Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII; Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 für erwachsene Leistungsberechtigte mit gemeinsamer Haushaltsführung mit anderen
Erwachsenen ohne Partner zu sein
Gründe:
I
Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2011.
Die 1921 geborene und im Februar 2014 verstorbene E S (S) war schwerbehindert (Grad der Behinderung 60; Merkzeichen "G");
sie erhielt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (
SGB XI) entsprechend der Pflegestufe II. Sie wohnte seit 2009 bei ihrer 1940 geborenen Freundin E W (W) in deren Wohnung; W hatte
sich bereit erklärt, die notwendige Pflege zu übernehmen.
Die Beklagte bewilligte S Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2011 (Bescheid vom 24.2.2011) in Höhe von
773,54 Euro monatlich (Regelbedarf in Höhe von 359 Euro Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe von
61,03 Euro; Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 143,51 Euro; Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
in Höhe von 210 Euro). Ab dem 1.4.2011 hob die Beklagte die Bewilligung unter Hinweis auf die geänderten Regelbedarfsstufen
teilweise auf und bewilligte S nur noch Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 693,98 Euro, dabei (neben den unverändert
gebliebenen Leistungen für Unterkunft und den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung) nur noch einen Regelsatz
nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 Euro sowie einen Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe
von 49,47 Euro (Bescheid vom 29.3.2011); in der Folge gewährte sie für Juli, August und September 2011 unter Berücksichtigung
eines Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwassererzeugung in Höhe von 6,69 Euro monatlich Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von insgesamt 700,67 Euro (Bescheid vom 28.7.2011). Der zeitlich vor diesem Bescheid erhobene Widerspruch blieb ohne
Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter).
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat auf die dagegen erhobene Klage den Bescheid vom 29.3.2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 28.7.2011
und den Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "S für den Zeitraum April bis September
2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren" (Urteil vom 23.5.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat
das SG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob S einen eigenen Haushalt oder einen gemeinsamen Haushalt mit W führe oder in dem Haushalt
der W lebe und wie diese Konstellationen voneinander abzugrenzen seien. Denn S habe unabhängig davon einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen
unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1. Die Regelbedarfsstufe 3 verstoße gegen Art
3 Abs
1 Grundgesetz (
GG), weil die Leistungen für haushaltsangehörige Leistungsberechtigte nach dem SGB XII ab Vollendung des 25. Lebensjahrs geringer seien als für vergleichbare Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II); diese hätten Anspruch auf den vollen Regelbedarf. Einsparungen bei Führung eines gemeinsamen Haushalts könnten nur angenommen
werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des SGB XII bildeten, was bei S und W nicht der Fall sei. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art
100 Abs
1 GG sei entbehrlich, weil es sich bei der Anlage nach § 28 SGB XII, die die Regelbedarfsstufen enthalte, um eine Rechtsverordnung und nicht um ein förmliches Gesetz handele.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Sprungrevision. Nachdem sie den Bescheid vom 29.3.2011 für April 2011 aufgehoben
hat, macht sie wegen der Zeit ab 1.5.2011 geltend, dass die Regelbedarfsstufe 3 nicht gegen Art
3 Abs
1 GG verstoße, weil die Systemunterschiede zwischen SGB II und SGB XII eine unterschiedliche Behandlung der Leistungsempfänger rechtfertigten. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wende sich
an einen dem Grunde nach erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen
bedürfe. Mit der Erwerbsfähigkeit gingen zahlreiche Pflichten bzw Obliegenheiten einher, die bei schuldhafter Verletzung Sanktionen
nach sich zögen. Diese Pflichten träfen die Berechtigten nach dem SGB XII nicht. Schließlich werde das menschenwürdige Existenzminimum ua dadurch gesichert, dass der individuelle Bedarf im Einzelfall
abweichend vom Regelsatz nach Maßgabe des § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII festzulegen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte der früheren Klägerin beantragt, nachdem er die Klage für April 2011 zurückgenommen hat,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, S habe sich von W Geld leihen müssen, weil sie, die S, von der Beklagten die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt
nicht erhalten habe; der vom SG zutreffend zugesprochene Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen sei also an die noch nicht bekannten Rechtsnachfolger
vererbt worden.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das
SG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet (§
170 Abs
4 Satz 1 iVm Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Mit dem Tod von S im Revisionsverfahren hat auf Klägerseite zwar ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine
Unterbrechung des Verfahrens (vgl §
202 SGG iVm §
239 Zivilprozessordnung [ZPO]) ist jedoch nicht eingetreten, weil S durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten war (§
246 ZPO). Er führt den Rechtsstreit für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fort (vgl BGHZ 121, 263 ff, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 5.2.1958 - IV ZR 204/57 -, LM Nr 10 zu §
