Angemessenheit von Unterkunftskosten im Sozialhilferecht
Gründe:
I.
Die Kläger begehren eine einmalige Leistung aus Anlass des Weihnachtsfestes des Jahres 2000, deren Gewährung von der zwischen
den Beteiligten umstrittenen Angemessenheit ihrer Aufwendungen für die Unterkunft abhängt.
Die Kläger zu 1 und 2 sind Eheleute und die Eltern der im streitbefangenen Zeitraum minderjährigen Kläger zu 3 bis 11. Die
Kläger bezogen im Mai 2000 eine 104,32 m² große, erstmals zum 1. Januar 1997 bezugsfertig gewordene Wohnung im Bereich der
Beklagten mit einer Gesamtmiete von monatlich 1 875,20 DM (einschließlich 156,50 DM Heizkosten sowie 313 DM Umlagen für Nebenkosten);
die Wohnung liegt in einer nach dem Mietspiegel der Beklagten als "mittel" eingestuften Wohnlage.
Die Beklagte lehnte einen Antrag der Klägerin zu 2 vom 20. November 2000 auf Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe "für die gesamte
Familie" mit der Begründung ab, der Bedarf der Familie für das Weihnachtsfest in Höhe von insgesamt 732 DM (122 DM für den
Haushaltsvorstand sowie je 61 DM für die Haushaltsangehörigen) könne aus dem den laufenden Bedarf der Kläger übersteigenden
Einkommen der Kläger zu 1 und 2 (Arbeitslosenhilfe, Kindergeld und Wohngeld) gedeckt werden. Bei der Bedarfsberechnung seien
dabei die Unterkunftskosten nicht in tatsächlicher Höhe, sondern lediglich in einem angemessenen Umfang zu berücksichtigen,
der sich hier aus dem Produkt der Wohnfläche der genutzten Unterkunft (104,32 m²) und dem als nach den örtlichen Verhältnissen
noch angemessenen Mietzins je Quadratmeter (12,05 DM/m²) ergebe, mithin in Höhe von 1 257,06 DM; die Heizkostenvorauszahlungen
seien hinzuzurechnen. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch half die Beklagte bei unveränderter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen
wegen einer Veränderung des zu berücksichtigenden Einkommens der Klägerin zu 2 mit Bescheid vom 7. Dezember 2000 teilweise
ab und bewilligte unter Anrechnung eines Einkommensüberschusses von 648,14 DM eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 84 DM; im
Übrigen wies sie den Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 10. April 2001) zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die bereits am 11. Dezember 2000 erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 2002). Das Oberverwaltungsgericht
hat auf die Berufung der Kläger die Beklagte zur Gewährung einer weiteren Weihnachtsbeihilfe an die Kläger zu 3 bis 11 verpflichtet
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Den Klägern zu 3 bis 11 stehe in dem in der Entscheidungsformel näher bezeichneten Umfange eine weitere Weihnachtsbeihilfe
zu, weil die Beklagte bei der Ermittlung des im maßgeblichen Zeitraum bestehenden (laufenden und einmaligen) Bedarfs der Kläger
zu Unrecht die Unterkunftskosten nicht in voller Höhe berücksichtigt habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei für Unterkunftsaufwendungen,
die bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen seien, nicht isoliert auf den Quadratmeterpreis, der allerdings mit 16,47
DM/m² bei Weitem über dem Maß des nach dem Mietspiegel mit 12,05 DM/m² sozialhilferechtlich Angemessenen liege, und die tatsächliche
Quadratmeterzahl der von den Klägern konkret genutzten Unterkunft (Kombinationsmethode) abzustellen. Maßgeblich abzustellen
sei vielmehr auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmetermietzins (sog. Produktmethode). § 3
Abs. 1 der Regelsatz-Verordnung stelle bereits seinem Wortlaut nach auf die Angemessenheit der "Unterkunftskosten" als den
die Gewährung im Umfang der tatsächlichen Kosten begrenzenden Umstand ab; es dränge sich nicht auf, für die Betrachtung auf
einzelne, für die Höhe der Gesamtkosten konstitutive Faktoren abzustellen. Aus dem Umstand, dass letztlich Grundlage der Regelungen
über die Gewährung von Unterkunftskosten § 11 in Verbindung mit § 12 BSHG sei, wonach zum notwendigen Lebensunterhalt auch "die Unterkunft" zähle und es um einen Unterkunftsbedarf als Sachbedarf
und nicht lediglich einen Bedarf an Kosten für die Unterkunft gehe, könne nicht abgeleitet werden, dass eine isolierte Untersuchung
einzelner Merkmale der jeweiligen Wohnung unter dem Blickwinkel sozialhilferechtlicher Angemessenheit geboten und deren je
