Kinder- und Jugendhilferecht - Förderung von Kindern in Tagespflege, Anspruchsvoraussetzungen bei Betreuung des Kindes durch
Großmutter als Tagespflegeperson
Gründe:
I.
Die berufstätige Klägerin, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrer im November 1988 geborenen Tochter in einem Haushalt lebte,
beantragte im Januar 1993 die Übernahme der Kosten für die Tagespflege ihres Kindes, die von ihrer Mutter durchgeführt wurde.
Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 3. Mai 1993, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1993, mit
der Begründung ab, Kosten für die Tagespflege seien nach § 23 SGB VIII nicht zu übernehmen, weil die betreuende Großmutter mit der von ihr betreuten Enkeltochter verwandt sei und durch die Tagespflege
nur ihre Unterhaltspflicht erfülle.
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, für die Zeit ab 1. April 1993 die Geeignetheit
und Erforderlichkeit der Tagespflege durch die Mutter der Klägerin festzustellen, und die Bescheide vom 3. Mai 1993 und 30.
Juli 1993 insoweit aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil hat das Oberverwaltungsgericht mit im wesentlichen
folgender Begründung zurückgewiesen:
Die Klägerin habe als Personensorgeberechtigte nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII Anspruch auf die begehrte Feststellung. Es bestünden keine Zweifel, daß die Tagespflege für das Wohl der Tochter der Klägerin
geeignet und erforderlich sei und die Mutter der Klägerin die Qualifikation zur Tagespflegeperson besitze. Dem Anspruch stehe
nicht entgegen, daß das Kind von seiner Großmutter betreut werde. Die Leistungsangebote in den §§ 22 bis 26 SGB VIII seien auf die aus Eltern bzw. einem Alleinerziehenden und ihren noch nicht erwachsenen Kindern bestehende "Zwei-Generationen-Familie"
ausgerichtet und sollten den Eltern und insbesondere den Alleinerziehenden, wie hier der Klägerin, die Möglichkeit geben,
Erwerbstätigkeit und Familie besser zu vereinbaren. Einschränkungen ergäben sich weder aus dem nicht mehr geltenden § 1 Abs.
3 JWG und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dazu (BVerwGE 52, 214) noch aus der Formulierung in der Regierungsbegründung zu § 23 SGB VIII (BTDrucks 11/5948 S. 64), die Förderung von Kindern in "familialen Betreuungsformen" solle auch die Betreuung durch eine
"fremde Person in der eigenen Familie" umfassen. Dadurch daß der Gesetzgeber nun auch eine Tagespflege im "Haushalt des Personensorgeberechtigten"
vorgesehen habe, habe er die Tagespflege erweitern, nicht aber nähere Verwandte - wie die Großeltern - als Tagespflegepersonen
ausschließen wollen.
Mit der Revision gegen diese Entscheidung begehrt der Beklagte, die Klage abzuweisen. Er rügt die Unzulässigkeit der Klage
und die Verletzung des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts.
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Denn der die Berufung zurückweisende Beschluß des Oberverwaltungsgerichts beruht
auf der Verletzung von Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO).
Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht das Begehren der Klägerin als Verpflichtungsklage auf einen
feststellenden Verwaltungsakt aufgefaßt hat, nämlich darauf, unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide den Beklagten zu
verpflichten, für die Zeit ab 1. April 1993 die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege durch die Mutter der Klägerin
festzustellen. Zu Recht ist dabei das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 3. Mai 1993 (BGBl I S. 637) zum Erlaß eines entsprechenden Verwaltungsakts ermächtigt.
