Sozialhilferecht: Sozialhilfeleistungen für Lernmittel in freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaften
Gründe:
I.
Die Klägerin erhielt von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Anläßlich ihrer Versetzung in die 5. Klasse einer Gesamtschule
beantragte sie eine einmalige Beihilfe in Höhe von 226,35 DM für die Anschaffung diverser Gegenstände für den Schulbesuch
sowie einer Blockflöte nebst Blockflötenarbeitsheften für die Teilnahme an einer von der Schule auf freiwilliger Basis angebotenen
Blockflöten-Arbeitsgemeinschaft.
Der gegen die Ablehnung des Antrags eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. April 1994
zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im übrigen verpflichtet, der Klägerin eine einmalige
Beihilfe für die Anschaffung der Blockflöte zu gewähren. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die
Beklagte unter Zurückweisung der Berufung im übrigen verpflichtet, zusätzlich eine einmalige Leistung für die Beschaffung
von Unterrichtsheften für das Blockflötenspiel in Höhe von 110,70 DM zu gewähren. Dies ist im wesentlichen wie folgt begründet:
Arbeitsmaterialien und Lernmittel, über die ein Schüler, der aus der Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen stamme, üblicherweise
verfüge bzw. deren Vorhandensein von der Schule als erforderlich angesehen werde, gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt
eines Schülers. Nicht von den Regelsätzen erfaßt, sondern mit einmaligen Leistungen zu decken seien der Bedarf von Schülern
an besonderen Lernmitteln gemäß § 21 Abs. 1 a Nr. 1 bzw. Nr. 3 BSHG und der Bedarf an Lern- und Arbeitsmaterialien, soweit er nicht zu einer der in § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung genannten Bedarfsgruppen gehöre wie etwa zu den "persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens". Zu berücksichtigen sei
die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BSHG, wonach der notwendige Lebensunterhalt bei Kindern und Jugendlichen auch den besonderen, vor allem den durch das Wachstum
bedingten Bedarf umfasse. Vor diesem Hintergrund sei nicht nur für die Blockflöte, sondern auch für die Musikunterrichtshefte
eine einmalige Beihilfe zu gewähren.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte Verletzung von §§ 11, 12 in Verbindung mit § 2 BSHG.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stützt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO) indem der Klägerin ein Anspruch auf eine einmalige Sozialhilfeleistung durch Übernahme der Kosten der Beschaffung von Blockflötenunterrichts-
und -übungsmaterial zugesprochen worden ist.
Auch wenn diese Kosten zum notwendigen Lebensunterhalt der Klägerin im Sinne des § 12 BSHG gehören mögen, so fallen sie doch nicht unter den Bedarf, der durch einmalige Leistungen zu decken ist. Die Teilnahme an
dem Blockflötenunterricht im Rahmen einer von der Schule neben dem regulären Unterricht angebotenen Arbeitsgemeinschaft ist,
wie das Oberverwaltungsgericht für das Revisionsgericht verbindlich (vgl. §
137 Abs.
2 VwGO) festgestellt hat (S. 14 des Berufungsurteils), der Klägerin freigestellt. Der Bedarf an Unterrichtsmaterial, der durch den
Besuch dieser von der Schule der Klägerin angebotenen Veranstaltung bedingt ist, unterfiele der Bedarfsgruppe der persönlichen
Bedürfnisse des täglichen Lebens, zu denen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG auch eine Teilnahme am kulturellen Leben gehört und für die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Regelsatzverordnung nach Regelsätzen bemessene laufende Leistungen zu gewähren sind; der vom Gesetzeswortlaut offen und weit umschriebene Bedarfsrahmen
läßt hier Raum für die persönliche Entscheidung des einzelnen Hilfeempfängers, diese Leistungen nach seinen Bedürfnissen und
Neigungen zu verteilen (vgl. BVerwGE 92, 106 [107 f.]). Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts folgt aus der Hervorhebung des besonderen Bedarfs bei Kindern
und Jugendlichen in § 12 Abs. 2 BSHG nicht, daß ein solcher Bedarf nicht in einer der in § 12 Abs. 1 BSHG genannten Bedarfsgruppen entstehen könne (vgl. dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage in Sachen BVerwG 5 C 33.95 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen -). Damit aber scheiden einmalige Leistungen im Sinne von § 21 Abs. 1 BSHG insoweit grundsätzlich aus.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich das Begehren der Klägerin nicht auf die durch das Gesetz zur Umsetzung
des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 - FKPG - (BGBl I S. 944) getroffene Regelung des § 21 Abs. 1 a Nr. 3 BSHG stützen, wonach einmalige Leistungen insbesondere zur Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schüler gewährt werden.
