Anspruch auf Arbeitslosengeld; Bemessungsentgelt bei einem Auszubildenden in einer außerbetrieblichen Einrichtung
Gründe:
I
Im Streit ist - nach einem Teilvergleich im Berufungsverfahren für die Zeit vom 1.10.2006 bis 31.5.2007 - (noch) ein Anspruch
auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) für den Monat September 2006.
Der im Jahre 1985 geborene ledige, kinderlose Kläger absolvierte vom 1.9.2004 bis 31.8.2006 eine außerbetriebliche Ausbildung
nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) zum Hochbaufacharbeiter beim Bildungswerk B eV in G . Am 30.5.2006 meldete er sich zum 1.9.2006 arbeitsuchend sowie arbeitslos
und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm die Leistung ab dem 1.9.2006 nach einem Bemessungsentgelt von 9,72 Euro (täglich),
resultierend aus seiner während der Ausbildung erhaltenen Vergütung (bestandskräftiger Bescheid vom 21.9.2006). Ab 14.9.2006
befand sich der Kläger auf Kosten der Krankenkasse in stationärer Krankenhausbehandlung. Im Februar 2007 beantragte er erfolglos
eine Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids mit dem Ziel, höheres Alg unter fiktiver Bemessung nach §
132 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) zu erhalten (Bescheid vom 14.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.4.2007).
Während die Klage erstinstanzlich keinen Erfolg hatte (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [SG] Altenburg vom 14.9.2007),
hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 21.9.2006 abzuändern und dem Kläger
für die Zeit vom 1. bis 30.9.2006 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 65,33 Euro (täglich) zu zahlen (Urteil vom 6.8.2008).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, das höhere Alg ergebe sich auf Grund fiktiver Bemessung des Arbeitsentgelts
nach Maßgabe des §
132 SGB III für die Qualifikationsgruppe 3 (abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf) unter Berücksichtigung des Ausgangswerts
der Bezugsgröße. Die vom Kläger bezogene Vergütung während der Ausbildung sei kein Arbeitsentgelt im Sinne des Bemessungsrechts
für das Alg, sodass der Kläger keinen Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb
des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens aufweisen könne. Es sei nach der Regelung des §
132 SGB III für die fiktive Bemessung nicht von der niedrigeren Bezugsgröße-Ost, sondern der Bezugsgröße-West auszugehen, weil sich der
Kläger für Beschäftigungen im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung gestellt habe.
Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die außerbetriebliche Ausbildung des Klägers sei versicherungspflichtig gewesen,
sodass auch bei der Berechnung des Alg von der Höhe der erzielten Vergütung auszugehen sei. Eine fiktive Bemessung des Alg
scheide deshalb aus.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat einen Anspruch auf Alg unter Korrektur des bestandskräftigen Bescheids vom 21.9.2006.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 14.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
4.4.2007 (§
95 SGG), mit dem die Beklagte die teilweise Rücknahme des bestandskräftigen Alg-Bewilligungsbescheids abgelehnt hat. Richtige Klageart
ist eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 16 f mwN zur Rechtsprechung, Stand Mai 2006; Eicher in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
330 RdNr 12a, Stand August 2007; aA zu Unrecht in einem obiter dictum BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 18 RdNr 9; Krasney/Udsching, Handbuch
des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap IV RdNr 76, Ulmer in Hennig
SGG, Stand 2006, § 54 RdNr 106), auf die auch bei Anwendung des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ein Grundurteil (§
130 Abs
1 SGG) ergehen kann (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 §
137 Nr 1 S 2). Der missverständliche Tenor des LSG-Urteils war entsprechend zu korrigieren; gemeint hat das LSG eine Verurteilung
zur höheren Leistung, wenn auch - unter zusätzlichem Hinweis - auf Grund eines höheren Bemessungsentgelts (vgl zu dieser Möglichkeit
Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
130 RdNr 3 f); unzulässig wäre eine reine Elementenfeststellung. Ein Grundurteil ist auch möglich, wenn nur über die Höhe der
Leistungen gestritten wird (Keller, aaO, RdNr 2d mwN).
Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
nicht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt; der Kläger hat für September 2006 einen Anspruch
auf höheres als das bestandskräftig bewilligte Alg (nach einem Bemessungsentgelt von 65,33 Euro). Sein Anspruch auf dieses
Alg richtet sich nach §
118 Abs
1 SGB III (idF, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 - BGBl I 2848 - erhalten
hat). Danach haben Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit
arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG) hat der Kläger die Anwartschaftszeit erfüllt (§
118 Abs
1 Nr
3, §§
123,
124 SGB III). Er stand gemäß §
25 Abs
1 Satz 2
SGB III (idF, die dieser durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001 - BGBl I 3443 - gefunden
hat) während seiner Ausbildung in einem Versicherungspflichtverhältnis. Nach dieser Vorschrift stehen Auszubildende, die im
Rahmen eines Berufsausbildungsvertrags nach dem BBiG in einer außerbetrieblichen Einrichtung ausgebildet werden, den (versicherungspflichtigen) Beschäftigten zur Berufsausbildung
iS des Satzes 1 gleich (vgl BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 42/08 R - SozR 4-4300 § 132 Nr 4 RdNr 10). Der Kläger war bis zum 13.9.2006 auch arbeitslos iS von §
118 Abs
1 Nr
1, §
119 Abs
1 SGB III (letzterer in der Normfassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt); für die Zeit ab 14.9.2006,
die Zeit des Krankenhausaufenthalts, besaß er einen Alg-Fortzahlungsanspruch nach §
126 SGB III.
Der Kläger war auch wirksam arbeitslos gemeldet (§
118 Abs
1 Nr
2 SGB III iVm §
122 Abs
1, letzterer ebenfalls in der Normfassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt). Danach hat sich
der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden (Satz 1). Eine Meldung ist nach Satz
2 auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten
drei Monate zu erwarten ist. Aus dieser Regelung kann nicht geschlossen werden, dass eine Arbeitslosmeldung, die - wie vorliegend
- bereits vor den in Satz 2 genannten letzten drei Monaten erfolgt ist, generell unwirksam wäre. Dies würde dem Sinn der Regelung
des §
122 Abs
1 SGB III widersprechen.
Die Arbeitslosmeldung hat nämlich die Funktion, dem Vermittlungsvorrang (§
4 Abs
1 SGB III) Rechnung zu tragen, also die Beklagte davon in Kenntnis zu setzen, dass Arbeitslosigkeit droht bzw eingetreten ist, damit
die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit Aktivitäten dazu beitragen kann, den Leistungsfall zu verhindern oder ihn möglichst
rasch zu beenden (BSG SozR 3-4300 §
122 Nr 1 S 3; vgl auch Lauer in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, Nomo-Komm [NK-]
SGB III, 3. Aufl 2008, §
122 RdNr 5; Spellbrink in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
122 RdNr 6, Stand August 2004). In der Gesetzesbegründung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (BT-Drucks 13/4941, S 176 zu §
122 Abs 1 und 3) heißt es insoweit zur früheren Zweimonatsfrist, die Regelung stelle klar, dass die Meldung - der bereits
geübten zweckmäßigen Verwaltungspraxis entsprechend - bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgen könne, um eine möglichst
nahtlose Leistungsgewährung zu ermöglichen. Mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wurde die
Regelung später mit Wirkung ab 1.1.2004 dahin geändert, dass eine Meldung auch zulässig ist, wenn der Eintritt der Arbeitslosigkeit
statt wie früher innerhalb der nächsten zwei Monate, innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten sei. Dies geschah ausdrücklich
in Angleichung an die Regelung zur Verpflichtung einer frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung nach dem früheren § 37b
SGB III (jetzt §
38 Abs
1 SGB III). Nähme man die Aussagen des Gesetzgebers in den Gesetzesbegründungen ernst, wäre ohnedies eine Arbeitslosmeldung schon mehr
als drei Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit möglich; auch eine Arbeitsuchendmeldung war bereits vor den letzten drei
Monaten des Arbeitsverhältnisses erforderlich (vgl zur Diskrepanz zwischen § 37b
SGB III aF [= §
38 Abs
1 SGB III nF] auch Coseriu in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
144 RdNr
453i und in der BT-Drucks 13/4941 wird nur auf die Legalisierung früherer Verwaltungspraxis ohne konkrete Zeitangabe verwiesen).