einzelne sozialhilferechtliche "Angemessenheit" notwendige Voraussetzung für die Kostenübernahme wäre. Stattdessen seien die
verschiedenen Angemessenheitskriterien in eine Gesamtbetrachtung einzustellen und gegen- sowie miteinander abzuwägen, wobei
der sachliche Bedarf an "Unterkunft" unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auf unterschiedliche Weise
angemessen gedeckt werden könne. Dies könne in der Weise geschehen, dass eine Wohnung mit (noch) angemessener Größe und dem
anzuerkennenden Wohnungsstandard genutzt werde. Dem gleichzustellen sei eine Bedarfsdeckung durch eine Wohnung mit geringerer
Wohnfläche und etwas gehobenerem Wohnungsstandard hinsichtlich Ausstattung, Wohnlage oder Alter der Bausubstanz. Zwischen
diesen Alternativen wählen zu dürfen, sei zwar nicht durch das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG gewährleistet, das sich nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen der Bedarfsdeckung, die jeweils im Bereich
des notwendigen Bedarfs liegen, erstrecke und deshalb nicht unmittelbar für die Bestimmung des zu deckenden Bedarfs herangezogen
werden könne. Ein Verständnis des Begriffs des sozialhilferechtlichen Bedarfs an "Unterkunft", das eine gewisse Auswahl des
Hilfeempfängers hinsichtlich verschiedener Wohnungen gleicher Preislage bei Unterschieden der preisbildenden Faktoren erlaube,
entspreche aber den Vorgaben der für die Bedarfsbemessung konstitutiven Bestimmung des § 3 Abs. 1 BSHG. Danach richteten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach der Person
des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Diese Bedarfsbemessung nach § 3 Abs. 1 BSHG sei nicht zwingend allein auf objektive Aspekte beschränkt, sondern mit Blick auf den Grundsatz des § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG für eine Beeinflussung durch subjektive Präferenzen des Hilfeempfängers in dem vorgenannten Umfang offen. Nach der demnach
vorzugswürdigen "Produktmethode" seien die Aufwendungen für die Unterkunft der Kläger angemessen, weil sie deutlich unterhalb
des Betrages lägen, der sich ergebe, wenn die maximal angemessene Wohnfläche von 195 m² mit einem angemessenen Quadratmeterpreis
von etwa 12 DM ("brutto-kalt") multipliziert werde. Dabei sei bei der Bestimmung des sozialhilferechtlich angemessenen Wohnraumbedarfs
in Bezug auf die Fläche unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auf die für Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau
anerkannten Wohnraumgrößen zurückzugreifen, nach denen die für 11 Personen maximal zu berücksichtigende Wohnfläche 195 m²
betrage. Allerdings seien bei der Ermittlung der "abstrakt" angemessenen Unterkunftskosten nicht ausnahmslos die vorgenannten
Wohnflächen nach den Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum
Wohnungsbindungsgesetz in die Berechnung einzustellen; nach den Besonderheiten des örtlichen Wohnungsmarktes könne auch eine geringere Fläche anzusetzen
sein. Insoweit obliege indes dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die Darlegung dafür, dass in seinem Bereich nach diesen
örtlichen Besonderheiten von einer geringeren Wohnfläche ausgegangen werden dürfe, als nach den Obergrenzen des Wohnungsbindungsrechts
vorgesehen. Die Beklagte habe indes nicht aufgezeigt, dass auf dem Wohnungsmarkt im Bereich der Beklagten für 11 Personen
ausreichende Wohnungen unterhalb einer Wohnflächenobergrenze von 195 m² vorhanden gewesen seien, die bei Zugrundelegung eines
angemessenen Mietzinses je Quadratmeter weniger als die Wohnung der Kläger gekostet hätten.
Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts und rügt
eine Verletzung der §§ 11, 12, 22 BSHG i.V.m. § 3 RegelsatzVO.
Die Kläger verteidigen das angegriffene Berufungsurteil.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision der Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. §
125 Abs.
1 Satz 1 und §
101 Abs.
2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen
ist (§
144 Abs.
2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu Recht stattgegeben und
im Einklang mit dem Bundesrecht (vgl. §
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO) bei der Bedarfsberechnung die im Streit stehenden Unterkunftskosten - die Höhe anderer Berechnungspositionen steht nicht
im Streit - als angemessen berücksichtigt.
