Einkommensmindernde Vermögensverfügungen beim Anspruch auf Ausgleichsrente
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über Anrechnung fiktiver Zinseinkünfte auf die Ausgleichsrente des schwer kriegsbeschädigten
(L.), der während des Revisionsverfahrens verstorben ist. Sein Sohn setzt den Rechtsstreit als Alleinerbe
fort.
Der Beklagte gewährte L. Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), darunter Ausgleichsrente nebst Ehegattenzuschlag, ohne auf diese Leistung Einkünfte aus Haus und Grundbesitz des Ehepaares
L. anzurechnen. 1988 verkauften L. und seine Ehefrau ihr Wohnhaus. Den nicht verbrauchten Großteil des Erlöses legten sie
gemeinsam in abgezinsten Sparkassenbriefen mit fünfjähriger Laufzeit über nominell 130.000,-- DM an. Der Abzinsungsbetrag
belief sich auf rund 30.000,-- DM. 1990 nahm das Ehepaar L. ein Darlehen in Höhe von 100.000,-- DM auf. Diese Summe schenkten
sie ihrem Sohn (dem jetzigen Kläger) zum Erwerb eines Hausgrundstücks. Nach Ende der Laufzeit erhielt das Ehepaar L. 1993
den Nennbetrag der Sparkassenbriefe ausgezahlt; mit rund 100.000,-- DM tilgten sie das Darlehen, die restlichen etwa 30.000,--
DM schenkten sie wiederum ihrem Sohn, nach Erklärung des L. unter Vorwegnahme einer künftigen Erbfolge zur Tilgung restlicher
Belastungen.
Der Beklagte rechnete die Hälfte der 1993 angefallenen Zinsen, also etwa 15.000,-- DM, für dieses Jahr auf die Ausgleichsrente
des Klägers an. Mit Bescheid vom 23. November 1993 (Widerspruchsbescheid vom 9. August 1994) stellte er die vom Einkommen
abhängigen Versorgungsbezüge ab 1. Januar 1994 unter Anrechnung fiktiver Zinseinkünfte von 4 % jährlich aus rund 65.000,--
DM neu fest, weil es für die Schenkung keinen verständigen Grund iS des § 1 Abs 2 Satz 2 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV)
gegeben habe. Ab Oktober 1995 fiel der verbliebene Ehegattenzuschlag weg, da die Ehefrau des L. im September 1995 verstorben
war (Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 1995).
Das von L. angerufene Sozialgericht (SG) Nürnberg hat den Beklagten verurteilt, Ausgleichsrente ab 1. Januar 1994 und Ehegattenzuschlag für die Zeit vom 1. Januar
1994 bis zum 30. September 1995 ohne Anrechnung fiktiver Zinseinkünfte aus 64.121,25 DM zu gewähren (Urteil vom 29. März 2001).
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen
(Urteil vom 19. Dezember 2003): Wenn die Bezieher von einkommensabhängigen Leistungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) über ein Grundstück unter der Anrechnungsgrenze unentgeltlich verfügen, das gesamte Grundstück also einem Kind zuwenden
könnten, ohne dass fiktives Einkommen in Höhe des möglichen Verkaufserlöses anzurechnen sei, könne eine entgeltliche Verfügung
mit Übergabe des Verkaufserlöses nicht iS des § 1 AusglV derart missbilligt werden, dass auch dann fiktives Einkommen anzurechnen
wäre, wenn eine Einkommensverschlechterung hierdurch nicht eintrete (Hinweis auf BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1).
Der Beklagte macht mit seiner Revision geltend: Die zitierte Rechtsprechung des BSG betreffe nur eine umweglose Weitervergabe
des Verkaufserlöses für einkommensirrelevante Vermögensstücke. Hier sei der 1988 erzielte Erlös aber zinsbringend angelegt
und erst Jahre später verschenkt worden. Für diese einkommensmindernde Vermögensverfügung gebe es keinen verständigen Grund.
Die Schenkung möge subjektiv durchaus verständlich sein, die höchstrichterliche Rechtsprechung fordere aber einen objektiv
verständigen Grund. Der sei nur anzunehmen, wenn bei der Verfügung nicht nur einseitige verständliche private, persönliche,
familiäre oder wirtschaftliche Interessen des Berechtigten, sondern auch die im Zweck der einzelnen Versorgungsleistungen
zum Ausdruck kommenden objektiven Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt würden. Die Schenkung des L. an seinen Sohn
erfülle diese Kriterien nicht.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 19. Dezember 2003 sowie des SG Nürnberg vom 29. März 2001 aufzuheben und die Klage gegen
seinen Bescheid vom 23. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 1994 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt
(§
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).
