beklagten ausgesprochene Zulassungsentziehung zu rechtfertigen. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des
LSG kann der Senat jedoch nicht abschließend in der Sache entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das Berufungsgericht (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
So erweist es sich als - möglicherweise gröbliche - Pflichtverletzung, dass der Kläger, wie vom LSG festgestellt, zumindest
bis Ende 1993 routinemäßig auch Männer behandelt hat. Es liegt auf der Hand und bedarf im Grundsatz keiner näheren Erläuterung,
dass einem Frauenarzt jegliche Behandlung von Männern - abgesehen ggf von speziellen reproduktionsmedizinischen Fragestellungen
- verwehrt ist (zur Fachfremdheit s zuletzt BSG, Urteil vom 8. September 2004 - B 6 KA 32/03 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen).
Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings angenommen, die vom Kläger eingeräumten fachfremden Behandlungen
von Männern seien im Rahmen einer Zulassungsentziehung deshalb nicht mehr beachtlich, weil der Beklagte solche Verstöße nur
bis Ende 1993 gewürdigt habe. Das LSG wäre indessen gemäß §
103 SGG verpflichtet gewesen, den Sachverhalt bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung aufzuklären, nachdem die Beigeladene
zu 1. im Berufungsverfahren vorgetragen hatte, der Kläger habe auch lange nach 1993 insbesondere drogensüchtige Männer behandelt.
Der Senat hat bisher bei der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt im Rahmen von Zulassungsentziehungsverfahren der Sachverhalt
von den Tatsacheninstanzen aufzuklären ist, zwischen vollzogenen und nicht vollzogenen Entziehungsentscheidungen differenziert.
Bei den Letzteren sei im Rahmen der reinen Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1
SGG) für die Beurteilung des Klagebegehrens - über den ansonsten maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung hinausgehend
- die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht und die Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung in der Revisionsinstanz maßgebend (BSGE 73, 234, 236 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 11 f, mwN). Denn durch den Nichtvollzug der Zulassungsentziehung wirke die Zulassung über
den Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheides mit der Folge fort, dass der Arzt weiterhin berechtigt sei, an der vertragsärztlichen
Versorgung teilzunehmen. Diese Fallgestaltung gleiche derjenigen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen, deren Rechtmäßigkeit
ebenfalls unter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beurteilen sei (BSGE 61, 203, 205 = SozR 4100 § 186a Nr 21; BSGE 68, 228, 231 = SozR 3-2200 § 248 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18). Demgemäß seien die Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der
Rechtmäßigkeit nicht vollzogener Zulassungsentziehungen alle bis zur Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz eingetretenen
Änderungen der Sach- und Rechtslage und auch Rechtsänderungen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen (Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, Kapitel VII RdNr 99; Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl 2002, §
54 RdNr 33; s auch Ulmer in: Hennig >Hrsg<,
SGG, Stand Februar 2004, §
54 RdNr 138, 142).
Diese Rechtsprechung ist dahin zu vereinheitlichen, dass für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zulassungsentziehung sowohl
bei vollzogenen als auch bei nicht vollzogenen Entziehungsentscheidungen grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt
der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich ist (so zB für den Entzug der Approbation: BVerwG, Urteil vom 16. September
1997 - BVerwGE 105, 214, 220, mwN; BVerwG - Beschluss vom 14. April 1998 - NJW 1999, 3425, 3426; zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bei der Anfechtungsklage s den
Überblick bei Kopp/Schenke,
VwGO, 13. Aufl 2003, §
113 RdNr 29 ff). Damit besteht im Grundsätzlichen Übereinstimmung mit der sonstigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Überprüfung
