Anforderungen an die Revisionsbegründung nach § 164 Abs. 2 S. 3 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Immuntherapie mit autologen dendritischen
Zellen.
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an einem Kolonkarzinom. Er beantragte befundgestützt eine Behandlung
mit dendritischen Zellen (Antrag vom 21.5.2014). Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) mit der Begutachtung (Schreiben vom 22.5.2014). Sie unterrichtete den Kläger hierüber nicht. Der MDK meinte, die weder
unmittelbar lebensbedrohliche noch dem gleichzustellende Erkrankung sei mit einer Chemotherapie behandelbar. Die Beklagte
lehnte es daraufhin ab, die Immuntherapie zu bewilligen (Bescheid vom 12.6.2014, Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014). Das
SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.5.2016). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 21.2.2017):
Bei der Immuntherapie handele es sich um eine neue, bisher nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) empfohlene Behandlungsmethode
(§
135 Abs
1 SGB V). Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedürfe, liege nicht vor. Die Leistung gelte nicht nach §
13 Abs
3a S 6
SGB V als genehmigt. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers rechtzeitig innerhalb der Fünf-Wochen-Frist abgelehnt. Der Lauf dieser
Frist sei nach dem Wortlaut des §
13 Abs
3a S 1
SGB V allein daran geknüpft, dass eine gutachtliche Stellungnahme des MDK eingeholt werde. Zwar habe die Beklagte den Kläger hierüber
nicht - wie in §
13 Abs
3a S 2
SGB V gefordert - unterrichtet. Die Verletzung dieser Pflicht führe aber - anders als das BSG meine (BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33) - nicht dazu, dass die Drei-Wochen-Frist gelte.
Der Kläger rügt mit seiner vom LSG wegen Divergenz zugelassenen Revision eine Verletzung von §
13 Abs
3a S 6
SGB V.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 und das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Mai
2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
14. August 2014 zu verurteilen, ihm eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte rügt, die Revisionsbegründung genüge mangels hinreichender Angaben zum festgestellten Sachverhalt nicht den Anforderungen
des §
164 Abs
2 S 3
SGG.
Der 1. Senat hat dem Großen Senat (GrS) mit Beschluss vom 26.9.2017 - B 1 KR 3/17 R - (Juris) gemäß §
41 Abs
4 SGG folgende Fragen vorgelegt:
"1. Muss die Begründung einer zugelassenen Revision, mit der keine Verfahrensmängel gerügt werden, Tatsachen bezeichnen, die
den gerügten Mangel ergeben, insbesondere die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen angeben,
um den Anforderungen der Regelung des §
164 Abs
2 S 3
SGG zu genügen?
2. Erfordert die Begründung einer zugelassenen Revision, mit der keine Verfahrensmängel gerügt werden, nach der Regelung des
§
164 Abs
2 S 3
SGG, dass sie die Gründe aufzeigt, die nach Auffassung des Revisionsklägers aufgrund einer Auseinandersetzung mit den Gründen
der angefochtenen Entscheidung das Urteil unrichtig erscheinen lassen, ohne eigens Tatsachen zu bezeichnen, insbesondere ohne
die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen anzugeben?"
Der 1. Senat hält im Hinblick auf die im Anfragebeschluss näher dargestellten - offenen und verdeckten - Differenzen in der
Rechtsprechung verschiedener Senate zur Auslegung und Anwendung des §
164 Abs
2 S 3
SGG eine grundsätzliche Klärung der Anforderungen an eine Revisionsbegründung für erforderlich.
II
Der GrS entscheidet über den Vorlagebeschluss des 1. Senats wegen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung in seiner Stammbesetzung
nach §
41 Abs
5 S 1
SGG (dazu A.). Er fasst beide vom 1. Senat gestellten Fragen im Wege der Auslegung zu der (einen) Frage zusammen (dazu B.), ob
eine Revisionsbegründung bei Sachrügen den gesetzlichen Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG genügt, wenn neben der Stellung eines bestimmten Antrages und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufgezeigt
werden, die nach Auffassung des Revisionsklägers auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen? Die danach zulässige Vorlagefrage (dazu C.) beantwortet der GrS dahin,
dass 1. eine Revisionsbegründung bei Sachrügen den gesetzlichen Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG genügt, wenn neben der Stellung eines bestimmten Antrages und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufgezeigt
werden, die nach Auffassung des Revisionsklägers auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen, und 2. die Bezeichnung von Tatsachen bei Sachrügen kein formelles
Zulässigkeitserfordernis ist, sondern es der Bezeichnung von Tatsachen nur bedarf, soweit dies zum Verständnis der gerügten
Rechtsverletzung unerlässlich ist (dazu D.).
A. Der GrS entscheidet in der "Stammbesetzung" nach §
41 Abs
5 S 1
SGG mit insgesamt sechs ehrenamtlichen Richtern; je zwei aus den Kreisen der Versicherten und der Arbeitgeber, je einer aus dem
Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der
Versorgungsberechtigten und der behinderten Menschen im Sinne des
SGB IX.
1. Die Voraussetzungen des §
41 Abs
5 S 2 und S 3
SGG für eine erweiterte Besetzung des GrS sind nicht erfüllt. Diese sehen jeweils eine Mitwirkung weiterer ehrenamtlicher Richter
vor, wenn die für Vertragsarztrecht oder Angelegenheiten der Sozialhilfe und des
Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Senate dem GrS eine Rechtsfrage zur Entscheidung vorlegen oder von einer Entscheidung dieser Senate abgewichen
werden soll. Auch bei einer Grundsatzvorlage nach §
41 Abs
4 SGG wird die Besetzungsfolge des §
41 Abs
5 S 2 und 3
SGG ausgelöst, wenn die gesetzlich geregelten Kriterien erfüllt sind (Hauck in Hennig,
SGG, Stand Oktober 2015, §
41 RdNr 43; Roos in Roos/Wahrendorf,
SGG, 1. Aufl 2014, §
41 RdNr
29). Das ist jedoch nicht der Fall. Die in §
41 Abs
5 S 2 und S 3
SGG genannten Senate sind nicht Urheber der Vorlage. Eine objektive Divergenz zwischen den Rechtssätzen, die einerseits vom 1.
