Parallelentscheidung zu BSG - B 8 SO 13/15 B - v. 26.05.2015
Gründe:
I
Im Streit sind Leistungen bzw höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Die Klage hatte nur teilweise Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer [SG] vom 8.7.2013; Urteil des Landessozialgerichts
[LSG] Rheinland-Pfalz vom 25.9.2014). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und formuliert folgende Rechtsfragen:
"Was stellt in der Bundesrepublik Deutschland ein angemessenes Einkommen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention dar?
Was ist ein Einkommen, das eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht?
Stellt eine Regelung des
SGB V eine vom
SGB IX abweichende Regelung dar, die für die gesetzliche Krankenkasse bindend ist, auch wenn eine derartige Regelung im
SGB IX überhaupt nicht vorkommt?
Ist bei der Berechnung einer Zahlung der Zeitpunkt maßgeblich, zu der sie fällig wird, oder der Zeitpunkt, zu dem sie abgebucht
wird?
Nach welchen Regelungen ist das Pflegegeld nach § 64 SGB XII kürzbar?".
Sie macht des Weiteren eine Divergenz der Entscheidung des LSG zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom
23.7.2014 (1 BvL 10/12 und 6.12.2005 - 1 BvR 347/98) sowie des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.12.2010 (B 8 SO 7/09 R) geltend. Zudem habe das LSG die Sache verfahrensfehlerhaft nicht dem BVerfG vorgelegt und
damit gegen Art
100 Abs
1 Satz 1
Grundgesetz (
GG) verstoßen; des Weiteren liege ein Verfahrensmangel darin, dass das LSG auf offenkundig unrichtige Rechtsausführungen des
SG hinsichtlich der Übernahme von Kosten für die Wohnungsrenovierung Bezug genommen und sich zu eigen gemacht und damit gegen
§
153 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) verstoßen habe.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Es kann dahinstehen, ob überhaupt konkrete Rechtsfragen formuliert sind, die sich ernsthaft stellen oder nur Fragen aufgeworfen
sind, deren Beantwortung durch den Senat allenfalls kommentar- bzw lehrbuchmäßig abstrakt erfolgen könnte, wozu das angestrebte
Revisionsverfahren jedoch nicht dient. Denn es fehlt jedenfalls schon an der ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit
der aufgeworfenen Rechtsfragen. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich
ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit
- konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass die Beschwerdeführerin den nach ihrer Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg
der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich
bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung in keiner Weise, denn es fehlt bereits an der hinreichenden
Darlegung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Die Klägerin teilt weder mit, welche Leistungen in welcher Höhe sie erhält,
welche (weiteren) Bedarfe bestehen, noch, welche Leistungen der Beklagte abgelehnt hat. Die Darlegung des Sachverhalts erschöpft
sich vielmehr in einer allgemein gehaltenen Beschreibung ihrer Behinderung und der (Rechts-)Behauptung, das LSG habe in seiner
Entscheidung verkannt, dass das ihr zur Verfügung stehende Einkommen (welches?) keine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
erlaube bzw Pflegegeld anders als geschehen hätte gekürzt werden müssen. Die Klägerin hätte zur Darlegung der Klärungsfähigkeit
den Sachverhalt aber so schildern müssen, dass der Senat in die Lage versetzt wird zu prüfen, ob ihr überhaupt ein Anspruch
auf weitere Leistungen zustehen. Soweit die Beschwerdebegründung dahin zu verstehen ist, dass die Entscheidung des LSG inhaltlich
falsch sein soll, vermag dies die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht,
ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten
Rechtssatz des BVerfG bzw des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst
- widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Doch formuliert die Klägerin weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG noch einen solchen des BSG, auch einen des BVerfG nur in Bezug auf die Entscheidung vom 6.12.2005, geschweige denn legt sie eine Abweichung dar. Vielmehr
erschöpft sich ihr Vorbringen auch insoweit in einer inhaltlichen Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des LSG.
Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen
bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die
diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 §
160a Nr 14, 24, 34 und 36; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
160a RdNr 16 mwN). Soweit die Klägerin geltend macht, das LSG habe durch die Nichtvorlage an das BVerfG gegen Art
100 GG verstoßen und damit das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds behauptet (§
202 SGG iVm §
547 Nr 1
Zivilprozessordnung), bedarf es zwar nicht der Darlegung, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36). Vielmehr wird der Einfluss auf die Entscheidung insoweit unwiderlegbar vermutet (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8). Doch ist auch insoweit der Vortrag konkreter Anhaltspunkte erforderlich, aus denen sich der gerügte Verstoß ergibt.
Daran fehlt es auch insoweit. Vielmehr formuliert die Klägerin nur eine eigene These, weshalb "die Regelungen des
SGB IX und des SGB XII" verfassungswidrig seien. Weder legt sie dar, von welchen konkreten Regelungen sie überhaupt ausgeht, noch, ob und inwiefern
das LSG diese ausgelegt und zu dem Schluss gelangt ist, die Vorschriften verstießen nicht gegen übergeordnetes (Verfassungs-)Recht.
Mit ihrer Rüge eines Verstoßes gegen §
153 Abs
2 SGG dadurch, dass sich das LSG die aus ihrer Sicht offensichtlich unrichtige Rechtsauffassung des SG zu den Kosten für die Wohnungsrenovierung zu eigen gemacht habe, rügt die Klägerin in Wahrheit nur die inhaltliche Unrichtigkeit
der LSG-Entscheidung, also einen "error in iudicando", nicht einen "error in procedendo".
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.