Feststellung des Grads der Behinderung im Schwerbehindertenrecht; Analoge Anwendbarkeit der Mitwirkungspflichten für Sozialleistungen
Gründe:
I
Streitig ist die Anwendung der allgemeinen Vorschriften über die Mitwirkung der Leistungsberechtigten im Feststellungsverfahren
nach § 69 SGB X.
Bei der Klägerin war ein Gesamt-Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt (Bescheid vom 14.4.2008). Am 7.8.2009 beantragte
sie durch ihren Bevollmächtigten eine Überprüfung des Bescheids und eine neue Feststellung des GdB, weil unfallbedingt eine
chronifizierte und operativ zu versorgende Meniskusverletzung hinzugetreten sei.
Der Bevollmächtigte der Klägerin sandte trotz schriftlicher Aufforderung und anschließender Mahnung des Beklagten weder das
ihm übersandte Formular für den Neufeststellungsantrag zurück, noch begründete er den Überprüfungsantrag. Der Beklagte wies
ihn deshalb auf die Mitwirkungspflichten aus §
60 Abs
1 SGB I und die Folgen von deren Verletzung aus §
66 SGB I hin; er werde die beantragte Feststellung nach dem
SGB IX versagen, wenn die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht weiterhin nicht nachkomme und bis zum 1.3.2010 nicht antworte. Auch
darauf reagierte die Klägerin nicht. Die Beklagte lehnte daraufhin die Erteilung eines Rücknahmebescheids nach § 44 SGB X ab (Bescheid vom 10.6.2010) und versagte die beantragte Neufeststellung nach §
66 SGB I iVm §
69 SGB IX (Bescheid vom 11.6.2010). Die Erfüllung der Mitwirkungspflicht der Klägerin stehe in angemessenem Verhältnis zur beantragten
Sozialleistung. Die Mitwirkung könne ihr zugemutet werden, zumal alle Möglichkeiten der Sachaufklärung von Amts wegen ausgeschöpft
seien. Den ebenfalls nicht begründeten Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Neufeststellung wies der Beklagte
als unbegründet zurück (Bescheid vom 26.1.2011).
Die dagegen von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage blieb ohne Erfolg (SG-Urteil vom 15.3.2012). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 20.6.2013) und dafür wie vor ihm
das SG §§
60 und
66 SGB I in analoger Anwendung herangezogen. Die Vorschriften seien nach ihrem Wortlaut zwar nicht unmittelbar anzuwenden; bei einer
Statusfeststellung der Versorgungsbehörden handele es sich nicht um eine Sozialleistung im Sinne des §
11 SGB I. Indes ergebe sich insoweit aus der Systematik des
SGB I eine Regelungslücke des Gesetzes, da auch Statusfeststellungen soziale Rechte verwirklichen könnten. Dies sei übersehen worden.
Bei vergleichbarer Interessenlage seien an anderer Stelle Spezialregelungen getroffen worden. Zudem sei die Interessenlage
bei der Bewilligung von Sozialleistungen und der Statusfeststellung wesentlich vergleichbar. Schließlich ergebe sich die Mitwirkungspflicht
der Klägerin ebenso aus dem allgemeinen, auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben.
Mit ihrer Revision weist die Klägerin darauf hin, andere Bundesländer wendeten §
66 SGB I im Unterschied zu Baden-Württemberg im Feststellungsverfahren nicht an. Das stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung
dar. Die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft sei nach der Rechtsprechung des BSG keine Sozialleistung. Die analoge Anwendung von §
66 SGB I sei zudem keineswegs eine Verwaltungsvereinfachung, sondern führe zu nichts. Einer fehlenden Mitwirkung des Antragstellers
könne durch eine Beweislastentscheidung ausreichend Rechnung getragen werden. Das Bedürfnis einer Analogie bestehe deshalb
nicht.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.6.2013 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.3.2012
sowie den Bescheid vom 11.6.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das LSG habe sich zutreffend auf eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten
gestützt. Die Versagungsentscheidung nach §
66 SGB I schütze den Antragsteller vor einer materiell bindenden Beweislastentscheidung und könne jederzeit behoben werden, wenn der
Antragsteller die Mitwirkungshandlung nachholt. Die Interessen der Klägerin erführen hierdurch einen größeren Schutz.