Die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII bezieht sich auf die Tagespflege sowie die Tagespflegeperson. Ausgehend vom Gesetzestext in § 23 Abs. 1 SGB VIII und in Abgrenzung zur Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) ist Tagespflege die Betreuung eines Kindes für einen Teil des Tages oder ganztags entweder im eigenen oder im Haushalt des
Personensorgeberechtigten. Während die Tagespflege, also die Betreuung eines Kindes durch eine Tagespflegeperson, als solche
auch eine rein private, durch die Eltern selbst organisierte und finanzierte Kinderbetreuung sein kann (vgl. dazu § 25 SGB VIII sowie z. B. Wiesner/Struck, SGB VIII, 1995, § 23 Rn. 16), ist die Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII eine jugendhilferechtliche Maßnahme. Gegenstände der Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII sind seinem Wortlaut nach die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege sowie die Eignung der Pflegeperson, also
rechtliche Vorgaben, die nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII unabhängig von einer Feststellung durch das Jugendamt als Voraussetzungen für einen Aufwendungsersatz vorgeschrieben, aber
auch ausreichend sind. Das könnte zu dem Schluß verleiten, auch in Fällen der nicht vom Jugendamt vermittelten, sondern von
den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Pflegepersonen habe die Feststellung keine regelnde Funktion, weil die Geeignetheit
und Erforderlichkeit der Tagespflege sowie die Eignung der Pflegeperson ohnehin der rechtlichen Überprüfung unterlägen. Eine
solche Auslegung beachtete aber nicht, daß der Gesetzgeber den Aufwendungsersatz nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII von einer Feststellung des Jugendamtes abhängig gemacht hat. Hätte der Gesetzgeber der Feststellung in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII keine regelnde Bedeutung beigemessen, wäre die Anfügung eines Satzes 2 in § 23 Abs. 3 SGB VIII entbehrlich gewesen und hätte er in § 23 Abs. 3 SGB VIII zwischen dem Wort "vermittelt" und dem nachfolgenden "und" nur die Wörter "oder von den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen"
einzufügen brauchen. Damit wäre sichergestellt, daß der Tagespflegeperson die entstehenden Aufwendungen einschließlich der
Kosten der Erziehung nur ersetzt werden (können), wenn die Tagespflegeperson geeignet und die Tagespflege geeignet und erforderlich
ist. Hätte der Gesetzgeber allein dieses Ziel erreichen wollen, hätte es einer gesonderten, auf die Eignung der Tagespflegeperson
und der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege gerichteten Feststellung des Jugendamtes, wie sie § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII für einen Aufwendungsersatz voraussetzt, also nicht bedurft.
Bei der Auslegung des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII und damit für die Frage nach Inhalt und Sinn der dort geregelten Feststellung des Jugendamtes ist neben dem Wortlaut des
Gesetzes insbesondere seine Systematik und damit das Verhältnis des Satzes 2 zu Satz 1 des Absatzes 3 und mittelbar auch zu
Absatz 1 des § 23 SGB VIII maßgebend.
§ 23 SGB VIII mit der Überschrift "Tagespflege" gehört zu den Vorschriften, die die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in
Tagespflege regeln (§§ 22 ff. SGB VIII). § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII führt Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege als Leistungen der Jugendhilfe an. Ziel
der Tagespflege als Aufgabe und Leistung der Jugendhilfe ist die Förderung der Entwicklung des Kindes (§ 23 Abs. 1 SGB VIII). Da dieses Ziel auch noch anderen - zuvörderst den Eltern - gesetzt ist, ist die Förderung des Kindes durch Tagespflege
nur dann eine jugendhilferechtliche Maßnahme, wenn das Jugendamt eine konkrete Tagespflege anbietet, vermittelt oder (bei
nachgewiesener Tagespflegeperson) akzeptiert, wenn also das Jugendamt im Einzelfall die Förderung durch Tagespflege als seine
(der Jugendhilfe) Aufgabe erfüllen will. Diesen Willen, die Förderung des Kindes durch Tagespflege als Aufgabe der Jugendhilfe
zu erfüllen, manifestiert das Jugendamt in den Fällen der Vermittlung (vgl. dazu § 23 Abs. 1 SGB VIII) bereits durch die Vermittlung. In diesen Fällen genügt es deshalb für die Leistung von Aufwendungsersatz im Rahmen der (bereits
durch die Vermittlung eröffneten) Jugendhilfe, daß die Eignung der Tagespflegeperson und die Geeignetheit und Erforderlichkeit
der Tagespflege vorliegen. Einer diesbezüglichen gesonderten Feststellung durch das Jugendamt bedarf es nicht. Anders ist
es in den Fällen, in denen die Personensorgeberechtigten eine Tagespflegeperson ohne Vermittlung des Jugendamtes gefunden
haben und nun dem Jugendamt nachweisen. Das ist die Ausgangslage für die Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII. In diesen Fällen ist die Förderung des Kindes in Tagespflege vor der Einschaltung des Jugendamtes noch keine Maßnahme der
Jugendhilfe. Anders als bei der vom Jugendamt vermittelten Tagespflege fehlt bei der vom Personensorgeberechtigten nachgewiesenen
Tagespflege noch die Manifestation des Jugendamtes, die Förderung des Kindes in Tagespflege als Aufgabe der Jugendhilfe erfüllen
zu wollen. Erst dann, wenn das Jugendamt die Förderung des Kindes in Tagespflege in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen
Aufgabe übernimmt (nach der Begründung des Bundesrates zur Einfügung des Satzes 2 in § 23 Abs. 3 SGB VIII [BTDrucks 12/2866 S. 31] wird die Feststellung des Jugendamtes als dessen "Bestätigung" des bereits bestehenden Pflegeverhältnisses
verstanden), erhält die Förderung in Tagespflege den Charakter einer jugendhilferechtlichen Maßnahme. Darin liegt die Bedeutung
der Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII. Mit dieser Feststellung erklärt das Jugendamt, daß es die Förderung des Kindes in Tagespflege durch die vom Personensorgeberechtigten
nachgewiesene Tagespflegeperson in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen Aufgabe übernimmt. Mit diesem Regelungsgehalt ist
die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII ein Verwaltungsakt i. S. des § 31 Satz 1 SGB X.