statusbezogener Verwaltungsakte (vgl den Überblick bei Kopp/Schenke, aaO, §
113 RdNr 46, mwN). Für die Aufklärungspflicht der Gerichte gemäß §
103 SGG folgt daraus, dass sie sich grundsätzlich auch nur auf Umstände bis zu diesem Zeitpunkt erstreckt.
Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof (Dienstgericht des Bundes) beurteilen die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen,
durch die Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und Richter auf Probe wegen fehlender Eignung entlassen
werden, allerdings allein danach, ob die zuständige Behörde im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nach den ihr
zur Verfügung stehenden Erkenntnissen annehmen durfte, dass der Betroffene dienstunfähig oder nicht hinreichend geeignet ist
(BVerwGE 105, 267, 269 = DVBl 1998, 201, 202; BGH DRiZ 1996, 454). Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, sind grundsätzlich unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise
den Entlassungssachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen (BGH, aaO). Diese Grundsätze haben zur Folge, dass später
liegende Veränderungen der Sachlage unbeachtlich sind. Dies kann in den genannten Fällen hingenommen werden, weil der Beamte,
der wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, im Fall geänderter Verhältnisse die erneute Berufung in
das Beamtenverhältnis (§ 45 Bundesbeamtengesetz) beanspruchen kann (vgl zur Wiedererlangung der Approbation den Hinweis auf § 8 Abs 1 Bundesärzteordnung in BVerwG - Beschluss vom 14. April 1998 - NJW 1999, 3425, 3426). Entsprechendes gilt indessen im Vertragsarztrecht nicht. Ein Vertragsarzt, dem die Zulassung entzogen worden ist,
verliert in der Regel seine Praxis und hat vielfach keine Chance, eine solche neu aufzubauen, oft auch dann nicht, wenn nach
einer Zeit der Bewährung die erneute Zulassung für den bisherigen Ort der Niederlassung erfolgt. Der erneuten Zulassung am
bisherigen Ort der Praxis stehen zudem oftmals rechtliche Hindernisse wie die Sperrung des Planungsbereichs wegen Überversorgung
und/oder die Überschreitung der Altergrenze des § 25 Satz 1 Ärzte-ZV entgegen. Deshalb muss in der Situation, dass sich bei
einer noch nicht vollzogenen Zulassungsentziehung die Sach- und Rechtslage während des Prozesses zu Gunsten des Klägers in
einer Weise geändert hat, die eine Entziehung nicht mehr als angemessen erscheinen lässt, im Hinblick auf die Bedeutung des
Grundrechts aus Art
12 Abs
1 Grundgesetz (
GG) der Grundsatz durchbrochen werden, dass bei statusverändernden Maßnahmen wie der Zulassungsentziehung auf den Zeitpunkt
der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist (so auch Spannowsky in: Sodan/Ziekow,
VwGO, §
113 RdNr 66). Dementsprechend sind die genannten Grundsätze bei Zulassungsentziehungen im Vertragsarztrecht dahingehend zu modifizieren,
dass zu Gunsten des betroffenen Vertragsarztes ein sog Wohlverhalten nach Ergehen der Entscheidung des Berufungsausschusses
zu berücksichtigen ist. Insoweit sind Änderungen des Sachverhalts bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht
zu beachten (s bereits BSGE 73, 234, 236 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 12, mwN).
Von dieser Ausnahme abgesehen sind aber die Grundsätze über die Maßgeblichkeit der letzten Verwaltungsentscheidung als Zeitpunkt
der Überprüfung der Entziehungsentscheidung zu beachten. Das bedeutet für das vorliegende Verfahren, dass die Gerichte grundsätzlich
alle Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten durch den betroffenen Arzt zu berücksichtigen haben, die vor der Entscheidung
des Berufungsausschusses geschehen waren, auch wenn sie von diesem nicht verwertet wurden. Hierzu sind sie allerdings nur
dann verpflichtet, wenn Beteiligte Umstände geltend machen, die Anlass für eine entsprechende Sachverhaltsermittlung ergeben.
Die Gerichte müssen nicht von sich aus alle Umstände ermitteln, die geeignet sein könnten, die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung
zu erfüllen. Die Zulassungsgremien entscheiden, auf welche Umstände sie eine Entziehung stützen wollen, und die Gerichte prüfen
im Streitfall, ob diese Umstände vorliegen und ob damit der Entziehungstatbestand erfüllt wird. Soweit aber das Gericht die
vom Berufungsausschuss seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Verfehlungen allein oder auch nur vorrangig im Hinblick auf
ihre Dauer für eine Zulassungsentziehung nicht für ausreichend hält, darf es nicht allein deswegen den Entziehungsbescheid
aufheben. Eine solche Entscheidungspraxis würde insbesondere dem zeitlichen Ablauf bei Zulassungsentziehungsverfahren nicht
gerecht. Vielfach stützen die Zulassungsgremien ihre Entscheidungen nur auf solche Verfehlungen des Arztes, deren Ahndung
bereits in anderen Verwaltungsverfahren (Honorarberichtigung, Wirtschaftlichkeitsprüfung, Disziplinarverfahren) bestandskräftig
erfolgt ist. Das beruht auf der Befürchtung, die Einbeziehung von Umständen, über die noch keine bestandskräftigen Entscheidungen
vorliegen, könne den Bestand der Zulassungsentziehung im gerichtlichen Verfahren gefährden. Dem müssen die Gerichte bei der
Überprüfung von Zulassungsentziehungen oder deren Verweigerung Rechnung tragen. Diejenigen Umstände, die im Rahmen des §
95 Abs
6 SGB V von Bedeutung sind und mit den Tatsachen in Zusammenhang stehen, auf die die Zulassungsentziehung gestützt ist, müssen aufgeklärt
werden. Das gilt namentlich für Verfehlungen des Arztes nach dem Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen
zB über unzulässige Abrechnungen oder unwirtschaftliche Behandlungen. Wenn die Verfahrensbeteiligten, insbesondere die KÄV
und die Krankenkassen, konkret vortragen, der Arzt habe sein pflichtwidriges Behandlungs- und/oder Abrechnungsverhalten auch
noch nach der vom Zulassungsausschuss gewürdigten Zeitspanne fortgesetzt, müssen die Gerichte dem für den Zeitraum bis zur
letzten Verwaltungsentscheidung nachgehen, bevor sie etwa den Entziehungsbescheid mit der Begründung aufheben, die Verfehlungen
beträfen nur einen wenig aussagekräftigen kurzen Zeitraum und rechtfertigten damit nach Intensität und Dauer noch keine Entziehung
der Zulassung.