Es läge deshalb nahe, schon aus diesem Grund eine bereits vor den letzten drei der Arbeitslosigkeit vorausgehenden Monaten
vorgenommene Arbeitslosmeldung in jedem Fall als wirksam anzusehen; dies widerspräche jedoch dem Gesetzeswortlaut.
Die Arbeitslosmeldung war vorliegend allerdings unter Berücksichtigung des weiteren Umstands wirksam, dass die Beklagte sie
nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG in Kenntnis ihrer "Frühzeitigkeit" entgegengenommen und akzeptiert
hat. Sinn der Dreimonatsregelung des §
122 Abs
1 Satz 2
SGB III für die frühestmöglich zulässige Abgabe einer Arbeitslosmeldung ist wie bei § 37b
SGB III aF bzw §
38 Abs
1 SGB III nF allein der Schutz der Beklagten davor, Vermittlungsbemühungen zu früh aufnehmen zu müssen. Akzeptiert aber die BA selbst
eine frühzeitige Arbeitslosmeldung, so wäre es vor dem Hintergrund des Ziels einer "Job-to-Job-Vermittlung" geradezu sinnwidrig,
dem Arbeitslosen nachträglich entgegenzuhalten, er habe sich zu früh arbeitslos gemeldet. Würde dies die BA vortragen, müsste
ihr entgegen gehalten werden, ihr Verhalten sei wegen eines "venire contra factum proprium" treuwidrig. Dann aber ist die
Annahme, die frühzeitige Arbeitslosmeldung sei unwirksam, auch dem Gericht verwehrt. Es kann dahinstehen, ob dies uneingeschränkt
gelten kann; jedenfalls ist die Annahme einer wirksamen Arbeitslosmeldung gerechtfertigt, wenn der Alg-Empfänger sich zeitnah
zur im Gesetz enthaltenen Dreimonatsgrenze mit Billigung der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Dies
gilt umso mehr, als sich vorliegend der Kläger gleichzeitig arbeitsuchend gemeldet hat und ohnedies, wie oben ausgeführt,
eine Harmonisierung beider Meldungen angestrebt worden war.
Zutreffend hat das LSG entschieden, dass der Kläger auf Grund der fiktiven Bemessung des §
132 SGB III (hier idF, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erhalten hat) einen Anspruch
auf höheres Alg hat, und zwar unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von 65,33 Euro statt 9,72 Euro. Dem Kläger stand
gemäß §
129 SGB III (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16.2.2001
- BGBl I 266 - erhalten hat) Alg nach dem allgemeinen Leistungssatz von 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt)
zu, das sich aus dem Bemessungsentgelt ergibt. Leistungsentgelt ist insoweit nach §
133 Abs
1 SGB III (idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.11.2004 - BGBl I 2902)
das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Das Bemessungsentgelt selbst ist nach §
131 SGB III (hier idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006 - BGBl I 926 -) das durchschnittlich auf den
Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum
ermittelt sich gemäß §
130 SGB III (hier idF, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erhalten hat) aus dem Bemessungsrahmen
(letztes Jahr vor Ende des letzten Versicherungspflichtverhältnisses und vor Entstehung des Anspruchs), der sich unter bestimmten
Voraussetzungen auf zwei Jahre erweitert (Abs 3). Der in diesem Bemessungsrahmen liegende Bemessungszeitraum umfasst die beim
Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen
Beschäftigung. Im Unterschied zum bis zum 31.12.2004 geltenden Recht werden also nur Entgelte aus einer (versicherungspflichtigen)
Beschäftigung, nicht aus sonstigen Versicherungspflichtverhältnissen in die Bemessung einbezogen (BSG SozR 4-4300 §