In welchem Umfang im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung einer einmaligen Leistung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 BSHG) Unterkunftskosten zu berücksichtigen sind, bestimmt sich nach § 3 Regelsatzverordnung in der Fassung des Art. 11 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088).
Nach § 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) werden laufende Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt; soweit die Aufwendungen
für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen,
deren Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht
zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (s. zuletzt Urteil vom 31. August
2004 - BVerwG 5 C 8.04 - >NJW 2005, 310<) bestimmt sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten, die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO zu übernehmen
sind, nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen. Hierfür kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalles an (§ 3 Abs. 1 Satz 2
RegelsatzVO), vor allem auf die Person des Hilfebedürftigen, die Art seines Bedarfs und die örtlichen Verhältnisse (§ 3 Abs. 1 BSHG). Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft sind die örtlichen Verhältnisse zunächst
insoweit maßgeblich, als auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen
Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne zu
ermitteln ist (BVerwGE 97, 110 >112 f.<; 101, 194 >197 f.<). Erscheinen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, darf er die
Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse
zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen wäre. Da der Hilfebedürftige
einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat, muss sich die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch
auf die Frage erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret
verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist also die vom Hilfebedürftigen bewohnte
Unterkunft die in dem maßgeblichen räumlichen Umkreis und Bedarfszeitraum einzig verfügbare, sind die Aufwendungen für diese
Wohnung aus sozialhilferechtlicher Sicht angemessen und deshalb gemäß §§ 11, 12 BSHG, § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO vom Sozialhilfeträger (zunächst) zu übernehmen. Es entspricht weiterhin der Rechtsprechung des Senats,
dass für nach dem 1. August 1996 angemietete Unterkünfte die Aufwendungen für eine neue Unterkunft vom Sozialhilfeträger jedenfalls
in angemessener Höhe zu übernehmen sind, wobei diese Verpflichtung nicht davon abhängt, dass der Hilfesuchende dem Sozialhilfeträger
die für den Wohnbedarf maßgeblichen Umstände vor Abschluss des Vertrages über die neue Unterkunft mitgeteilt hat oder der
Hilfesuchende bereit und in der Lage ist, die Differenz zwischen den angemessenen und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft
dauerhaft zu übernehmen (vgl. BVerwGE 107, 239).
Der Senat kann die von der Beklagten bejahte Frage offen lassen, ob die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger bezogen auf
die von ihnen tatsächlich genutzte Unterkunft deswegen unangemessen sind, weil - bei isolierter Betrachtung - die Kaltmiete
von 16,47 DM pro Quadratmeter unangemessen wäre. Denn sind die Kosten für eine bestimmte Unterkunft unangemessen hoch, sind
nach § 3 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 RegelsatzVO jedenfalls die Unterkunftskosten in angemessener Höhe zu übernehmen. Für die
Berechnung der angemessenen Höhe der Unterkunftskosten ist dabei nicht isoliert von Größe und Mietzins je m² der konkret bewohnten
Unterkunft auszugehen. Denn jedenfalls die nach § 3 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 RegelsatzVO gebotene Betrachtung löst sich von
einer bestimmten, von den Hilfebedürftigen genutzten Unterkunft (und damit einer objektbezogenen Angemessenheit) und stellt
stattdessen darauf ab, welche Aufwendungen nach den maßgeblichen örtlichen Verhältnissen für eine nach Wohnfläche und Mietzins
zur Bedarfsdeckung geeignete Unterkunft entstehen würden. Ausgangspunkt für die angemessene Höhe von Unterkunftskosten im
Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 RegelsatzVO ist daher die - abstrakt zu ermittelnde - personenzahlabhängige Wohnungsgröße,
so dass sich die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt aus der für die Kläger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße
und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter bestimmt.
Bei einer Berücksichtigung des Wohnflächenbedarfs, welcher den Klägern nach den heranzuziehenden Regelungen zum sozialen Wohnungsbau
als sozialhilferechtlich angemessen zuzubilligen ist, tragen die bindenden (§
137 Abs.
2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt dessen Bewertung,
dass die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für die von ihnen genutzte Unterkunft jedenfalls im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz
3 RegelsatzVO angemessen hoch und daher in voller Höhe bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus §
188 Satz 2
VwGO.