Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs
Rechtsstaatswidrige Inhaftierung in der ehemaligen DDR
Divergenzrüge
Begriff der Abweichung
Vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs (BSA)
wegen einer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung und dabei erfolgter Misshandlungen in der ehemaligen DDR im Jahr 1961.
Der Beklagte hat beim Kläger als Schädigungsfolgen wegen diverser körperlicher und seelischer Leiden zuletzt eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit (Grad der Schädigungsfolgen) von 80 anerkannt und ihm dem Grunde nach BSA sowie eine Ausgleichsrente
gewährt (Bescheide vom 20.6.2005 und vom 27.9.2005).
Die weitergehenden Anträge des Klägers, bei ihm im Wege des Zugunstenverfahrens als Schädigungsfolge auch einen Wirbelsäulenschaden
anzuerkennen und ihm höheren BSA zu zahlen, lehnte der Beklagte ab (Bescheide vom 28.3.2012 und vom 4.4.2012, Widerspruchsbescheide
vom 23.10.2012 und vom 24.10.2012).
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen könnten nicht überwiegend
wahrscheinlich auf äußere Einflüsse zurückgeführt werden. Unabhängig davon seien lediglich der Zeitraum der rechtsstaatswidrigen
Haft und nicht die anschließenden drei Jahre zu entschädigen, in denen der Kläger als Transportarbeiter und Gleisbauer gearbeitet
habe. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf höheren BSA. Es lasse sich nicht nachweisen, dass er beabsichtigt habe, ein
Fachhochschulstudium zu absolvieren und dafür bestimmte Dispositionen getroffen habe (Urteil vom 9.5.2017).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde erhoben. Das LSG habe die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
weder eine grundsätzliche Bedeutung (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, warum die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht.
Die Beschwerde möchte geklärt wissen, ob Zeiten der Arbeitsplatzbindung innerhalb einer Bewährungszeit eines Strafurteils,
welches vollständig aufgehoben und (durch das) der Kläger vollständig rehabilitiert wurde, entschädigungsrelevanter Zeitraum
iS des § 21 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 StrRehaG sind.
Indes legt sie nicht dar, warum es auf diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich ankommen
würde. Der Kläger verlangt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenleiden als weitere Schädigungsfolge. Diese Leiden lassen sich
indes zur Überzeugung des Berufungsgerichts schon nicht überwiegend wahrscheinlich überhaupt auf äußere Einflüsse zurückführen.
Diese auch von der Beschwerde referierte tatsächliche Feststellung (auf S 17 des LSG-Urteils) bindet den Senat nach §
163 SGG, weil der Kläger sie nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat. Damit erschließt sich nicht, warum es trotzdem noch auf die
vom Berufungsgericht ausdrücklich unabhängig davon angestellte Erwägung ankommen könnte, die schwere körperliche Arbeit des
Klägers direkt nach der Haft sei von vornherein nicht als mögliche entschädigungsrelevante Ursache zu berücksichtigen.
2. Auch die für eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) notwendigen Voraussetzungen legt der Kläger nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz
darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in
der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und aufzeigen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen
(vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Das LSG muss einen eigenen, von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt haben; alleine eine fehlerhafte Rechtsanwendung genügt nicht (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Diese Voraussetzungen legt die Beschwerde ebenfalls nicht dar.
Die Beschwerde zeigt bereits keine tragenden Rechtssätze des BSG und des LSG zur Berechnung des BSA auf, die im Grundsätzlichen unvereinbar sind. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Gegenüberstellung
von Zitaten des BSG und eigenen Rechtssätzen, die sie aus der Entscheidung des LSG abzuleiten sich für berechtigt hält. Gesetzliche Grundlage
für den vom Kläger begehrten BSA bilden noch § 30 Abs 3 und 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) aF sowie die zur Ausführung dieser Vorschriften erlassene Berufsschadensausgleichsverordnung. Wie sich aus der Übergangsvorschrift
des § 87 Abs 1 S 1 BVG ergibt, sind diese Normen für den Kläger in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung anwendbar, weil er BSA erstmals bereits
vor dem 1.7.2011 beantragt hat (vgl Dau in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 87 BVG RdNr 4). Ohnehin beansprucht er eine rückwirkende Neufestsetzung seines BSA im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X, also wegen einer fehlerhaften Anwendung des bei der Erstfestsetzung seines BSA im Jahr 2005 geltenden Rechts.
Nach dem deshalb einschlägigen § 30 Abs 3 BVG (in der Fassung vom 21.3.2005 - aF) erhält ein rentenberechtigter Beschädigter, dessen Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer
Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, wegen des Einkommensverlustes BSA. Den Einkommensverlust definiert §
30 Abs 4 S 1 BVG aF als Unterschiedsbetrag zwischen dem - näher definierten - derzeitigen Einkommen und dem Vergleichseinkommen, das der Beschädigte
ohne die Schädigung wahrscheinlich erreicht hätte (vgl Dau in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012,
§ 30 RdNr 21 mwN). Das Vergleichseinkommen ergibt sich aus dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe,
der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und mit dem bisher betätigten
Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs 5 S 1 bis 6 BVG aF). Zur Bemessung des Einkommensverlustes fordern diese Vorschriften demnach eine Prognose des weiteren Berufswegs, wie
er ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich eingetreten wäre (vgl BSG Urteil vom 29.7.1998 - B 9 V 14/97 R - SozR 3-3642 § 7 Nr 1, S 2 f = Juris RdNr 13 mwN).
Das Berufungsurteil ist dieser Rechtsprechung gefolgt, indem es einen Vergleich zwischen den tatsächlich erzielten und den
prognostisch ermittelten (Einkommens)Werten des Klägers für erforderlich gehalten hat. Folgerichtig hat es geprüft, ob der
Kläger ohne die entschädigungspflichtige Inhaftierung voraussichtlich ein Fachhochschulstudium absolviert hätte und ihm deshalb
schädigungsbedingt ein höheres Einkommen entgangen ist (S 19 des LSG-Urteils). Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint.
An seine zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ist der Senat nach §
163 SGG gebunden, weil der Kläger dagegen keine Verfahrensrügen erhoben hat.
Die Beschwerde wirft dem LSG trotzdem vor, es habe den Prüfmaßstab des hypothetischen Werdegangs falsch angewendet. Denn es
habe bei der Bestimmung des BSA die ohne politische Verfolgung wahrscheinliche berufliche Position des Klägers nicht hypothetisch,
sondern rein tatsächlich ermittelt und sich dabei ausschließlich am festgestellten beruflichen Werdegang ausgerichtet. Die
Darlegungen der Beschwerde erschöpfen sich letztlich in einer Kritik an den Tatsachenfeststellungen und der Rechtsanwendung
des Berufungsgerichts im Einzelfall des Klägers. Dies reicht nicht aus, um eine grundsätzliche Divergenz aufzuzeigen. Die
inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.