Bundesrecht verletzt jedoch das Berufungsgericht mit seiner Auffassung, § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gebe den Personensorgeberechtigten einen Rechtsanspruch auf die Feststellung durch das Jugendamt.
Der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gibt keinen Anhalt für einen Rechtsanspruch. In bezug auf die in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII beschriebene Feststellung ist dort weder ein gegen das Jugendamt gerichtetes Recht, die Feststellung zu verlangen, noch auch
nur eine dem Jugendamt auferlegte Pflicht, die Feststellung zu treffen, bezeichnet oder erkennbar. Vielmehr heißt es dort:
... "wenn das Jugendamt ... feststellt". Damit ist die Feststellung als Bedingung, als Voraussetzung für die Soll-Verpflichtung
zum Aufwendungsersatz formuliert, womit nichts darüber ausgesagt ist, ob auf die Feststellung selbst ein Rechtsanspruch besteht.
Auch aus der Systematik des Gesetzes ist kein Rechtsanspruch ersichtlich. Für die vom Gesetz zunächst allein geregelten Fälle
vermittelter Tagespflege bestimmt § 23 Abs. 1 SGB VIII, daß eine Tagespflegeperson vermittelt werden "kann". Damit stellte der Gesetzgeber das Eingreifen der Jugendhilfe im Bereich
der Tagespflege in das Ermessen des Jugendamtes. Erst im Rahmen der so (durch Vermittlung) in Jugendhilfe übernommenen Tagespflege,
sollen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Für die durch § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 (BGBl I S. 239) mit Wirkung vom 1. April 1993 einbezogenen Fälle nachgewiesener Tagespflege wollte der Gesetzgeber nicht von der Grundaussage
des § 23 Abs. 1 SGB VIII abrücken, sondern lediglich erreichen, daß das Jugendamt die jugendhilferechtliche Förderung des Kindes in Tagespflege nicht
nur über die Vermittlung einer Tagespflege, sondern auch über die Bestätigung einer vom Personensorgeberechtigten zunächst
selbst organisierten Tagespflege bewirken kann (vgl. BTDrucks 12/2866 S. 31 Begründung zu Nr. 4). Da das Gesetz die Vermittlung
nach § 23 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII und die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII funktionsgleich geregelt hat, ist davon auszugehen, daß das für die jugendhilferechtliche Vermittlung nach § 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII in § 23 Abs. 1 SGB VIII normierte Ermessen entsprechend auch für die jugendhilferechtliche Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gilt. Ohne dieses Ermessen auch in Fällen nachgewiesener Pflegeperson könnten die Personensorgeberechtigten dem Jugendamt
anders als in Fällen der Vermittlung die Förderung in Tagespflege aufdrängen.
Wie § 23 Abs. 1 SGB VIII bestimmt, daß eine Tagespflegeperson vermittelt werden "kann", steht demnach auch die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII im "Kann"-Ermessen. Dieses grundsätzlich weite Ermessen kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen eingegrenzt bzw.
gebunden sein. Als Norm, die im vorliegenden Fall eine Ermessensbindung bewirken kann, kommt § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG in Betracht. Zwar ist dort der Sozialhilfeträger und nicht der Jugendhilfeträger in die Pflicht genommen, er solle darauf
hinwirken, daß Alleinerziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes (dazu gehört auch die Tagespflege) angeboten
wird. Aber eine solche Soll-Verpflichtung mit dem Ziel, dem Alleinerziehenden zu ermöglichen, einerseits zu seinem und des
Kindes Unterhalt zu arbeiten und andererseits das Kind zu erziehen und zu betreuen, ist nur dann sinn- und wirkungsvoll, wenn
ihr in solchen Fällen eine Soll-Verpflichtung des Jugendamtes entspricht, die Förderung des Kindes auf dem angebotenen/nachgewiesenen
Platz zur Tagesbetreuung als Jugendhilfemaßnahme zu übernehmen. Auch mag es Fälle geben, in denen sich das Ermessen auf nur
eine mögliche Entscheidung verdichtet. Ob und gegebenenfalls inwieweit im vorliegenden Fall ein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung
besteht, hängt von weiteren tatsächlichen Ermittlungen des Berufungsgerichts ab.