Ob die hier in Rede stehenden Unterrichtsmaterialien "besondere Lernmittel" im Sinne dieser Vorschrift sind, mag offenbleiben;
jedenfalls handelt es sich nicht um besondere Lernmittel "für Schüler".
Mit diesem Merkmal bezeichnet das Gesetz nur solche Lernmittel, die der Schüler funktionsgebunden an den Schulunterricht braucht.
Entscheidend für die konkrete Zuordnung zum Schulunterricht sind die Lerninhalte, die an der Schule, die der Hilfesuchende
besucht, vorgegeben sind. Dazu gehören auch die Lerninhalte der Wahlpflichtfächer, also solcher Fächer, aus denen sich der
Schüler eines auswählen kann, an dessen Unterricht er dann aber teilnehmen muß. Auch Lernmittel zum Musikunterricht in der
Schule (z. B. Liederbücher) gehören für die Schüler, die den Musikunterricht besuchen, zu den "Lernmitteln für Schüler". Damit
ist gewährleistet, daß der hilfebedürftige Schüler seine Schule mit den dort vorgegebenen Lerninhalten und den dafür erforderlichen
Lernmitteln ohne Beeinträchtigung im Verhältnis zu den nicht hilfebedürftigen Mitschülern besuchen kann.
Nicht zu den Lernmitteln für Schüler im Sinne des § 21 Abs. 1 a Nr. 3 BSHG zählen dagegen die Lernmittel, die ein Schüler für eine von der Schule angebotene, freiwillige Arbeitsgemeinschaft braucht.
Solche Arbeitsgemeinschaften gehen ihrem Wesen nach gerade über das eigentliche schulische Unterrichtsprogramm hinaus. Mit
ihnen will die Schule ihren Schülern zusätzliche Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, wie sie auch außerhalb der Schule
von Privatlehrern, in Chören oder Orchestern und auch in kommunalen Musikschulen angeboten werden. Während beispielsweise
eine an die Stelle des Unterrichts in der Schule tretende Klassenfahrt mit ihrer pädagogischen, auf das soziale Verhalten
im Klassenverband gerichteten Zielsetzung, die die Teilnahme möglichst aller Schüler einer Klasse voraussetzt, eine schulische
Gemeinschaftsveranstaltung ist (vgl. BVerwGE 97, 376 [378]), werden mit freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, die den Unterricht in der Schule nicht ersetzen, sondern zu ihm hinzutreten,
nur besondere Interessen und eine begrenzte Zahl interessierter Schüler angesprochen. Die Teilnahme an einer solchen Arbeitsgemeinschaft
ist uneingeschränkt freiwillig. Will der Schüler daran teilnehmen, entsteht ihm der dafür erforderliche Bedarf nicht als schulischer,
d.h. durch den Schulbesuch bedingter Bedarf, vielmehr ist er dem durch freie persönliche Entscheidung bedingten Bedarfsbereich
zuzuordnen.
Das Oberverwaltungsgericht hätte daher die Berufung der Klägerin insgesamt zurückweisen müssen. Da dies nicht geschehen ist,
muß das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Berufung der Klägerin auch im übrigen zurückgewiesen werden (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf §
188 Satz 2
VwGO.