Anspruch auf Sozialhilfe; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Kostenübernahme bei einem Mietvertrag unter Verwandten
Gründe:
I
Im Streit sind (noch) Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2005 nach dem Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der 1980 geborene Kläger bezieht seit dem 1.1.2003 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zunächst
(bis 31.12.2004) nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "H" und "RF" anerkannt. Er lebt gemeinsam
mit seinem Vater in einem Reihenhaus; dieser ist Eigentümer des Hausgrundstücks und trägt hierfür die laufenden Kosten. Am
9.3.2005 schloss der Kläger, vertreten durch einen gesondert hierfür bestellten Ergänzungsbetreuer, mit seinem Vater ab 1.1.2005
einen Mietvertrag über einen Mietzins von 300 Euro zzgl einer Vorauszahlung für Heizung und Warmwasser in Höhe von 50 Euro
monatlich ab. Dem Kläger waren zuvor ab 1.1. bis 31.12.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
nach dem SGB XII ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt worden (bestandskräftiger Bescheid
vom 3.1.2005; Widerspruchsbescheid vom 7.3.2005). Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nach Vorlage des Mietvertrages
vom 9.3.2005 in einem Überprüfungsverfahren erneut für das Jahr 2005 abgelehnt (Bescheide vom 11.5.2005 und 8.8.2005; Widerspruchsbescheid
nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 31.8.2005).
Die Klage, mit der der Kläger ua Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht (SG) Stade abgewiesen (Urteil vom 13.12.2007), weil der Kläger keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung habe. Der Mietvertrag
sei nur zu dem Zweck eingegangen worden, höhere Grundsicherungsleistungen zu erhalten und dem Vater des Klägers als Vermieter
der Räumlichkeiten Einnahmen zukommen zu lassen; die geleisteten Mietzahlungen seien von den Vertragspartnern als rechtlich
nicht verbindlich angesehen worden. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den Beklagten auf die Berufung
des Klägers verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.12.2005 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe
der Hälfte der für das bewohnte Haus anfallenden angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten zu zahlen (Urteil vom 26.8.2010).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger seien zwar keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
durch entsprechende Zahlungsverpflichtungen aus dem mit seinem Vater als Vermieter geschlossenen Mietvertrag entstanden, weil
unter Würdigung der Gesamtumstände nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernstlichen
Forderungen seines Vaters auf Zahlung der sich aus dem vorliegenden - nicht mit ernsthaftem Bindungswillen abgeschlossenen
- Mietvertrag ergebenden Gesamtmonatsmiete ausgesetzt sei; jedoch bestünden die Aufwendungen für die Unterkunft einer hilfebedürftigen
Person, die mit nicht hilfebedürftigen, mit ihr verwandten oder verschwägerten Personen in Haushaltsgemeinschaft lebten, in
einem Teil der angemessenen Aufwendungen, die für die Wohnung der Haushaltsgemeinschaft zu entrichten seien. Die Unterkunftskosten
seien dabei nach Personenzahl - hier zwei - aufzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - tatsächliche Aufwendungen
im Sinne der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen nicht bestünden.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII. Übernahmefähig seien danach nur tatsächliche
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die dem Kläger jedoch nicht entstanden seien.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG aufzuheben, soweit darin über Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung entschieden worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.
II
Die Revision des Beklagten ist begründet (§
170 Abs
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das LSG hat zu Unrecht den Beklagten zur Zahlung anteiliger Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verurteilt. Der
Kläger hat in dem streitigen Zeitraum von Januar bis Dezember 2005 keinen Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung, der
von dem Beklagten zu decken war.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 8.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.8.2005, soweit der
Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt hat. Der zunächst als Bescheid nach § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ergangene Überprüfungsbescheid vom 11.5.2005, der die Aufhebung des hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung belastenden
Verwaltungsakts vom 3.1.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.3.2005 abgelehnt hat, wurde nämlich durch den
im laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom 8.8.2005 insgesamt ersetzt (§
86 SGG). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.12.2003 - 5 C 25/02 -, Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 38) Rechnung getragen, wonach Kindergeld, das an den Kindergeldberechtigten ausgezahlt wird, nicht als Einkommen des (erwachsenen)
Kindes zu berücksichtigen ist und deshalb die Leistung für das gesamte Jahr 2005 neu festgesetzt. Damit hat sich auch der
Bescheid vom 11.5.2005 erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X), weil er hinsichtlich des neuerlichen Bewilligungsbescheides keine Wirkung mehr entfaltet. Dabei spielt es keine Rolle,
dass eine ausdrückliche Ablehnung von Kosten für Unterkunft und Heizung zwar noch in dem Bescheid vom 11.5.2005, nicht mehr
aber in dem nur noch streitbefangenen Bescheid vom 8.8.2005 im Sinne einer ausdrücklichen Verfügung enthalten war, weil eine
solche Ablehnung stillschweigend auch dieser Bescheid erklärt, sich hiergegen der (aufrechterhaltende) Widerspruch richtete
und in dem Widerspruchsbescheid vom 31.8.2005 auch ausdrücklich eine den Widerspruch zurückweisende Entscheidung über Kosten
für Unterkunft und Heizung getroffen wurde. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage (§
54 Abs
1 und 4
SGG iVm §
56 SGG). Der Senat hat nur über die Kosten von Unterkunft und Heizung zu entscheiden. Das LSG hat in seinem Urteil die Zulassung
der Revision zulässigerweise auf diesen abtrennbaren selbstständigen Anspruch (BSGE 97, 217 ff RdNr 18 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG, Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 18/09 R - RdNr 10 mwN zum Recht Grundsicherung für
Arbeitsuchende) beschränkt.