Zu Recht haben die Vorinstanzen erkannt, daß ein solcher Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII den Personensorgeberechtigten zusteht. Die Vermittlung (§ 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII) und die Feststellung (§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII) sind zwei gleichwertige Möglichkeiten, die Förderung des Kindes in Tagespflege als jugendhilferechtliche Aufgabenerfüllung
und damit als jugendhilferechtliche Maßnahme zu übernehmen. Darin liegt der Grund, warum ein darauf gerichteter Anspruch dem
Personensorgeberechtigten zusteht. Denn nur in seiner Entscheidungsbefugnis (nicht [auch] der eines Dritten) liegt es, ob
er bei der Erziehung und Betreuung die Unterstützung der Jugendhilfe in Anspruch nehmen will. Deshalb scheidet die Pflegeperson
als anspruchsberechtigt in bezug auf die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII (wie auch in bezug auf die Vermittlung nach § 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII) aus. Sie hat zwar nach § 23 Abs. 2 SGB VIII Anspruch auf Beratung in allen Fragen der Tagespflege; auch sollen ihr nach § 23 Abs. 3 SGB VIII die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Sie kann aber nicht (eigenständig,
vom Elternrecht unabhängig und auf Kosten der Eltern [§ 91 Abs. 2 SGB VIII]) die Förderung des Kindes in Tagespflege durch
das Jugendamt beanspruchen. Auch dem Kind selbst steht ein solcher Anspruch nicht zu. Zwar kommen auch Kinder als Leistungsberechtigte
nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch in Betracht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Dies zeigt sich z.B. in § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der dem die Tagespflege regelnden § 23 SGB VIII unmittelbar folgt und mit diesem im Dritten Abschnitt "Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege" steht.
Soweit im Achten Buch Sozialgesetzbuch der Anspruchsberechtigte nicht ausdrücklich angegeben ist, ist zu berücksichtigen,
daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Da die Tagespflege eine die elterliche Pflege und Erziehung unterstützende und ergänzende Betreuung des Kindes ist, sind
anspruchsberechtigt für die Aufnahme darauf gerichteter Jugendhilfe die Personensorgeberechtigten. Deshalb ist auch Voraussetzung
für die Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, daß eine Pflegeperson von den Personensorgeberechtigten nachgewiesen ist.
Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, daß wegen der Arbeit der
Klägerin eine Betreuung ihrer Tochter in Tagespflege eigentlich geeignet und erforderlich ist. Auch ist nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts nicht streitig, daß die Großmutter für die Betreuung des Kindes an sich geeignet ist. Streit besteht
allein darüber, ob eine jugendhilferechtliche Förderung eines Kindes in Tagespflege erforderlich ist, wenn das Kind, wie hier,
durch seine Großmutter betreut wird. Dabei weist der vorliegende Fall noch die Besonderheit auf, daß die Großmutter mit der
Klägerin (ihrer Tochter) und deren Kind (ihrer Enkeltochter) zusammenlebt.
Zu Recht haben die Vorinstanzen dargelegt, daß ein Eingreifen der Jugendhilfe nicht davon abhänge, daß der Anspruch des Kindes
auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt werde. Das Jugendwohlfahrtsgesetz, das diese Voraussetzung in § 1 Abs. 3 JWG geregelt
hatte, wozu der Senat entschieden hatte, daß auch Großeltern zur Familie im Sinne dieser Bestimmung gehörten (BVerwGE 52,
214), ist durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch abgelöst worden. Entscheidend ist jetzt allein, ob die Eltern bzw. die Personensorgeberechtigten
bei der Erziehung bzw. Betreuung Hilfe brauchen.