325 ZPO).
Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 29.3.2011 und der während des Widerspruchsverfahrens
erlassene Änderungsbescheid vom 28.7.2011 (vgl §
86 SGG) - wobei das SG prüfen mag, ob dieser den vorangegangenen Bescheid lediglich für Juli bis September 2011 oder bereits für die Zeit davor
ersetzt und damit erledigt hat - beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 (§
95 SGG), gegen die sich der/die Rechtsnachfolger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wenden (§
54 Abs
1 Satz 1 und Abs
4, §
56 SGG). Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist die richtige Klageart, obwohl sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Entscheidungen an § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) misst. Geltend gemacht wird nämlich nicht nur, es sei mit Inkrafttreten der Neuregelungen durch das Gesetz zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 (vgl Art 14 Abs 1 RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) keine Änderung
zu Lasten der S, sondern wegen der Erhöhung der Regelbedarfe für Alleinstehende um 5 Euro und damit des Mehrbedarfs für ältere
Leistungsberechtigte mit dem Merkzeichen "G" sowie der Einführung eines Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasserbereitung zum
selben Zeitpunkt eine Änderung zu ihren Gunsten eingetreten, der mit den angegriffenen Entscheidungen hätte Rechnung getragen
werden müssen. Dieses Ziel (höhere Leistungen) kann nicht allein mit der Anfechtungsklage verwirklicht werden. Weder die verstorbene
Klägerin noch deren Rechtsnachfolger haben den Streitgegenstand in der Sache beschränkt, sodass über die gesamten Grundsicherungsleistungen
zu befinden ist.
Ob den unbekannten Rechtsnachfolgern/dem unbekannten Rechtsnachfolger in der Sache Ansprüche auf höhere Grundsicherungsleistungen
gegen die kraft Heranziehung durch den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger in eigenem Namen handelnde Beklagte aus übergegangenem
Recht zustehen, kann nicht entschieden werden. Das SG wird die bzw den Rechtsnachfolger zu ermitteln haben und sodann ggf die zur Akte gereichten Erklärungen der W auf inhaltliche
Richtigkeit überprüfen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 96, 18 ff), der sich der Senat anschließt, sind Sozialhilfeansprüche nach Maßgabe der §§
58,
59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) nämlich (nur) vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere
Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen
oder Hilfe abgelehnt hat. Dem Erben obliegt auch die Begleichung der Nachlassschulden, und die Sozialhilfeleistungen fließen
ihm in solchen Fällen gerade deshalb zu, um ihn in den Stand zu setzen, die aus der Hilfe des Dritten entstandenen Schulden
des Sozialhilfeempfängers zu tilgen. Ein entsprechender Sachverhalt ist hier vorgetragen worden. Ist jedoch der Fiskus der
gesetzliche Erbe, kann dieser die Ansprüche von vornherein nicht geltend machen (vgl §
58 Satz 2
SGB I). Bei der Tenorierung wird das SG zu beachten haben, dass eine Zahlung von Leistungen nur an die Rechtsnachfolger in Betracht kommt.
Es kann ebenfalls nicht abschließend entschieden werden, ob mit den zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in
den rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des (begünstigenden) Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
der Verhältnisse eingetreten ist, wie dies § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X voraussetzt, und ob diese in Bezug auf die Höhe der bewilligten Leistungen (ggf ausschließlich) begünstigenden oder belastenden
Charakter haben, weil ausreichende Feststellungen des SG zur Anspruchshöhe insgesamt fehlen. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 und 2 SGB XII (jeweils in der Fassung, die die Norm mit dem RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG erhalten hat) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt
im Inland, die die maßgebliche Altersgrenze - hier das 65. Lebensjahr - erreicht haben, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§
82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können. Die Anspruchsvoraussetzungen für solche Leistungen dem Grunde nach erfüllte S, weil sie nach den Feststellungen
des SG neben den - nicht zu berücksichtigenden (§
13 Abs
5 SGB XI) - Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung kein Einkommen bezog und vermögenslos war.
Die Höhe der Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 1.1.2011 richtet sich nach § 42 Nr 1 SGB XII (in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG), wobei sich eine Verminderung des Regelbedarfs aus Anlass der Neuregelung
wegen der Übergangsregelung in § 137 SGB XII vor dem 1.4.2011 nicht zu Lasten der Betroffenen auswirken kann. Danach umfassen die Grundsicherungsleistungen unter anderem
die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII; daneben ist § 27a Abs 3 und Abs 4 Satz 1 und 2 SGB XII (jeweils in der Normfassung dieses Gesetzes) anzuwenden. Zur Deckung des Regelbedarfs sind danach monatliche Regelsätze zu
gewähren (§ 27a Abs 3 Satz 1 SGB XII). Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII erhält seit dem 1.1.2011 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 364 Euro eine erwachsene leistungsberechtigte
Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem
Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der
Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von 328 Euro (mithin 90 vH der Regelbedarfsstufe 1) werden demgegenüber gewährt für jeweils zwei
erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher
Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Die Regelbedarfsstufe 3, die Leistungen in Höhe von 291 Euro (80 vH der Regelbedarfsstufe
1) vorsieht, gilt für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte,
Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Für Kinder
und Jugendliche sind - abhängig von ihrem Alter - die weiteren Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gebildet.
