Leistungen der Eingliederungshilfe
Substantiierung einer Grundsatzrüge
Über den Einzelfall hinaus klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Gründe:
I
Im Streit sind Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII); die Klägerin begehrt insoweit für die Zeit vom 2.10.2006 bis 30.4.2011 ein pauschales "Betreuungsgeld" für den Aufwand
ihrer Betreuung in einer Gastfamilie, in der sie bis zur Volljährigkeit als Pflegekind untergebracht war und nun weiterhin
lebt. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 1.3.2010; Urteil des Landessozialgerichts
[LSG] Niedersachsen-Bremen vom 26.6.2014).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Zugleich beantragt
sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung dieses Verfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwältin
S.. Sie trägt vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung; es stellten sich nämlich die Rechtsfragen,
ob zwischen ihr und ihrer "Betreuerin" eine Rechtsbeziehung bestehe, die die Gewährung von Eingliederungshilfe für Betreuungsleistungen
und Hilfestellung bei einem Aufenthalt in einer Gastfamilie dem offenen Leistungskatalog der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm §
55 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX) rechtfertige,
ob ihre Betreuerin Leistungen in einer (stationären) Einrichtung iS des § 13 SGB XII oder (ambulante) Dienstleistungen erbringe/erbringen könne,
ob der Sozialhilfeträger dieser möglicherweise bestehenden Einrichtung ohne abgeschlossene Vereinbarung iS des § 75 Abs 3 SGB XII Leistungen erbringen dürfe, weil dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten sei, und
ob das in der angefochtenen Entscheidung vermisste Leistungsangebot der Betreuerin iS von § 76 SGB XII bereits in der der Betreuerin erteilten Pflegeerlaubnis gesehen werden könne.
Die Rechtsfragen seien von grundsätzlicher Bedeutung, weil immer mehr junge behinderte Menschen nach Eintritt der Volljährigkeit
aufgrund emotionaler Bindungen und getragen von ihrem Willen, weiterhin in der vertrauten Umgebung zu leben, in ihrer ehemaligen
Pflegefamilie verblieben. Deshalb sei die Frage, ob die dadurch geschaffene faktische Lebenssituation auch ein sog faktisches
Vertragsverhältnis zu der Gastfamilie auslöse, von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Frage stelle sich auch, wenn eine solche
Gastfamilie "in analoger Anwendung von § 54 Abs 5 SGB XII" eine Einrichtung darstellen könne, die den Besonderheiten des Einzelfalls des betroffenen behinderten jungen Menschen entspreche,
deren Leistungsangebot durch die der Pflegefamilie erteilten Pflegeerlaubnis spezifiziert sei. Die Rechtsfragen seien klärungsbedürftig
und klärungsfähig. Rechtsfehlerfrei habe das Berufungsgericht zwar die personenbezogenen Voraussetzungen für die Gewährung
von Leistungen der Eingliederungshilfe für Betreuungsleistungen und Hilfestellungen beschrieben, diese als Leistung nach dem
offenen Leistungskatalog des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII angesehen und sei zutreffend davon ausgegangen, dass es sich um ein Leben in einer betreuten Wohnmöglichkeit gehandelt habe;
die vom LSG dargestellten Tätigkeiten der Betreuerin seien auch als der Eingliederung in die Gesellschaft dienend anzusehen.
Die Entscheidung verkenne aber, dass die Betreuerin nur ehrenamtlich gegen eine Vergütung von 360 Euro im Jahr tätig gewesen
sei und die gewährte Pflegestufe 2 nur einen wöchentlichen Aufwand von 15 bis 20 Stunden abdecke; daraus ergebe sich keinerlei
Verpflichtung der Betreuerin zur weitergehenden Betreuung rund um die Uhr. Solche Verpflichtungen ergäben sich erst aus den
zwischen ihr (der Klägerin) und der Betreuerin geschlossenen "faktischen" Verträgen (ähnlich dem Anwendungsbereich des §
611 Bürgerliches Gesetzbuch bei Nichtigkeit eines Arbeits- bzw Dienstverhältnisses). Damit scheide auch ein Kostenerstattungsanspruch nach §
15 Abs
1 Satz 4 2. Alt
SGB IX nicht von vornherein aus. Insbesondere das vom LSG vermisste Leistungsangebot der Betreuerin iS von § 76 SGB XII könne in der der Betreuerin unstreitig erteilten Pflegeerlaubnis gesehen werden. Es hätte deshalb nicht dahinstehen dürfen,
ob es sich bei der Gastfamilie um eine stationäre Einrichtung handele und der Beklagte auch ohne abgeschlossene Vereinbarung
iS des § 75 Abs 3 SGB XII Leistungen erbringen dürfe, weil dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich sei. Ferner macht die Klägerin
einen Verfahrensmangel geltend, weil das LSG die Betreuerin der Klägerin als "Einrichtungsträger" hätte beiladen müssen.
II
Die Beschwerde ist unzulässig, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung
(§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher
anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums
- angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus
Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine
Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete
Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit)
sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt wegen aller formulierten Rechtsfragen
jedenfalls an einer ausreichenden Darlegung zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage im Einzelfall. Klärungsfähig
ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit
- konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39; SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg
der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich
bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (dazu BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 31).
Die Klägerin hätte wegen der gestellten Rechtsfragen zunächst den Sachverhalt so schildern müssen, dass der Senat in die Lage
versetzt würde zu prüfen, inwieweit Ansprüche auf ein pauschales "Betreuungsgeld" als Leistungen der Eingliederungshilfe bestehen
könnten. Der zur Entscheidung stehende Sachverhalt ist jedoch an keiner Stelle wiedergegeben. Er erschließt sich auch aus
der (ihrerseits nur schwer verständlichen) inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LSG allenfalls bruchstückhaft.
Es ist aber nicht Aufgabe des Senats, Streitgegenstand und Sachverhalt selbst den Akten zu entnehmen und die Klärungsfähigkeit
ohne genaueren Vortrag zu prüfen.
Auch der Verfahrensmangel der fehlenden notwendigen Beiladung nach §
75 Abs
2 1. Alt
SGG ist nicht in der erforderlichen Form gerügt. Die Revision ist nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend
gemachte Verfahrensmangel kann (jedoch) nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist.
Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Nach der ersten Alternative dieser Vorschrift ist beizuladen,
wer an dem (zwischen Kläger und Beklagten) streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm
gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Klägerin macht zwar geltend, das LSG hätte die Betreuungsperson notwendig beiladen
müssen. Dies genügt für die genaue Bezeichnung des Verfahrensfehlers aber nicht. Auch die Frage, ob an dem streitigen Rechtsverhältnis
zwischen ihr und der Beklagten die Betreuungsperson derart beteiligt ist, dass die Entscheidung ihr gegenüber nur einheitlich
ergehen kann, setzt eine nachvollziehbare Schilderung des Sachverhalts und mindestens ansatzweise rechtliche Ausführungen
zur Beiladungspflicht voraus. Auch diese fehlen vorliegend.
Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
73a Abs
1 SGG iVm §
114 Abs
1 Zivilprozessordnung [ZPO]) bietet, ist der Klägerin auch keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung der
Rechtsanwältin (§
121 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.