Sozialhilferecht - Sozialhilfe, keine Einsatzgemeinschaft zwischen in Haushaltsgemeinschaft lebenden hilfebedürftigen Stiefkindern
und ihren Stiefeltern Einsatzgemeinschaft, keine - zwischen in Hausgemeinschaft lebenden hilfebedürftigen Stiefkindern und
ihren Stiefeltern Stiefeltern, Berücksichtigung ihres Einkommens und Vermögens bei den in Haushaltsgemeinschaft mit ihnen
lebenden hilfebedürftigen Stiefkindern
Gründe:
I.
Der am 21. Juli 1979 geborene Kläger zu 1 und sein Bruder, der am 21. Mai 1983 geborene Kläger zu 2, begehren von der Beklagten
die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 25. Mai 1994 bis zum 19. Dezember 1994. Die Kläger sind
Kinder aus der ersten Ehe ihrer wiederverheirateten Mutter. Sie leben in Haushaltsgemeinschaft mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater
und ihrem im Jahre 1990 geborenen Stiefbruder C.
Am 25. Mai 1994 beantragten die Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, weil ihr Vater keinen Unterhalt zahlte. Die Beklagte
lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Oktober 1994 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 19. Dezember 1994 zurück. Sie begründete ihre Entscheidungen damit, daß das Einkommen der Mutter aus deren Berufstätigkeit
ausreiche, um den nach der unstrittigen Anrechnung anteiligen Kindergeldes von 330 DM und eines Steuervorteiles des Stiefvaters
in Höhe von 142,77 DM noch ungedeckten notwendigen Lebensunterhalt der Kläger sicherzustellen.
Die hierauf erhobene Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung ergänzender laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für
die streitgegenständliche Zeit hatte in den ersten beiden Rechtszügen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat sein klagabweisendes
Urteil im wesentlichen wie folgt begründet:
§ 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nehme zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit des einsatzpflichtigen Angehörigen nicht auf Bestimmungen des
BGB zur Unterhaltspflicht Bezug, sondern sehe den Angehörigen dann als leistungsfähig an, wenn er über Einkommen im Sinne der
§§ 76 ff. BSHG verfüge und dieses nicht zur Deckung des eigenen sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedarfs benötige. Welchen sozialhilferechtlich
anzuerkennenden Bedarf der Angehörige des Hilfesuchenden seinerseits habe, lasse sich aber nur anhand einer Betrachtung der
gesamten Lebensumstände des Angehörigen feststellen. Dazu gehörten zum einen die Bedarfsgemeinschaft, die er zusammen mit
dem Hilfesuchenden und ggf. weiteren Personen bilde, und zum anderen die Bedarfsgemeinschaft, die er mit dritten Personen
bilde, welche ihrerseits nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Hilfesuchenden lebten. Zur Ermittlung der sozialhilferechtlichen
Leistungsfähigkeit der Mutter der Kläger sei deshalb nicht nur die Bedarfsgemeinschaft zu betrachten, die diese gemeinsam
bildeten, sondern auch jene, die die Mutter zusammen mit dem Stiefvater und dem gemeinsamen Kind bilde. Wie das Verwaltungsgericht
zutreffend festgestellt habe, sei innerhalb der letztgenannten Bedarfsgemeinschaft der sozialhilferechtliche Bedarf der Mutter
der Kläger durch das Einkommen des Stiefvaters gedeckt, so daß sie ihr eigenes Einkommen voll zur Deckung des Bedarfs der
Kläger einsetzen könne und müsse. Eine unzulässige "Einsatzgemeinschaftenkette" liege hierin nicht. Sie wäre erst dann gegeben,
wenn von dem Stiefvater der Kläger erwartet würde, sein Einkommen - unterhalb des Niveaus des § 16 BSHG - auch unmittelbar zur Deckung des Bedarfs der Kläger einzusetzen. Das sei aber gerade nicht der Fall. Allerdings sei der
Stiefvater auch nicht berechtigt, die Mutter der Kläger darauf zu verweisen, ihr Einkommen statt für den notwendigen Lebensunterhalt
