Anforderungen an eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende integrierte Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für den Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen zur Finanzierung
von Verträgen der integrierten Versorgung erfüllt sind.
Die beklagte Betriebskrankenkasse trat verschiedenen Verträgen bei, welche die BKK-IKK-Arbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg
mit Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen - jeweils aus dem Bereich der ehemaligen Kassenärztlichen Vereinigung
(KÄV) Nord-Württemberg - abgeschlossen hatte. Diese Vereinbarungen sind als Verträge der integrierten Versorgung gemäß §§
140a ff
SGB V bezeichnet. Sie betreffen jeweils die stationäre hüft- und knieendoprothetische Komplexversorgung mit umfassender Behandlung
der Patienten unter Einschluss sowohl der Akutbehandlung im Krankenhaus als auch der Anschlussheilbehandlung in einer Rehabilitationseinrichtung.
Als Vergütung hierfür sind Komplexfallpauschalen vorgesehen, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachte Leistungen - einschließlich
derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.
Die Beklagte meldete die genannten Verträge als solche der integrierten Versorgung an die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft,
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingerichtete gemeinsame Registrierungsstelle
und behielt von den Gesamtvergütungszahlungen, die sie für die Monate Oktober und November 2004 zu entrichten hatte, einen
Betrag von 6.800 Euro ein.
Die KÄV Nord-Württemberg, deren Rechtsnachfolgerin seit dem 1.1.2005 die KÄV Baden-Württemberg ist, hat Klage auf Zahlung
der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 12.12.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat deren Berufung zurückgewiesen
(Urteil vom 13.12.2006 - juris; Parallelentscheidung veröffentlicht in SGb 2007, 621 = MedR 2007, 318 = GesR 2007, 125). Es ist der Ansicht der Klägerin gefolgt, die von der Beklagten zur Rechtfertigung des Gesamtvergütungseinbehalts
in Bezug genommenen Verträge seien keine Integrationsverträge im Sinne des §
140a SGB V. Nach §
140d SGB V stehe die Anschubfinanzierung nur für die Finanzierung von zulässigen Integrationsverträgen zur Verfügung. Dazu gehörten
die von der Beklagten angeführten Verträge nicht, weil in ihnen weder eine interdisziplinär-fachübergreifende noch eine verschiedene
Leistungssektoren übergreifende Versorgung gestaltet werde. Eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung im Sinne der
gesetzlichen Regelung liege nicht vor, da keine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder auch von Fachärzten unterschiedlicher
Gebiete erfolge; hierunter falle weder die traditionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses
noch die Einbeziehung nachfolgender Rehabilitationsbehandlungen. Auch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung
werde nicht organisiert. Leistungssektoren im Sinne des §
140a SGB V seien die Versorgungssektoren, die das Leistungserbringerrecht in seiner jeweils spezifischen Ausprägung geschaffen habe.
Hierzu zählten die akutstationäre Versorgung, die Heil- bzw Hilfsmittelversorgung, die Arzneimittelversorgung sowie die vertragsärztliche
und vertragszahnärztliche Versorgung. Für eine sektorenübergreifende Versorgung müsse der vertraglich vereinbarte Versorgungsauftrag
mindestens zwei dieser Sektoren umfassen. Den gesetzlichen Regelungen könne nicht entnommen werden, dass die - ambulante oder
stationäre - Rehabilitation als eigenständiger Leistungssektor zu qualifizieren sei.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des §
140a Abs
1 Satz 1
SGB V. Das Berufungsgericht verkenne, dass als Leistungssektor im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die ambulante und stationäre
Versorgung, sondern auch die Rehabilitation anzusehen sei. Bei der Krankenhausbehandlung und der Rehabilitation handele es
sich zwar um die gleiche Versorgungsstufe, aber um verschiedene Versorgungssektoren. Unterschiede bestünden insbesondere bei
den Finanzierungs- und Vergütungssystemen für den Akutbereich einerseits und für den Bereich der stationären Rehabilitation
andererseits, aber auch beim Zulassungsverfahren, im Leistungsrecht und im Leistungserbringerrecht. Die Schnittstellenprobleme
beim Übergang vom Krankenhaus zur Rehabilitationseinrichtung würden durch Verträge der vorliegenden Art im Sinne der Zielsetzung
der §§ 140a ff
SGB V überwunden, sodass diese als Verträge der integrierten Versorgung anzuerkennen seien.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2006 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2005 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Abgrenzung zwischen einer interdisziplinär-fachübergreifenden
Versorgung und einer Leistungssektoren übergreifenden Versorgung unzulässig verwischt würde, wenn die Versorgung mit Leistungen
der Rehabilitation einerseits und sämtliche Leistungsarten des
SGB V andererseits als jeweils eigenständige Leistungssektoren behandelt werden. Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen
stünden gemäß §§
111,
111b SGB V gemeinsam im stationären Sektor; ihre Verzahnung begründe deshalb keine integrierte Versorgung. Allein die Notwendigkeit
eines Schnittstellenmanagements eröffne noch nicht die Möglichkeit, Verträge der integrierten Versorgung im Sinne von §
140a SGB V abzuschließen.
