Höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Rahmen eines Zugunstenverfahrens
Anforderungen an eine Verfahrensrüge
Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch Erhebung einer Grundsatzrüge
Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
Gründe:
I
Im Streit sind im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der 1976 geborene, behinderte Kläger ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Er bewohnt im Stadtgebiet von F. eine Wohnung (monatliche
Kaltmiete 214,77 Euro zuzüglich monatlicher Nebenkosten in Höhe von insgesamt 91,53 Euro); bei Anmietung dieser Wohnung musste
er zusätzlich einen Stellplatz anmieten, für den Kosten in Höhe von 25,56 Euro monatlich anfielen. Die Beklagte bewilligte
ua Leistungen der Grundsicherung für das Jahr 2012 (Bescheide vom 5.12.2011, vom 10.1. und vom 4.7.2012) und für das Jahr
2013 (Bescheid vom 14.1.2013). Ein Überprüfungsantrag betreffend diese beiden Jahre, den der Kläger damit begründete, er habe
wegen seiner Körpergröße einen abweichenden (höheren) Regelbedarf, und zudem seien auch die Stellplatzkosten als Kosten der
Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 13.9.2013; Widerspruchsbescheid vom 8.10.2013;
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.8.2014; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 10.12.2014).
Gegen das Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der Beschwerde. Zugleich beantragt er die Gewährung von Prozesskostenhilfe
(PKH) für die Durchführung dieses Verfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwalt F.. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache geltend und formuliert folgende Rechtsfragen:
"Folgt aus § 20 Abs 2 SGB X iVm §
2 Abs
2 SGB I, dass der Sozialhilfeträger jedenfalls dann, wenn eine Anknüpfungstatsache für einen abweichenden Bedarf - § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII - bekannt ist und wenn erkennbar ist, dass der Hilfeempfänger selbst nicht in der Lage ist, diesen Bedarf in geeigneter Weise
zu dokumentieren oder gar nachzuweisen, dass der Sozialhilfeträger verpflichtet ist, von Amts wegen und damit aus eigener
Initiative zu ermitteln, ob und in welchem Umfang der individuelle Bedarf zugunsten des Hilfeempfängers abweichend vom Regelsatz
festzulegen ist?
Sind die Kosten eines Stellplatzes, der zusammen mit der Wohnung, in der der Hilfeempfänger wohnt, angemietet werden musste
(einheitlicher Mietvertrag für Stellplatz und Wohnung) nur dann als Teil der Aufwendungen für Unterkunft anzuerkennen, wenn
der Hilfeempfänger die negative Tatsache, dass der Stellplatz nicht untervermietet werden kann, beweist, oder muss die Behörde
von Amts wegen ermitteln, ob der Stellplatz untervermietet werden kann?"
Beide Rechtsfragen seien von grundsätzlicher Bedeutung, weil gerade in der Praxis zu beobachten sei, dass Hilfeempfängern
immer umfassendere Obliegenheiten und oftmals auch regelrechte Beweislasten aufgebürdet würden. Hilfeempfänger in seiner Situation
- er verfüge nur über eingeschränkte kognitive Fähigkeiten - könnten diesen Anforderungen ohne Betreuer kaum nachkommen. Die
Beantwortung der Rechtsfragen ergebe sich auch nicht aus dem Gesetz, weil die einschlägigen Vorschriften (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [SGB I], § 20 SGB X und §§
13 bis
15 SGB I) nur allgemein gehalten seien. Das LSG habe die Fragen dahin beantwortet, dass weder von ihm nachgewiesen worden sei, dass
er den Stellplatz nicht habe anderweitig vermieten können, noch - bezogen auf den aus seiner Übergröße resultierenden abweichenden
Regelbedarf - Belege vorgelegt worden seien. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes im Bereich der Sozialhilfe bislang relativ selten thematisiert. Die Rechtsfragen
seien vorliegend auch klärungsfähig; denn die vom LSG angenommene Beweislastverteilung sei für seine Entscheidung tragend
gewesen. Hätte das LSG den Untersuchungsgrundsatz weiter ausgelegt, hätte es zu seinen Gunsten entschieden. Es habe an keiner
Stelle erkennen lassen, dass ein Anspruch auf einen abweichend bemessenen Regelsatz wegen einer besonderen Kleidergröße nicht
bestehen könne, bzw die Aufwendungen für den Stellplatz nicht dann zu den Kosten für Unterkunft und Heizung gehörten, wenn
der Stellplatz nicht anderweitig vermietet werden könne. Es spreche schließlich einiges dafür, dass er behinderungsbedingt
nicht dazu in der Lage gewesen sei, den besonderen Darlegungslasten nachzukommen. Schließlich habe ein entsprechender Bedarf
tatsächlich auch bestanden.