II
Die form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11.6.2010 ist zulässig.
a) Der Bescheid vom 11.6.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2011 konnte isoliert angefochten werden. §
54 Abs
4 SGG ist nicht anwendbar, weil die Beklagte die Feststellung eines höheren GdB gemäß §
66 SGB I versagt und damit in der Sache über die begehrte Feststellung nicht entschieden hat (vgl BSG SozR 1200 § 66 Nr 13).
b) Die Zulässigkeit der Klage scheitert darüber hinaus nicht an einer eventuell fehlenden Vertretungsbefugnis des Prozessvertreters
der Klägerin, eines Rentenberaters, in der Berufungsinstanz. Die Vertretungsbefugnis des in der Berufungsinstanz aufgetretenen
Rentenberaters ergibt sich allerdings nicht aus §
73 Abs
2 Nr
3 SGG.
Nach §
73 Abs
2 Nr
3 SGG sind Rentenberater vor dem SG und LSG nur vertretungsbefugt im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Abs 1 S 1 Nr 2 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG), im Schwerbehindertenrecht daher nur mit einem konkreten Bezug zu einer gesetzlichen Rente, wie die Vorschrift ausdrücklich
bestimmt (vgl BT-Drucks 16/3655 S 64 sowie iE Köhler, SGb 2009, 441, 444 mwN). Einen solchen Bezug des von der Klägerin geführten Schwerbehindertenverfahrens zu einem gesetzlichen Rentenanspruch
hat das LSG nicht festgestellt. Gleichwohl hat es angenommen, der von der Klägerin mit ihrer Prozessvertretung beauftragte
Rentenberater sei - aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit - als registrierter Erlaubnisinhaber nach
§ 3 Abs 2 Nr 1 Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz (RDGEG) nach dem Umfang seiner bisherigen Erlaubnis auch für isolierte Schwerbehindertenverfahren vor Gericht weiterhin vertretungsbefugt.
Er habe ua noch 1983 und 1993 unter der Geltung des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) eine Erlaubnis zum Tätigwerden als Rentenberater erhalten und ausgeübt. Diese habe nach dem Verständnis im Zeitpunkt der
Erteilung das Schwerbehindertenrecht stets auch ohne konkreten Bezug zur Rentenberatung eingeschlossen und gelte insoweit
fort (vgl Vogts, RV 2012, 205 ff; Hoechstetter, RBeistand 1998, 3 ff; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl 2001, § 1 RdNr 128 mwN; Casselmann, Rentenberatung und mündliches Verhandeln vor den Sozialgerichten, 4. Aufl 1990, S 69: historische
Zuständigkeit; aA LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.11.2012 - L 8 SB 2721/12 -, Juris mwN).
Die vom LSG zur Begründung seiner Rechtsansicht genannten Argumente überzeugen den Senat nicht vollständig. Dies gilt schon
für den argumentativen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, eine früher erteilte Erlaubnis als Rentenberater nach § 1 Abs 1 S 2 Nr 1 RBerG sei umfassend zu verstehen. Das BSG hat bereits im Einzelnen dargelegt, dass es Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Schutzzweck des RBerG gebieten, § 1 Abs 1 S 2 Nr 1 RBerG eng auszulegen. Das Tätigwerden des Rentenberaters muss demnach Renten betreffen (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 4 und Nr 7; bestätigt von BVerfG SozR 3-1300 § 13 Nr 6). Diese enge Auslegung der Vorschrift hindert eine fachübergreifende
Erstreckung der Erlaubnis des Rentenberaters auf ein Rechtsgebiet außerhalb der Rentenberatung, soweit diese nicht für eine
ordnungsgemäße Geschäftsbesorgung auf dem Gebiet der Rentenversicherung unverzichtbar ist (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 4). Zwar beziehen sich die Ausführungen des BSG in den zitierten Urteilen ausdrücklich nur auf eine Vertretung auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung. Sie sind aber
methodisch sinnvoll nicht auf diese Konstellation zu begrenzen, sondern können nur allgemein verstanden werden.