130 Nr 6 RdNr 27; BT-Drucks 15/1515, S 85; vgl auch Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB III, K §
130 RdNr 8, Stand Juli 2009; Behrend in Eicher/Schlegel,
SGB III, Vor §§
129 bis
134 RdNr 4 Stand Juni 2005).
Die außerbetriebliche Ausbildung des Klägers in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit war zwar versicherungspflichtig
(s oben). Für das Bemessungsrecht des Alg ist sie indes einer Beschäftigung nicht gleichgestellt (s auch § 7 Abs 2 Sozialgesetzbuch
Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - [SGB IV]). Die in diesem Versicherungspflichtverhältnis
erzielte Vergütung nach § 17 BBiG, der nicht zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungen unterscheidet (vgl zur Angemessenheit der Ausbildungsvergütung
etwa BAGE 96, 237, 246; BAG Urteil vom 16.1.2003 - 6 AZR 325/01 - AP Nr 13 zu § 10 BBiG; BAG, Urteil vom 22.1.2008 - 9 AZR 999/06 -, AP Nr 7 zu § 17 BBiG), wird arbeitsrechtlich nicht als Arbeitsentgelt im eigentlichen Sinne verstanden (Kania in Küttner, Personalbuch 2010, Nr
74 RdNr 26 f mwN; Beckers in Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, 2008, § 17 BBG RdNr 1); sie ist jedoch ohnedies nicht im Rahmen einer Beschäftigung erzielt, wie dies §
130 Abs
1 SGB III iVm §
131 SGB III voraussetzt, sodass dahinstehen kann, ob die Ausbildungsvergütung einer betrieblichen Ausbildung Arbeitsentgelt iS des Alg-Bemessungsrechts
iVm §
14 SGB IV ist. Dass die Ausbildung im Rahmen einer außerbetrieblichen Ausbildung keine Beschäftigung darstellt, belegt §
25 Abs
1 Satz 2
SGB III, weil der Gesetzgeber mit dieser Regelung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.10.2000 (SozR 3-2600 § 1 Nr
7) reagiert hat, wonach die Umschulung, die in einer Bildungseinrichtung als Dienstleistung gegen Vergütung durchgeführt wird,
keine Beschäftigung zur Berufsausbildung darstellt (vgl nur Schlegel in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
25 RdNr 143, Stand März 2010; vgl auch Brand in Niesel,
SGB III, 4. Aufl 2007, §
25 RdNr
35). An einer Beschäftigung zur Berufsausbildung iS des §
25 Abs
1 Satz 1
SGB III iVm §
7 Abs
2 SGB IV durch Eingliederung in den Produktions- und Dienstleistungsprozess eines Betriebs fehlt es nämlich bei einem Auszubildenden,
wenn der alleinige Betriebszweck des Ausbildungsbetriebs in der Organisation und Durchführung von Qualifizierungs- und Bildungsmaßnahmen
besteht und der Auszubildende nicht innerhalb dieses Betriebszwecks, sondern nur - wie hier - als Teilnehmer der Maßnahme
tätig wird (BSG SozR 4-4300 § 25 Nr 2 RdNr 14; s auch Schlegel, aaO).
Während durch §
25 Abs
1 Satz 2
SGB III ausdrücklich - ebenso wie im Beitragsrecht durch §
346 Abs
1 Satz 2
SGB III - die außerbetriebliche Ausbildung der betrieblichen Ausbildung in einem Beschäftigungsverhältnis gleichgestellt ist, ist
dies in §§
131,
132 SGB III nicht geschehen. Der Gesetzgeber hat also auf eine generelle Erweiterung des Beschäftigungsbegriffs für die Gruppe der nach
§
25 Abs
1 Satz 2
SGB III Versicherungspflichtigen verzichtet und sich auf punktuelle Gleichstellungen in den einzelnen Gesetzen für einzelne Bereiche
des jeweiligen Gesetzes beschränkt (vgl auch: § 5 Abs 4a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung -
[SGB V], § 1 Nr 3a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - [SGB VI], §
226 Abs
1 Satz 3
SGB V, §
162 Nr
3a SGB VI). Dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die außerbetriebliche Ausbildung uneingeschränkt als Beschäftigung hätte angesehen
werden sollen.