II
Die Revision des Beklagten ist dahin begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung
und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt lässt sich nicht abschließend entscheiden, ob hier Ausgleichsrente (und Ehegattenzuschlag)
zu gewähren war, ohne dass darauf ab Januar 1994 fiktive Zinseinkünfte anzurechnen sind. L. hat 1993 zwar einkommensmindernd
über Vermögen verfügt. Nach den vom Berufungsgericht bisher festgestellten Tatsachen bleibt aber offen, ob er dafür einen
verständigen Grund hatte.
Ausgleichsrente hängt nach §§ 32, 33 BVG von der Höhe des anzurechnenden Einkommens ab. Entsprechendes gilt für den Ehegattenzuschlag (§ 33a BVG). Was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben, richtet sich
nach der gemäß § 33 Abs 6 BVG erlassenen AusglV. Deren § 1 Abs 1 Satz 1 definiert als Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle und Rechtsnatur, es
sei denn, sie bleiben nach dem BVG, der AusglV oder anderen Rechtsvorschriften unberücksichtigt. Zu Unrecht ist der Beklagte von fiktiven Einkünften aus einem
Kapital von etwa 65.000,-- DM ausgegangen, welches L. ab 1994 rentierlich anzulegen unterlassen habe. Von diesem Betrag sind
L. 1993 bei Fälligkeit der Sparkassenbriefe etwa 15.000,-- DM als angesammelte Zinseinkünfte zugeflossen und vom Beklagten
in diesem Jahr bei der Berechnung der Ausgleichsrente als anspruchsminderndes Einkommen bereits berücksichtigt worden (vgl
zu Erträgen aus auf- oder abgezinsten Wertpapieren §
20 Abs
2 Nr
4a Einkommensteuergesetz >EStG<; zum Zufluss von Erträgen hieraus im Zeitpunkt der Rückzahlung oder Abtretung BFH, BStBl II 1993, 602 mwN; Heinicke in Schmidt,
EStG, 21. Aufl 2002, §
20 RdNr 31; zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Sozialhilferecht BVerwGE 108, 296). Diese Einkünfte konnte L. frei verwenden, also auch, wie 1993 geschehen, seinem Sohn schenken. Bei dem verbleibenden Kapitalbetrag
von etwa 50.000,-- DM, der L. 1993 wieder zur Verfügung stand, handelte es sich nicht um Einkünfte in Geld, sondern um nicht
anrechnungsfähiges Vermögen.
Letzteres hat der Beklagte nicht verkannt. Er hat bei Feststellung der Ausgleichsrente ab Januar 1994 insoweit nicht einen
Kapitalbetrag angerechnet, sondern nach § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV fiktiv daraus zu erzielende Anlagezinsen von 4 % jährlich,
weil L. ohne verständigen Grund über Vermögenswerte derart verfügt habe, dass sich sein berücksichtigungsfähiges Einkommen
gemindert habe. Der Tatbestand dieser Vorschrift wäre zwar nicht erfüllt, beurteilte man nur die Verwendung des 1993 wieder
zurückgeflossenen Kapitals zur Schuldentilgung. Denn wer Ausgleichsrente bezieht, muss sich nicht selbst schädigen, nur um
das anrechenbare Einkommen nicht zu mindern. Ihm ist es nicht zuzumuten, ein 1993 (wieder) zur Verfügung stehendes Kapital
(erneut) zu Habenzinsen anzulegen, für das in gleicher Höhe valutierende Darlehen aber weiterhin höhere Schuldzinsen zu zahlen
und damit die Zinsdifferenz als dauernden, nach § 1 Abs 4 AusglV bei Feststellung der Ausgleichsrente nicht als einkommensmindernd
zu berücksichtigenden Einkommensverlust hinzunehmen.
Hier ist der Einsatz des Vermögens zur Schuldentilgung jedoch nicht für sich, sondern es sind die Vorgänge seit dem Hausverkauf
1988 als wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Dabei ist versorgungsrechtlich entscheidend auf die Übergabe von 50.000,--
DM an den Sohn des L. (jetzigen Kläger) im Jahre 1990 abzustellen. Diesen Betrag hat L. nicht durch Verwertung der Sparkassenbriefe
(Abtretung) aufgebracht, sondern im Vorgriff auf deren Rückzahlung nach fünfjähriger Laufzeit darlehensfinanziert. Damit liegt
der Fall - bei dem gebotenen Blick auf das wirtschaftlich Gewollte und Bewirkte - so, als habe L. 1990 nach zweijähriger rentierlicher
Anlage den Erlös aus dem Hausverkauf einkommensmindernd an seinen Sohn weitergegeben und damit die Grenze von sechs Monaten
überschritten, bis zu der die Versorgungsverwaltung in der Praxis eine - ausgleichsrentenrechtlich - unschädliche Übergangsfrist
zwischen Grundstücksverkauf und Weitergabe des Erlöses annimmt (vgl RdSchr des BMA vom 3. September 1993, BArbBl 1993, Heft
11, 54 f). Hierfür könnte ein verständiger Grund iS des § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV fehlen.