der Kläger vorrangig für den eigenen Lebensunterhalt einzusetzen, damit er sie, seine Ehefrau, nicht zu unterstützen brauche
und ihnen beiden und dem gemeinsamen Kind ein über dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegendes Einkommen bleibe. Eine solche
Erwartung widerspräche § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG. Ihr zu entsprechen, würde im Ergebnis dazu führen, daß die Mutter der Kläger nicht mehr arbeitete, um ihre hilfebedürftigen
Kinder aus der ersten Ehe von der Sozialhilfe unabhängig zu machen, sondern dafür, ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind
- letztlich zu Lasten der Sozialhilfe - ein höheres Lebensniveau zu verschaffen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen. Sie rügen Verletzung des §
11 Abs. 1 Satz 2 und des § 76 BSHG. Im Rahmen dieser Bestimmungen könne Einkommen des Ehemanns der Mutter der Kläger nur dann Berücksichtigung finden, wenn
und soweit es der Mutter als Einkommen zufließe. Dies sei aber nicht der Fall, da der Mutter der Kläger gegen ihren Ehemann
nur ein sog. Naturalunterhaltsanspruch zustünde, der nicht in eine Unterhaltsrente umgerechnet und daher nicht als Geldeswert
im Sinne des § 76 BSHG angesehen werden könne.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision der Kläger, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. §
125 Abs.
1 Satz 1 und §
101 Abs.
2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG sei zur Ermittlung der sozialhilferechtlichen Leistungsfähigkeit der Mutter der Kläger auch die "Bedarfsgemeinschaft" zu
berücksichtigen, die diese zusammen mit dem Stiefvater und dem gemeinsamen Kind bildet, verletzt Bundesrecht. Da eine abschließende
Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen erfordert, die zu treffen dem Revisionsgericht verwehrt ist
(§
137 Abs.
2 VwGO), muß die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 VwGO).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der durch Kindergeld und Steuervorteil nicht abgedeckte Bedarf der im streitgegenständlichen
Bedarfszeitraum minderjährigen Kläger monatlich 794,81 DM betrug. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG sind, soweit minderjährige unverheiratete Kinder, die dem Haushalt eines Elternteils angehören, den notwendigen Lebensunterhalt
aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können, auch das Einkommen und das Vermögen des Elternteils zu berücksichtigen.
Das anrechenbare Einkommen der Mutter haben die Vorinstanzen mit 868,60 DM festgestellt und dieser verwehrt, damit zunächst
ihren eigenen, mit 872,23 DM festgestellten Bedarf abzudecken, weil sie diesen aus dem nach § 76 BSHG bereinigten Erwerbseinkommen ihres Ehemannes (rd. 2600 DM) bestreiten könne. Diese Auffassung läßt sich aus § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht rechtfertigen.
§ 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG geht aus vom Bedarf des Hilfesuchenden und regelt, welches Einkommen und Vermögen diesem Bedarf als Deckungsmittel gegenüberzustellen
sind. Daß dabei nur das Einkommen und Vermögen des selbst nicht hilfesuchenden Elternteils berücksichtigt werden kann, das
über den Betrag hinausgeht, den der einsatzpflichtige Elternteil benötigt, um seinen eigenen Bedarf abzudecken, versteht sich
von selbst. Denn anderenfalls würde der Einsatzpflichtige durch den Entzug der für seinen eigenen Lebensunterhalt notwendigen
Mittel selbst sozialhilfebedürftig. Eine solche Auslegung und Anwendung der Vorschrift verstieße gegen das Grundrecht auf
Achtung und Schutz der Menschenwürde (Art.
1 Abs.
1 GG), weil sie denjenigen, der sich selbst helfen kann (§ 2 Abs. 1 BSHG), verpflichtet, seine Mittel für andere einzusetzen, mit der Folge, daß er dadurch selbst mittellos wird und auf staatliche
Hilfe angewiesen ist (vgl. auch BVerfGE 87, 153 >172<).