Weist mithin der Kläger keinen Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt (aus einem Beschäftigungsverhältnis)
auf, ist dem Alg nach §
132 Abs
1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, das sich gemäß Abs 2 der Vorschrift nach vier Qualifikationsstufen errechnet,
hier nach der Qualifikationsgruppe 3 (abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf). Nachdem der Kläger seine Berufsausbildung
als Hochbaufacharbeiter erfolgreich abgeschlossen hat, mussten sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten grundsätzlich
auf Beschäftigungen entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation erstrecken (§
132 Abs
2 Satz 1
SGB III), weil diese Tätigkeiten eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt garantieren (vgl zu dieser Voraussetzung: BSG,
Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 42/08 R - SozR 4-4300 §
132 Nr 4 RdNr 15; vgl auch Coseriu/Jakob in NK-
SGB III, 3. Aufl 2008, §
132 RdNr 15 ff; Behrend in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
132 RdNr 33 ff, Stand März 2007). Für andere Überlegungen, etwa die Füllung einer planwidrigen Gesetzeslücke zur Erlangung angemessener
sachlicher Ergebnisse, bleibt kein Raum (BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 42/08 R - aaO, RdNr 16 ff).
Bei der Qualifikationsgruppe 3 ist gemäß §
132 Abs
2 Satz 2 Nr
3 SGB III ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße zu Grunde zu legen. Maßgeblich ist dabei die Bezugsgröße-West für das
Jahr 2006 mit 29 400 Euro (vgl die Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung vom 21.12.2005 - BGBl I
3627); hieraus errechnet sich ein Betrag von 65,33 Euro. Zwar hat der Kläger die Ausbildung in den neuen Bundesländern (im
Beitrittsgebiet) zurückgelegt; jedoch ist §
408 SGB III für ihn nicht einschlägig. Danach ist die Bezugsgröße für das in Art 3 des Einigungsvertrags genannte Gebiet (Beitrittsgebiet) maßgebend, wenn der Beschäftigungsort im Beitrittsgebiet liegt, soweit
Vorschriften dieses Buchs (des
SGB III) bei Entgelten an die Bezugsgröße anknüpfen. §
408 Nr 1
SGB III stellt jedoch erkennbar auf das Entgelt aus einer ausgeübten Beschäftigung ab, was durch die Bezugnahme auf den konkreten
Beschäftigungsort (§
9 SGB IV) deutlich wird (vgl: Eicher in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
408 RdNr 30, Stand März 2010; Rolfs in Gagel; SGB II/SGB III, §
132 SGB III RdNr 12, Stand April 2010; Rokita in Schönefelder/Kranz/Wanka,
SGB III, §
132 RdNr 70, Stand Juli 2006). Bei Anwendung des §
132 SGB III geht es jedoch nicht um das früher erzielte Entgelt, sondern darum, auf welche Tätigkeit die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen
zu erstrecken hat. Die Ausgangslage beider Vorschriften ist damit nicht identisch und verbietet damit auch eine generelle
analoge Anwendung. Offen bleiben kann, ob dies anders ist, wenn - was vorliegend nicht der Fall ist - der Leistungsempfänger
seine Arbeitsbereitschaft - zulässigerweise - auf das Beitrittsgebiet beschränkt hat.
Gegen die Regelung des §
132 Abs
2 SGB III, die den Kläger ohnedies begünstigt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 42/08 R - SozR 4-4300 § 132 Nr 4 RdNr 22 f mwN; vgl auch BSG SozR 4-4300 § 132 Nr 3 und BSG, Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 39/08 R). Als unbillig empfundene Ungleichbehandlungen, die daraus resultieren, dass durch die fiktive Bemessung sich im Einzelfall
ein höherer Alg-Anspruch ergibt als in den Fällen eines niedrigeren Arbeitsentgelts, sind angesichts des Gesetzeszwecks der
Vereinfachung und Pauschalierung hinzunehmen (vgl BSG aaO). Es besteht deshalb keine Veranlassung, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) gemäß Art
100 Abs
1 Grundgesetz einzuholen, die für das Urteil in der vorliegenden Sache nur dann von Bedeutung wäre, wenn das BVerfG zu einer Unvereinbarkeit
der Vorschriften des Bemessungsrechts für das Alg gelangen und dem Gesetzgeber eine Neuregelung auferlegen würde, die für
den Kläger ungünstiger als die jetzige ausfallen könnte. Davon ist nicht auszugehen. Ggf könnte, um eine unterschiedliche
Behandlung von außerbetrieblich und betrieblich Ausgebildeten zu vermeiden, auch bei Vergütungen im Rahmen einer betrieblichen
Ausbildung deren Arbeitsentgeltcharakter iS des Bemessungsrechts verneint werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.