Anspruch auf Gewaltopferentschädigung im sozialen Entschädigungsrecht; Kein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff
im Sinne des OEG bei Drohung mit ungeladener Schreckschusspistole
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Banküberfall Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen
Angriffs iS des §
1 Abs
1 Opferentschädigungsgesetz (
OEG) geworden ist.
Die 1985 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau bei einer Bank beschäftigt. Am 13.2.2009 wurde sie während ihrer Tätigkeit
bei einem Banküberfall von dem Täter (S.) mit einer ungeladenen, jedoch wie eine echte Schusswaffe aussehenden Schreckschusspistole
bedroht. S. richtete dabei die Waffe aus naher Entfernung deutlich sichtbar zunächst auf den Kollegen K. der Klägerin und
forderte diesen auf, Bargeld in die mitgebrachte Stofftasche zu packen und ihm zu übergeben. K. und die Klägerin, die an einem
Schreibtisch hinter dem Kundenschalter saß, gingen von der Echtheit der ihnen vorgehaltenen vermeintlichen Schusswaffe aus
und fürchteten um ihr Leben. Nach der Tat war die Klägerin zwei Wochen arbeitsunfähig krank und wurde psychologisch behandelt.
Aufgrund dieses Vorganges wurde S. vom Landgericht H. wegen schwerer räuberischer Erpressung nach §§
253,
255,
250 Abs
1 Nr
1b Strafgesetzbuch (
StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Der Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem
OEG blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010). Klage und
Berufung sind für die Klägerin hingegen erfolgreich gewesen (Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 23.4.2012 - S 2 VG 976/10 - und Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2012 - L 6 VG 2210/12).
Das LSG hat die beigezogenen Überwachungsvideos vom Banküberfall in Augenschein genommen und die Berufung des Beklagten gegen
den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten zuvor den Streitgegenstand übereinstimmend auf die Feststellung beschränkt hatten,
ob die Klägerin Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des §
1 OEG geworden ist. Das SG habe der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin am 13.2.2009 Opfer eines Banküberfalles geworden sei. Hierbei handele
es sich um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff (auch) gegenüber der Klägerin. Der Annahme eines tätlichen
Angriffs stehe nicht entgegen, dass S. hierbei "nur" eine Schreckschusspistole bei sich geführt und damit beide Bankangestellten
bedroht habe, weil es sich hierbei um eine täuschend echt aussehende Attrappe gehandelt habe. S. sei wegen schwerer räuberischer
Erpressung verurteilt worden, dh wegen eines erschwerten Falles einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Leib
iS des §
255 StGB. S. habe, wenn auch nicht durch unmittelbaren Körperkontakt, körperlich auf die Klägerin eingewirkt, da er sie durch die
gezielte Bedrohung zur Aufgabe ihrer Bewegungsfreiheit gezwungen habe. Hierzu habe er ein physisches Mittel eingesetzt, das
aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre. Mit dieser Waffe
habe S. ua auf die Klägerin gezielt; aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten habe kein Zweifel daran bestehen
können, dass S. bereit gewesen sei, mit der Waffe auf die Klägerin zu schießen. Für die Klägerin habe nicht nur aus deren
Sicht, sondern auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten akute Leibes- und Lebensgefahr bestanden,
die sich jederzeit hätte realisieren können. Es liege andererseits eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, würde
der mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe Bedrohte dem Schutz des
OEG unterstellt, derjenige aber, der auch aus Sicht eines vernünftigen Dritten derselben Gefahrenlage ausgesetzt ist und deshalb
zB beim Fluchtversuch oder einer Notwehrhandlung zu Schaden komme, vom Anwendungsbereich des
OEG ausgenommen (Urteil vom 13.12.2012).
Mit seiner Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von §
1 Abs
1 S 1
OEG. Bei der Drohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole und somit einer lediglich vorgetäuschten, vermeintlichen Gefährdungssituation
könne ein tätlicher Angriff nicht angenommen werden. Die vom Täter benutzte Waffe sei objektiv nicht geeignet gewesen, das
Leben oder die körperliche Integrität der Klägerin zu gefährden. Eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung
reiche insoweit nicht aus.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn
vom 23.4.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für rechtmäßig; die Revision schränke den Anwendungsbereich des §
1 OEG in unzulässiger Weise ein.
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das in der Berufungsinstanz reduzierte isolierte Feststellungsbegehren
der Klägerin, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG geworden ist, ist bereits unzulässig (dazu unter 1.). Aber auch die vor dem SG noch zulässig erhobene Klage ist unbegründet, weil die Klägerin am 13.2.2009 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriffs iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG geworden ist (dazu unter 2.). Die bloße Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole erfüllt die Voraussetzungen
eines tätlichen Angriffs nicht. Eine erweiternde Auslegung von §
1 Abs
1 S 1
OEG kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.2.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entsprechend waren der Gerichtsbescheid des
SG vom 23.4.2012 sowie das Urteil des LSG vom 13.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
1. Die Klägerin konnte ihr Begehren in der Berufungsinstanz nicht zulässig auf die isolierte Feststellung und Antwort auf
die Rechtsfrage beschränken, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG geworden sei.