Senat und andererseits vom für das Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senat sowie dem für Angelegenheiten der Sozialhilfe und
des
Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen 7./8. Senat zu den Anforderungen an eine Revisionsbegründung nach §
164 Abs
2 S 3
SGG aufgestellt worden sind, besteht ebenfalls nicht. Zwar erwähnt der vorlegende Senat zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung
der Vorlagefragen auch Entscheidungen des 7./8. Senats (RdNr 12 f des Vorlagebeschlusses), mit deren Rechtsauffassung er nicht
vollständig übereinstimmt. Nach der Rechtsauffassung des 7./8. Senates wäre die Revision im Ausgangsverfahren jedoch im Ergebnis
in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Senat zulässig, da dieser Senat keine höheren Anforderungen an die Revisionsbegründung
stellt als der vorlegende 1. Senat; allenfalls stellt der 8. Senat geringere Anforderungen. Eine Abweichung ist nicht gegeben,
wenn lediglich die Begründung, aber nicht das Ergebnis der Entscheidung betroffen ist (BSGE 64, 202, 203 = SozR 4100 §
119 Nr 34 S 168; Voelzke in Schlegel/Voelzke, juris-PK
SGG, 1. Aufl 2017, §
41 SGG RdNr 28; Berchtold/Lüdtke in Lüdtke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl 2016, §
41 RdNr 13).
2. Eine erweiternde Auslegung des Wortlauts von §
41 Abs
5 S 2 und 3
SGG dahingehend, dass die dort geregelte besondere Besetzung bereits eintritt, weil die genannten Senate von der Entscheidung
des GrS "betroffen" sind, ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht möglich. Nach dem Wortlaut des §
41 Abs
5 S 2 und 3
SGG besteht die Betroffenheit, die die Besetzungsfolge auslöst, nur unter den geregelten formalen Kriterien der Urheberschaft
der Vorlage oder der Abweichung von der Rechtsprechung eines der genannten Senate. Für eine erweiternde Auslegung der Besetzungsvorschriften
besteht angesichts dieser klaren Regelung vorliegend kein Raum (vgl in diesem Sinne Hauck in Hennig,
SGG, Stand Oktober 2015, §
41 RdNr
44). Hier kann offenbleiben, ob die Anwendung von §
41 Abs
5 S 2 und 3
SGG aufgrund der besonderen Sachkunde der hinzuzuziehenden ehrenamtlichen Richter geboten ist, wenn es im Rahmen einer Grundsatzvorlage
wesentlich um Fragen aus dem Vertragsarztrecht und/oder der Sozialhilfe bzw des
Asylbewerberleistungsgesetzes geht (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
41 RdNr 4; Roos in Roos/Wahrendorf,
SGG, 1. Aufl 2014, §
41 RdNr 29; aA Hauck in Hennig,
SGG, Stand Oktober 2015, §
41 RdNr 44). Vorliegend geht es um eine prozessuale Querschnittsmaterie und nicht um eine Angelegenheit, die der spezifisch
materiell-rechtlichen Zuständigkeit dieser Senate zuzuordnen ist.
B. Der GrS hat das Verhältnis beider Vorlagefragen zueinander (hierzu 1.) sowie deren Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren
(hierzu 2.) zu beachten. Vor diesem Hintergrund ist eine Auslegung der Vorlagefragen erforderlich und zulässig (hierzu 3.).
1. Zwischen den beiden vom 1. Senat differenzierten Rechtsfragen besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Die Vorlagefragen
können nicht isoliert voneinander betrachtet werden.
Die vorgelegten Rechtsfragen differenzieren hinsichtlich der Begründungsanforderungen zwischen der Bezeichnung von festgestellten
Tatsachen (Rechtsfrage Nr 1) und der sonstigen (rechtlichen) Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils
(Rechtsfrage Nr 2). Der mit "ohne eigens" beginnende 2. Teil der Rechtsfrage Nr 2 enthält einerseits eine Abgrenzung, andererseits
eine Doppelung zur Rechtsfrage Nr 1. Die Antwort auf die Rechtsfrage Nr 1 nach der Erforderlichkeit und - bejahendenfalls
- dem Umfang der Bezeichnung der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen bestimmt sich
in Abhängigkeit und Wechselwirkung zu den Anforderungen an die rechtliche Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung.
Die vom 1. Senat gestellte erste Vorlagefrage nach den Anforderungen an den Tatsachenvortrag stellt sich lediglich als Teilaspekt
der Anforderungen an die Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung dar. Sie kann nicht losgelöst hiervon
beantwortet werden, denn die Darstellung der im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen ist im Ergebnis nur erforderlich,
soweit dies zum Verständnis der gerügten revisiblen Rechtsverletzung unerlässlich ist (zum Verhältnis der beiden Vorlagefragen
und ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren vgl auch B. Schmidt, NZS 2018, 102, 110).