Tagespflege nach § 23 SGB VIII ist durch Betreuung im eigenen Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten möglich. Daraus kann nicht geschlossen
werden, daß eine Tagespflege bei einem gemeinsamen Haushalt des Personensorgeberechtigten und der Tagespflegeperson nicht
möglich sei. Für die Tagespflege ist nicht maßgeblich, ob die Tagespflegeperson in einem eigenen Haushalt oder in einem gemeinsamen
Haushalt zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und damit auch zusammen mit dem Kind lebt. Entscheidend ist vielmehr auf
den Erziehungsauftrag des Personensorgeberechtigten und darauf abzustellen, ob er ihn ohne Jugendhilfe erfüllen kann. Dabei
ist zu berücksichtigen, daß er sich zur Erfüllung seines Erziehungsauftrags, ohne auf Jugendhilfe angewiesen zu sein, auch
anderer Personen (z.B. des Ehegatten, des Lebensgefährten, eines anderen Kindes nach §
1619 BGB oder auch der Großeltern) bedienen kann. Soweit ihm das ohne Aufwand möglich ist, bedarf er keiner Jugendhilfe.
Der Umstand, daß Eltern ihr Kind zeitweise nicht selbst persönlich betreuen, bewirkt deshalb nicht notwendig, daß der Betreuungsbedarf
des Kindes ohne Jugendhilfe ungedeckt bliebe. Denn die erforderliche Betreuung des Kindes kann - worauf der Senat bereits
in BVerwGE 100, 178 (181) zur Hilfe zur Erziehung hingewiesen hat - auch ohne öffentliche Jugendhilfe z. B. durch einen Verwandten geleistet
werden. Betreut ein Verwandter (oder Freund oder Nachbar) das Kind im Einvernehmen mit dem Personensorgeberechtigten (zu selbstorganisierter
Tagespflege vgl. § 25 SGB VIII) unentgeltlich zeitweise, so bedarf es keiner jugendhilferechtlichen Förderung des Kindes in Tagespflege nach § 23 SGB VIII.
Wenn, wie hier, Großeltern ihr Enkelkind betreuen, ist deshalb zunächst zu prüfen, ob sie dies unentgeltlich tun. Betreuen
sie ihr Enkelkind unentgeltlich, was nach der Lebenserfahrung aufgrund der engen familiären Verbundenheit zwischen Großeltern
und ihren Enkeln regelmäßig erwartet werden kann, ist öffentliche Jugendhilfe nicht erforderlich. Beanspruchen Großeltern
für die Betreuung ihres Enkels ein Entgelt, so ist das für einen Anspruch des Personensorgeberechtigten auf Jugendhilfe allerdings
nur dann beachtlich, wenn das Entgeltverlangen berechtigt ist, wenn ihm also nicht entgegensteht, daß die Großeltern mit der
Betreuung eine ihrem Enkelkind gegenüber bestehende Unterhaltspflicht erfüllen. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger, durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch nicht berührt.
Wird die Tagespflege in Form der Verwandtenpflege von den Großeltern in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht erbracht, bedarf
es dafür der öffentlichen Jugendhilfe nicht.
Großeltern sind zwar zur Pflege und Erziehung ihrer Enkel weder verpflichtet noch - ohne Einwilligung der Eltern - auch nur
berechtigt. Denn erst die Personensorge umfaßt das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen und zu erziehen (§
1631 Abs.
1 BGB). Als in gerader Linie Verwandte sind die Großeltern aber gegenüber ihren unterhaltsbedürftigen Enkelkindern zum Unterhalt
verpflichtet (§§
1601,
1602,
1615 a BGB), wenn auch nur nachrangig nach deren Eltern (§
1606 Abs.
2, §
1607 Abs.
1 BGB). Wird ein Kind außerhalb des Elternhauses gegen Entgelt betreut und erzogen, wandelt sich der von der Mutter nicht durch
Naturalunterhalt (vgl. §
1606 Abs.
3 Satz 2
BGB) befriedigte Betreuungsbedarf des Kindes durch die entgeltliche Betreuungsleistung des Dritten um in einen zusätzlichen Barbedarf
des Kindes (vgl. KG, Urteil vom 8. Juni 1988 - 18 UF 5843/87 - [FamRZ 1989, 778] und OLG Hamm, Urteil vom 27. Juni 1990 - 5 UF 431/89 - [FamRZ 1991, 104]). Der Bedarf des Kindes richtet sich in diesen Fällen nach dem tatsächlich erforderlichen Aufwand für
seine Pflege, Versorgung und Erziehung (vgl. Göppinger/Wax u.a., Unterhaltsrecht, 6. Aufl. 1994, Rn. 813). Für ihn haften,
nachdem §
1606 Abs.
3 Satz 2
BGB nicht anwendbar ist, die Eltern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§
1606 Abs.
3 Satz 1
BGB). Erst wenn und soweit die Eltern nicht leistungsfähig sind im Sinne des §
1603 BGB, haben die Großeltern - väterlicher- wie mütterlicherseits - nach §
1607 Abs.
1, §
1606 Abs.
3 Satz 1
BGB den Unterhalt zu gewähren, wenn und soweit sie ihrerseits leistungsfähig sind.