a) Das SG hatte im Tenor seines Gerichtsbescheids noch festgestellt, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom
Folge eines tätlichen Angriffs sei. Im Berufungsverfahren stellte das LSG fest, dass es insoweit an ausreichenden Tatsachenfeststellungen
fehlte. Das LSG wies die Beteiligten hierauf hin und veranlasste sie, sich darüber zu einigen, dass streitgegenständlich lediglich
die Feststellung des schädigenden Ereignisses sein solle. Auf entsprechende Frage des Gerichts verzichtete die anwaltlich
vertretene Klägerin sodann insoweit auf die Rechte aus dem Gerichtsbescheid, als darin ein posttraumatisches Belastungssyndrom
festgestellt war.
Das LSG hätte in dieser prozessualen Situation in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen. Die Klägerin konnte ihre vor dem
SG ursprünglich zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§
54 Abs
1 S 1, §
55 Abs
1 Nr
3 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
55 RdNr 3b und 13) im Berufungsverfahren nicht in zulässiger Weise auf die isolierte Feststellung beschränken, sie sei am 13.2.2009
Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG geworden. Ihr Feststellungsbegehren kann weder auf §
55 Abs
1 Nr
3 SGG (dazu unter b) noch auf §
55 Abs
1 Nr
1 SGG (dazu unter c) gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des
OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach §
1 Abs
1 S 1
OEG.
b) Nach §
55 Abs
1 Nr
3 SGG kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit
oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Vorschrift ist ein Sonderfall der
grundsätzlich unzulässigen Elementenfeststellungsklage (vgl hierzu allgemein: Keller, aaO, RdNr 9 f und 13 mwN). Sie dient
der Klärung der haftungsbegründenden Kausalität, dh ob zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG bzw des sozialen Entschädigungsrechts und dem Eintritt eines Primär- oder Erstschadens ein hinreichender Kausal- bzw Zurechnungszusammenhang
besteht (vgl BSG Urteile vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R - BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5, RdNr 11 nach Juris und - B 9 V 45/97 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 6, RdNr 11 nach Juris). Der Senat hat zuletzt mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN) klargestellt, dass dies insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn die eingetretene
Gesundheitsstörung aktuell keinen Leistungsanspruch auslöst. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger
begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen (zB Heilbehandlung) sein (vgl auch Keller,
aaO, RdNr 13, 13a mwN). Vor diesem Hintergrund hätte für die Klägerin rechtlich keine Veranlassung bestanden, ihr Klagebegehren
zu reduzieren.
Eine isolierte Feststellungsklage kommt auf der Grundlage des §
55 Abs
1 Nr
3 SGG aber dann nicht in Betracht, wenn mit ihr nur die selbstständige Feststellung des Vorliegens anderer als in der Vorschrift
genannter Tatbestandselemente des geltend gemachten Anspruchs begehrt wird (vgl BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN). Die Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis (hier: der Tathergang des Banküberfalls)
ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG ist, kommt nur im Zusammenhang mit der Feststellung bestimmter Schädigungsfolgen in Betracht. Liegen solche erkennbar nicht
vor oder werden sie - wie vorliegend nicht (mehr) geltend gemacht - könnte die isolierte Feststellungsklage nur der Beantwortung
einer abstrakten Rechtsfrage dienen. Selbst wenn diese im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, könnte dies als bloßes Teilelement
der Voraussetzungen des §
1 Abs
1 S 1
OEG ohne Schädigungsfolgen keinerlei Ansprüche auslösen. Denn ein Vorgang, der keinen Körperschaden ausgelöst hat, führt nicht
zur "Haftung" des Staates (vgl BSG, aaO).
c) Ebenso scheidet eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §
54 Abs
1 und §
55 Abs
1 Nr
1 SGG aus (aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2007 - L 5 VG 15/05 - RdNr 25 Juris; vgl allgemein Keller, aaO, RdNr
13b). Nach §
55 Abs
1 Nr
1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden (vgl Keller, aaO, RdNr 4).
