Antragsbefugnis des Sozialhilfeträgers bei Gewaltopferentschädigung, Statthaftigkeit der Berufung bei einer Erstattungsstreitigkeit
zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die klagende Stadt vom Beklagten Erstattung von Heilbehandlungskosten verlangen
kann.
Der während des Revisionsverfahrens verstorbene Beigeladene wurde im Jahre 1991 Opfer einer Gewalttat. Er erlitt dabei Verletzungen,
die eine Krankenhausbehandlung erforderlich machten. Die Kosten hierfür übernahm zunächst die Klägerin aus Sozialhilfemitteln.
Mit Schreiben vom 16. März 1992 wandte sie sich an das Versorgungsamt Karlsruhe (VersorgA) und beantragte für den bisherigen
Beigeladenen, der als Nichtseßhafter nicht erreichbar war, Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (
OEG). Ferner bat sie um Erstattung der für die Krankenhausbehandlung gemachten Aufwendungen in Höhe von 3.453,63 DM. Der Antrag
der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Am 12. Juli 1994 stellte der bisherige Beigeladene beim VersorgA einen Antrag auf Leistungen nach dem
OEG und die Klägerin selbst machte erneut Erstattungsansprüche nach § 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geltend. Das VersorgA erkannte daraufhin mit Bescheid vom 13. Dezember 1994 "Narben am Rücken nach Messerstichverletzung"
als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 25 vH sowie einen Anspruch auf Heilbehandlung
für die Schädigungsfolgen ab 1. Juli 1994 an. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 28. März 1995 und Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1995 lehnte das VersorgA die Erstattung der Kosten für
die Krankenhausbehandlung mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht berechtigt, für den bisherigen Beigeladenen die Feststellung
von Ansprüchen nach dem
OEG zu betreiben. Erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger hätten nach § 91a
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) lediglich das Recht, im Rahmen bereits bestehender Versorgungsverhältnisse Anträge zu stellen.
Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat den Bescheid vom 28. März 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 1995 aufgehoben sowie den Beklagten verurteilt,
der klagenden Stadt die Kosten für die Heilbehandlung zu erstatten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Träger der Sozialhilfe hätten nach § 91a
BSHG das Recht, für einen Dritten die Feststellung von Sozialleistungen zu betreiben, unabhängig davon, ob der für die jeweilige
Leistung zu stellende Antrag materielle Voraussetzung für die Sozialleistung sei oder nicht. Die Zustimmung des Hilfeempfängers
sei nicht erforderlich.
Mit der - vom LSG zugelassenen Revision - rügt der Beklagte eine Verletzung des § 91a
BSHG und macht ua geltend: Der Anspruch auf Versorgung nach dem
OEG setze nicht nur die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes voraus, sondern auch einen Antrag des Gewaltopfers. Insoweit
stehe dem Berechtigten ein persönlichkeitsgebundenes Recht zu, das die freie Entscheidung darüber umfasse, ob und ggf wann
er einen Versorgungsantrag stellen wolle. Deshalb könnten Sozialhilfeträger nur Leistungen beanspruchen, die sich aus einem
bereits entstandenen Versorgungsanspruch herleiten ließen. Das gelte auch, wenn der Geschädigte zunächst von der Stellung
eines Antrages absehe und erst später von seinem höchstpersönlichen Recht Gebrauch mache. Im übrigen sei hier die einjährige
Schutzfrist nach § 60 Abs 1
Bundesversorgungsgesetz (BVG) bereits im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Berechtigten verstrichen gewesen, so daß die Klägerin mit dem von ihr
geltend gemachten Erstattungsanspruch keinen Erfolg haben könne.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. November 1996 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Januar
1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§
124 Abs
2
Sozialgerichtsgesetz >SGG<).
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die klagende Stadt kann von dem beklagten Land die Erstattung der für die Heilbehandlung des
bisherigen Beigeladenen im Jahre 1991 gemachten Aufwendungen verlangen.
Die revisionsgerichtliche Überprüfung der vorinstanzlichen Entscheidungen ist nicht etwa dadurch eingeschränkt, daß die Berufung
des Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG ganz oder teilweise ausgeschlossen wäre.
