Gründe:
I.
Der Kläger verlangt vom Beklagten Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um Hilfe zum Lebensunterhalt
ab dem 1. Juli 1995.
Der 1939 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er behauptet, seit 1980 seinen ständigen Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten von Amerika zu haben. Seine Absicht, dort nach beruflichen und persönlichen Mißerfolgen, die ihm in Deutschland widerfahren
waren, eine neue Existenz aufzubauen, hat sich nicht verwirklicht. Der Kläger ist an einer chronischen rezidivierenden Pankreatitis
erkrankt und Inhaber eines Schwerbehindertenausweises. Er behauptet, erwerbsunfähig zu sein, unselbständige Tätigkeit sei
ihm in den USA ohnehin nicht gestattet. Der Kläger macht geltend, er habe dort ein soziales Umfeld gefunden, das er nicht
ohne Gefahr für seine körperliche und seelische Verfassung aufgeben könne.
Unter dem 1. Juli 1995 stellte der Kläger, der schon in der Zeit vom 30. März 1993 bis zum 30. Juni 1995 vom Beklagten Sozialhilfe
für Deutsche im Ausland erhalten hatte, einen erneuten Sozialhilfeantrag. Durch Schreiben vom 18. Juli 1995 teilte der Beklagte
ihm - ohne Rechtsmittelbelehrung - mit, Sozialhilfe könne nach § 119
BSHG n.F. nicht gewährt werden, nachdem bereits das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Gerichtsbescheid vom 16. Mai 1994 festgestellt
habe, daß der Kläger ab Inkrafttreten der Neufassung des § 119
BSHG keinen Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt habe. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Durch Bescheid
vom 24. Januar 1996 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung als unzulässig zurück, sein Schreiben vom 18. Juli
1995 sei kein Verwaltungsakt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht die dagegen eingelegte
Berufung des Klägers zurückgewiesen und dies wie folgt begründet:
Beim Kläger liege kein "besonderer Notfall" im Sinne des § 119
BSHG n.F. vor. Eine zwingende Verpflichtung, hilfebedürftigen Personen im Ausland zu helfen, treffe die Bundesrepublik Deutschland
nicht. Dem Sozialstaatsgebot sei genügt, weil das Konsulargesetz die Rückführung sichere und der Kläger in der Bundesrepublik den notwendigen Lebensunterhalt erlangen könne. Ein grundrechtlich
garantierter Anspruch, sich im Ausland aufzuhalten und dort Fürsorgeleistungen deutscher Stellen zu erhalten, bestehe nicht.
Nach der Neufassung des § 119
BSHG sei die Hilfegewährung in den Fällen ausgeschlossen, in denen der Hilfesuchende - wie hier - ("nur") im Sinne des § 11
BSHG hilfebedürftig sei. Ein "Not-Fall" sei schon nach dem Wortlaut eine Sachlage, in der plötzlich und unvorhergesehen für den
Betreffenden nachteilige Veränderungen einträten, die zwar dessen Existenz tief berührten, jedoch in aller Regel innerhalb
einer mehr oder minder kurzen Zeitspanne wieder (vollständig) beseitigt werden könnten. Dem Begriff des Notfalles wohne daher
ein zeitliches Moment des Plötzlichen inne; die die Auslandshilfe rechtfertigende Sachlage müsse sich unvermutet einstellen.
Der Notfall müsse außerdem "besonders" sein. Der Mangel müsse in hervortretender Weise existentielle Güter betreffen. Dies
sei hier nicht der Fall. Ohne Erfolg verweise der Kläger auf die vermeintliche Gefahr, im Falle einer Heimführung wegen Entwurzelung
ernste seelische Schäden davonzutragen. Er habe nicht durch Vorlage eingehender ärztlicher Stellungnahmen oder in ähnlicher
Weise glaubhaft gemacht, daß bei ihm eine derartige Gefahr bestehe. Seine Erkrankung begründe gleichfalls einen solchen Notfall
nicht, da es sich nicht um einen plötzlich auftretenden Notfall, sondern ein Dauerleiden handele, zu dessen Behandlung der
Kläger sich im übrigen regelmäßig nach Deutschland begebe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung von § 119
BSHG rügt: Das Oberverwaltungsgericht habe das Tatbestandsmerkmal "besonderer Notfall" unzutreffend definiert und sei infolgedessen
in dem angefochtenen Urteil auf seine - des Klägers - vorgetragene und durch ärztliche Atteste belegte Erkrankung und Gesundheitsbelastung
durch die Rückführung nach Deutschland nicht eingegangen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Nach Ansicht des Oberbundesanwalts sind an die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "besonderen Notfalls" strenge
Anforderungen zu stellen. Ob die Situation des Klägers diesen entspreche, sei durch Einzelfallprüfung zu ermitteln.