Von der jeweils maßgeblichen Regelbedarfsstufe leitet sich auch die Höhe des Mehrbedarfs nach § 42 Nr 2 SGB XII iVm § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII (in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) - Merkzeichen "G" - ab, der S zustand, sofern nicht - wofür bislang keine
Anhaltspunkte vorliegen - ein abweichender Bedarf bestand. Seit dem 1.1.2011 ist zudem für den Fall, dass Kosten für die Bereitung
von Warmwasser wegen einer dezentralen Warmwasserversorgung nicht als Kosten der Heizung nach § 35 Abs 4 SGB XII abgedeckt werden, ein Mehrbedarf nach § 30 Abs 7 SGB XII iVm § 42 Nr 2 SGB XII zu bewilligen, dessen Höhe sich im Ausgangspunkt ebenfalls prozentual (2,3 vH) von der Höhe der maßgeblichen Regelbedarfsstufe
ableitet (vgl § 30 Abs 7 Satz 2 Nr 1 SGB XII). Das SG wird deshalb ggf Feststellungen dazu nachholen müssen, ob die Wohnung der W im maßgeblichen Zeitraum über eine dezentrale
Warmwasserversorgung verfügte. In letzterem Fall stand S ein (dann auch im Hinblick auf eine abweichende Höhe iS des § 30 Abs 7 Satz 2 SGB XII zu überprüfender) Mehrbedarf wegen der dezentralen Warmwasserversorgung schon von Mai 2011 an zu. Liegen die Voraussetzungen
nicht vor, würde sich dies ggf kompensatorisch gegenüber sonstigen höheren Leistungen auswirken können.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der notwendige Regelbedarf von S, die mit W in einem Haushalt lebte, ohne deren
Partnerin zu sein, nicht von vornherein mit der Regelbedarfsstufe 3 beschrieben. Im Grundsatz richtet sich der Bedarf einer
erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 vielmehr auch dann, wenn sie mit einer anderen Person
in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 - also eine Ehe, eine eingetragene
Lebenspartnerschaft oder eine eheähnliche bzw lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft - besteht. Dem gesetzlichen Leitbild
liegt dabei die Vorstellung zugrunde, dass bei Zusammenleben mit anderen Personen in einer Wohnung in der Regel gemeinsam
gewirtschaftet wird und also eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt. Dementsprechend wird in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII nF (ab 1.1.2011) vermutet, dass Personen bei Zusammenleben in einer Wohnung gemeinsam einen Haushalt führen. Diese Vermutung,
die nicht durch § 43 Abs 1 2. Halbsatz bzw § 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII ausgeschlossen wird, ist nicht schon dann widerlegt, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren Beitrag an der Haushaltsführung
leistet, selbst wenn für eine umfassende Haushaltsführung notwendige Fähigkeiten fehlen. Die Regelbedarfsstufe 3 kommt also
im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige
oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt,
in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt".
Dieses Ergebnis legt schon der Wortlaut der Vorschriften nahe; aus der Systematik des Gesetzes und seinem Zweck sowie der
Entstehungsgeschichte der Vorschriften folgt eine entsprechende Auslegung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben
aus Art
1 Abs
1 GG iVm Art
20 Abs
1 GG und Art
3 Abs
1 und Abs
3 Satz 2
GG indes zwingend. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 39 ff) findet sich zwar ein weiter gehendes Verständnis (ebenso:
Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 28 SGB XII RdNr 61 Bieback, ASR 2013, 15 ff; kritisch dagegen: Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70 ff, Stand November 2011; Gutzler in juris PraxisKommentar [jurisPK] SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 79 ff; Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011, 63, 82 f; Sartorius in Berlit/Conradis/Sartorius,
Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 24 RdNr 51; Lenze in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, Anh § 28 SGB XII RdNr 4 ff; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Anlage § 28 SGB XII RdNr 3, Stand August 2013). Hiernach wird die Haushaltsgemeinschaft typisierend als Zusammenleben eines Haushaltsvorstands
mit weiteren erwachsenen Haushaltsangehörigen verstanden, von denen der zuerst genannte die haushaltsgebundenen Kosten alleine
trägt, während die weiteren Haushaltsangehörigen deshalb einen geringeren Bedarf haben. Allein auf die Gesetzesbegründung
kann bei der Auslegung aber nicht abgestellt werden denn diese weiter gehende Wirkung würde zu verfassungswidrigen Ergebnissen
führen. Ist von mehreren Auslegungen aber nur eine mit dem
Grundgesetz vereinbar, muss diese gewählt werden (BVerfGE 112, 164, 182 f = SozR 4-7410 § 32 Nr 1 RdNr 32; vgl auch BSG SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 19 mwN). Die Vorschriften sind deshalb orientiert an dem Gesetzeszweck einschränkend auszulegen; nur diese Auslegung
belässt ihnen einen vernünftigen, dem erkennbaren Gesetzeszweck jedenfalls nicht zuwiderlaufenden Sinn.