2. Die vorgelegten Rechtsfragen sind nur in beschränktem Umfang entscheidungserheblich. Das zu klären ist Sache des GrS. Er
hat nicht die Aufgabe, Rechtsgutachten zu erstatten (vgl BSGE 102, 166 = SozR 4-1500 § 41 Nr 1, RdNr 26; Pietzner in Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, Stand Juni 2017, §
11 RdNr 68 mwN in Fn 153). Die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage muss grundsätzlich im Vorlagebeschluss
nachvollziehbar dargelegt werden (BSGE 102, 166 = SozR 4-1500 §
41 Nr 1, RdNr 26 ff, insbesondere RdNr 32; Voelzke in Schlegel/Voelzke, juris-PK
SGG, 1. Aufl 2017, §
41 RdNr 61). Der GrS hat bei der Auslegung der Vorlagefragen zu beachten, dass die Antwort auf die Vorlagefrage abstrakt-generell
sein muss, um einer Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dienen zu können. Der GrS
entscheidet nach §
41 SGG über Rechtsfragen (vgl zur Unabhängigkeit des insoweit zu bildenden "Obersatzes" vom einzelnen Anwendungsfall Berchtold/Lüdtke
in Lüdtke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl 2016, §
41 RdNr 8).
a) Die vorgelegte Rechtsfrage Nr 1 ist im Ausgangsverfahren - auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des vorlegenden
Senats - in der von ihm gewählten Formulierung nicht in vollem Umfang entscheidungserheblich. Denn es bedarf für eine Entscheidung
im Ausgangsverfahren keiner Entscheidung des GrS darüber, ob in der Revisionsbegründung überhaupt Tatsachen vorgetragen werden
müssen. Es fehlt der Revisionsbegründung nicht gänzlich an einer Darstellung der festgestellten Tatsachen. Entscheidungserheblich
ist aber, ob - letztlich weitergehend als die vom 1. Senat formulierte Vorlagefrage - eine vollständige (dh die gesamten Feststellungen
des Tatsachengerichts umfassende) Darstellung des festgestellten Lebenssachverhalts erforderlich ist. Eine in diesem Sinne
vollständige Wiedergabe des in der angefochtenen Entscheidung festgestellten entscheidungserheblichen Sachverhalts ist in
der Revisionsbegründung des Ausgangsverfahrens nicht erfolgt. Denn die Begründung enthält keine präzise Angabe der vom LSG
festgestellten Tatsachen hinsichtlich der Erkrankung des Klägers. Damit liegt jedenfalls nicht zu allen vom LSG selbst für
entscheidungserheblich gehaltenen Umständen eine vollständige Wiedergabe des Sachverhalts vor.
b) Die Frage im ersten Teil von Rechtsfrage Nr 2, ob die Begründung einer zugelassenen Revision die Gründe aufzeigen muss,
die das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen, ist nicht in vollem Umfang entscheidungserheblich. Der GrS hat
sich mit ihr daher nicht gesondert auseinanderzusetzen, sondern nur, soweit dies aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs mit
den Anforderungen an den Umfang des erforderlichen Tatsachenvortrages erforderlich ist.
Nach Auffassung des 1. Senats setzt eine Entscheidung in der Sache voraus, dass die Rechtsfrage Nr 2 zu bejahen ist. Er hält
bei ausschließlich materiell-rechtlichen Revisionsangriffen eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung
für erforderlich. Der 1. Senat könnte jedoch unter Zugrundelegung der von ihm gewählten Fragestellung unabhängig von der Antwort
auf die Rechtsfrage Nr 2 in der Sache entscheiden, da er die Revision insoweit für ausreichend begründet hält. Auch wenn die
Rechtsfrage Nr 2 entgegen seiner Auffassung zu verneinen wäre, müsste die Revision nicht verworfen werden. Denn die Revisionsbegründung
im Ausgangsverfahren ginge dann über die nach seiner Rechtsauffassung zu stellenden Begründungsanforderungen hinaus.
3. Der GrS beschränkt danach den ihm angefallenen Streitstoff auf den im Ausgangsverfahren erheblichen Kern, fasst ihn zusammen
und legt ihn wie folgt aus:
Genügt eine Revisionsbegründung bei Sachrügen den gesetzlichen Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG, wenn neben der Stellung eines bestimmten Antrages und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufgezeigt werden,
die nach Auffassung des Revisionsklägers auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen?
Zu dieser Auslegung der Vorlagefragen ist der GrS berechtigt. Der GrS ist bei der Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen
zwar an den Vorlagebeschluss gebunden und kann grundsätzlich keine andere oder zusätzliche Rechtsfrage entscheiden. Es liegt
aber in seiner Kompetenz, eine vorgelegte Rechtsfrage zu konkretisieren, zu präzisieren und ggf zu beschränken, wenn sie für
den Gegenstand des konkreten Rechtsstreits nicht in dem vorgelegten Umfang entscheidungserheblich ist (vgl BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 6; BSGE 80, 24, 28 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 20 = Juris RdNr 15 zu einer Grundsatzvorlage; außerdem BGHZ 126, 63, 69 f = NJW 1994, 1735, 1736; BGHSt 19, 206, 209; 41, 187, 192 f = NJW 1996, 402, 403; BGHSt 61, 221, 222 = NJW 2017, 94, 95; BFHE 176, 267, 272 = NJW 1995, 1311; Pietzner in Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, Stand Juni 2017, §
11 RdNr 72; Voelzke in Schlegel/Voelzke, juris-PK
SGG, 1. Aufl 2017, §
41 SGG RdNr 87).
C. Die im dargestellten Sinne ausgelegte und verstandene Vorlagefrage ist auch im Übrigen zulässig (hierzu 1.) und die Grundsatzvorlage
ist insbesondere nicht durch den Vorrang der Divergenzvorlage gesperrt (hierzu 2.).