Soweit die Klägerin sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Einleitung eines
OEG-Verfahrens durch den Beklagten wendet, handelt es sich bei richtiger Auslegung des Klagebegehrens und des in erster Instanz
gestellten Prozeßantrags (vgl §
123
SGG sowie BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 §
205 Nr
65; Kummer, DAngVers 1984, 346, 362) um eine Anfechtungsklage (§
54 Abs
1
SGG). Der Beklagte hat nämlich die von der Klägerin über § 91a
BSHG anstelle des Sozialleistungsberechtigten betriebene Ingangsetzung des
OEG-Verfahrens gegenüber der Klägerin durch die - vom SG zu Recht als Verwaltungsakte angesehenen - Bescheide vom 28. März und 26. Juni 1995 abgelehnt. Dies ermöglicht die Erhebung
der Anfechtungsklage, auch wenn sich die Klägerin als Sozialhilfeträger und das beklagte Land als Versorgungsträger in der
Regel nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen. Anders ist es nämlich ausnahmsweise, wenn der Sozialhilfeträger
über § 91a
BSHG anstelle eines Sozialleistungsberechtigten tätig wird. Dann kann von dem - ansonsten gleichgeordneten - Versorgungsträger
ein Verwaltungsakt auch gegenüber einem Sozialhilfeträger erlassen werden (vgl BSGE 25, 66, 67), weil dieser für den Sozialleistungsberechtigten materiell-rechtliche Ansprüche geltend macht und der Träger der Versorgungsverwaltung
gegenüber dem Berechtigten durch Verwaltungsakt entscheiden müßte (vgl Schellhase/Jirasek/Seipp, BSHG-Komm 15. Aufl 1997, § 91a RdNr 17 mwN). Der Sozialhilfeträger ist generell befugt, im Wege der Prozeßstandschaft (vgl dazu Meyer-Ladewig,
SGG-Kommentar, 6. Aufl 1997, §
54 RdNr 11; BSGE 11, 295, 296; 25, 66, 68; BSGE 70, 72, 75 f = SozR 3-5910 § 91a Nr 1) mit der Klage die Aufhebung von Ablehnungsbescheiden und die Verurteilung zur Leistung zu
verlangen. Im vorliegenden Fall gab es für die Klägerin keinen Anlaß, auch die Verurteilung des Beklagten zur Leistung an
den bisherigen Beigeladenen zu beantragen, weil durch die Vorleistung der Klägerin (Übernahme der Kosten für die Krankenhausbehandlung)
der hier allein in Betracht kommende Anspruch des Berechtigten als erfüllt gilt (§ 107
SGB X).
Soweit die Klägerin die Erstattung der Aufwendungen für die Krankenhausbehandlung des bisherigen Beigeladenen verlangt, macht
sie einen eigenen Anspruch geltend. Er ist, weil sich die Klägerin und das beklagte Land insoweit gleichgeordnet gegenüberstehen,
mit der allgemeinen Leistungsklage (§
54 Abs
5
SGG) zu verfolgen (vgl dazu BSGE 72, 163, 164 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6; BSG SozR 3-2200 § 1304b Nr 3; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, RdNr 57 mit
zahlreichen Nachweisen). Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin auch Gebrauch gemacht.
Für die gewählte Klagenkombination bestanden keine Berufungsbeschränkungen. Zwar liegt der verlangte Erstattungsbetrag unter
10.000,- DM. Gleichwohl schloß dies die Zulässigkeit der Berufung insoweit nicht aus (vgl dazu §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
2
SGG). Denn die Klägerin verfolgt daneben - als Prozeßstandschafterin nach § 91a
BSHG - einen präjudiziellen Anspruch auf Aufhebung der Ablehnung von Leistungen nach dem
OEG, dessen Beschwerdewert über dem nach §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1
SGG für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Betrag von 1.000,- DM lag. Dies führt dazu, daß auch der - wie noch im einzelnen
ausgeführt werden wird - abhängige Anspruch auf Erstattung ohne Rücksicht auf dessen Beschwerdewert berufungsfähig war (vgl
dazu BSGE 14, 280, 281; BSG SozR Nr 14 zu § 149
SGG; BSG SozR 1500 § 146 Nrn 4 und 9 sowie §
144 Nr 33).
Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich aus § 104 Abs 1
SGB X iVm § 91a
BSHG.
Nach § 104 Abs 1
SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß die Voraussetzungen von §
103 Abs 1
SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit
der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt
hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung
eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.