Dem Wortlaut der Anlage zu § 28 SGB XII lässt sich nicht entnehmen, dass in Haushaltsgemeinschaften zwischen Erwachsenen, die nicht Partner sind, typisierend die
eine Person der Regelbedarfsstufe 1 und die andere Person der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen wäre und im Ergebnis also Bedarfe
nur in Höhe von 180 vH anerkannt würden; überdies findet sich keine Bestimmung, die erkennen ließe, dass in der vorliegenden
Konstellation der S (und nicht der W im Falle ihrer Bedürftigkeit) lediglich Bedarfe nach der Regelbedarfsstufe 3 zustünden.
Die vorliegende Gesetzesfassung beschreibt zunächst nur, dass die Regelbedarfsstufe 1 einer "alleinstehenden" Person auch
dann zusteht, "wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen
sind". Dabei bringt das Merkmal "alleinstehend", das die Regelbedarfsstufe 1 kennzeichnet, zum Ausdruck, dass diese Person
ohne festen Partner im Sinne der Regelbedarfsstufe 2, nicht dagegen ohne jeden (erwachsenen) Mitbewohner in dem Haushalt lebt;
denn der Begriff "Alleinstehend" wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit unverheiratet gleichgesetzt, also in Abgrenzung zu
einer festen Partnerschaft gebraucht. Die Rechtsprechung zum SGB II, die wegen der Besonderheiten der Bedarfsgemeinschaft von einem normativen Verständnis des Begriffs ausgeht (BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 2 RdNr 18), ist auf das SGB XII nicht zu übertragen. Dem zweiten Halbsatz kann andererseits nicht entnommen werden, dass ein Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaft
außerhalb einer Partnerschaft notwendig das Zusammenleben mit einer Person bedeutet, die dann der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen
wäre. Die Formulierung verweist lediglich auf die Regelbedarfsstufe 3, ohne diese näher zu erläutern; sie kann nur klarstellende
Bedeutung haben.
Aus der Formulierung der Regelbedarfsstufe 3 folgt nicht das Gegenteil. Die Regelbedarfsstufe 3 knüpft zunächst an das Leben
in einem "fremden" Haushalt an, was das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft im Grundsatz nicht erfasst. "Fremd" drückt
als Adjektiv aus, dass eine Sache einem anderen gehört. Leben zwei erwachsene Personen in einem Haushalt, lebt jede Person
nach dem allgemeinen Sprachverständnis aber weiterhin in ihrem eigenen, dh in einem ihr selbst zugehörigen Haushalt. Das Zusammenleben
allein macht einen Haushalt nicht (schon) zu einem "fremden" Haushalt. Der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 3 ließe in seiner
2. Alternative ("noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen
gemeinsamen Haushalt führt") zwar die Auslegung zu, dass zwei Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, ohne Partner
zu sein, nur die Regelbedarfsstufe 3 zukommt. Eine solche Auslegung, die bei zwei Haushaltsangehörigen denknotwendig zur Folge
hätte, dass beiden Personen lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde, weil bei beiden keine Partnerschaft vorliegt, führt
aber zu einem erkennbar verfassungswidrigen Ergebnis (im Einzelnen später).