Ein derartiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht aber nicht bereits durch die bloße Feststellung der Vorfrage
zu §
1 Abs
1 S 1
OEG, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff in diesem Sinne vorgelegen hat. Zwar hat das BSG eine "isolierte" Feststellungsklage nach §
55 Abs
1 Nr
1 SGG für zulässig erachtet, wenn es um die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen geht, in denen vom Versicherungsträger
bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (§
8 SGB VII) oder einer Berufskrankheit (§
9 SGB VII) bestritten wird (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 12 f mwN; s auch Darstellung der Rechtsprechung bei Keller, aaO, RdNr 13b). Eine Übertragung
dieser Rechtsprechung auf die hier vorliegende rechtliche Konstellation im sozialen Entschädigungsrecht scheidet aus den oben
genannten Gründen aus; die bloße Feststellung des schädigenden Vorgangs iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG begründet noch kein Leistungs- oder sonstiges Rechtsverhältnis nach dem BVG bzw sozialem Entschädigungsrecht.
Ob das LSG auf die Berufung des beklagten Landes den Gerichtsbescheid des SG aufheben und die Klage aus den genannten Gründen hätte abweisen können, nachdem es das Begehren der Klägerin selbst auf eine
- im vorliegenden Fall unzulässige - isolierte Feststellungsklage beschränken ließ, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls
hätte das LSG den Gerichtsbescheid aufgrund der festgestellten Tatsachen auch in der Sache aufheben und die Klage abweisen
müssen. Denn die Voraussetzungen des §
1 Abs
1 S 1
OEG und damit auch für einen Anspruch auf Versorgung liegen nicht vor (dazu unter 2.).
2. Die vom SG noch zu Recht für zulässig erachtete Klage war in der Sache materiell-rechtlich unbegründet, weil kein tätlicher Angriff
vorgelegen hat.
Nach §
1 Abs
1 S 1
OEG (in der Fassung vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung
in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung
erlitten hat. Zwar sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen
Opferentschädigungsanspruch auszulösen. Sowohl physische als auch psychische Gesundheitsschäden müssen jedoch auf einen "tätlichen
Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare
Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung
oder Schädigung reicht für einen tätlichen Angriff dagegen nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche
Folgen haben sollte.
a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung
unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl zB Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren
ärztlichen Eingriffen (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt
(vgl Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im
OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das
StGB geregelt ist (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im
Strafrecht zu den §§
113,
121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert (vgl BSG, aaO, RdNr 32 mwN). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen
Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als
einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff
nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11).
Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach der Senatsrechtsprechung schon immer
zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des 'tätlichen Angriffs' den schädigenden Vorgang iS des
§
1 Abs
1 S 1
OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt
hat" (BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18 [Stalking], RdNr 36; vgl auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73 [Mobbing]; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9 [Flucht vor Einbrecher]; s auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich
der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem
OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des §
240 StGB (vgl hierzu Fischer,
StGB, 61. Aufl 2014, §
240 RdNr
8 ff mwN) wird der tätliche Angriff iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt (vgl insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum
OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht
am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt iS des §
113 Abs
1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher
Kraft (vgl Fischer,
StGB, 61. Aufl 2014, § 113 RdNr 23; BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 36 mwN).
Der "tätliche Angriff" iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG setzt trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach §
125 StGB auch nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum (körperlichen) Widerstand fähiges
Opfer von Straftaten unter dem Schutz des
OEG steht (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 37 mwN).
Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, zB eines Vermögensdelikts, allein für die Annahme eines
"tätlichen Angriffs" iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG nicht aus (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, aaO, RdNr 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und zB seelische Gesundheitsschäden
davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen
abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl BSG, aaO, RdNr 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation
als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell
oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl
zuletzt: Beschlüsse vom 25.2.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. bzw 22.9.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht
wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher
Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b).
b) Soweit der Senat darüber hinaus einen "tätlichen Angriff" iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten
Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde
(vgl BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die im
Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen
lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 20).
Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil der Täter der Klägerin
lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund der aktuell
vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.7.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat
lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung
(Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (zB Drohung
mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation
im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder
als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung
der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet
sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht.
Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung
ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich. Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens
eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische
Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen Angriffs" iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf
einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung
nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch,
somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem
OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 mwN) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten
Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl insgesamt: BSG, aaO, RdNr 47 mwN zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus §
1 Abs
1 S 1
OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche (vgl hierzu allgemein: BSG, aaO, RdNr 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235).
c) Entscheidend für einen Anspruch nach §
1 Abs
1 S 1
OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge
eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.9.2014 bzw 22.9.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits
angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen
Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen
"Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob
eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen
Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem
Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich iS von §
1 Abs
1 S 1
OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat.
Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein
auf einer intellektuell bzw psychisch vermittelten Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten)
Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen bzw Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt
keinen tätlichen Angriff iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG dar (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 44 mwN; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).
d) Vor allem die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des §
1 Abs
1 S 1
OEG lässt nach dem Verständnis des Senats eine Erstreckung der Opferentschädigung auf die bloße Drohung mit Gewalt ohne Vorliegen
eines tätlichen Angriffs nicht zu. Bereits nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.5.1974 war der bestimmende Grundgedanke
für die Schaffung des
OEG der Umstand, dass Gewaltopfern ein Aufopferungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und damit dem Staat zustehen sollte, weil
es dieser nicht vermocht hat, die unschuldigen Opfer vor Gewalttaten zu schützen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10, 13). Damit sollte
der Staat für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung aus Solidarität für den von einer Gewalttat betroffenen
Bürger eintreten (BT-Drucks 7/2506 S 10; s auch BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 101 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 2/78 - BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1 mwN zur Gesetzesentwicklung; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40, 44 = SozR 3800 §
1 Nr 5; Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner,
OEG, 5. Aufl 2010, §
1 RdNr 1). Diese - auf Gewalt abzielende - inhaltliche Ausrichtung hat das Gesetz trotz einiger Erweiterungen seines Anwendungsbereiches
(vgl dazu Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012 §
1 OEG RdNr 2 bis 6) bis heute beibehalten und wird "von dem Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht getragen" (Entwurf
eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
OEG vom 17.3.2009, BT-Drucks 16/12273 S 6).
Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht
zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl zB Heinz, Zu neueren Entwicklungen
im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem
OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die
mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks
7/2506 S 10). In Anlehnung an §
113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen
zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter
im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens
fahrlässig gefährdet hat (BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl Rademacker, aaO, §
1 OEG RdNr 11).
Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie zB die §§
250,
253 und
255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach §
1 Abs
1 S 1
OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden (BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl auch
BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen.
Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung
gewesen ist (zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl Rademacker, aaO, §
1 OEG RdNr 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).
e) Auch das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom
17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997,
BGBl II 740) gebietet keine erweiternde Auslegung des §
1 Abs
1 S 1
OEG. Gemäß Art 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil
I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt: "Soweit eine Entschädigung nicht
in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere
Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen
ist." Hierzu hat der Senat bereits mit Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 48 f) ausgeführt, dass das Übereinkommen eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat"
nicht enthält (vgl auch Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14), sodass der bundesdeutsche
Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in §
1 Abs
1 S 1
OEG in zulässiger Weise von seinem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Ein weitergehender
Anspruch lässt sich aus dem Übereinkommen nicht ableiten. Zudem hat der Senat auch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber entsprechend
den Zielen des Übereinkommens unbenommen sei, über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfasste Fallgestaltung hinaus
auch Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des
OEG mit einzubeziehen (vgl BSG, aaO, RdNr 49 mwN).
f) Es ist dem Gesetzgebers vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen
engen Wortsinn des
OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten zB in einer
Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht. Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die Regelungen
im
OEG im Hinblick auf die Opfer von Straftaten nicht mehr zeitgemäß seien und unter Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt
aktualisiert werden müssten (vgl hierzu insbesondere die umfassenden Ausführungen von Brettel/Bartsch, Staatliche Opferentschädigung
nur bei Gewalttaten? Zum Anwendungsbereich des
Opferentschädigungsgesetzes, MedSach 2014, 263 ff, 267 mwN), handelt es sich um rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber. Entsprechend ersten
Vorschlägen im Werkstattgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 24.6.2014 zur Reform des sozialen
Entschädigungsrechts gibt es im BMAS offenbar Überlegungen, dass zukünftig psychische Schäden in größerem Umfang vom Gesetzgeber
erfasst werden könnten (vgl Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 235 ff mwN). Sollte der Gesetzgeber den Tatbestand des §
1 OEG im Hinblick auf solche Kritik (vgl hierzu insgesamt die Darstellung bei Doering-Striening, aaO, ASR 2014, 231; Brettel/Bartsch, aaO, MedSach 2014, 263) erweitern wollen, empfehlen sich aus der Sicht der Rechtsprechung zugleich Überlegungen,
wie einer uferlosen Ausweitung von Opferentschädigungsansprüchen bei Erstreckung des
OEG auf bloße Drohung mit Gewalt und psychische Einwirkungen auf das Opfer durch jedwede Straftat anderweitig als durch das Kriterium
des tätlichen Angriffs entgegengewirkt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.