1. Nach §
41 Abs
4 SGG kann der erkennende Senat dem GrS eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung (hierzu [b)]) zur Entscheidung vorlegen, wenn
das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist
(hierzu [a)]). Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Ob die Vorlage zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, ist bereits
nach dem Wortlaut der Vorschrift allein vom vorlegenden Senat zu entscheiden (vgl zum insoweit bestehenden Einschätzungsspielraum
BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 24). Der vorlegende Senat hat diese Voraussetzung bejaht.
b) Die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen unterliegt hingegen - als objektive Voraussetzung - der
Entscheidungskompetenz des GrS (BSGE 102, 166 = SozR 4-1500 § 41 Nr 1, RdNr 25; BSGE 62, 255, 258 = SozR 5050 § 15 Nr 35 S 117). Der zusammenfassend einheitlich zu beantwortenden Vorlagefrage kommt grundsätzliche Bedeutung
zu. Das Merkmal "grundsätzliche Bedeutung" hat im Kontext einer Vorlage nach §
41 Abs
4 SGG einen eigenen und über die Grundsätzlichkeit iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hinausgehenden Stellenwert. Der GrS ist vor allem dann zu einer Grundsatzentscheidung berufen, wenn "prozessuales Querschnittsrecht"
betroffen ist, wenn sich also prozessuale Grundfragen in mehreren Fachsenaten gleichermaßen stellen und eine frühzeitige,
Divergenzen verhindernde konzertierte Rechtsauslegung oder -fortbildung durch den GrS erforderlich erscheint (so Pietzner
in Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, Stand Juni 2017, § 11 RdNr 54; zum Ganzen auch BSG Vorlagebeschluss vom 10.3.2010 - B 3 KR 36/09 B - Juris RdNr 12). Demnach müssen zumindest Anhaltspunkte für unterschiedliche Auffassungen unter den Senaten vorliegen, die
bezogen auf das Ausgangsverfahren zu Divergenzen in der Rechtsprechung führen könnten, weil es anderenfalls für die Rechtsfortbildung
der Entscheidung des GrS objektiv nicht bedarf. Solche Anhaltspunkte für derzeit schon bestehende und zukünftig drohende Divergenzen
liegen vor und haben sich gerade in jüngeren Entscheidungen sogar verdichtet. Im Kern werden so unterschiedliche Anforderungen
an die Tatsachendarstellung in der Revisionsbegründung gestellt, dass eine einheitliche Rechtsanwendung gefährdet erscheint.
Für die Revisionskläger kann zumindest der Eindruck entstehen, der gebotene Umfang der Ausführungen zum Sachverhalt hinge
davon ab, welcher Senat über die Revision zu entscheiden hat. Das ist nicht hinnehmbar und lässt eine grundlegende Klärung
nach §
41 Abs
4 SGG geboten erscheinen.
Eine geschlossene und vollständige Darstellung des vom LSG festgestellten Sachverhalts in dessen Worten wird von keinem Senat
des BSG gefordert (so ausdrücklich BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - SozR 4-2600 § 163 Nr 1 RdNr 23, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 SF 3/16 AR - Juris RdNr 22). Mehrere Senate des BSG verlangen jedoch - anders als der vorlegende Senat -, dass in der Revisionsbegründung der wesentliche, vom Tatsachengericht
festgestellte Lebenssachverhalt zumindest kurz dargestellt wird. Der 13. Senat hält es für erforderlich, dass der Revisionsführer
in der Revisionsbegründung bezogen auf die behauptete Rechtsverletzung den "entscheidungsrelevanten Kernlebenssachverhalt
in eigenen Worten kurz wiedergibt" (BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 16 f). Der 4. Senat hat sich dem angeschlossen und führt aus, dass eine ausreichende Darlegung
der Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts neben einer kurzen Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgrundlagen
auch eine zumindest kurze Darstellung der für die behauptete Rechtsverletzung maßgeblichen tatsächlichen Gesichtspunkte des
entscheidungsrelevanten Lebenssachverhalts erfordert (BSG Urteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 25/15 R - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 14.12.2016 - B 4 AS 52/15 R - Juris RdNr 12). Auch der 14. Senat geht davon aus, dass eine kurze Darstellung des entscheidungsrelevanten Lebenssachverhalts
erforderlich sei (BSG Beschluss vom 30.1.2017 - B 14 AS 20/16 R - Juris RdNr 2 und zuletzt Urteil vom 24.5.2017 - B 14 AS 16/16 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 16 RdNr 15, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Der 5. Senat fordert grundsätzlich eine "vollständige" Darlegung des von der Vorinstanz festgestellten entscheidungserheblichen
Lebenssachverhalts iS einer Gesamtheit rechtlich relevanter Umstände (BSG Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 SF 3/16 AR - Juris RdNr 13). Erschöpfe sich das angegriffene Urteil im Wesentlichen in der Subsumtion abstrakt-genereller Vorgänge unter
eine Vorschrift des materiellen Rechts, reiche es allerdings aus, wenn die Revisionsbegründung die vermeintlich fehlerhafte
Rechtsanwendung auf abstrakt-genereller Ebene darlege (BSG Urteile vom 23.7.2015 - B 5 RS 9/14 R - Juris RdNr 13 und - B 5 RE 17/14 R - SozR 4-2600 § 22 Nr 22 RdNr 15 ff). In anderen Konstellationen verlangt der 5. Senat
aber - noch über die Darstellung des entscheidungserheblichen Lebenssachverhalts hinaus -, dass in der Revisionsbegründung
die im Hinblick auf die gerügte Rechtsverletzung gerade von der Vorinstanz und im angegriffenen Urteil festgestellten, entscheidungserheblichen
Tatsachen zutreffend mitgeteilt werden müssen und darauf eingegangen werden muss, an welcher genauen Stelle sie dem Urteil
zu entnehmen sind. Es sei nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen
(BSG Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - Juris RdNr 8; BSG Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7). An dieser Rechtsprechung hat der 5. Senat auf drei Anfragebeschlüsse des 12. Senats hin festgehalten und
sie weitergehend erläutert (BSG Beschlüsse vom 6.10.2016 - B 5 SF 3/16 AR - und - B 5 SF 4/16 AR - sowie vom 23.2.2017 - B 5 SF 5/16 AR).