In diesem Zusammenhang wird das LSG auch aufzuklären haben, ob der Vortrag der beigeladenen KÄV im Berufungsverfahren zutrifft,
der Kläger habe sich beharrlich allen Maßnahmen der Qualitätssicherung verweigert und insoweit jegliche Kooperation abgelehnt.
Wenn das zutrifft, kommt dem im Rahmen des §
95 Abs
6 SGB V erhebliches Gewicht zu. Ein Arzt, der bei konkreten Hinweisen auf eine unzureichende Qualität seiner Behandlungen, zB im
Bereich Sonographie oder Radiologie, jegliche Mitwirkung an der Klärung des Sachverhalts prinzipiell verweigert und festgestellte
bzw zu vermutende Mängel nicht abstellt, gefährdet seine Zulassung. Die KÄV kann für die Behandlungen eines solchen Arztes
ihrer Pflicht zur Sicherstellung der Versorgungsqualität (§
75 Abs
1 Satz 1
SGB V) nicht nachkommen.
Des Weiteren liegt ein schwer wiegender Verstoß des Klägers gegen vertragsärztliche Verpflichtungen darin, dass er das im
Disziplinarwege angeordnete Ruhen seiner Zulassung im Quartal IV/1999 nicht beachtete. Er war mit Schreiben des Vorsitzenden
der beigeladenen KÄV vom 4. August 1999 darauf hingewiesen worden, dass seine Zulassung ab dem 1. Oktober 1999 ruht und Rechtsmittel
gegen die Entscheidung des Disziplinarausschusses aus der Sitzung vom 16. Juni 1999 keine aufschiebende Wirkung haben. Die
letztgenannte Rechtsansicht ist entgegen der Auffassung des LSG zutreffend. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen
Entscheidungen in Zulassungssachen nach § 97 Abs 1 Nr 4
SGG aF hat Entscheidungen der Disziplinarausschüsse nicht erfasst. Das ist in Rechtsprechung und Literatur ganz einhellig so
gesehen worden (vgl nur Reinhold in: Ehlers >Hrsg<, Disziplinarrecht und Zulassungsentziehung, 2001, RdNr 289, mwN; J. Schroeder-Printzen
in: Schnapp/Wigge >Hrsg<, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2002, § 17 RdNr 22, mit zutreffendem Hinweis auf die Änderung der
Rechtslage zum 2. Januar 2002). Soweit angenommen worden ist, die Regelung erfasse auch die Anordnung des Ruhens der Zulassung
(Meyer-Ladewig,
SGG, 6. Aufl 1998, § 97 RdNr 7a), gilt das nur für Ruhensanordnungen durch die Zulassungsgremien und nicht für diejenigen durch Disziplinarausschüsse,
wie sich schon aus dem Hinweis auf "BSGE 4, 151" ergibt. Der damalige Beschluss des Senats betraf eine Ruhensanordnung des
Zulassungsausschusses auf Grund des § 17 der Zulassungsordnung für Ärzte in der britischen Zone wegen zulassungsschädlicher
Nebeneinnahmen des betroffenen Arztes (dazu näher Wenner, GesR 2004, 353 ff).