Auch die vom LSG angeführte - historisch begründete - Verzahnung des sozialen Entschädigungsrechts mit dem Schwerbehindertenrecht,
vgl §
69 Abs
1 S 3 und S 5
SGB IX, zwingt nicht zu einer weiten Auslegung des § 1 Abs 1 S 2 Nr 1 RBerG. Anders als das SchwbG bzw jetzt das
SGB IX enthält das BVG selbständige Anspruchsnormen für Rentenzahlungen (vgl Dau in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, BVG, vor § 9 RdNr 1 ff). Im Versorgungsrecht sind daher schon lange vor der Entstehung des Rentenberaterberufs Berater außerhalb der Kriegsopferverbände
tätig gewesen (Casselmann, RV 1982, 1, 3). Dieser Umstand erklärt, warum das Versorgungsrecht nach dem in den Materialien ausdrücklich geäußerten Willen des Gesetzgebers
(vgl BT-Drucks 8/4277) von der Erlaubnis zur Rentenberatung umfasst sein sollte. Für das Schwerbehindertenrecht lässt sich
ein solcher gesetzgeberischer Wille beim Erlass des RBerG dagegen ebenso wenig belegen wie für das Recht der Arbeitslosenversicherung (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 7; aA Hoechstetter, RBeistand 1998, 3 ff).
Für die lediglich akzessorische Einbeziehung des Schwerbehindertenrechts in die Vertretungsbefugnis von Rentenberatern (allg
zur Annexkompetenz vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 4) spricht schließlich maßgeblich die Nachfolgeregelung des § 10 Abs 1 S 1 Nr 2 RDG, die laut Gesetzesmaterialien ausdrücklich den Begriff der Rentenberatung aus dem geltenden Recht übernommen hat (vgl BT-Drucks
16/3655 S 63 f; aA Vogt, RV 2012, S 205, 206). Die Vorschrift erlaubt Rentenberatern, im sozialen Entschädigungsrecht einschränkungslos tätig zu werden, im Schwerbehindertenrecht
dagegen nur mit Bezug zu einer gesetzlichen Rente.
Zugunsten der Ansicht des LSG lässt sich lediglich anführen, dass die Gerichtspraxis die Erlaubnis, als Rentenberater tätig
zu werden, in der Vergangenheit offenbar vielfach weiter, im vom LSG angenommenen Sinne, verstanden hat (vgl Vogt, RV 2012,
205 ff; Hoechstetter, RBeistand 1998, 3 ff; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl 2001, § 1 RdNr 128 mwN).
Letztlich braucht der Senat nicht endgültig zu entscheiden, ob das LSG dem Umfang der konkreten Alterlaubnis, über die der
von der Klägerin beauftragte Rentenberater verfügte, zutreffend bestimmt hat. Dessen Prozesshandlungen sind in der Berufungsinstanz
schon wegen §
73 Abs
3 S 2
SGG bzw § 3 Abs
3 S 2 RDEG wirksam, weil das LSG ihn nicht zurückgewiesen hat. Vor dem BSG hat sich die Klägerin wirksam von einem Rechtsanwalt vertreten lassen.
2. Die isolierte Anfechtungsklage auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids ist unbegründet, weil dieser Bescheid rechtmäßig
war und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte hat ihn zu Recht auf §§
66 Abs
1 S 1 iVm 60
SGB I in entsprechender Anwendung gestützt (a) deren Voraussetzungen bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Versagungsbescheids (vgl BSG SozR 1200 § 66 Nr 13) auch vorlagen (b).
a) Die Vorschriften der §§
66 Abs
1 S 1 iVm 60
SGB I waren auf die von der Klägerin verlangte Erhöhung ihres GdB wegen einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nach §
69 Abs
1 S 1
SGB IX iVm § 48 SGB X entsprechend anwendbar. Nach §
66 Abs
1 S 1
SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen
oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der Sozialleistung beantragt,
seinen Mitwirkungspflichten nach den §§
60 bis
62,
65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird.
aa) Der Wortlaut von §
66 Abs
1 S 1
SGB I lässt es allerdings nicht zu, die Feststellung eines GdB bzw ihre Änderung unter den Begriff der Sozialleistung zu fassen.