§ 103
SGB X kommt nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht, weil der Anspruch des bisher Beigeladenen auf die ihm von der Klägerin gemäß
§§ 2, 37
BSHG gewährte Krankenhilfe nicht nachträglich entfallen ist. Derartige Leistungen der Sozialhilfe knüpfen an eine bestehende Notlage
an (vgl §§ 4, 5
BSHG), die nicht durch die nachträgliche Erbringung einer anderen Sozialleistung behoben werden kann (vgl näher Bundessozialgericht
>BSG<, Urteil vom 28. August 1997 - 14/10 RKg 11/96 -, vorgesehen zur Veröffentlichung in BSGE 80).
Die Klägerin war auch im Verhältnis zum Beklagten nachrangig zur Erbringung von Krankenhilfe verpflichtet (sog Systemsubsidiarität
der Sozialhilfe, vgl zB BSGE 70, 186, 194 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4) und hat diese Verpflichtung auch erfüllt. Daraus folgt jedoch allein noch nicht, daß der Beklagte
der Klägerin gegenüber erstattungspflichtig ist. Denn ein Erstattungsanspruch ist nicht schon zu bejahen, wenn der Sozialhilfeträger
Leistungen vor einem anderen Leistungsträger für einen Zeitraum erbracht hat, in dem auch dessen Leistungspflicht in Betracht
kommt (vgl BSGE 74, 36 ff = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 sowie BSG, Urteil vom 28. August 1997 - 10/14 RKg 11/96 - demnächst in BSGE 80). Erforderlich ist ferner, daß der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits zum gleichen Zeitpunkt
wie der nachrangig verpflichtete leistungspflichtig war (BSGE 74, 36 ff = SozR 3-1300 § 104 Nr 8). Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Dem steht nicht entgegen, daß nach dem
OEG einem Geschädigten Versorgungsleistungen nach §
1 Satz 1
OEG nur auf Antrag in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG zustehen und daß nach § 60 Abs 1 Sätze 1 bis 3 BVG die Beschädigtenversorgung frühestens mit dem Antragsmonat beginnt, es sei denn, der Antrag wird innerhalb eines Jahres nach
Eintritt der Schädigung gestellt oder der Beschädigte ist ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert. Dann verlängert
sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung.
Zwar hat der bisherige Beigeladene erst 1994 einen Antrag auf Versorgung nach dem
OEG gestellt. Das ist hier aber unschädlich. Denn es reicht als Voraussetzung für die in § 60
BVG bestimmten materiellen Folgen der Antragstellung aus, daß die Klägerin als Sozialhilfeträgerin am 16. März 1992 - dh innerhalb
eines Jahres nach Eintritt der Schädigung - bei dem Beklagten über § 91a
BSHG die Feststellung von Versorgungsleistungen für den Berechtigten beantragt hat. Hierzu war sie befugt, so daß - wie noch im
einzelnen auszuführen sein wird - rückwirkend für den Zeitraum, für den die Klägerin die Krankenhausbehandlungskosten übernommen
hat, eine Leistungspflicht des beklagten Landes nach den Vorschriften des
OEG entstanden ist.
Der Sozialhilfeträger, der Kosten übernommen hat, kann - wahlweise - einen Erstattungsanspruch nach § 104
SGB X geltend machen oder nach § 91a
BSHG die Feststellung der Sozialleistung betreiben (vgl BSG SozR 3-2500 § 58 Nr 4). Dies hat das BSG auch bereits für Vorläufervorschriften der konkurrierenden Ansprüche entschieden (vgl BSGE 16, 44, 46). § 91a
BSHG entspricht nämlich dem früheren § 1538
Reichsversicherungsordnung (
RVO). Diese Vorschrift war allerdings auf Leistungen aus der Sozialversicherung beschränkt. Die Beschränkung, die zunächst auch
in dem durch Art II § 14 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I, 1450) eingeführten § 91a
BSHG enthalten war, wurde allerdings durch Art 28 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) gestrichen, so daß Sozialhilfeträger seit dem 1. Januar
1984 die Feststellung aller - also auch versorgungsrechtlicher - Sozialleistungen betreiben können. Der Sozialhilfeträger
kann aber auch - wie hier - beide Wege gleichzeitig beschreiten, um die formellen Voraussetzungen für die Durchsetzung eines
Erstattungsanspruchs zu erfüllen. Dies ergibt sich aus Funktion und Zweck der Vorschrift.