Ausschließlich der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 2 knüpft ausdrücklich an ein bestimmtes gemeinsames Zusammenleben (das nämlich
zusätzlich die Kriterien einer Partnerschaft erfüllen muss) einen Regelbedarf von jeweils nur 90 vH für jede in der Partnerschaft
lebende Person. Die Beschränkung auf diese Rechtsfolge nur bei Zusammenleben in Partnerschaften ist eine bewusste gesetzgeberische
Entscheidung, wie die Entwicklung der Vorschriften im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zeigt. Bereits im ursprünglichen Entwurf
zum RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG ist an dem Begriff des Haushaltsvorstands, der bis zum 31.12.2010 noch in § 3 Abs 1 Satz 1 Regelsatzverordnung (RSV) verankert war, den das SGB II aber schon seit dem 1.1.2005 nicht mehr kannte (vgl im Einzelnen BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2), nicht mehr festgehalten worden. An seine Stelle ist der alleinstehende (bzw alleinerziehende)
Leistungsberechtigte getreten. Demgegenüber war für alle Fälle der Haushaltsgemeinschaft die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe
2 vorgesehen ("Ehegatten und Lebenspartner sowie andere erwachsene Leistungsberechtigte, die in einem gemeinsamen Haushalt
leben und gemeinsam wirtschaften" vgl BT-Drucks 17/3404, S 36, und zur Begründung S 130). Diese Fassung hätte mithin Fälle
wie den vorliegenden dahin geregelt, dass in der Haushaltsgemeinschaft für beide Mitglieder der gleiche Bedarf besteht und
dieser - wegen typisierend unterstellter Einsparmöglichkeiten - jeweils um 10 vH abgesenkt ist. Sie ist aber nicht Gesetz
geworden; mit der endgültigen Fassung, die das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG im Zuge der Ausschussberatungen erhalten hat, werden
die Fälle der gemeinsamen Haushaltsführung außerhalb von Partnerschaften gerade nicht mehr in der Regelbedarfsstufe 2 der
Anlage zu § 28 SGB XII erfasst.
Soweit in der Gesetzesbegründung zur Neufassung der Anlage zu § 28 SGB XII, die im Zuge der Beratungen des 11. Ausschusses für Arbeit und Soziales erfolgt ist, ausgeführt wird, mit der Umformulierung
der Regelbedarfsstufe 1 - mithin der Anfügung des Halbsatzes "dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere
weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind" - werde "folglich" an der im geltenden Recht
als Haushaltsvorstand bezeichneten Funktion und der damit verbundenen Stellung im Haushalt außerhalb von Partnerkonstellationen
festgehalten (BT-Drucks 17/4095, S 39), kommt dies in den Gesetz gewordenen Fassungen der Regelbedarfsstufen gerade nicht
zum Ausdruck. Der Gesetzesbegründung lässt sich zwar die Vorstellung entnehmen, jedes Zusammenleben von Erwachsenen außerhalb
von Partnerschaften, insbesondere, aber nicht ausschließlich im Familienverbund, sei typisierend dadurch gekennzeichnet, dass
die mit der Führung des Haushalts verbundenen Kosten nur bei einer Person anfallen (BT-Drucks 17/4095, S 40). Ein Tatbestand
im Gesetz, der diese typisierende Grundannahme - wie zuvor § 3 Abs 1 Satz 1 RSV - deutlich macht, ist jedoch nicht Gesetz geworden; er entspricht auch nicht dem neueren Verständnis des "Haushaltsvorstands".
Auf die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu diesem Begriff (vgl nur BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242) kann damit - entgegen der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Auffassung - nicht zurückgegriffen
werden. Es ist dem Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaften nach § 39 Satz 1 SGB XII, die durch das gemeinsame Wirtschaften aus einem Topf gekennzeichnet sind, im Grundsatz fremd, dass ein bestimmtes, nach
generell-abstrakten Kriterien umschriebenes Mitglied (etwa das erwerbsfähige oder körperlich und/oder geistig nicht eingeschränkte
Mitglied oder ein Elternteil) von vornherein einen höheren Beitrag zur Führung des Haushalts erbringt oder zu erbringen hätte,
wie es der Begriff des "Haushaltsvorstands" voraussetzt. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005
die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger zwar in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich
und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen
allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war. Der Gesetzgeber
des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG hat aber die Annahme einer Haushaltsersparnis durch das Zusammenleben mit einem "Haushaltsvorstand"
gerade nicht regelhaft mit der Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden; eine entsprechende
Prüfungsnotwendigkeit widerspräche auch der typisierenden Beschreibung von Bedarfen in den genannten Regelbedarfsstufen, die
der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommen hat.
Das SGB II sieht folgerichtig eine Stellung des "Haushaltsvorstands" im Haushalt unverändert nicht vor (zur Problematik des Zusammenlebens
von Leistungsberechtigten nach dem SGB XII und Leistungsberechtigten nach dem SGB II bereits BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3, geknüpft an den Begriff des "Haushaltsvorstands" im Sinne der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung, würde zudem einen Zirkelschluss bedeuten: Es kann die Bestimmung des Bedarfs der Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft
(im Sinne der Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 oder 3) nicht im Ausgangspunkt in Abhängigkeit davon erfolgen, welche Entscheidung
über die Verteilung von Mitteln ggf getroffen würde, wenn ein Mitglied seinen Bedarf nicht in gleichem Maße decken kann wie
das andere Mitglied. Eine solche Entscheidung kann in Haushaltsgemeinschaften überhaupt erst getroffen werden, wenn entsprechende
Mittel nicht gleichmäßig zufließen.