§
11 S 1
SGB I definiert Sozialleistungen als die im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Demnach hat der Gesetzgeber
den Leistungsanspruch in Anlehnung an das allgemeine Schuldrecht in der Art eines Vermögenswerts ausgeformt (vgl Eichenhofer,
Interdependenzen in der sozialen Sicherung, S 13). Nach seiner Vorstellung soll Leistung jeder Vorteil sein, der nach den
Vorschriften des Sozialgesetzbuchs zur Verwirklichung sozialer Rechte dem einzelnen zugutekommen soll (Amtliche Begründung,
BT-Drucks 7/868 S 24). Allein der Erlass eines Verwaltungsakts nach § 48 SGB X iVm §
69 Abs
1 S 1
SGB IX, der einen höheren GdB des Adressaten feststellt, begründet noch keinen solchen - vermögenswerten oder vergleichbaren - Vorteil
für den behinderten Menschen. Der Schwerbehindertenausweis und (für GdB unter 50) der Feststellungsbescheid (nach dem
SGB IX) sind vielmehr bewusst als von konkreten Vorteilen unabhängige abstrakte Nachweise konstruiert. Die abstrakte Feststellung
der Schwerbehinderung bzw eines bestimmten GdB dient in einem ersten Schritt dazu, getrennt davon in einem zweiten Schritt
außerhalb des Schwerbehindertenrechts eine beinahe unübersehbare Vielfalt von konkreten Leistungsansprüchen aus zahlreichen
unterschiedlichen Vorschriften zu begründen (vgl BSG SozR 1200 § 66 Nr 13; BSGE 52, 168, 174 = SozR 3870 § 3 Nr 13; vgl BT-Drucks 10/3138 S 13). Zu diesem Zweck bindet sie andere Behörden (vgl BSGE 52, 168, 174 = SozR 3870 § 3 Nr 13), etwa als Grundlagenbescheid bei der Gewährung des Pauschbetrags für behinderte Menschen nach
§
33b EStG (vgl BFHE 145, 545). Erst die Erfüllung dieser Leistungsansprüche erfolgt durch Sozialleistungen. Die Feststellung schafft damit zwar die wichtigste
tatbestandliche Voraussetzung für die Leistungsgewährung, ohne diese aber selbst bereits zu bewirken.
Ebenso wenig ist die formelle Feststellung durch Verwaltungsakt bereits eine Sozialleistung im Sinne von §
11 SGB I. Der Erlass eines solchen feststellenden Verwaltungsakt kann zwar als eine Art atypische Dienstleistung verstanden werden
(vgl BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 RdNr 19). Insoweit ist allerdings zwischen dem Anspruch auf abstrakte Feststellung, den die Behörde
durch Erlass des Verwaltungsakts erfüllt, und den verschiedenen konkreten Leistungsansprüchen aus der Feststellung zu unterscheiden.
Erst die zur Befriedigung dieser Ansprüche gewährten Leistungen sind Sozialleistungen im Sinne des Gesetzes, weil erst sie
für den behinderten Menschen konkrete, zumeist vermögenswerte Vorteile begründen.
bb) Die Feststellung oder Änderung eines Grades der Behinderung ist zwar keine Sozialleistung (vgl oben aa). Die Vorschriften
über die Mitwirkung (§
66 Abs
1 S 1 iVm §
60 SGB I) sind darauf aber entsprechend anwendbar und wie eine Sozialleistung im Sinne dieser Vorschrift zu behandeln (für eine direkte
Anwendung Hamburg aaO; OVG Saarlouis Urteil vom 10.1.1980 - I R 119 und 126/79 - FEVS 29, 158; GK SchwbR, 2. Aufl 2000, §
39 RdNr 1 ff; ebenso für §
69 SGB IX Oppermann in: Hauck/Noftz,
SGB IX, K §
69 RdNr 16).
§
69 Abs
1 S 3
SGB IX trifft - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Sonderfall des Abs 1 S 2
SGB I - selbst keine Aussagen über das Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderung. Die Vorschrift verweist insoweit lediglich
auf das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), soweit nicht das 10. Buch Anwendung findet. Die früher allgemein für das Recht der Kriegsopferversorgung und der Schwerbehinderten
anzuwendende KOVVfG regelt in § 18 heute nur noch zwei hier nicht einschlägige Konstellationen der unterlassenen Mitwirkung des Antragstellers - die Verweigerung
des Einverständnisses zur Beiziehung von Unterlagen sowie die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung - und die darauf
gestützte Ablehnung aufgrund einer Beweislastentscheidung.