Der Kläger wusste im Übrigen, dass die von ihm am 3. August 1999 zum SG Stuttgart erhobene Klage gegen den Disziplinarbescheid
der beigeladenen KÄV keine aufschiebende Wirkung haben würde. Das ergibt sich aus einem handschriftlichen Auftrag des Klägers
an den Rechtsanwalt R. vom 21. September 1999 "gegen die KV Nord-Württ ... bei Gericht eine EV zu veranlassen"
(Bl 6 der Gerichtsakten S 10 KA 4522/99 des SG Stuttgart). Einen solchen Antrag hat Rechtsanwalt R. nicht gestellt, sondern nach durchgeführter Akteneinsicht
weder eine Vollmacht noch eine Begründung vorgelegt und später nur mitgeteilt, dass er den Kläger nicht mehr vertrete (Bl
38 aaO). Aus diesem aktenkundigen Ablauf ist abzuleiten, dass der Kläger in Kenntnis des Ruhens seiner Zulassung und der Rechtswidrigkeit
weiterer Tätigkeit ab dem 1. Oktober 1999 Versicherte behandelt hat. Das LSG hat in der Nichtbeachtung des angeordneten Ruhens
der Zulassung allein deshalb keine schwere Belastung des Verhältnisses zur beigeladenen KÄV gesehen, weil das Verfahren nicht
"rechtsstaatlich bedenkenfrei abgelaufen" sei. Derartige Bedenken sind indessen nicht gerechtfertigt.
Schließlich kann dem Berufungsgericht auch insoweit nicht gefolgt werden, als es die vom Kläger in zahlreichen Schreiben formulierten
Beleidigungen von Mitarbeitern und Funktionsträgern der zu 1. beigeladenen KÄV nicht als gewichtige Belege für ein Fehlen
seiner Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung gewertet hat. Der Senat hat in seinem Urteil vom 11. September
2002 (SozR 3-2500 § 81 Nr 8 S 43 f) im Rahmen der Überprüfung eines Disziplinarbescheides näher ausgeführt, dass sich der
Vertragsarzt bei der Abgabe von Erklärungen und Mitteilungen im Zusammenhang mit der Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung
auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art
5 Abs
1 Satz 1
GG berufen kann und der Disziplinarausschuss jeweils zu prüfen hat, ob Meinungsäußerungen vorliegen, die berechtigt oder wegen
entgegenstehender Rechtsvorschriften iS des Art
5 Abs
2 GG rechtswidrig waren (vgl dazu näher Clemens in: v.Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S 373,
374 ff, 388 ff, sowie Steinhilper/Schiller, MedR 2003, 661, 664 ff). Handelt es sich - wie in dem vom BSG am 11. September 2002 entschiedenen Fall - zumindest potenziell um die Teilnahme
an der politischen bzw gesundheitspolitischen Auseinandersetzung oder wird, wenn auch möglicherweise in extrem überspitzter
Form, eine bestimmte sachliche Position der Mitglieder und Organe der KÄV kritisiert, so liegt eine berechtigte Meinungsäußerung
vor, die auch dem Vertragsarzt nicht verwehrt ist (vgl Clemens, aaO, S 374 ff). Erfolgt die Kritik aber in Form völlig unsachlicher
Verbalattacken, so tritt der Schutz durch Art
5 GG zurück. Ebenso wenig sind herabsetzende Äußerungen gegen einzelne Mitglieder der KÄV durch Art
5 GG geschützt. Der Unterschied zwischen einer zulässigen, weil von der Meinungsfreiheit gedeckten polemischen Wendung und einer
unzulässigen, beleidigenden und diffamierenden Äußerung mag im Einzelfall schwer zu ziehen sein. Die vom LSG festgestellten
Äußerungen des Klägers haben diese Grenze jedoch bei weitem überschritten. Das ergibt sich aus Folgendem:
Nachdem der bei der Beigeladenen zu 1. beschäftigte Arzt B. dem Kläger mit Schreiben vom 22. Dezember 1998 vorgehalten
hatte, die KÄV sei darauf hingewiesen worden, dass er drogenabhängigen Männern Therapiestunden gegen Zahlung eines Honorars
von 150 DM je Stunde anbiete, und er um Auskunft in dieser Angelegenheit gebeten werde, hat er den Brief mit der Aufschrift
"zurück an H. B. , Facharzt f. Schriftverkehr" (letzteres unterstrichen) zurückgesandt. Das mag für sich genommen noch
als zulässige polemische Wendung verstanden werden, mit der angedeutet werden soll, dass die Mitarbeiter der beigeladenen
KÄV anders als ein in vertragsärztlicher Praxis tätiger Arzt nur mit "Schreibtischarbeiten" befasst seien, was zu einer vom
einzelnen Arzt als unzumutbar empfundenen Bürokratisierung beitrage. Die weiteren Wendungen, "Ihr Brief ist von der Qualität
her so einfältig und schräg, dass ich ihn nicht beantworte", "Vielleicht suchen Sie erst mal .... (unleserlich), dass sich
die Qualität Ihres Briefes nach oben bewegt", setzen den Adressaten, den Arzt B. , schon ohne sachliche Rechtfertigung
herab. Eindeutig anlasslos beleidigend und diffamierend sind dann die Äußerungen im Brief an den Arzt B. vom 14.