§ 91a
BSHG räumt dem Sozialhilfeträger eine verfahrensrechtliche Befugnis ein: Er kann - ohne daß es der Mitwirkung des Sozialleistungsberechtigten
- hier: des Gewaltopfers - bedarf - durch einen Antrag bei dem zuständigen Leistungsträger ein Verwaltungsverfahren in Gang
setzen und alle Verfahrenshandlungen vornehmen, die ohne die Befugnis aus § 91a
BSHG nur der Berechtigte vornehmen könnte. Das gilt sowohl für das Verwaltungsverfahren als auch für einen evtl nachfolgenden
Prozeß. Gleichwohl bleibt der Hilfeempfänger Inhaber des Anspruchs auf die Sozialleistung, so daß der vorrangig verpflichtete
Leistungsträger grundsätzlich auch nur verurteilt werden kann, an den Anspruchsinhaber, dh den materiell Berechtigten, die
Leistungen zu erbringen (Fall einer sog Prozeßstandschaft, vgl zuletzt BSG, Urteil vom 1. Juli 1997 - 2 RU 32/96 -, HVBG-Info 1997, 2728, 2730). Die durch § 91a
BSHG eingeräumte Befugnis dient dazu, den Träger der Sozialhilfe von (weiteren) nachrangig zu erbringenden Leistungen gegenüber
dem Hilfeberechtigten zu befreien und - soweit er bereits Leistungen erbracht hat - deren Erstattung zu sichern (vgl BSGE
70, 72, 75, 76 = SozR 3-5910 § 91a Nr 1 mwN; BSGE 80, 93, 94 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24). Mit dem - auf diese Weise eingeleiteten - "Feststellungsverfahren" läßt sich also klären,
ob der Beklagte vorrangig leistungspflichtig und der jeweils Vorleistende erstattungsberechtigt ist (vgl auch Bayer VGH, FamRZ 1990, 1007). Denn erstattungsberechtigt iS des § 91a
BSHG ist nicht nur der Sozialhilfeträger, der Hilfe gewährt oder gewährt hat und der daraus einen Erstattungsanspruch aus § 104
SGB X herleiten kann, es genügt vielmehr, daß er einen Erstattungsanspruch nach § 104
SGB X haben kann, weil die Vorschrift sonst neben § 104
SGB X keine sinnvolle Ergänzung darstellen würde (vgl BSGE 80, 93, 94 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24 mwN). Dafür reicht die Einleitung des "Feststellungsverfahrens" aus, und es spielt keine Rolle,
daß der Hilfeberechtigte die Leistung bereits erhalten hat, sie deshalb nicht nochmals verlangen kann und durch die Vorleistung
des Trägers der Sozialhilfe an den Berechtigten die Leistung des endgültig Verpflichteten als erfüllt gilt (vgl § 107 Abs 1
SGB X sowie BSGE 70, 93, 96 = SozR 3-2400 § 26 Nr 5 sowie BSGE 16, 44, 46; 22, 240 f; 47, 281 f zu § 1511
RVO - alle zum früheren vergleichbaren Recht).
Der in § 91a
BSHG zugunsten des Trägers der Sozialhilfe verankerte Schutz des Nachrangigkeitsprinzips gilt auch, wenn der Träger der Sozialhilfe
die Feststellung von Sozialleistungen betreibt, deren Entstehung vom Willen des Berechtigten abhängig ist und es sich um Leistungen
handelt, zu deren materiell-rechtlichen Voraussetzungen - wie bei den Leistungen für Gewaltopfer (vgl §
1 Abs
1
OEG iVm § 60 Abs 1
BVG) - die Antragstellung durch den Berechtigten zählt. Insoweit wird das im sozialen Entschädigungsrecht
geltende Antragsprinzip (vgl dazu BSG SozR 3100 § 35 Nr 1; BSGE 61, 180 = SozR 3100 § 19 Nr 17; BSGE 63, 204 = SozR 3100 § 19 Nr 19) für den Zeitpunkt des Leistungsbeginns (vgl auch BSG SozR 3100 § 48 Nr 16; BSG SozR 3-3100 § 48 Nr
1 sowie BSG Breithaupt 1990, 836) zugunsten der Verwirklichung des Nachrangigkeitsprinzips durchbrochen. Damit hat die Einleitung
des Verwaltungsverfahrens durch einen Antrag des Sozialhilfeträgers die gleichen materiell-rechtlichen Folgen wie ein Antrag
des Sozialleistungsberechtigten, wenn dieser ihn zum gleichen Zeitpunkt gestellt hätte (vgl Mergler/Zink, BSHG-Komm, Stand April 1997, § 91a RdNr 6).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Die Klägerin hat mit Schreiben an den Beklagten vom 16. März 1992 wirksam innerhalb
der Jahresfrist des § 60 Abs 1
BVG Leistungen nach dem
OEG für den bisher Beigeladenen und die Erstattung der für diesen bereits erbrachten Leistungen beantragt. Der geltend gemachte
Erstattungsbetrag von 3.453,63 DM steht der Klägerin auch zu. Denn sie hat dem bisherigen Beigeladenen - wie unstreitig feststeht
- Krankenhausbehandlung in gleicher Höhe gewährt. Auch die weiteren Voraussetzungen (vgl BSGE 74, 36, 38 f = SozR 3-1300 § 104 Nr 8) für den geltend gemachten Erstattungsanspruch liegen vor, insbesondere ist der Beklagte seiner
vorrangigen Verpflichtung zur Gewährung von Heilbehandlung nicht rechtzeitig nachgekommen.