Allein die vom Senat vorgenommene Auslegung sichert die sozialrechtliche Funktion der Leistungen nach dem SGB XII, nämlich die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art
1 Abs
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art
20 Abs
1 GG (vgl dazu: BVerfGE 132, 134 ff RdNr 62 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 88 ff; BVerfGE 125, 175, 221 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 132 ff). Auch nach der Gesetzesbegründung soll die Regelbedarfsstufe 3 deshalb nur
für Personen gelten, denen tatsächlich keine haushaltsgebundenen Kosten entstehen; es sollen ausdrücklich nur Konstellationen
erfasst werden, "in denen es keine gemeinsame Tragung von Ausgaben zu gleichen Teilen gibt" (BT-Drucks 17/4095, S 40). Wie
dargelegt kann aber allein aus dem Zusammenleben in einem Haushalt nicht typisierend geschlossen werden, dass die haushaltsgebundenen
Kosten nur bei einer Person anfallen. Die gegenteilige, zwar in der Gesetzesbegründung, nicht hingegen im Wortlaut zum Ausdruck
kommende Auffassung führt zu erkennbar verfassungswidrigen Ergebnissen. Sie hätte zur Folge, dass zwei Personen, die die Kosten
des Haushalts gemeinsam tragen, beide also den Haushalt nicht als Haushaltsvorstand im hergebrachten Sinne führen, im Falle
ihres Zusammenlebens, etwa in einer Wohngemeinschaft, lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde. Eine solche Schlechterstellung
gegenüber Partnerschaften kann und soll erkennbar mit der Gesetzesneufassung nicht verbunden sein. Wie der ungedeckte Bedarf
in solchen Fällen gesichert werden sollte, erschließt sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus dem Gesetz selbst. Die
Möglichkeit der Bildung von Mischregelsätzen in solchen Fällen ist aber angesichts der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte
vom Willen des Gesetzgebers nicht gedeckt (so zum Ganzen auch Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand November 2011,
Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70). Schließlich reicht auch die abweichende Regelsatzfestlegung nach § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII nicht aus, um tatsächlichen Verhältnissen in einem Haushalt, die regelmäßig denkbar sind, Rechnung zu tragen; denn diese
setzt die zutreffende Typisierung der Lebensverhältnisse durch den Gesetzgeber voraus, weil sie eine Regelung ausdrücklich
nur für atypische Situationen trifft ("seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht").
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gesetz den Begriff der eigenen "Haushaltsführung" im Anschluss an die
Formulierung der Regelbedarfsstufen in dem Sinne versteht, dass nur die hilfebedürftige Person, die die einzelnen Verrichtungen
in einem Haushalt in einem gewissen Maße auch tatsächlich ausüben kann, der Regelbedarfsstufe 1 (und nicht der Regelbedarfsstufe
3) unterfallen soll (in diesem Sinne etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.7.2012 - L 8 SO 13/12 B ER; zweifelnd Gutzler
in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 80). Die zu fordernde Beteiligung an der Haushaltsführung muss sich vielmehr gerade an den jeweiligen individuellen
Fähigkeiten orientieren. Eine andere Auslegung würde zu einer (indirekten) Ungleichbehandlung von behinderten Menschen führen
und verstieße gegen Art
3 Abs
3 Satz 2
GG und damit gleichzeitig gegen das Diskriminierungsverbot in Art
5 Abs
2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-Behindertenrechtskonvention
[UN-BRK], Gesetz vom 21.12.2008 - BGBl II 1419 -, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.3.2009 - BGBl II 812). Denn das Benachteiligungsverbot
des Art
3 Abs
3 Satz 2
GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann
eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt
gegeben sein (vgl nur BVerfGE 128, 138 ff = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 mwN).
Eine Auslegung, nach der entscheidend für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 eine in bestimmter Weise dauerhaft eingeschränkte
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des Leistungsberechtigten maßgeblich wäre, träfe zwar nicht
alle behinderten Menschen gleichermaßen. Sie würde gleichwohl an die Schwere einer dauerhaften körperlichen, geistigen oder
seelischen Einschränkung und damit an die Auswirkungen einer Behinderung anknüpfen (vgl den Behinderungsbegriff in § 2 Abs
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - [SGB IX]). Eine entsprechende
Differenzierung fände auch keine Rechtfertigung gerade in den eingeschränkten Fähigkeiten der behinderten Person (dazu etwa
BVerfGE 99, 341 ff); für die Wahrnehmung des in Rede stehenden Rechts sind bestimmte Fähigkeiten nicht unerlässliche Voraussetzung. Das mit
Art
1 GG iVm Art
20 GG gewährleistete Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz knüpft insbesondere nicht an die Erwerbsfähigkeit an.