Januar 1999, in dem etwa formuliert wird "Strengen Sie Ihr Gehirn - falls möglich - an, um ggf doch noch eine Promotion zu
schaffen", "Sie sich - allerdings mit zweifelhaften Erfolgsaussichten - bereits um eine Hausmeisterstelle bewerben können",
die "Differenziertheit Ihres Briefes am besten so zu bezeichnen ist: blöd - blöder - b. blöd". Der Kläger hat somit ohne
erkennbaren Ansatz einer sachlichen Kontroverse den von ihm angeschriebenen Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1. beleidigt,
indem er ihn als blöd, geistig minderbemittelt, auf dem Niveau von Schulkindern stehend und intellektuell gerade einmal für
die Ausübung einer Hausmeistertätigkeit geeignet bezeichnet hat.
Im Übrigen liegt eine Besonderheit im Fall des Klägers darin, dass er zahlreiche, nur teilweise im Zusammenhang stehende Pflichtverletzungen
begangen hat, die aber durch sein unkooperatives und vielfach grob beleidigendes Verhalten verbunden sind. Die fehlende Kooperationsbereitschaft
zeigt sich daran, dass er nicht bereit war, an der Klärung auch nur eines einzigen gegen ihn und seine Behandlungsweise erhobenen
Vorwurfs mitzuwirken. Ein solches Gesamtverhalten verleiht jeder einzelnen Pflichtverletzung ein besonderes Gewicht und zerstört
das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in eine korrekte Behandlungs- und Abrechnungsweise des Klägers. Ein Vertragsarzt,
der sich einzelne Pflichtverletzungen hat zu schulden kommen lassen, der aber an der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe
kooperativ mitwirkt und glaubhaft machen kann, sich in Zukunft korrekt zu verhalten, muss anders behandelt werden als ein
Arzt, der auch nach bestands- bzw rechtskräftiger Feststellung der Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens dieses fortsetzt und
sich jeglicher sachlicher Klärung der Ordnungsgemäßheit seines Verhaltens zum Teil mit fadenscheinigen Begründungen entzieht.
Ein solcher Arzt zeigt, dass er nicht bereit ist, sich in das geltende Vertragsarztsystem einzufügen, ist somit als Vertragsarzt
ungeeignet und kann deshalb nicht Vertragsarzt bleiben (so schon BSGE 34, 252, 254 f = SozR Nr 36 zu § 368a
RVO).
Hiernach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das LSG wird zunächst - wie oben näher dargelegt - zu klären haben,
ob und ggf wie lange und in welchem Umfang der Kläger nach 1993 die Behandlungen von (drogensüchtigen) Männern fortgesetzt
hat und ob er sich dabei evtl auf eine Genehmigung der beigeladenen KÄV zur Durchführung von Substitutionsbehandlungen hat
berufen können. Weiterhin ist zu klären, ob der Kläger die Kooperation bei der Qualitätssicherung verweigert hat.
Schließlich ist zu prüfen, ob der Kläger im Laufe des nunmehr über fünf Jahre anhängigen Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit
der Zulassungsentziehung möglicherweise seine Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit durch verändertes
Verhalten wiederhergestellt hat, wie das der Beklagte in seinem angefochtenen Beschluss bereits als Möglichkeit angedeutet
und deshalb auf den Sofortvollzug seiner Entscheidung verzichtet hatte. Zwar geht die Rechtsprechung des Senats davon aus,
dass dem "Wohlverhalten" eines Arztes während des Streits über die Zulassungsentziehung grundsätzlich geringeres Gewicht zukommt
als schwer wiegenden Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, die zur Zulassungsentziehung geführt haben (BSGE 73, 234, 243 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 19). Wie dies im Einzelnen zu berücksichtigen und zu gewichten ist, entzieht sich rechtsgrundsätzlicher
Festlegung; das hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19. Juni 1996 (MedR 1997, 86, 87) dargelegt. Das Berufungsgericht wird die in diesem Zusammenhang erforderlichen Feststellungen über das Verhalten des
Klägers insbesondere bei der Frage der fachfremden Behandlung von Männern, der Ablehnung der Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen
und seinem Verhalten gegenüber Mitarbeitern der Beigeladenen zu 1. nach der Entscheidung des Berufungsausschusses im Jahr
2000 zu treffen und die für und gegen eine Zulassungsentziehung sprechenden Gesichtspunkte erneut zu gewichten haben.
Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.