Dies bedeutet: Sind die Eltern leistungsunfähig, haben die Großeltern, soweit sie ihrerseits unterhaltspflichtig sind, Unterhalt
zu gewähren, den sie auch dadurch erbringen können, daß sie das Kind mit Einwilligung der Eltern versorgen und betreuen (vgl.
LG Schweinfurt, Urteil vom 2. Oktober 1974 - 3 S 20/74 - [DaVorm 1974, 617/619]). Verpflichtet sind sie hierzu nicht; wenn sie sich aber - im Interesse des Kindes und/oder aus
Gründen der Kostenersparnis - dafür entscheiden, das Kind selbst zu versorgen und zu erziehen, können sie hierfür kein Entgelt
verlangen. Denn insoweit erfüllen sie mit ihrer Betreuungsleistung ihre Unterhaltspflicht natural, für deren Erfüllung sie
sonst, übernähme sie ein Dritter, Barunterhalt leisten müßten. Daß Großeltern nach §§ 91 ff. SGB VIII nicht zu den Kosten der Jugendhilfe beitragen müssen und nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII auch Unterhaltsansprüche gegen sie nicht übergeleitet werden können, berührt ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Enkeln
nicht. Soweit Großeltern ihre Unterhaltspflicht statt durch Barunterhalt durch naturale Betreuung erfüllen, betreuen sie ihr
Enkelkind ohne Anspruch auf ein Entgelt und ist öffentliche Jugendhilfe zur Förderung des Kindes in Tagespflege nach § 23 SGB VIII nicht erforderlich.
Sind die Eltern dagegen (ganz oder teilweise) leistungsfähig oder sind neben den betreuenden Großeltern weitere Großeltern
anteilig unterhaltspflichtig, tritt insoweit eine Unterhaltspflicht der betreuenden Großeltern nicht ein. Eine durch sie geleistete
Betreuung kann sich folglich insoweit auch nicht als naturale Erfüllung einer sie treffenden Unterhaltspflicht darstellen
(vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1981 - IVb ZR 587/80 - [NJW 1981, 1559]). Der Nachrang öffentlicher Jugendhilfe kann deshalb insoweit nicht durch Verweis auf die von den Großeltern
erbrachten Betreuungsleistungen zum Tragen gebracht werden. Vielmehr obliegt es dann dem Jugendhilfeträger nach seinem die
Besonderheiten des Falles berücksichtigenden Ermessen, Jugendhilfe zur Förderung des Kindes in Tagespflege nach § 23 SGB VIII zu leisten. Der Nachrang öffentlicher Jugendhilfe kann, soweit eine unterhaltsrechtliche Leistungspflicht der Eltern besteht,
nur durch deren Heranziehung zu den Kosten durch Erhebung eines Kostenbeitrags nach § 91 Abs. 2, § 93 SGB VIII aktualisiert werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bisher nicht geklärt, ob die Mutter der Klägerin
zur Betreuung ihres Enkelkindes nur gegen Entgelt bereit war. Auch läßt sich auf der Grundlage der von den Vorinstanzen bisher
festgestellten Tatsachen nicht hinreichend sicher beurteilen, ob die Mutter der Klägerin ihre Enkelin in Erfüllung einer Unterhaltspflicht
(nach Angaben der Klägerin war ihre Mutter nicht leistungsfähig, sondern erhielt Sozialhilfe) betreute. Das nötigt zur Zurückverweisung.
Zwar kann davon ausgegangen werden, daß Großeltern für die Betreuung ihres Enkelkindes gerne Geldleistungen der Jugendhilfe
erhielten. Das reicht aber als Nachweis dafür, daß sie ihr Enkel nur gegen Entgelt zu betreuen bereit sind, nicht aus. Erst
wenn festgestellt ist, daß die Mutter der Klägerin zur Betreuung ihres Enkels nur gegen Entgelt bereit war, kommt eine Feststellung
des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in Betracht. Für den Fall einer Verpflichtung wird zu beachten sein, daß die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII (wie die Vermittlung nach § 23 Abs. 1 SGB VIII) unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles im Ermessen des Jugendamtes liegt.