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das angegriffene Urteil steht teilweise mit Bundesrecht nicht im Einklang
(§
137 Abs.
1 Nr.
1
VwGO). Da jedoch eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen und Würdigungen erfordert,
die vorzunehmen dem Revisionsgericht verwehrt ist (§
137 Abs.
2
VwGO), muß die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage im Sinne von §
75
VwGO zulässig. Der Beklagte hat "über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts... sachlich nicht entschieden" (§
75 Satz 1, erste Alternative
VwGO); denn er hat es durch Schreiben vom 18. Juli 1995 in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 1996 gegenüber
dem Kläger abgelehnt, eine Sachentscheidung über dessen Sozialhilfeantrag vom 1. Juli 1995 zu treffen. Hierfür gab es keinen
zureichenden Grund; denn die Rechtskraft des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts vom 16. Mai 1994 - 3 A 1285/93.Hi -, auf die der Beklagte sich berufen hat, erstreckte sich nur auf die Zeit bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides in
jenem Verfahren im August 1993 (s. S. 5 des Gerichtsbescheides). Der im vorliegenden Rechtsstreit umstrittene Zeitraum (Klage
auf Sozialhilfeleistungen ab 1. Juli 1995) wird somit - entgegen der Auffassung des Beklagten - von der Rechtskraft jener
Entscheidung nicht erfaßt.
Die Berechtigung des Begehrens des Klägers auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach § 119 Abs. 1
BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl I S. 646) zu beurteilen. Nach der bis zum 26. Juni 1993 geltenden
früheren Fassung des § 119 Abs. 1
BSHG sollte Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Ausland der Hilfe bedürfen, Hilfe zum Lebensunterhalt
gewährt werden; sonstige Sozialhilfe konnte gewährt werden, wenn die besondere Lage des Einzelfalles dies rechtfertigte. In
dieser früheren Fassung ist § 119
BSHG gemäß § 147 b
BSHG nur noch in den Fällen anzuwenden, in denen Deutsche im Ausland am 1. Juli 1992 Hilfe nach § 119
BSHG bezogen haben, weiterhin bedürftig sind und bis zum 26. Juni 1993 das 60. Lebensjahr vollendet hatten oder die Hilfe in einer
Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhielten. Da der Kläger keine dieser Voraussetzungen erfüllt, ist
sein die Zeit ab dem 1. Juli 1995 betreffendes Hilfebegehren, nach dem neuen Recht zu beurteilen. Darüber besteht unter den
Beteiligten auch kein Streit.
Das Berufungsgericht hat jedoch die Neuregelung zu eng ausgelegt.
Gemäß § 119 Abs. 1
BSHG in seiner jetzt geltenden Fassung kann Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und dort der Hilfe bedürfen,
in besonderen Notfällen Sozialhilfe gewährt werden. Die Vorschrift knüpft die in das Ermessen der Behörde gestellte Hilfeleistung
an einen Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland jetzt nicht (mehr) nur an die Voraussetzung, daß er im Ausland der
Hilfe bedarf. Vielmehr muß ein besonderer Notfall vorliegen. Wann ein solcher besonderer Notfall vorliegt, ist im Gesetz nicht
ausdrücklich geregelt. Der Begriffsinhalt muß also durch Auslegung ermittelt werden.
Ein Notfall ist nach dem Wortsinn eine Sachlage, welche über die allgemeine Notlage hinausgeht, die Voraussetzung einer sozialhilferechtlichen
Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 11 Abs. 1
BSHG ist. Mit dem Erfordernis einer besonderen Notlage verlangt das Gesetz das Hinzutreten besonderer Umstände, die sich ihrer
Art nach von Situationen, die üblicherweise im Ausland sozialhilferechtlichen Bedarf hervorrufen, deutlich abheben. Deshalb
ist die besondere Notlage auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen ohne die Hilfeleistung an den im Ausland lebenden
und in Not geratenen Deutschen eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter droht. Das ist dann zu
bejahen, wenn durch die Not sein Leben in Gefahr ist oder bedeutender Schaden für die Gesundheit oder ein anderes vergleichbar
existentielles Rechtsgut zu gewärtigen ist, dem nicht anders als durch Hilfegewährung im Ausland begegnet werden kann, weil
dem Bedürftigen eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar ist. Der "besondere Notfall" als das Eintreten der Sozialhilfe
im Ausland auslösender Sachverhalt unterscheidet sich aus dieser Sicht von einer "allgemeinen" sozialhilferechtlichen Notlage,
die im Inland bereits eher zum Eintreten der Sozialhilfe führt, mithin dadurch, daß er erst gegeben ist, wenn die Not ein
wesentliches Rechtsgut gewichtig zu schädigen droht.