Es ist aber nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen,
die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, gerade durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben
sollten, die eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 rechtfertigen würde. Dies wird besonders deutlich, wenn beide Mitglieder
des Haushalts einer ambulanten Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine außenstehende Person bedürfen: Hier würde eine andere
Sichtweise sogar zu der nicht zu rechtfertigenden Annahme führen, keiner dieser behinderten Personen stünde die Regelbedarfsstufe
1 zu. Soweit sich schließlich in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 27 und 41) der Hinweis auf elterliche Unterhaltspflichten
in Haushaltsgemeinschaften findet, sind solche Überlegungen von vornherein zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer
Regelung ungeeignet, die gerade nicht typisierend an das Zusammenleben im Familienverbund anknüpft.
Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Schlechterstellung von Partnerschaften ist mit dieser Auslegung nicht verbunden.
Es ist kein verfassungsrechtliches Gebot erkennbar, wonach für eine zusätzliche erwachsene Person im Haushalt, die in keiner
partnerschaftlichen Beziehung zu einer anderen Person in diesem Haushalt steht, vor dem Hintergrund der Regelung für Paare
und der Regelbedarfsermittlung für Einpersonenhaushalte gelten müsste, dass diese sozialhilferechtlich nicht als alleinstehende
Person betrachtet werden kann (so aber wohl BT-Drucks 17/4095, S 40; wie hier Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft
September 2011, 63, 82). Zwar werden bei Partnern einer Lebensgemeinschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 insgesamt nur
Bedarfe in Höhe von 180 vH anerkannt. Die besondere Stellung von Partnerschaften beruht indes nicht allein auf der Annahme
der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auf der typisierenden Annahme eines Einstandswillens in dieser Partnerschaft, der
darauf schließen lässt, dass nicht nur aus einem Topf gewirtschaftet wird, sondern das Ausgabeverhalten auch erkennen lässt,
dass der Partner zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellt, bevor die Mittel für eigene Bedürfnisse eingesetzt
werden (zur Zulässigkeit einer entsprechend typisierenden Annahme in Partnerschaften BVerfGE 87, 234 ff = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Dies rechtfertigt nicht nur die gesteigerten Einstandspflichten innerhalb von Ehe und eingetragener
Lebenspartnerschaft (vgl § 27 Abs 2 Satz 2 SGB XII und ergänzend das Verbot der Besserstellung von eheähnlicher und lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft in § 20 SGB XII).
Bereits nach der bisherigen Gesetzesfassung - im SGB XII wie im SGB II - war auch die Annahme einer weiter gehenden Einsparung bei den Ausgaben, als sie aus dem bloßen gemeinsamen Wirtschaften
folgt, typisierend an eine solche Partnerschaft, also an das Bestehen des partnerschaftstypischen Einstandswillens, geknüpft
(vgl BSGE 103, 181 ff RdNr 24 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Es ist nicht erkennbar, dass insoweit nach der alten Rechtslage eine verfassungswidrige
Schlechterstellung von Partnerschaften vorlag, die mit der Neufassung hätte beseitigt werden müssen. Das BVerfG hat die Annahme
einer besonderen Ersparnis in Partnerschaften auch auf der Bedarfsseite, die in den 1990er Jahren auf Grundlage einer Auswertung
des Ausgabeverhaltens in Partnerschaften - nicht in anderen Mehrpersonenhaushalten - entwickelt worden war, ausdrücklich gebilligt
(BVerfGE 125, 175 ff RdNr 189 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12); eine Ausweitung auf jede Mehrpersonenkonstellation unter Erwachsenen, die nicht Bedarfs-
bzw Einsatzgemeinschaften sind und die auch in den zur Überprüfung stehenden Fassungen des SGB II und des SGB XII abweichend behandelt worden waren, hat es aber nicht gefordert. Ob die ursprünglich geplante Fassung der Regelbedarfsstufe
2, die jede Haushaltsführung in einer Mehrpersonenkonstellation erfasst hätte, verfassungsgemäß gewesen wäre, weil jede gemeinsame
Haushaltsführung außerhalb von Bedarfs- und Einstandsgemeinschaften eine Ersparnis in gerade dieser Höhe mit sich bringt -
wozu indes statistische Auswertungen fehlen (vgl BT-Drucks 17/3404, S 130, und BT-Drucks 17/4095, S 27) -, braucht vorliegend
nicht entschieden zu werden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Einbeziehung erwerbsfähiger Erwachsener, die das 25. Lebensjahr
noch nicht vollendet haben, in die Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsgemäß ist (dazu BSGE 110, 204 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 10).