Die versorgungsrechtliche Rechtsprechung des BSG versteht den Begriff des "verständigen Grundes" nach seinem Wortsinn und
nach dem Zweck von Vorschriften wie § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV (vgl auch § 1 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 AusglV, § 9 Abs 7 Berufsschadensausgleichs-Verordnung und § 44 Abs 5 Satz 3 BVG) als Kompromissformel zum Ausgleich widerstreitender Interessen des Versorgungsberechtigten und der öffentlichen Hand (vgl
BSG, Urteil vom 16. März 1979 - 9 RV 51/78 -, Breith 1980, 132, 134 f mwN): Einerseits haben Versorgungsberechtigte nach Kräften bei der Minderung der Versorgungslast mitzuwirken und deren
Ausdehnung möglichst zu vermeiden; andererseits sind gewichtige Umstände, die außerhalb des Rechts der Kriegsopferversorgung
begründet sind, rechtfertigend zu berücksichtigen. In der zitierten Entscheidung hat der Senat die Forderung des § 1 Abs 2
Satz 1 Halbsatz 2 AusglV nach einem "verständigen Grund" für einen bei Ehescheidung erklärten Unterhaltsverzicht bereits als
eng zu handhabende Missbrauchsklausel qualifiziert; im Urteil vom 10. Februar 1993 - 9/9a RV 43/91 - (SozR 3-3660 § 1 Nr 1) hat er - beiläufig - ausgesprochen, dass Vermögensverfügungen zu Gunsten Familienangehöriger, durch
die zB einem Abkömmling beim Hausbau geholfen wird, nicht als zu missbilligende Vermögensverschwendung gebrandmarkt werden
können. Daran ist festzuhalten.
Die früher strengere Auffassung (vgl BSG SozR 3660 § 1 Nr 3), die der Beklagte seiner Entscheidung noch zu Grunde gelegt hat,
zieht zu wenig die Grundentscheidung des Gesetzgebers in Betracht, Schwerkriegsbeschädigten ohne Rücksicht auf deren Vermögen
eine Ausgleichsrente zu gewähren (§ 33 Abs 1 Satz 1 BVG). Zwar wird durch Anrechnung fiktiven Einkommens bei einkommensmindernden Verfügungen ohne verständigen Grund das nach Art
14 Grundgesetz verfassungsrechtlich garantierte Recht des Versorgungsberechtigten, über sein Eigentum zu verfügen, nicht eingeschränkt (BSG
SozR 3660 § 12 Nr 4). Gleichwohl ist der Begriff des "verständigen Grundes" so auszulegen, dass die Wohltat vermögensunabhängiger
Ausgleichsrente nicht nahezu ausnahmslos und lebenslang zur Plage wird, wenn es darum geht, über anrechnungsfreies Vermögen
anders als durch rentierliche Anlage zu verfügen. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang zu berücksichtigen, dass es die tatsächlichen
Umstände nicht immer nahe legen, den Verkaufserlös eines Eigenheimes kurzfristig an die Kinder weiterzugeben. Ein "verständiger
Grund" besteht deshalb immer dann, wenn ein vernünftiger Dritter, dessen Einkommensminderung nicht durch höhere Ausgleichsrente
ausgeglichen wird, die Vermögensverfügung auch hätte treffen können (vgl dazu BSGE 46, 193, 197 = SozR 2200 § 1291 Nr 16 S 48 f).
Nach diesem Maßstab ist hier von Bedeutung, dass L. seinem Sohn als Generationsnachfolger durch Schenkung von 50.000,-- DM,
wie bei intakten Familienverhältnissen weithin üblich, einen Großteil des Familieneigenheimes (mittelbar) weitergegeben und
zugleich, unabhängig von Unterhaltsverpflichtungen, in enger familiärer Verbundenheit sein einziges Kind beim Hausbau unterstützt
hat. L. konnte auch schlecht angesonnen werden, sich anders als seine Ehefrau zu verhalten, die ihren Anteil am Hauserlös
dem Kläger geschenkt hat. Gleichwohl würde ein vernünftiger Dritter mit den Einkommensverhältnissen eines - ausgleichsrentenberechtigten
- Beschädigten hohe Geldbeträge aus dem Verkaufserlös des Familieneigenheims doch nur verschenken, wenn sein Kind und dessen
Familie dieser Hilfe - für den Hausbau - bedürfen. Dazu fehlen entsprechende Tatsachenfeststellungen. Das LSG wird danach
im wieder eröffneten Berufungsverfahren noch zu prüfen haben, ob ein verständiger Grund hier zB deshalb entfällt, weil gegenüber
den wirtschaftlichen Verhältnissen seines Sohnes ein deutliches Gefälle zu Lasten des L. bestanden hat. Außerdem wird das
LSG über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.