Der 12. Senat verlangt, dass der Revisionsführer den für die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungsrelevanten, also
den vom LSG festgestellten Lebenssachverhalt in eigenen Worten kurz wiedergibt (BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 5 RdNr 11; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - SozR 4-2600 § 163 Nr 1 RdNr 20, auch für BSGE vorgesehen). Ggf müsse die Revisionsbegründung als Ergebnis eigener geistiger
Arbeit darlegen, welchen Umständen sie dem angefochtenen Urteil den mitgeteilten Sachverhalt entnehme (BSG Urteil vom 31.3.2017, aaO RdNr 22). Nur in Ausnahmefällen bedürfe es der Angabe, an welcher genauen Stelle dem angegriffenen
Urteil bestimmte Tatumstände zu entnehmen seien, wenn der festgestellte Lebenssachverhalt nicht ohne Weiteres erkennbar sei
und durch Interpretation des Urteils erst ermittelt werden müsse (BSG aaO RdNr 24).
2. Die Zulässigkeit der Grundsatzvorlage setzt auch nicht voraus, dass ein Anfrageverfahren nach §
41 Abs
3 SGG durchgeführt wird. Ein solches ist im Rahmen eines Vorlageverfahrens nach §
41 Abs
4 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht vorgesehen. Auch hätte der 1. Senat nicht statt der Grundsatz- eine Divergenzvorlage
anbringen müssen.
Wegen der Klärungs- und Beteiligungswirkung des formalisierten Anfrageverfahrens nach §
41 Abs
3 SGG und der Sonderregelungen bei der Besetzung nach Abs
5 ist eine Abgrenzung zwischen Divergenz und Grundsatzanrufung dahingehend geboten, dass die Anrufung nach Abs 4 die Divergenzvorlage
und das damit verbundene Anfrageverfahren nicht unterlaufen darf.
Ein "Unterlaufen" des formalisierten Anfrageverfahrens liegt hier jedoch nicht vor. Es bestehen - wie aufgezeigt - Anhaltspunkte
für entscheidungserhebliche Divergenzen zwischen der Auffassung des vorlegenden 1. Senats einerseits und den wiederum teilweise
untereinander abweichenden Auffassungen des 5., des 12., des 13. sowie des 4. und des 14. Senats. Da weiterhin die vom 12.
Senat mit Beschlüssen vom 27.4.2016 (B 12 KR 16/14 R und B 12 KR 17/14 R) und 29.6.2016 (B 12 KR 2/15 R) gegenüber dem 5. Senat eingeleiteten Anfrageverfahren keine eindeutige Klärung erbracht haben, wie sich aus dem Urteil des
12. Senats vom 23.5.2017 (B 12 KR 2/15 R) sowie aus dem Beschluss des 5. Senats vom 23.2.2017 (B 5 SF 5/16 AR) ergibt, ist das auf die Lösung eines Konfliktes allein zwischen zwei Senaten zugeschnittene Divergenzverfahren nicht hinreichend
geeignet, die im Interesse der Rechtssicherheit dringend gebotene Klärung herbeizuführen. Das hat der vorlegende 1. Senat
in seinem Vorlagebeschluss nachvollziehbar dargelegt. Dem folgt der GrS.
D. Der GrS beantwortet die Vorlage in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Sinne. Eine Revisionsbegründung genügt
bei Sachrügen den gesetzlichen Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG, wenn sie neben der Stellung eines bestimmten Antrages und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufzeigt,
die nach Auffassung des Revisionsklägers auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung diese als unrichtig erscheinen lassen. Die Bezeichnung von Tatsachen ist bei Sachrügen kein formelles Zulässigkeitserfordernis.
Der Bezeichnung von Tatsachen bedarf es nur, soweit dies zum Verständnis der gerügten Rechtsverletzung unerlässlich ist. Dies
folgt aus Wortlaut, Regelungssystem, Regelungszweck und der Entstehungsgeschichte der ausschließlichen Zulassungsrevision.
Es steht im Einklang mit der Rspr aller obersten Gerichtshöfe des Bundes zum Revisionsrecht.
1. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Bezeichnung von Tatsachen bei Sachrügen kein formelles Zulässigkeitserfordernis
der Revisionsbegründung. Es ist aber erforderlich, dass der Revisionskläger die Gründe aufzeigt, die nach seiner Auffassung
nach einer rechtlichen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung diese als unrichtig erscheinen lassen. Gemäß
§
164 Abs
2 S 1
SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision
zu begründen. Nach §
164 Abs
2 S 3
SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des
SGG vom 30.7.1974 (BGBl I 1625) muss die Begründung einer Revision einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm
und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Wortlaut differenziert zwischen
Verfahrens- und materiell-rechtlichen Rügen (Sachrügen). Er schreibt nur für die Rüge von Verfahrensmängeln vor, dass Tatsachen
bezeichnet werden müssen. Diese Differenzierung ist - wie der vorlegende 1. Senat im Vorlagebeschluss zutreffend ausgeführt
hat (RdNr 23) - damit zu erklären, dass das Revisionsgericht grundsätzlich gemäß §
163 SGG an die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen gebunden ist. Tatsachen, aus denen sich Verfahrensmängel
ergeben, lassen sich den getroffenen Feststellungen hingegen oftmals nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres entnehmen.