Dem mit dieser Auslegung gewonnenen Ergebnis, wonach ein Zusammenleben auch außerhalb von Partnerschaften im Grundsatz eine
gemeinschaftliche, gleichberechtigte Haushaltsführung ist, und das folglich bei beiden Personen dieselben Bedarfe annimmt,
entspricht die gesetzliche Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII, wonach Personen (seit dem 1.1.2005 auch solche, die nicht miteinander verwandt oder verschwägert sind), die gemeinsam in
einer Wohnung leben, gemeinsam wirtschaften und damit eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Ob die doppelte Vermutungsregelung
- die nämlich in § 39 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII um eine Unterhaltsvermutung ergänzt ist - in allen Punkten verfassungsgemäß ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen
bleiben. Nach den insoweit normierten Rückausnahmen (§ 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII und § 43 Abs 1 2. Halbsatz SGB XII) kommt lediglich die belastende Auswirkung des § 39 Satz 1 SGB XII für Haushaltsgemeinschaften, die beispielsweise zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung von behinderten oder älteren Menschen
als Wohngemeinschaften gebildet werden, nicht zur Anwendung. Denn die Rückausnahme soll ambulante Wohnformen, die durch Unterstützungsleistungen
gekennzeichnet sind, finanziell stärken (vgl BT-Drucks 15/1514, S 61). Insoweit kommt nur die Unterhaltsvermutung des § 39 Satz 1 SGB XII nicht zur Anwendung dementsprechend ist allein die Nichtgeltung dieser Unterhaltsvermutung in der Gesetzesbegründung zur
Einführung der Regelbedarfsstufe 3 in Bezug genommen (vgl BT-Drucks 17/4095, S 40 f). Dies lässt die normative Grundannahme
unberührt, wonach allein aus dem Sachverhalt des gemeinsamen Wohnens der Schluss auf das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft
zu ziehen ist, in der auch gemeinsam gewirtschaftet wird.
Dem kann schließlich nicht entgegengehalten werden, es verbleibe im Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Auslegung für die
Regelbedarfsstufe 3 kein Anwendungsbereich mehr. Die Regelbedarfsstufe 3 findet nämlich als Rechengröße bei der Bestimmung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen Anwendung; denn in diesem Fall trägt der Leistungsberechtigte
keinerlei Verantwortung für einen "Haushalt" und hierfür auch keine (unmittelbaren) Kosten.
Im Übrigen kommt die Regelbedarfsstufe 3 zur Anwendung, wenn abweichend von der dargelegten gesetzlichen Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII keine Haushaltsgemeinschaft besteht. Ob dies bei klassischen Untermietverhältnissen, die sich durch die (vertraglich) ausgeschlossene
Möglichkeit der Beteiligung an der Haushaltsführung auszeichnen, regelmäßig der Fall ist (so die Gesetzesbegründung; BT-Drucks
17/4095, S 40), kann offen bleiben; denn für eine solche Fallgestaltung ergeben sich hier keine Anhaltspunkte. Bei einem Zusammenleben,
das anders als ein bloßes Untermietverhältnis gerade (auch) durch verstärkte Unterstützungsleistungen des einen Haushaltsangehörigen
für den anderen gekennzeichnet ist, kann ein solcher Fall nur vorliegen, wenn bei dem körperlich und/oder geistig behinderten
Mitbewohner keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich
in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Ein solcher Sachverhalt
wird nur ausnahmsweise vorliegen; denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an
der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und/oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf
in der Haushaltsführung genügen. Dies hat der Senat für die Konstellation des Zusammenlebens von Eltern mit ihren erwachsenen
behinderten Kindern im Einzelnen dargestellt (Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R); entsprechende Vorstellungen über ein
im Ausgangspunkt gleichberechtigtes Miteinanderleben mit der Folge eines gemeinsamen Haushalts iS des § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII sind auch auf Wohngemeinschaften, die durch (gegenseitige) Unterstützungsleistungen gekennzeichnet sind, übertragbar. Ob
ein hiervon ausnahmsweise abweichender Sachverhalt überhaupt vorliegt, wird das SG nur zu prüfen haben, wenn zu diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt qualifizierter Vortrag der Beklagten erfolgt. Die Beweislast
liegt insoweit bei der Beklagten, die sich auf das Vorliegen eines von der gesetzlichen Typik abweichenden Falls beruft.
Das SG wird über die Leistungshöhe insgesamt und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.