II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hätte das Urteil des SG aufheben und die Klage abweisen müssen. Die Beklagte war berechtigt, im Hinblick auf die hier zu beurteilenden Verträge Beträge
"zur Förderung der integrierten Versorgung" gemäß §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom 14.11.2003,
BGBl I 2190) von den Gesamtvergütungszahlungen einzubehalten, die sie für die Monate Oktober und November 2004 gemäß §
85 Abs
1 SGB V zu entrichten hatte. Denn die mit Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen abgeschlossenen Verträge erfüllen die Anforderungen
der §§ 140a ff
SGB V.
1. Wie der Senat grundlegend im Urteil vom 6.2.2008 zum Barmer Hausarztvertrag ausgeführt hat (Az B 6 KA 27/07 R - RdNr 10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), dürfen die von einer Krankenkasse nach §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V einbehaltenen Mittel gemäß Satz 3 aaO ausschließlich zur Finanzierung der nach §
140c Abs
1 Satz 1
SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Nach dieser Vorschrift legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung
der in diesem Rahmen erbrachten Leistungen fest.
Die Regelung des §
140d Abs
1 SGB V über die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung ist seit ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2004 mehrfach geändert worden
(vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11). Zum einen ist durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG vom 22.12.2006,
BGBl I 3439) die ursprünglich bis Ende 2006 befristete Anschubfinanzierung bis Ende 2008 verlängert und die Pflicht zur Rückzahlung
nicht zweckentsprechend verbrauchter Mittel bis zum 31.3.2009 aufgeschoben worden. Zum anderen sind durch das Gesetz zur Stärkung
des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.4.2007 in §
140d Abs
1 SGB V die Sätze 2 bis 4 eingefügt worden. Danach dürfen die Mittel der Anschubfinanzierung, bei deren Einsatz die Partner der Integrationsverträge
in der Anfangsphase großen Spielraum haben sollten (Begr des Gesetzentwurfs zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 121, Zu Buchst a, Zu Doppelbuchst aa), nur noch für voll- und teilstationäre Leistungen
der Krankenhäuser und für ambulante vertragsärztliche Leistungen verwendet werden, soweit nicht "Aufwendungen für besondere
Integrationsaufgaben" betroffen sind.
Über diese Änderungen hinaus sind die Regelungen über die integrierte Versorgung in den §§ 140a bis 140h
SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (GKVRefG 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) in einem weiteren Punkt verschärft
worden. Diese Bestimmungen waren durch eine enge Verzahnung von Regel- und Integrationsversorgung gekennzeichnet (vgl Senatsurteil
vom 6.2.2008, aaO, RdNr 21). Der Sicherstellungsauftrag der KÄVen sollte durch die integrierte Versorgung unberührt bleiben
(Begr des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen, BT-Drucks 14/1245, S 92, Zu §
140b, Zu Abs
6). Deshalb mussten nach §
140b Abs
6 SGB V idF des GKVRefG 2000 die KÄVen Integrationsverträgen zustimmen, soweit Vertragsärzte daran beteiligt waren. Diese "Verschränkung
zwischen dem Sicherstellungsauftrag und der einzelvertraglichen Absprache zur integrierten Versorgung" (Begr des Gesetzentwurfs
zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113, Zu Buchst a) hat der Gesetzgeber durch das GMG beseitigt. Nach §
140a Abs
1 Satz 2
SGB V (seit der Neufassung durch das GKV-WSG zum 1.4.2007 Satz 3) ist der Sicherstellungsauftrag der KÄVen eingeschränkt, "soweit die Versorgung der Versicherten nach
diesen Verträgen durchgeführt wird". Integrierende Versorgungsformen umfassen nach der Konzeption des Gesetzes regelmäßig
die ambulante Versorgung durch Vertragsärzte und die voll- oder teilstationäre Behandlung im Krankenhaus, was zugleich die
finanzielle Beteiligung der KÄVen und der Krankenhäuser bei der Bereitstellung der Mittel für die Anschubfinanzierung nach
§
140d Abs
1 SGB V rechtfertigt.
Die verschärften Anforderungen an Abschluss und Gegenstand von Verträgen der integrierten Versorgung gelten für die hier zu
beurteilenden nicht, weil diese bereits im Jahr 2004 abgeschlossen wurden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11, 21).