Das 10. Buch Sozialgesetzbuch, dort § 21 Abs 2 S 3 SGB X, auf das §
69 Abs
1 S 3
SGB IX ebenfalls verweist, lässt Raum für weitergehende Pflichten der Antragsteller, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken,
soweit Rechtsvorschriften dies vorsehen. Solche Rechtsvorschriften enthalten ua die §§
60 ff
SGB I, die damit die Mitwirkungspflichten des § 21 Abs 2 SGB X ergänzen und konkretisieren (Seewald in Kasseler Komm, RdNr
3 Vor §§
60-
67 SGB I). Für Statusfeststellungen gelten die §§
60 ff
SGB I, weil es sich insoweit nicht um eine Leistung handelt, nicht unmittelbar, sondern nur analog. Dies ergibt sich aus Folgendem:
§§
60 ff
SGB I stehen im 3. Abschnitt des 1. Buches. Dieser enthält die gemeinsamen Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche, die nach
den Vorstellungen des Gesetzgebers den einzelnen besonderen Büchern des Sozialgesetzbuches aufgrund der bestehenden Gemeinsamkeiten
in Rechten und Pflichten vorangestellt werden können und sollen, weil sie einheitlich in allen besonderen Sozialleistungsbereichen
zu gelten bestimmt sind. Einen wesentlichen Bestandteil der besonderen Regelungen zur Teilhabe behinderter Menschen im Zweiten
Teil des 9. Buchs Sozialgesetzbuch bildet die Statusfeststellung durch feststellenden Verwaltungsakt nach §
69 SGB IX, die das Fundament für alle einzelnen Teilhabeleistungen behinderter Menschen legt. Dieses Fundament darf daher bei der Beurteilung
der Frage, ob die Feststellung nach den allgemeinen Regeln wie eine Sozialleistung zu behandeln ist, nicht außer Acht gelassen
werden (Beraus, Behindertenrecht 2002, 148, 150).
Der Anspruch auf die genannte Statusfeststellung bzw ihre Änderung nach § 48 SGB X zugunsten des Statusinhabers ist Teil eines verfahrensrechtlichen Sozialrechtsverhältnisses (vgl Seewald in Kasseler Komm,
RdNr 11 vor §§
38-
47) zwischen dem antragstellenden Behinderten und der nach §
69 SGB IX für die Feststellung zuständigen Behörde. Es entsteht unmittelbar mit der Erfüllung der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale
von Gesetzes wegen (vgl §§
38,
40 SGB I sowie Eichenhofer, Sozialrecht, 5. Aufl 2004, RdNr 171; allgemein Remmert in: Ehlers, AllgVerwR, § 18 RdNr 9). Als Rechtsverhältnis,
in dem sich der Antragsteller und die Behörde als einander zu bestimmten Leistungen berechtigt und verpflichtet gegenüberstehen,
berechtigt es den Antragsteller dazu, die Feststellung der Behinderung zu verlangen und verpflichtet im Gegenzug die Behörde,
ihre Leistungspflicht durch feststellenden Verwaltungsakt zu erfüllen. Die Hauptpflicht der nach §
69 SGB IX zuständigen Behörde aus dem Verfahrensrechtsverhältnis zum behinderten Menschen besteht allerdings nicht in Geld-, Sach-
oder Dienstleistungen, die vielmehr von anderen Leistungsträgern erbracht werden, sondern allein in der formellen Statusfeststellung
per Verwaltungsakt. Trotzdem ist es sachlich geboten, zu dieser rein verfahrensrechtlichen Hauptpflicht dieselben Nebenpflichten