Der "besondere Notfall" ist sonach zum einen durch die qualifizierende Voraussetzung eines existentielle Güter betreffenden
Mangels charakterisiert, zum anderen aber abhängig von der Feststellung, daß dem Mangel nicht in zumutbarer Weise in der Bundesrepublik
Deutschland abgeholfen werden kann. Ausdrücklich schließt § 119 Abs. 3 Satz 2 BSHG Sozialhilfeleistungen im Ausland aus, wenn die Heimführung des Hilfesuchenden geboten ist. Dagegen kommt es - entgegen der
Ansicht des Oberverwaltungsgerichts - nicht entscheidend darauf an, ob diese besondere Hilfebedürftigkeit plötzlich und unvorhergesehen
eingetreten ist und ob sie innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne wieder beseitigt werden kann. Eine solche Einschränkung
läßt sich dem Wortsinn des Begriffs des besonderen Notfalls nicht entnehmen.
Nach diesen Grundsätzen kommt Sozialhilfe für den Kläger auf der Grundlage von § 119
BSHG in Betracht:
Wenn er - was näherer Aufklärung durch das Oberverwaltungsgericht bedarf, das von seinem Verständnis einer "besonderen Notlage"
her keine Veranlassung hatte, dem nachzugehen - außerstande ist, in den USA für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, droht
dem Kläger existentielle Not. Dies ist sozialhilferechtlich aber ohne Bedeutung, wenn es dem Kläger zuzumuten ist, in die
Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, um hier Sozialhilfe zu erhalten. Ob ihm die Rückkehr nach Deutschland zuzumuten
ist, hängt davon ab, ob der Kläger dadurch in eine Notlage geriete, die abzuwenden ebenfalls Aufgabe der Sozialhilfe ist.
Dies kann der Fall sein, wenn der Kläger, müßte er nach Deutschland zurückkehren, ernsthaft gesundheitlich gefährdet wäre.
Der Kläger behauptet dies, und der Sachverhalt gibt Veranlassung, seiner Behauptung nachzugehen. Dem Kläger ist amtsärztlich
bescheinigt, daß er "bei der Schwere der Erkrankungsschübe und der... psychischen Komponente als auslösendes Moment hierfür...
weiter in den USA leben sollte" (Bescheinigung der P.-Klinik O. mit Einverständnisvermerk des Gesundheitsamtes des Landkreises
O. vom 13. Januar 1994) und daß "seine Rückkehr nach Deutschland den Verlust persönlich notwendiger und lebenswichtiger sozialer
Beziehungen bedeuten würde" (ärztliche Bescheinigung der P.-Klinik vom 17. März 1994); aus ärztlicher Sicht wird ihm prognostiziert,
daß seine "psychische(n) Störungen... sich sicher weiterhin verstärken werden und zu häufigeren Krankenhausaufenthalten noch
führen werden, wenn er in Deutschland weiterhin verbleiben muß" (Universitätsklinikum F. vom 10. Mai 1996), der Behauptung
des Klägers, daß "ein Weiterleben in seinem neuen Lebensraum in den USA (für seinen Gesundheitszustand)... förderlich" sei,
könne aus ärztlicher Sicht nicht widersprochen werden (Universitätsklinikum F. vom 29. November 1995).
Mit alledem hat das Berufungsgericht sich nicht befaßt. Seine im Eilverfahren getroffene Feststellung (s. den in den Entscheidungsgründen
in Bezug genommenen Eilbeschluß vom 24. November 1993 - 4 M 4720/93 und 4 M 5360/93 - [FEVS 44, 376 = DÖV 1994, 482], S. 10 des Entscheidungsabdrucks), daß der Kläger die Gefahr von sozialhilferechtlich relevanten
Folgewirkungen einer Heimführung in die Bundesrepublik Deutschland "nicht durch Vorlage eingehender ärztlicher Stellungnahmen
oder in ähnlicher Weise glaubhaft gemacht" habe, war auf das Eilverfahren beschränkt und im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung
durch die inzwischen vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen überholt. Das Oberverwaltungsgericht wird somit nunmehr durch eine
Bewertung dieser Stellungnahmen oder auf sonstige ihm geeignet erscheinende Weise zu ermitteln haben, ob eine Heimführung
des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland dessen geschädigten Gesundheitszustand zusätzlich beeinträchtigen würde.