II
Die Beschwerde ist unzulässig, weil der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach
§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
- ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung
dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte
Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete
Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit)
sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht. Im Hinblick auf die erste Rechtsfrage stellt
der Kläger zwar eine Frage zum Umfang der Amtsermittlungspflicht der Behörde. Indes greift er damit eigentlich nur die Verfahrensweise
des LSG an. Er führt nämlich aus, das LSG habe den Anspruch im Wesentlichen mit dem Argument verneint, er - der Kläger - habe
keine Belege für höhere Kosten wegen Bekleidung vorgelegt, und wendet sich damit gegen die aus seiner Sicht verfahrensfehlerhafte
Behandlung der Sache durch das LSG, das von Amts wegen keine weitergehenden Ermittlungen zum Bekleidungsbedarf angestellt
hat. Verfahrensfehler bei der Entscheidungsfindung des LSG hat er aber nicht ausdrücklich geltend gemacht. Auf eine Verletzung
des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht durch das Gericht) könnte die Rüge zudem erfolgreich nur gestützt werden, wenn sich der Kläger auf
einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 SGG); er trägt aber schon nicht vor, dass überhaupt ein Beweisantrag gestellt worden sein soll, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt sei. Diese Anforderungen aus §
160 Abs
2 Nr
3 SGG können nicht dadurch umgangen werden, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend gemacht wird. Sollten mit seinem
Vortrag sinngemäß Fehler in der Beweiswürdigung des LSG gerügt worden sein, bleibt nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung
in §
160 Abs
2 Nr
3 SGG die Rüge gestützt auf die Verletzung von §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gleichwohl ausgeschlossen.
Die grundsätzliche Bedeutung der weiteren Frage, ob die Kosten eines Stellplatzes nur dann als Teil der Aufwendungen für Unterkunft
anzuerkennen sind, wenn der Hilfeempfänger nachweist, dass der Stellplatz nicht untervermietet werden kann, ist ebenfalls
nicht dargelegt. Ob auch insoweit im Kern bzw zum Teil lediglich die Ermittlung des Sachverhalts durch das LSG und seine anschließende
Beweiswürdigung gerügt ist oder ob mit der Beschwerde als grundsätzliche Frage ausreichend deutlich die Frage nach der Verteilung
der Beweislast bezüglich des Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzungen formuliert ist, kann dahinstehen. Um die
Klärungsfähigkeit dieser Frage im Einzelfall nachvollziehbar zu machen, hätte zunächst ausgehend von der Rechtsprechung des
BSG zu der Frage, in welchen Fällen die Kosten für einen Stellplatz übernahmefähig sind (vgl bereits BSGE 97, 231 ff RdNr 28 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2), dargelegt werden müssen, dass es vorliegend überhaupt auf eine Verpflichtung des Klägers
zur Kostensenkung durch Untervermietung ankommen kann. Erst dann würde sich die Frage stellen, inwieweit bezogen auf die Erfüllung
solcher Obliegenheiten Nachweispflichten bestehen. Der Kläger stellt zwar dar, dass die Wohnung nicht ohne den Stellplatz
anmietbar war und die Beklagte die Gesamtkosten seiner Wohnung auch unter Einschluss der Kosten für den Stellplatz für abstrakt
angemessen hält; er macht aber weder deutlich, weshalb die Kosten gleichwohl nach der zitierten Rechtsprechung nicht von vornherein
nach § 42 Nr 4 SGB XII iVm § 35 Abs 1 Satz 1 SGB XII übernahmefähig sind, noch, dass er im Einzelfall zur Absenkung der Kosten iS des § 35 Abs 2 Satz 1 SGB XII verpflichtet war.
Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
73a Abs
1 SGG, §
114 Abs
1 Zivilprozessordnung [ZPO]) bietet, ist dem Kläger auch keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung des Rechtsanwalts
(§
121 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.