Hinsichtlich der Personen, deren Einkommen und Vermögen im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zu berücksichtigen sind, enthält die Vorschrift eine abschließende Regelung (vgl. BVerwGE 25, 307 >311<). Stiefeltern bedürftiger minderjähriger unverheirateter Kinder sind dort nicht genannt. Das Gesetz nimmt sie erst
mit der - umfassenderen - Regelung des § 16 BSHG in den Blick, mit der es vermutet, daß Verschwägerte den mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Hilfesuchenden Leistungen
zum Lebensunterhalt zukommen lassen, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann, im Falle der Widerlegung
der Vermutung aber den Sozialhilfeanspruch des Hilfesuchenden trotz des Zusammenlebens mit dem Verschwägerten unberührt läßt.
Vor diesem systematischen Hintergrund kann auch § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht dahin ausgelegt werden, daß über die Brücke des sozialhilferechtlichen Bedarfs bzw. der sozialhilferechtlichen Leistungsfähigkeit
der Mutter der Hilfesuchenden die "Bedarfsgemeinschaft" in den Blick zu nehmen sei, die nach Ansicht des Berufungsgerichts
die Mutter mit ihrem jetzigen Ehemann und Stiefvater der hilfesuchenden Kinder bilde. Diese Einsatzgemeinschaft wird zu Lasten
des Ehemannes und Stiefvaters nur aktualisiert, wenn die Mutter der Kläger ihrerseits einen sozialhilferechtlichen Bedarf
hat, also selbst Hilfesuchende ist. Das ist, solange sie ihren Bedarf aus ihrem eigenen Erwerbseinkommen decken kann, nicht
der Fall.
Ebensowenig ist der vom Berufungsgericht verwendete Begriff der sozialhilferechtlichen Leistungsfähigkeit geeignet, Einkommen
und Vermögen des Stiefvaters im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG zu berücksichtigen. Denn ein solcher Begriff findet sich in der genannten Vorschrift nicht. Sie stellt vielmehr allein auf
Einkommen und Vermögen des in Haushaltsgemeinschaft mit dem hilfesuchenden Kind lebenden Elternteils ab. Einkommen des Stiefvaters
kann aber nur dadurch zu Einkommen der Mutter der Kläger werden, daß es dieser zufließt, zu einer Einkunft in Geld oder Geldeswert
im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG wird. Folglich kann im Rahmen der Einsatzgemeinschaft zwischen den Klägern und ihrer Mutter Einkommen des Stiefvaters nicht
in der Weise berücksichtigt werden, daß darauf abgehoben wird, ob es ausreicht, um den Bedarf der neuen Familie zu decken.
Hier - wie auch sonst in der Sozialhilfe - kommt es vielmehr auf die tatsächliche Lage an. Das Oberverwaltungsgericht hätte
deshalb der Frage nachgehen müssen, ob der Mutter der Kläger neben ihrem Erwerbseinkommen Geld aus dem Erwerbseinkommen ihres
Ehemannes zufließt und/oder ihr Lebensunterhalt durch Sachleistungen ihres Ehemannes, insbesondere durch Gewährung freier
Kost und Wohnung, sichergestellt ist. Ob derartige Sachleistungen als Sachbezüge (vgl. § 2 der VO zur Durchführung des § 76 BSHG) Einkünfte in Geldeswert und damit Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG sind, mag zweifelhaft sein, da sie nicht zur Weitergabe an die Kinder geeignet wären. Sie können aber jedenfalls den sozialhilferechtlich
beachtlichen Eigenbedarf des einsatzpflichtigen Elternteils mindern oder decken und damit mittelbar zu einer Erhöhung des
für die Deckung des notwendigen Lebensunterhalts der Kinder zur Verfügung stehenden Teils des Elterneinkommens führen.
Das Oberverwaltungsgericht hat derartige Feststellungen - von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht
getroffen. Das nötigt zur Zurückverweisung. Denn das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§
144 Abs.
4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat nämlich - ohne daß hiergegen zulässige und begründete Revisionsrügen erhoben worden wären
- festgestellt, daß die Voraussetzungen des § 16 BSHG für eine Anrechnung vermuteter Leistungen des Stiefvaters zum Lebensunterhalt der Kläger im vorliegenden Fall nicht erfüllt
sind. Hieran ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß §
137 Abs.
2 VwGO gebunden.