Schon nach dem aufgezeigten Wortlaut der Regelung des §
164 Abs
2 S 3
SGG bezweckt die Revisionsbegründung, frühzeitig Klarheit zu erzielen über Art, Umfang und Ziel der Revisionsangriffe. Hierzu
bedarf es einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Die Darstellung des Revisionsklägers
darf sich nicht in abstrakten formelhaften oder inhaltsleeren Allgemeinplätzen ohne Bezug zum angefochtenen Urteil erschöpfen,
sondern muss einen Fallbezug nach den Kriterien der revisionsgerichtlichen Prüfung haben. Es genügt nicht, wenn der Revisionsführer
etwa nur um Nachprüfung aller in der angefochtenen Entscheidung aufgeworfenen Rechtsfragen bittet oder die Rechtsauffassung
der Vorinstanz schlicht als unrichtig bezeichnet.
2. Es entspricht auch der Systematik des auf der Zulassung beruhenden Revisionsrechts und dem in diesem System maßgeblichen
Zweck der Regelung sowie der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art
19 Abs
4 S 1
GG), dass die Bezeichnung von Tatsachen bei Sachrügen kein formelles Zulässigkeitserfordernis der Revisionsbegründung ist, aber
eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung erfordert, dass der Revisionskläger die Gründe aufzeigt, die nach seiner Auffassung
auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung diese als unrichtig erscheinen
lassen. Für die Revisionsbegründung bedarf es der Bezeichnung von Tatsachen danach nur, soweit dies zum Verständnis der gerügten
Rechtsverletzung unerlässlich ist.
a) Rechtssystematisch sind die Begründungsanforderungen für die Revision (§
164 Abs
2 S 3
SGG) förmliche Zulässigkeitsvoraussetzungen. Mangelt es hieran, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen (vgl §
169 S 2
SGG). Die inhaltliche Unrichtigkeit der Begründung führt dagegen nicht zur Verwerfung der Revision, sondern zu ihrer Zurückweisung
als unbegründet. Die förmlichen Anforderungen an die Begründung sind durch ihren Zweck begrenzt, Inhalt, Umfang und Zweck
des Revisionsangriffs innerhalb der Begründungsfrist klarzustellen. Die Beachtung dieses Zwecks sichert, dass es nicht zu
einer Verlagerung der Prüfung der Begründetheit in die Prüfung der Zulässigkeit der Revision kommt. Einer Wiedergabe der getroffenen
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bedarf es hierzu bei bloßen Sachrügen in aller Regel nicht. Die vorinstanzlichen
Feststellungen sind allen Beteiligten und dem Gericht aufgrund ihrer Kenntnis der angegriffenen Entscheidung bekannt. Ihre
Wiederholung in der Revisionsbegründung zu fordern, wäre eine bloße, unnötige Förmelei (vgl entsprechend BFH GrS BFHE 196,
39 = BStBl II 2001, 802 = Juris RdNr 73 mwN). Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Revisionsbegründung das Revisionsgericht vom eigenständigen
Lesen und Durchdringen des Urteils entlasten soll. Die Rechtsausführungen für die Sachrüge in der Revisionsbegründung müssen
lediglich verdeutlichen, wieso der Revisionskläger sich aus seiner Sicht durch die Rechtsanwendung der Vorinstanz verletzt
sieht. Die Rechtsausführungen hierzu müssen weder zwingend, überzeugend noch sonst richtig sein (vgl May, Die Revision, 2.
Aufl 1997, IV D RdNr 292 mwN). Nur ausnahmsweise kann es für das Verständnis der gerügten Rechtsverletzung unerlässlich sein,
in der Revisionsbegründung Tatsachen zu bezeichnen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es um eine Rechtsverletzung durch eine
abstrakte Norm geht, bei der bereits im Normtext tatsächliches Geschehen tatbestandsbildend ist (Beispiel: einzelne Fallgruppen
des §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII oder des venire contra factum proprium, §
242 BGB).
Dementsprechend unterscheidet das Regelungssystem hinsichtlich der Anforderungen für die Revisionsbegründung aufgrund der
unterschiedlichen Rechtsfolgen bei zulässiger Revision zwischen Sach- und Verfahrensrügen: Das Revisionsgericht überprüft
im Rahmen der Anträge vollständig eine sachliche, auch nicht gerügte Verletzung revisiblen Rechts der vorinstanzlichen Entscheidung
(vgl §
202 S 1
SGG iVm §
557 Abs
3 S 1
ZPO) und in den Grenzen der Revisionsanträge und der Anfallwirkung von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel (vgl
§
202 S 1
SGG iVm §
557 Abs
3 ZPO). Dagegen prüft es bei den nur auf Rüge berücksichtigungsfähigen Verfahrensmängeln bloß die innerhalb der Begründungsfrist
vorgetragenen Fehler.
Die dargelegten Grenzen der Anforderungen an die Revisionsbegründung mit der Sachrüge sichern rechtssystematisch zugleich
das Gebot, durch die Anforderungen an die Revisionsbegründung nicht die Bindung an die Revisionszulassung gemäß §
160 Abs
3 SGG zu unterlaufen. Würde - über die Begründungsanforderungen von §
164 Abs
2 S 3
SGG gleichsam durch die Hintertür - vom Revisionskläger bereits auf der Zulässigkeitsebene gefordert, darzulegen, dass etwa eine
vom LSG angenommene Abweichung von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG auch entscheidungserheblich ist, würde eine erneute Prüfung einer bereits bejahten Voraussetzung
gefordert. Diese Voraussetzung ist nach der gesetzlichen Konzeption für das BSG bindend mit der Zulassungsentscheidung bereits bejaht worden. Formerfordernisse - wie die Revisionsbegründung - dürfen aber
nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährleistung des Rechtsschutzes abhängt (vgl BVerfGE
88, 118, 126 f). Das Verfahren der Zulassung der Revision bezweckt bereits, revisionswürdige Verfahren für das Revisionsgericht herauszufiltern
(vgl Hennig,
SGG, Stand Juni 2017, §
160 RdNr 60; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 5 mwN; Berchtold/Lüdtke in Lüdtke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl 2017, §