Soweit der Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 betroffen ist, ist die Anfechtungsklage bereits unzulässig, weil der Bescheid
vom 8.8.2005 durch einen weiteren, nach Klageerhebung (23.9.2005) am 4.10.2005 ergangenen Bescheid ersetzt wurde und sich
insoweit - also bezogen auf den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 - erledigt hat (siehe oben). Der Bescheid vom 4.10.2005,
mit dem die Leistung für diesen Zeitraum wiederum neu geregelt wurde, ist zwar nach §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. SG und LSG haben ihn allerdings faktisch nicht in das Verfahren einbezogen, was von dem Kläger und dem Beklagten im Revisionsverfahren
nicht gerügt worden ist. Die Nichtbeachtung eines Folgebescheids im Sinne des §
96 SGG stellt keinen in der Revisionsinstanz fortwirkenden und dort von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar (stRspr;
vgl nur BSG SozR 1500 § 53 Nr 2). Die auf den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 gerichtete Leistungsklage ist damit andererseits
unbegründet, weil der Bescheid vom 4.10.2005 mangels Verfahrensrüge bestandskräftig geworden ist (§
77 SGG).
Soweit es den (verbleibenden) Zeitraum von Januar bis September 2005 betrifft, misst sich die Begründetheit der Klage - anders
als das LSG meint - nicht an § 44 Abs 1 SGB X. Zwar hat es im Hinblick auf den bestandskräftigen Bescheid vom 3.1.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.3.2005
zu Recht angenommen, dass der zunächst ergangene Bescheid vom 11.5.2005 als Bescheid nach § 44 Abs 1 SGB X zu werten war, der Bescheid vom 3.1.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.3.2005 wurde jedoch durch den im
laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom 8.8.2005, der Leistungen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2005
ablehnt und damit die Möglichkeit zur Anfechtung neu eröffnet, insgesamt ersetzt (siehe oben).
Ob die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 19 Abs 2, 41 ff SGB XII (jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts
in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) für den Zeitraum von Januar bis September 2005 gegeben sind, kann hier
dahingestellt bleiben, weil ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung, auf den die Klage beschränkt wurde, schon
mangels Bedarfs ausscheidet. Nach § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003) umfassen die Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
entsprechend § 29 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 bzw für die Zeit ab 30.3.2005 in der Fassung des Gesetzes
zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - BGBl I 818). Nach § 29 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz
1 SGB XII werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht. Nach dem Wortlaut von § 42 Satz 1 Nr
2 iVm § 29 SGB XII kommt dabei nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als Hilfebedürftigkeit begründender
Bedarf in Betracht, wenn - wie hier - eine volljährige hilfebedürftige Person mit nicht hilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten
Personen in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebt (BSG, Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 18/09 R - RdNr 15; BSG SozR 4-4200
§ 9 Nr 9 RdNr 14) und weder die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung
für Arbeitsuchende - (SGB II) noch einer Einsatzgemeinschaft nach dem SGB XII noch einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft
besteht, bei der mindestens eine Person dem System des SGB II und mindestens eine andere dem System des SGB XII zuzuordnen
ist (BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1).
So liegt der Fall hier. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, für den Senat bindenden (§
163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte der in Haushaltsgemeinschaft mit seinem Vater lebende volljährige Kläger keine
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, weil mangels Bindungswillens kein wirksamer Mietvertrag geschlossen wurde (§§
117 Abs
1,
133 Bürgerliches Gesetzbuch) und auch nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernsthaften Forderungen seines
Vaters ausgesetzt gewesen sei. Dem Senat ist es nicht gestattet, eine andere Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen,
weil er hierdurch im Ergebnis entgegen §§
162,
163 SGG eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen würde (vgl nur BSG, Urteil vom 22.9.1981 - 1 RJ 42/80). Die Beweislast für das Entstehen von Aufwendungen trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.