Auch die oben genannte - seit dem 1.4.2007 durch §
140d Abs
1 Satz 2
SGB V enger gefasste - Vorgabe für die Verwendung von Mitteln der Anschubfinanzierung ist auf die hier zu beurteilenden Verträge
nicht anzuwenden; denn in §
140d Abs
1 Satz 3
SGB V ist ausdrücklich bestimmt, dass dies nicht für Verträge gilt, die vor dem 1.4.2007 abgeschlossen wurden (hierzu s auch BSG,
aaO, RdNr 11).
2. Wie der Senat zur Auslegung und Anwendung der vorgenannten Regelungen ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr
12), sind die Krankenkassen auf der Grundlage des §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Das ergibt sich mit
hinreichender Deutlichkeit aus der Formulierung der Vorschrift, "soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach §
140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind". Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar, wenn Krankenkassen pauschal
und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile
einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des §
140d Abs
1 Satz 5
SGB V nach drei Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (zutreffend Felix/Brockmann, NZS 2007, 623, 630; insoweit unzutreffend LSG Brandenburg, Beschluss vom 1.11.2004 - L 5 B 105/04 KA ER - MedR 2005, 62).
3. Verträge zur integrierten Versorgung iS des §
140a Abs
1 Satz 1
SGB V können nur über eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung
geschlossen werden.
Der Begriff der interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung setzt eine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten (hierzu
s Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 13) oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen
die Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem im ambulanten Bereich über die
traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw im stationären Bereich über die traditionelle
Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend
ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt bzw der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem Anästhesisten
bzw seinem Fachgebiet, wie sie traditionellerweise ohnehin in jeder Einrichtung stattfindet. Erforderlich ist vielmehr, wie
im Urteil des LSG zutreffend ausgeführt ist, ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen
von Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete, wobei die Anforderungen im Einzelnen keiner Entscheidung
im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bedürfen. Das Vorliegen einer dieser Formen interdisziplinär-fachübergreifender Versorgung
hat das LSG hinsichtlich der hier zu beurteilenden Verträge im Ergebnis verneint (LSG-Urteil unter C. 2.). Die Beklagte hat
dies in ihrer Revisionsbegründung auch nicht mehr angegriffen.
Zu den Voraussetzungen einer "verschiedene Leistungssektoren übergreifenden" Versorgung hat der Senat bereits in seinem Urteil
vom 6.2.2008 Stellung genommen (vgl Senatsurteil, aaO, RdNr 13, 15,
16). Der Begriff der Leistungssektoren iS des §
140a Abs
1 Satz 1
SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so Senatsurteil, aaO, RdNr 15 mit Hinweis auch auf die Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks
15/1525, S 129, Zu Nr 113 [§ 140a], Zu Buchst a). Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung
orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, S 25). Die Zielrichtung dieser
Versorgungsform besteht vor allem darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen
und den Krankenkassen die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur
zu entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren stattfinden, zum einen, um eine wirtschaftlichere
Versorgung zu ermöglichen, zum anderen aber auch, um für die Versicherten die medizinischen Behandlungsabläufe zu verbessern,
zB Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und Behandlungsdiskontinuitäten zu vermeiden (vgl Baumann [geb. Beule], JurisPK-
SGB V, §
140a RdNr 2). Ausgehend von dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes ist der Begriff der "leistungssektorenübergreifenden Versorgung"
funktionell zu bestimmen. Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher Schwerpunkt. "Übergreifend"
ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell
getrennt sind, nunmehr verknüpft. Behandlungsansatz und Ausrichtung des einzelnen Leistungsprozesses (zB hausärztliche Versorgung,
ambulante Versorgung insgesamt, operative Behandlung, medizinische Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf,
ob einzelne Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen Sektoren angehören. Eine Operation
(zB Implantation eines neuen Gelenks) und die anschließende Rehabilitation (zB Mobilisierung) dienen unterschiedlichen medizinischen
Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit betreffen sie (auch) verschiedene Leistungssektoren
iS des §
140a Abs
1 SGB V.
Wichtigster Anwendungsfall einer Versorgung, die verschiedene Leistungssektoren miteinander verknüpft, ist die Verzahnung
von ambulanten und stationären Behandlungen (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 17). Diese Art von Verknüpfungen wird
bei der Erläuterung der Ziele der Integrationsversorgung bereits in der Überschrift besonders hervorgehoben (Gesetzentwurf
der Regierungsfraktionen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 [GKV-Gesundheitsreform 2000], BT-Drucks
14/1245 S 55). Diese Versorgungsstruktur soll "Brücken über die Gräben der Versorgung schlagen". Neben das mehr als 100 Jahre
bestehende Versorgungssystem alter Art soll eine Innovation gestellt werden, in der eine bessere, effektivere, die Angebote
der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird (von Schwanenflügel, NZS
2006, 285, 287).
Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von §
140a Abs
1 SGB V erfasst, die Leistungen aus den beiden "Hauptsektoren" anbieten (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 18). Vielmehr sind
unter Zugrundelegung eines funktionellen Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors
weitere Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von Integrationsverträgen sein können. Beispiel für ein integriertes
Versorgungsangebot ohne Einbeziehung des stationären Sektors ist etwa die Verzahnung von ambulanten Operationen und anschließender
Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Die Ziele der integrierten Versorgung, nämlich ua die
Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von Wartezeiten, können durch
ein derartiges Angebot erreicht werden. Auch innerhalb des stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren
übergreifende Versorgung möglich und bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften für die integrierte Versorgung geboten.
So kann etwa die Verknüpfung der Akutbehandlung in einem Krankenhaus - zB Durchführung einer Operation oder Behandlung eines
Schlaganfalls - mit der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand eines Integrationsvertrages
sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger einer stationären Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen
Versorgungssystem Schnittstellenprobleme, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer
Hand überwunden werden können.
Über das Erfordernis einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung hinaus sind Verträge der in §
140b Abs
1 SGB V - idF des GMG - genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die
bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden. Das ergibt sich aus der Konzeption der
Integrationsversorgung als einer Alternative zur Regelversorgung, wie sie den Vorschriften der §§ 140a bis 140d
SGB V seit ihrer Neufassung durch das GMG zugrunde liegt (vgl dazu insbes Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 14, 20 ff).
4. Diese Grundsätze bedürfen für den Fall der Verknüpfung verschiedener Leistungsangebote von und mit Krankenhäusern weiterer
Differenzierung. Solche Verzahnungen reichen, da - wie unter 2. ausgeführt - eine integrierte Versorgung die Verknüpfung verschiedener
Leistungssektoren bedeutet, die in der traditionellen Regelversorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nur unter
bestimmten Voraussetzungen für die Anerkennung als integrierte Versorgung im Sinne der §§ 140a ff
SGB V aus.
Eine integrierte Versorgung kann zB - wie schon oben erwähnt - durch Verknüpfung von stationärer Akutbehandlung und stationärer
Rehabilitation erreicht werden, weil diese Leistungssektoren in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell
typischerweise getrennt sind. Diese Trennung ist in den bisherigen Strukturen immer dann gegeben, wenn es sich um unterschiedliche
Einrichtungen handelt, sodass sich deren Verknüpfung für eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung eignen
kann. Aber auch in den selteneren Fällen, in denen ein Träger übergreifend sowohl ein Krankenhaus als auch eine Rehabilitationseinrichtung
betreibt, können Verknüpfungen dieser unterschiedlichen Angebote eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung
im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff
SGB V bilden. Denn Art und Inhalt der jeweils zu erbringenden Leistungen sind im Krankenhaus einerseits und in der Rehabilitationseinrichtung
andererseits unterschiedlich; insoweit werden im Übrigen im Regelfall auch verschiedene Leistungserbringer tätig, selbst wenn
einzelne Personen in beiden Bereichen zum Einsatz kommen sollten.
Unzureichend für eine integrierte Versorgung ist es im Regelfall dagegen, wenn innerhalb eines Krankenhauses nur die stationär
und die ambulant erbrachten ärztlichen Behandlungen miteinander verknüpft werden, wie in den Senatsurteilen vom 6.2.2008 in
den Verfahren B 6 KA 5/07 R und B 6 KA 6/07 R mit näheren Ausführungen dargelegt ist.
5. Unter Zugrundelegung dieser Differenzierungen ergibt sich, dass die hier zu beurteilenden Verträge die Voraussetzungen
einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung im Sinne der §§ 140a ff
SGB V erfüllen. Diese Verträge, bei denen Vertragspartner der Beklagten jeweils sowohl ein Krankenhaus bzw ein Krankenhausverbund
als auch eine Rehabilitationseinrichtung sind, verknüpfen - für die Fälle stationärer hüft- bzw knieendoprothetischer Versorgung
- die Bereiche der Akutbehandlung und der stationären Rehabilitation, die in der traditionellen Versorgung typischerweise
inhaltlich und institutionell getrennt sind. Sie regeln insoweit eine umfassende Behandlung der Patienten. Als Vergütung hierfür
sind jeweils Komplexfallpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachten Leistungen - einschließlich
derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.
Von diesem Inhalt her regeln die Verträge jeweils eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer
integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff
SGB V.
6. Aus der Anerkennung der Verträge als integrierte iS der §§ 140a ff
SGB V folgt, dass die Beklagte berechtigt war, Teile der von ihr zu entrichtenden Gesamtvergütungszahlungen einzubehalten. Die
Höhe von 6.800 Euro für die Monate Oktober und November 2004 ergibt sich aus den Angaben der Beteiligten und den von ihnen
eingereichten Unterlagen. Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten der Berechnung sind nicht zu erkennen.