Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen
Gründe:
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe von Unterhaltszahlungen, zu denen er verurteilt
worden ist.
I. 1. Der Beschwerdeführer und die Klägerin zu 1 des Ausgangsverfahrens waren miteinander verheiratet. Aus der seit 1992 rechtskräftig
geschiedenen Ehe sind zwei 1983 und 1989 geborene Kinder - die Kläger zu 2 und 3 des Ausgangsverfahrens - hervorgegangen,
die bei ihrer Mutter leben. Seit November 1994 war der Beschwerdeführer einem weiteren nichtehelichen Kind zur Zahlung von
Kindesunterhalt verpflichtet und bezahlte monatlich 239,- DM Kindesunterhalt.
Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer unter anderem verurteilt, an seine geschiedene
Ehefrau und die beiden ehelichen Kinder monatlichen Ehegatten- und Kindesunterhalt für die Zeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31.
Dezember 1996 in Höhe von insgesamt 1.649,10 DM, für Januar 1997 von insgesamt 1.639,60 DM und ab Februar 1997 von insgesamt
1.993,50 DM zu bezahlen. Das Oberlandesgericht hat der Unterhaltsberechnung ein Nettoeinkommen des Beschwerdeführers für 1996
in Höhe von 3.806,20 DM, für die Zeit bis April 1997 von 3.943,14 DM und ab Mai 1997 von 3.928,89 DM zu Grunde gelegt, wobei
es diesem jeweils den Arbeitgeberanteil zur Kranken- und Pflegeversicherung des Beschwerdeführers hinzugerechnet hat. Ohne
eine solche Hinzurechnung hat das Nettoeinkommen des Beschwerdeführers im Jahr 1996 3.365,40 DM, in der Zeit bis April 1997
3.501,60 DM und ab Mai 1997 3.473,10 DM betragen. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht den in den Einkommensbelegen des
Beschwerdeführers ausgewiesenen Abzugsposten für die private Benutzung eines Kraftfahrzeugs in Höhe von monatlich 430,- DM
ebenfalls dem Nettoeinkommen zugeordnet, da der Beschwerdeführer die bei seinem Einkommen üblichen und angemessenen Grundkosten
für die private Haltung eines Kraftfahrzeugs einspare.
2. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer neben einer Verletzung von Art. 3,
Art.
6 Abs.
2 und Art.
103 Abs.
1
GG auch die Verletzung seines Rechts aus Art.
2 Abs.
1
GG. Nach Abzug seiner im Ausgangsverfahren geltend gemachten Verbindlichkeiten einschließlich seiner Unterhaltsverpflichtungen
verbleibe ihm ein Barbetrag, der sein Existenzminimum unterschreite.
3. Die Landesregierung von Niedersachsen, der Bundesgerichtshof sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit
zur Stellungnahme erhalten.
II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang gemäß § 93 b
BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1
GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit gemäß § 93 c Abs. 1
BVerfGG stattzugeben, denn sie ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat
das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in dem bezeichneten Umfang in seinem Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1
GG.
Die Auferlegung von Unterhaltsleistungen schränkt den Verpflichteten in seiner durch Art.
2 Abs.
1
GG geschützten Handlungsfreiheit ein. Diese ist jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet, zu der auch
das Unterhaltsrecht gehört, soweit dieses mit Art.
6 Abs.
1
GG in Einklang steht (BVerfGE 57, 361 [378]). Dabei darf die Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher Normen nicht zu verfassungswidrigen
Ergebnissen führen (vgl. BVerfGE 80, 286 [294]). Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (vgl.
BVerfGE 57, 361 [388]; 80, 286 [293] unter Hinweis auf BVerfGE 35, 202 [221]). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit
des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen
Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art.
2 Abs.
1
GG nicht bestehen (BVerfGE 57, 361 [381]).
Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht ist §
1603 Abs.
1
BGB, nach dem nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne
Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dieser Grundsatz ist insoweit eingeschränkt, als Eltern,
die sich in dieser Lage befinden, gemäß §
1603 Abs.
2
BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder
Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten bestimmt §
1581
BGB, dass der Verpflichtete, wenn er außerstande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt
zu gewähren, nur insoweit Unterhalt zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse
der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht.
Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs ist damit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten (vgl. Staudinger/Engler/Kaiser,
BGB, 2000, §
1603 Rn. 2; Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., 1998, § 1581 Rn. 1; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe
des Unterhalts, 7. Aufl., 2000, Rn. 573). Das Unterhaltsrecht ermöglicht es insofern den Gerichten, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
Rechnung zu tragen. Die Gerichte haben im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten
Unterhalt zu zahlen oder ob dieser - unbeschadet der Zulässigkeit der Zurechnung fiktiven Einkommens - die finanzielle Leistungsfähigkeit
des Unterhaltspflichtigen übersteigt.
Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene
Existenz zu sichern. Zur Bestimmung dieser Grenze haben die Oberlandesgerichte in unterhaltsrechtlichen Leitlinien Selbstbehaltssätze
aufgestellt. In der Düsseldorfer Tabelle ist der notwendige Eigenbedarf des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen seit dem
1. Januar 1996 bei 1.500,- DM angesetzt. Jedenfalls aber dienen die Regelsätze der Sozialhilfe dazu, den Eigenbedarf eines
Unterhaltspflichtigen auszumachen. Die Rechtsprechung geht hier vom doppelten Eckregelsatz eines Haushaltsvorstands nach §
22
BSHG aus. Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit hat unter Berücksichtigung dieser Annäherungswerte ab Juli 1996 zwischen 1.100,-
und 1.500,- DM gelegen (vgl. BGH, FamRZ 1989, S. 272 f.; zu den Eckregelsätzen eines Haushaltsvorstands gemäß § 22
BSHG ab dem 1. Juli 1996, vgl. FamRZ 1996, S. 1264).
Dem hat das Oberlandesgericht bei der Anwendung des Unterhaltsrechts für den Zeitraum ab 1. Juli 1996 nicht hinreichend Rechnung
getragen und damit das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1
GG verletzt. Nach Abzug des ausgeurteilten Unterhalts, der Unterhaltszahlungen des Beschwerdeführers an sein 1994 geborenes
Kind, der Kosten für die private Nutzung des Dienstwagens sowie der Beiträge des Beschwerdeführers zur Kranken- und Pflegeversicherung
ist dem Beschwerdeführer ab 1. Juli 1996 von seinem Nettoeinkommen ein verfügbarer Betrag verblieben, der deutlich niedriger
gewesen ist als der Selbstbehaltssatz eines Erwerbstätigen nach der vom Oberlandesgericht angewandten Düsseldorfer Tabelle.
Dies hätte das Oberlandesgericht veranlassen müssen zu prüfen, ob damit das Existenzminimum des Beschwerdeführers unterschritten
gewesen ist. Auch zeigt ein Blick auf die vom Beschwerdeführer dem Gericht vorgelegten Gehaltsabrechnungen, dass ihm zur damaligen
Zeit monatlich durchschnittlich ca. 2.850,- DM ausgezahlt worden sind. Dies hätte beim Oberlandesgericht Bedenken aufkommen
lassen müssen, ob angesichts der vom Gericht errechneten und dann ausgeurteilten Unterhaltsverpflichtung des Beschwerdeführers
dessen finanzielle Leistungsfähigkeit ab Juli 1996 noch gewahrt gewesen ist. Das Oberlandesgericht hat bei der Anwendung des
Unterhaltsrechts, insbesondere der §§
1603 und
1581
BGB, das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1
GG auf Schutz vor einer unverhältnismäßigen Belastung durch Unterhaltsleistungen verkannt. Die angegriffene Entscheidung beruht
hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsbeträge für die Zeit nach dem 1. Juli 1996 auf diesem Grundrechtsverstoß und ist daher
aufzuheben.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2
BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.