160 RdNr 12). Das Erfordernis, die Revision zu begründen, dient nicht erneut diesem Zweck.
Ergibt sich schon aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, dass das Tatsachengericht von einer bestimmten höchstrichterlichen
Rechtsprechung abgewichen ist, und will der Revisionskläger nur diese Abweichung rügen, reicht es nach den dargelegten Grundsätzen
als Revisionsbegründung aus, wenn er diese Abweichung darstellt und im Übrigen darauf hinweist, dass er sich der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung anschließt (vgl BFHE 144, 40 = BStBl II 1985, 523 noch zu § 120 Abs 2 S 2 FGO aF).
b) Die Entwicklung des Regelungssystems und der sich hieraus ergebende Zweck der Revisionsbegründung mit der Sachrüge bestätigen
dieses Ergebnis. Die umfassende Einführung der Zulassungsrevision (vgl Art I Nr 20 iVm Art VI des Gesetzes zur Änderung des
SGG vom 30.7.1974, BGBl I 1625; Begründung des Gesetzentwurfs der BReg, BT-Drucks 7/861 S 9 f zu Art 1 Nr 13) mit ihrer Filterwirkung
und Ablösung der früher bestehenden zulassungsfreien Revision nach Gesetzesvorgaben (vgl zB §
162 Abs
1 Nr
2 und Nr
3 SGG idF vom 3.9.1953, BGBl I 1239, berichtigt BGBl I 1326) im
SGG - inzwischen im Einklang mit den Verfahrensordnungen aller anderen Gerichtsbarkeiten - hat die frühere Zweckrichtung des
Begründungserfordernisses einer Revision geändert. Ursprünglich diente das Begründungserfordernis dazu, das Revisionsgericht
zu entlasten (vgl zur Ursprungsfassung des §
164 SGG durch das
SGG vom 3.9.1953, BGBl I 1239, berichtigt BGBl I 1326, Gesetzentwurf der BReg einer Sozialgerichtsordnung [SGO] BT-Drucks I/4357
S 22 Nr
7, S 31 zu §
112, §
554 Abs
3 Nr
2 ZPO aF nachgebildet aufgrund des Gesetzes betreffend Änderungen der
ZPO vom 5.6.1905, RGBl S 536 und hierzu RT-Drucks Nr 782 vom 10.5.1905, Stenographischer Bericht 1903/05 Achter Anlageband S
4520 ff; zur entstehungsgeschichtlichen Entwicklung vgl umfassend BFH GrS BFHE 196, 39 = BStBl II 2001, 802 = Juris RdNr 72 mwN). Der Rechtsmittelführer sollte durch das Begründungserfordernis von aussichtlosen Revisionen abgehalten
werden. Die Entlastungsfunktion hat das umfassende System notwendiger Zulassung jeder Revision durch Gerichtsentscheidung
übernommen und verschärft, da nun ein Gericht die Revision zulassen muss. Ist dies durch Zulassung seitens des SG (Sprungrevision), des LSG oder des BSG auf Nichtzulassungsbeschwerde hin geschehen, ist das Rechtsmittel in aller Regel nicht völlig aussichtslos, sondern revisionswürdig
(vgl näher Groth, SGb 2017, 593). Die Zulassungsentscheidung darf dann nicht mehr durch unangemessene Anforderungen an die Revisionsbegründung unterlaufen
werden. Die Filterfunktion erfüllt die Begrenzung der Zulassungsgründe und das abgestufte Zulassungsverfahren der §§
160,
160a SGG.
c) Es entspricht auch der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtsschutzgarantie des Art
19 Abs
4 S 1
GG, dass die Bezeichnung von Tatsachen bei Sachrügen kein formelles Zulässigkeitserfordernis der Revisionsbegründung ist, aber
eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung erfordert, dass der Revisionskläger die Gründe aufzeigt, die nach seiner Auffassung
auf Grund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung diese als unrichtig erscheinen
lassen.
Nach der Rechtsschutzgarantie in Art
19 Abs
4 S 1
GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender
Weise erschwert werden (stRspr, vgl zB BVerfG Beschluss vom 2.3.1993 - 1 BvR 249/92 - BVerfGE 88, 118, 123 f; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 21.10.2015 - 2 BvR 912/15 - NJW 2016, 44, Juris RdNr 22). Der Zugang zur Revision darf aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht durch Hürden erschwert oder vereitelt
werden, die durch den Zweck der Revisionsbegründung nicht gerechtfertigt sind. Das müssen auch die Gerichte bei der Auslegung
prozessualer Normen beachten. Sie dürfen ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge
Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und so für den Rechtsmittelführer leerlaufen lassen (BVerfG
Beschluss vom 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 ua - BVerfGE 96, 27, 39; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 21.10.2015 aaO). Formerfordernisse dürfen deshalb nicht weitergehen als es durch ihren
Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährleistung des Rechtsschutzes abhängt (BVerfG Beschluss vom 2.3.1993 - 1 BvR 249/92 - BVerfGE 88, 118, 126 f). Das gilt auch für Darlegungsanforderungen. Sie dürfen nicht derart streng gehandhabt werden, dass sie von einem
durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht
mehr erfüllt werden können (BVerfG Beschluss vom 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104, 137; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 21.10.2015 aaO; vgl auch BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 12; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 13). Die dargelegten Anforderungen an die Revisionsbegründung mit der Sachrüge tragen diesen Erfordernissen Rechnung.