Dem steht die Entscheidung des BSG vom 23. Februar 1987 - BSGE 61, 180 = SozR 3100 § 19 Nr 17) nicht entgegen. Der Senat hat darin zwar angenommen, daß es dem Versorgungsträger grundsätzlich verwehrt
sei, von Amts wegen oder auf Antrag eines Dritten ein Aufklärungsverfahren nach dem
OEG einzuleiten, weil dem das Recht eines jeden Menschen entgegenstehe, über die Offenbarung persönlicher Verhältnisse aus dem
unverletzlichen Bereich der Entfaltung der Persönlichkeit selbst und allein zu bestimmen. Deshalb sei der Versorgungsantrag
des Geschädigten unverzichtbar. In dieser Entscheidung war aber ausdrücklich offen gelassen worden, ob das Persönlichkeitsrecht
des Gewaltopfers es ausschließt, daß ein Träger der Sozialhilfe über § 91a
BSHG anstelle des Sozialleistungsberechtigten die Einleitung eines
OEG-Verfahrens beantragt. Dies ist jedoch zu bejahen. Auch wenn der Antrag von einem Sozialhilfeträger gestellt wird, kann auf
die Persönlichkeitsrechte des Geschädigten ausreichend Rücksicht genommen werden. Denn die Versorgungsverwaltung hat bei der
Aufklärung des Sachverhalts die Datenschutzbestimmungen der §§ 67 ff SGB X zu beachten. Der Geschädigte und evtl auch die - zB mit ihm verwandten - Zeugen der Gewalttat haben ein Aussageverweigerungsrecht
(vgl § 21 Abs 3 Satz 3 SGB X iVm §
383 ff Zivilprozeßordnung >
ZPO<). Dagegen ist der Sozialleistungsberechtigte nicht allein deshalb schutzwürdig, weil er neben der - ihm bereits vom Sozialhilfeträger
gewährten - Krankenhausbehandlung keine weiteren Leistungen nach dem
OEG zu erwarten hat und deshalb keinen Antrag stellen will.
Der Senat ist schließlich durch den Tod des früheren Beigeladenen während des Revisionsverfahrens nicht gehindert, den Rechtsstreit
zu entscheiden. Eine Unterbrechung des Verfahrens nach §
202
SGG iVm §
239
ZPO ist dadurch nicht eingetreten. Das BSG hat bereits entschieden, daß bei analoger Anwendung des §
239
ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren Parteien iS dieser Vorschriften nur die Hauptbeteiligten sind, nämlich Kläger und Beklagter,
nicht aber Beigeladene, selbst wenn sie notwendig beigeladen worden waren (vgl BSGE 70, 72, 74 = SozR 3-5910 § 91a Nr 1). Durch den Tod des Berechtigten ist seine Beiladung obsolet geworden. Es bedarf deshalb keines
Aufhebungsbeschlusses. Der Senat muß auch nicht ermitteln, ob etwaige Rechtsnachfolger des Verstorbenen beigeladen werden
müßten. Die getroffene Entscheidung berührt deren materielle Rechtsstellung nicht. Im übrigen hat der bisherige Beigeladene
weitere Ansprüche nach dem
OEG bis zu seinem Tode offenbar nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193
SGG.