Voraussetzungen die Zuerkennung des Merkzeichens aG
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt der Kläger noch die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) ab dem 8.5.2015.
Diesem Begehren hat das LSG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 27.5.2019 lediglich ab dem 6.2.2019 entsprochen, weil
die Voraussetzungen nach dem Gutachten des Dr. Ge. vom 13.2.2019 und entsprechend dem Teilanerkenntnis des Beklagten vom 13.3.2019
erst ab dem 6.2.2019 festgestellt werden könnten. Erst die zunehmende Beinnervenstörung mit mittlerweile auch Befall des rechten
Beines sowie die erstmals durch den Sachverständigen Dr. Ge. festgestellten erheblichen Funktionsstörungen im Bereich beider
Sprunggelenke rechtfertigten die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Dass dieser Gesundheitszustand entsprechend der Behauptung
des Klägers bereits im Februar 2018, also sechs Monate nach der neurologischen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr.
Gi. mit Gutachten vom 5.9.2017 vorgelegen habe, sei weder ersichtlich noch nachgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er rügt das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG, weil das LSG den vorliegenden Beweisanträgen nicht ausreichend nachgegangen sei, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
habe und die Entscheidung auf einer überlangen Verfahrensdauer beruhe.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
der ausschließlich behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
a) Bereits insoweit genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG, weil der Kläger den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt hat.
Seinen Schilderungen sind nur Teile der entscheidungserheblichen Tatsachen zu entnehmen. Eine Sachverhaltsschilderung gehört
jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes. "Bezeichnet" ist der Verfahrensmangel
noch nicht, wenn einzelne Sachverhaltselemente herausgegriffen werden und anhand dieser der behauptete Verfahrensmangel diskutiert
wird, sondern nur dann, wenn er in der Gesamtheit der ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird.
Denn das Beschwerdegericht muss sich bereits anhand der Beschwerdebegründung ein Urteil darüber bilden können, ob die geltend
gemachten Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - es als möglich erscheinen lassen, dass die angegriffene Entscheidung
darauf beruhe (vgl Senatsbeschluss vom 26.8.2019 - B 9 V 6/19 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 5).
b) Abgesehen davon genügt die Beschwerdebegründung aber auch im Übrigen nicht den Darlegungsanforderungen im Hinblick auf
die von ihr gerügten Verfahrensmängel.
Soweit der Kläger meint, die aus seiner Sicht überlange Dauer des Verfahrens in den beiden Vorinstanzen begründe einen Verfahrensmangel,
weshalb ein Verstoß gegen Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention vorliege, so übersieht er, dass sich die Rechtslage durch den Erlass des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren
und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) im Jahr 2011 grundsätzlich geändert hat. Falls Gerichtsverfahren unangemessen
lange dauern, kann dies inzwischen nach §
198 GVG einerseits einen eigenständigen Entschädigungsanspruch der Beteiligten begründen. Andererseits regelt Abs 3 der Vorschrift
für sie die Möglichkeit und die Obliegenheit, einer sich abzeichnenden überlangen Verfahrensdauer mit einer Verzögerungsrüge
vorzubeugen. Dieser mit einer vorbeugenden Verzögerungsrüge kombinierte Entschädigungsanspruch soll das Rechtsschutzproblem
überlanger Verfahrensdauer abschließend lösen und die Funktion richterrechtlich entwickelter Rechtsbehelfe übernehmen (vgl Senatsbeschluss vom 15.10.2015 - B 9 V 15/15 B - juris RdNr 9 mwN). Mit dieser geänderten Rechtslage setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie trägt weder vor, eine Verzögerungsrüge
erhoben zu haben noch einen Anspruch nach §
198 GVG bei dem dafür zuständigen Entschädigungsgericht eingeklagt zu haben. Noch weniger legt die Beschwerde dar, warum neben der
neu geschaffenen Entschädigungsregelung in §
198 GVG gleichwohl die Überlänge eines Gerichtsverfahrens noch einen Verfahrensmangel begründen könnte, der im vermeintlich überlangen
Ausgangsverfahren mit der Revision gerügt werden kann.
Ebenfalls nicht substantiiert dargelegt hat die Beschwerde den vermeintlichen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht.
Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärung rügen (§
103 SGG), muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist
(vgl Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 9 SB 37/19 B - juris RdNr 6). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht.
Der Kläger behauptet lediglich, das LSG sei den vorliegenden Beweisanträgen nicht ausreichend nachgegangen und habe sein Schreiben
vom 26.3.2019 nicht als Beweisantrag gewürdigt, obwohl er darin zum Ausdruck gebracht habe, dass er davon ausgehe, dass das
Merkzeichen "aG" ab dem 27.2.2018 zuzuerkennen sei. Damit hat der Kläger nicht einmal behauptet, dass er einen prozessordnungsgemäßen
Beweisantrag gestellt habe. Zur Darlegung eines prozessordnungsmäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags,
sondern auch aufgezeigt werden, über welche Punkte im einzelnen Beweis erhoben werden sollte. Merkmal eines Beweisantrags
ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Denn ein Beweisantrag hat in sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor
der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion
des Beweisantrags verfehlen Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind,
da es sich insoweit nur um Hinweise oder bloße Anregungen handelt (vgl BSG Beschluss vom 27.8.2015 - B 5 R 178/15 B - juris RdNr 9 mwN). Um die Warnfunktion zu aktivieren, muss ein rechtskundig vertretener Beschwerdeführer sein Beweisbegehren deshalb in der
mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen "Beweisantrag" iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG wiederholen und protokollieren lassen (§
122 SGG iVm §
160 Abs
4 Satz 1
ZPO). Wird ein Verfahren - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung entschieden, ist ein zuvor gestellter Antrag dann nicht
mehr aufrechterhalten, wenn sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären,
ohne den zuvor bereits formulierten Beweisantrag gleichzeitig zu wiederholen (vgl BSG Beschluss vom 5.3.2002 - B 13 RJ 193/01 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 74 mwN). Hierzu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen. Dies gilt auch hinsichtlich der geringeren Anforderungen, die das BSG an die Beweisanträge nicht rechtskundig vertretener Beteiligter vor dem LSG - wie beim Kläger - stellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/11 B - juris RdNr 8 ff mwN).
Die schließlich vom Kläger gerügte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach §
62 SGG, Art
103 GG hat er gleichfalls nicht substantiiert dargelegt. Um diesen Anspruch und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris RdNr 12) zu wahren, darf das Gericht seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit
dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen
bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl Senatsbeschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B - juris RdNr 20 mwN). Derartige Gesichtspunkte oder ein Vorbringen, an dem der Kläger gehindert gewesen sein könnte, legt er jedoch nicht dar.
Insoweit fehlt es auch an Vorbringen dazu, weshalb sich das LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung zu weiteren Beweisaufnahmen
hätte gedrängt fühlen müssen. Da der Kläger bereits den Sachverhalt nicht vollständig mitgeteilt hat, fehlt es auch an Ausführungen
dazu, welche Beweismittel insgesamt vorliegen und weshalb die bereits eingeholten Sachverständigengutachten nicht ausreichen
sollten, um die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen. Letztlich kritisiert der Kläger die vom LSG vorgenommene
Beweiswürdigung. Hierauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden, weil nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG gestützt werden kann.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.