Feststellung eines Grades der Behinderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt der Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab Antragstellung im September 2012. Mit Urteil
vom 28.5.2020 hat das LSG den Anspruch verneint. Das SG sei zutreffend davon ausgegangen, dass beim Kläger die Behinderungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 30 erst ab
Januar 2015 nachgewiesen seien und sich die weiteren Behinderungen von jeweils 10 (Beinvenenthrombose und Harnröhrenstriktur)
nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkten. Die von dem Sachverständigen PD Dr. P in seinem im Berufungsverfahren auf Antrag
des Klägers nach §
109 SGG erstellten Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme mitgeteilte Intensität der psychiatrischen Leiden und deren Bewertung
mit einem GdB von jeweils 50 sei nicht nachvollziehbar.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der
Kläger hat den von ihm allein geltend gemachten Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG). Das LSG habe eine für ihn überraschende Entscheidung getroffen. Erst in der Urteilsbegründung habe das LSG auf Mängel im
Gutachten des Sachverständigen PD Dr. P hingewiesen, ohne ihm zuvor entsprechende Hinweise nach §
106 Abs
1 SGG zu erteilen. Es habe ihm damit die Möglichkeit entzogen, die gerichtliche Anordnung des Erscheinens des Sachverständigen
zur Erläuterung seines Gutachtens zu beantragen oder den Gutachter zu den Vorbehalten des Gerichts schriftlich zu hören.
Der Kläger versäumt es jedoch, den behaupteten Gehörsverstoß hinreichend substantiiert darzulegen. Der Anspruch der Beteiligten
auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise
leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - juris RdNr 6 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt
stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 19/18 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 26.1.2017 - B 9 V 72/16 B - juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 25.2.2016 - B 9 V 69/15 B - juris RdNr 11). Dies ist nach der Beschwerdebegründung aber nicht anzunehmen.
Hierzu hätte der Kläger aufzeigen müssen, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung habe
rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegen- über rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht
des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung
darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden
werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten
vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung
möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 22; Senatsbeschluss vom 24.8.2017 - B 9 SB 44/17 B - juris RdNr
8). Art
103 Abs
1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - juris RdNr 6; Senatsurteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - juris RdNr 26). Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass er nach dem bisherigen Prozessverlauf unter keinen Umständen mit der vom LSG
getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Hierzu hätte er unter Bezugnahme auf den Gang des Gerichtsverfahrens und das
Vorbringen der Beteiligten sowie unter Hervorhebung von Äußerungen des Berufungsgerichts darlegen müssen, dass die Entscheidung
des LSG nach dem bisherigen Sach- und Streitstand von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (vgl Senatsbeschluss vom 20.2.2019 - B 9 SB 67/18 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 12.3.2019 - B 13 R 273/17 B - juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 21.9.2006 - B 12 KR 24/06 B - juris RdNr 9). Dies hat der Kläger jedoch nicht getan. Vielmehr räumt er selbst ein, dass der Beklagte auch nach der ergänzenden schriftlichen
Stellungnahme des Sachverständigen PD Dr. P vom 25.10.2019 mit Schriftsatz vom 18.11.2019 erklärt habe, dass er sich dessen
Bewertung der gesundheitlichen Verhältnisse mit einem Gesamt-GdB von 50 seit September 2012 "weiter" nicht anschließen könne,
weil die von dem Sachverständigen erfolgte Bildung der Einzel- GdB für die psychiatrischen Erkrankungen sowie des Gesamt-GdB
von 50 nicht schlüssig sei und den Vorgaben der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung widerspreche. Der Kläger behauptet auch nicht, dass das LSG im Vorfeld der Entscheidung Äußerungen getätigt habe, aus denen
er entnehmen hätte können, dass das Urteil zu seinen Gunsten ausfallen werde. Ebenso wenig rügt er, dass das Berufungsgericht
sein Urteil auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt hat, zu denen er sich nicht äußern konnte (vgl §
128 Abs
2 SGG).
Im Übrigen sind die Tatsachengerichte nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken (Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - juris RdNr 17). Dass der Kläger vom LSG in der mündlichen Verhandlung darin gehindert worden sei, weitere aus seiner Sicht sachdienliche
Beweisanträge zu stellen, trägt er nicht vor.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.