treten zu lassen, wie sie der Gesetzgeber in den vor die Klammer gezogenen Normen des dritten Abschnitts des ersten Buchs
allgemein für alle Sozialrechtsverhältnisse geregelt hat (vgl Schnapp, DÖV 1985, S 815; Krause, BlStSozArbR 1979, 145). Denn
das von §
66 Abs
1 S 1
SGB I der Sache nach geregelte Zurückbehaltungsrecht der Behörde bei fehlender Mitwirkung des Antragstellers fügt sich dabei für
das Recht auf Statusfeststellung bzw -änderung bruchlos in die Systematik der Vorschrift und des allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs
ein. Bei der Feststellung des GdB bzw bei seiner Überprüfung ist die Behörde regelmäßig - wie der Fall der Klägerin zeigt
- auf Angaben aus dem persönlichen Lebensbereich angewiesen, insbesondere über medizinische Tatsachen. Ohne Mitwirkung des
Antragstellers wird zumeist schon die ärztliche Schweigepflicht erfolgreichen Ermittlungen der Behörde über den Gesundheitszustand
des Behinderten entgegenstehen, vgl § 21 Abs 3 S 3 SGB X iVm §
383 Abs
1 Nr
6 ZPO. Es ist daher systemgerecht und konsequent, wenn §
60 Abs
1 S 1
SGB I als Ergänzung des Leistungsrechts des Behinderten das von §
69 SGB IX begründete Verfahrensrechtsverhältnis zur Behörde um Mitwirkungspflichten ergänzt und ihr bei deren Verletzung nach §
66 Abs
1 S 1
SGB I ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der von ihr geschuldeten Handlung, der Feststellung eines (höheren) GdB, einräumt.
Wie die Tatsachengerichte zutreffend betont haben, dient dies einerseits dazu, die Verwaltung angesichts knapper Ressourcen
von aufwendigen Beweislastentscheidungen zu entlasten und schützt andererseits den Antragsteller vor den Bindungswirkungen
solcher Entscheidungen. Sie reichen weiter als diejenigen einer Entscheidung nach §
66 SGB I, die gemäß §
67 SGB I leichter rückgängig zu machen ist. Dies verkennt die Klägerin, wenn sie das Bedürfnis nach einer Analogie mit dem Hinweis
auf die Möglichkeit einer Beweislastentscheidung verneinen will.
Es gibt zudem keine hinreichenden Rechtfertigungsgründe dafür, weshalb Antragsteller, deren Behinderungsgrad festzustellen
ist, geringere Mitwirkungspflichten treffen sollten, als wenn sie gestützt auf diese Feststellung Geld- oder Sachleistungen
beantragen. Dies gilt umso mehr, als die Änderung der Statusfeststellung Rechtsfolgen in vielen verschiedenen Rechtsgebieten
nach sich ziehen kann und damit oft weit bedeutsamer sein wird, als die Beantragung einer einzelnen Sozialleistung.
Umgekehrt wäre es schließlich der Verwaltung in Besserungsfällen, in denen sie die objektive Beweislast trägt, nur mit großen
Schwierigkeiten oder gar nicht möglich, rechtmäßige Zustände herzustellen, wenn der von einer rechtswidrig gewordenen überhöhten
Feststellung des GdB begünstigte behinderte Mensch seine Mitwirkung verweigert und seine Weigerung nicht die Folgen des §
66 SGB I auslösen kann (zutreffend SG Hamburg Urteil vom 21.6.1993 - 29 VS 113/93, das sogar eine direkte Anwendung befürwortet).