Sie begründen eine mit der Verfassung konforme Auslegung von §
164 Abs
2 S 3
SGG.
3. Auch die anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, stellen auf
Grundlage der jeweiligen Prozessordnungen entsprechende Anforderungen. Danach bezweckt das Erfordernis einer Revisionsbegründung,
frühzeitig Klarheit über Art, Umfang und Ziel der Revisionsangriffe des Revisionsklägers gegen die angefochtene Entscheidung
zu erzielen. Die Begründung soll Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs klarstellen (vgl BAG Urteil vom 24.1.2017
- 1 AZR 774/14 - NZA 2017, 777 = Juris RdNr 10; BFH Beschluss vom 20.8.2012 - I R 3/12 - Juris RdNr 8; BGH Beschluss vom 22.9.2014 - IV ZR 371/13 - VersR 2015, 1121 = Juris RdNr 2; BVerwGE 154, 328 = Juris RdNr 15). Die Rspr von BAG, BFH, BGH und BVerwG fordert für die Zulässigkeit einer Revision dagegen nicht, dass die
Revisionsbegründung die vorinstanzlich getroffenen tatsächlichen Feststellungen wiedergibt.
Nach der mit §
164 Abs
2 S 3
SGG nahezu wortgleichen Vorschrift in §
139 Abs
3 S 4
VwGO muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt
werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben. Das Erfordernis, die verletzte Rechtsnorm zu bezeichnen, besagt, dass
der Revisionskläger "den Streitstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durcharbeiten, sichten und gliedern muss" (stRspr,
vgl zB BVerwG Beschluss vom 2.4.1982 - 5 C 3/81 - Buchholz 310 §
139 VwGO Nr 61 = Juris RdNr 3). Die Revisionsbegründung erfordert lediglich, dass sich der Rechtsmittelführer "mit den Gründen des
angefochtenen Urteils auseinandersetzt und in diesem Zusammenhang erkennbar macht, aus welchen Gründen er mit dem angefochtenen
Urteil nicht einverstanden ist" (stRspr, vgl zB BVerwG aaO, BVerwG Beschluss vom 30.4.1980 - 7 C 88/79 - Buchholz 310 §
139 VwGO Nr 55 und Urteil vom 3.3.1998 - 9 C 20/97 - BVerwGE 106, 202 ff). Eine formelhafte Rüge, das materielle Recht, eine einzelne Norm, sei verletzt, wird dieser Anforderung nicht gerecht
(BVerwG Beschluss vom 2.4.1982 - 5 C 3/81 - Buchholz 310 §
139 VwGO Nr 61 = Juris RdNr 3; zum Ganzen auch Pietzner/Buchheister in Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, Stand Juni 2017, §
139 RdNr 42).
Die Anforderungen an die Revisionsbegründung sind bei den anderen Gerichtsbarkeiten im Kern hiermit vergleichbar, obwohl die
Parallelregelungen zu §
164 Abs
2 SGG in § 120 Abs 3 FGO und §
551 Abs
3 S 1 Nr
2 Buchst a
ZPO inzwischen im Wortlaut von §
164 Abs
2 SGG abweichen. Diese Normen fordern die "bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt" (§ 120 Abs 3 FGO idF des Art 1 Nr 14 des 2. FGOÄndG vom 19.12.2000 mWv 1.1.2001, BGBl I 1757 und §
551 Abs
3 S 2 Nr
2 ZPO idF des Art 2 Abs 1 Nr 72
ZPO-RG vom 27.7.2001 mWv 1.1.2002, BGBl I 1887). Nach den Gesetzesbegründungen konkretisieren diese Neufassungen im Wesentlichen
entsprechend dem zuvor geltenden Recht (§ 120 Abs 2 S 2 FGO und §
554 Abs
3 Nr
3 ZPO aF) die Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung der Rechtsverletzung im Sinne der dazu ergangenen Rechtsprechung.
Sie verlangen die Angabe der Gründe, die aus Sicht des Revisionsklägers den materiellen oder verfahrensrechtlichen Fehler
ausmachen (vgl Gesetzentwurf der BReg eines 2. FGOÄndG, BT-Drucks 14/4061 S 11 und Gesetzentwurf der BReg eines
ZPO-RG, BT-Drucks 14/4722 S 107).
Nach der Rspr des BFH bedarf es dementsprechend hierzu einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung, aus der zu erkennen ist, dass der Revisionskläger diese und sein eigenes Vorbringen überprüft hat (vgl zB BFH
Beschluss vom 20.8.2012 - I R 3/12 - Juris RdNr 8; BFH Urteil vom 25.6.2003 - X R 66/00 - BFH/NV 2004, 19 = Juris RdNr 17; vgl bereits zur alten Rechtslage Beschluss vom 6.10.1982 - I R 71/82 - BFHE 136, 521). BGH und BAG fordern ebenfalls, dass die Revisionsbegründung auf den Streitfall zugeschnitten konkret darlegt, aus welchen
Gründen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl zB BGH Beschluss vom 26.6.2003 - III ZB 71/02 - Juris RdNr 9 und Urteil vom 20.5.2011 - V ZR 250/10 - Juris RdNr 6 mwN; BAG Urteil vom 29.10.1997 - 5 AZR 624/96 - BAGE 87, 41 ff; jeweils mwN).
Der GrS sieht sich hiernach nicht veranlasst, ein Vorlageverfahren gemäß §§ 2 Abs 2, 11 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit
der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) einzuleiten.