Die Gesetzgebungsgeschichte spricht ebenfalls für eine Analogie. Mit dem Erlass des
SGB I hat der Gesetzgeber eine Reihe weitergehender Mitwirkungspflichten entfallen lassen, wie zB die früher in § 7 Abs 1 S 1 KOVVfG aF geregelte Pflicht zur vollständigen Antragstellung und die von § 16 Abs 1 S 1 Abs 2 KOVVfG aF festgelegte Auskunftspflicht über Familien-, Vermögens- oder Einkommensverhältnisse oder vergleichbare Spezialregelungen
in anderen Leistungsbereichen. Er hat im Gegenzug die Mitwirkungsvorschriften im allgemeinen Teil des
SGB I in den §§
60 ff zusammengefasst und neu geregelt (vgl Dickmann, SGb 1975, 168 ff). Gestrichen wurde in diesem Zusammenhang insbesondere auch § 7 Abs 3 KOVVfG aF. Nach dieser Vorschrift konnte trotz Unvollständigkeit des Antrags nach Lage der Akten entschieden werden, wenn der Antragsteller
eine Aufforderung der Verwaltungsbehörde, seinen Antrag zu ergänzen oder zu begründen, trotz schriftlicher Fristsetzung und
entsprechendem Hinweis nicht beantwortet hatte. Diese Regelung bezweckte - ähnlich wie heute §
66 Abs
1 S 1
SGB I - ein vom Antragsteller eingeleitetes Verfahren, das wegen seines beharrlichen Schweigens trotz Rückfrage nicht weitergeführt
werden konnte, zum Abschluss zu bringen (vgl Schönleiter-Hennig, KOVVfG, 2. Aufl 1969, § 7 RdNr 8). Es gibt keinen Anhaltspunkt und keine inhaltliche Begründung dafür, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der
Mitwirkungstatbestände gerade im Schwerbehindertenrecht bewusst darauf verzichten wollte, die entfallende spezielle Mitwirkungsnorm
im allgemeinen Teil zu ersetzen. Vielmehr sollte das neu geschaffene
SGB I alle auf Dauer angelegten Sozialleistungsbereiche nach einheitlichen Grundsätzen einbeziehen. Dazu zählt das Schwerbehindertengesetz (SchwbG), das zunächst nach Art II §
1 Nr 3
SGB I als besonderes Buch des Sozialgesetzbuchs fortgegolten hat und später im
SGB IX aufgegangen ist.
b) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende
Anwendung des §
66 Abs
1 S 1
SGG iVm § 48 SGB X vor. Die Klägerin hat ihre Mitwirkungspflichten nach §
60 Abs
1 Nr
1 und
3 SGG nicht erfüllt. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt, die Tatsachen anzugeben und die Beweismittel zu bezeichnen, die
für die Leistung erheblich sind. Nach den Feststellungen des LSG will die Klägerin ihren Anspruch auf einen höheren GdB auf
eine angebliche unfallbedingte Meniskusverletzung stützen; dazu hat sie aber weder auf dem dafür vorgesehenen Antragsformular
noch sonst im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren irgendwelche weiteren Angaben gemacht, obwohl der Beklagte sie daran
mehrfach erinnert hat. Durch dieses schwer nachvollziehbare Verhalten hat die Klägerin dem Beklagten im Sinne von §
66 Abs
1 S 1
SGB I die erforderliche Aufklärung des Sachverhalts zumindest erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Nach den Feststellungen
des LSG hat der Beklagte die Klägerin zudem, wie es §
66 Abs
3 SGB I voraussetzt, ohne Erfolg schriftlich unter Fristsetzung auf die mögliche Leistungsversagung hingewiesen.
Einen Ermessensfehler der Beklagten beim Erlass des Bescheides vom 11.6.2010 hat das LSG ebenfalls zu Recht verneint, weil
der Beklagte das ihm von § 66 Abs 1 S 1 SGB X eingeräumte Ermessen der gesetzlichen Zielrichtung entsprechend ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht
überschritten hat, vgl §
39 Abs
1 SGB I. §
66 Abs
1 S 1
SGB I soll dem Leistungsträger eine unkomplizierte, rasche und rechtlich einwandfreie Erledigung seiner Aufgaben erleichtern bzw
ermöglichen. Zugleich soll damit erreicht werden, dass die Leistungsberechtigten ihre eigenen, rechtlich verbürgten Interessen
auch wirklich wahrnehmen, indem sie den ihnen zumutbaren Beitrag zur Realisierung ihrer Ansprüche leisten (Seewald in: Kasseler
Komm, 82. Ergänzungslieferung 2014, § 66 RdNr 2).
Ebenfalls zutreffend ist der Beklagte bei der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens davon ausgegangen, der Klägerin habe
im eigenen Interesse zugemutet werden können, ihre Mitwirkungspflichten aus §
60 Abs
1 S 1 Nr
1 und
3 SGB I durch - ohne großen Aufwand mögliche - nähere Angaben zur behaupteten Meniskusverletzung zu erfüllen.
Damit erweist sich der Versagungsbescheid insgesamt als rechtmäßig, weshalb der dagegen gerichteten Anfechtungsklage der Erfolg
verwehrt bleiben muss.
Die Revision war daher mit der Kostenfolge des §
193 SGG zurückzuweisen.