Kostenerstattung nach/bei Inobhutnahme von unbegleitet eingereisten ausländischen Jugendlichen; Interessenwahrungsgrundsatz
als Maßstab der Kostenerstattung
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt gemäß § 89 d SGB VIII als örtlicher Träger der Jugendhilfe vom Beklagten die Erstattung von Jugendhilfekosten für die Inobhutnahme des am 5. April
1983 geborenen ausländischen Jugendlichen M. A. F.
Mit Verfügung vom 18. Februar 1999 nahm die Klägerin den nach seinen Angaben am 2. Februar 1999 in Deutschland eingereisten
Jugendlichen in eine Erstversorgungseinrichtung in Obhut, weil er aufgrund seines Alters eine beschützende Unterbringung benötige.
Gleichzeitig wurde beim Familiengericht der Antrag auf Bestellung eines Vormunds gestellt. Mit Beschluss vom 25. März 1999
stellte das Amtsgericht das Ruhen der elterlichen Sorge fest, richtete für den Minderjährigen eine Vormundschaft ein und bestellte
das Jugendamt des Bezirksamts Hamburg-Nord zum Vormund. Der Eingang dieses Beschlusses bei dem Bezirksamt lässt sich in den
Akten nicht feststellen.
Am 5. Oktober 1999 beantragte der Vormund Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII. Diese wurde mit Verfügung vom 14. Oktober 1999 gewährt und in der Ausgestaltung von § 30 SGB VIII ab dem 18. Oktober 1999 in einer Jugendwohnung erbracht; die Inobhutnahme wurde ab diesem Zeitpunkt beendet.
Die Klägerin bat den Beklagten, der vom Bundesverwaltungsamt zum Kostenträger bestimmt worden war, um Anerkennung der Erstattungspflicht,
welche für die Zeit der Inobhutnahme vom 18. Februar 1999 bis zum 28. März 1999 und vom 5. Oktober bis 17. Oktober 1999 sowie
für die ab 18. Oktober 1999 gewährte Hilfe zur Erziehung dem Grund nach ausgesprochen, für die Inobhutnahme nach dem Beschluss
des Vormundschaftsgerichts bis zu dem Antrag des Vormunds auf Hilfe zur Erziehung aber abgelehnt wurde.
Das Verwaltungsgericht hat die zuletzt auf Erstattung der der Klägerin in der Zeit vom 13. April 1999 bis 4. Oktober 1999
entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von 28 675,50 DM zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit gerichtete Klage mit der Begründung
abgewiesen, mit der Bestellung des Amtsvormunds sei der Grund der Hilfemaßnahme entfallen. Der Verwaltungsgerichtshof hingegen
hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin die in der Zeit vom 13. April bis 18. Mai 1999 entstandenen Jugendhilfekosten zu
erstatten und den Erstattungsbetrag mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2000 zu verzinsen; im
Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
Die rechtlichen Voraussetzungen eines Kostenerstattungsbegehrens nach § 89 d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in der ab 1. Juli 1998 geltenden Fassung (BGBl I S. 3546) lägen mit Blick auf den unbegleitet eingereisten Jugendlichen vor,
doch seien die aufgewendeten Kosten gemäß § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nur zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch entspreche. Dies
sei nur der Fall, wenn und soweit die Jugendhilfe rechtmäßig sei. Eine rechtmäßige Inobhutnahme im Sinne des § 42 Abs. 1 SGB VIII habe ab dem Zeitpunkt der Aufnahme des Jugendlichen in die Erstversorgungseinrichtung der Klägerin vorgelegen, da die dortige
Betreuung des Jugendlichen über eine bloße Obdachlosenunterbringung hinausgegangen sei. Das Jugendamt habe auch unverzüglich
die Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen herbeigeführt
und den Antrag auf Bestellung eines Vormunds ohne schuldhaftes Zögern binnen weniger Tage gestellt. Nicht mehr den Vorschriften
des Achten Buches Sozialgesetzbuch entspreche jedoch die Inobhutnahme ab dem 19. Mai 1999. Bei einer Inobhutnahme wegen einer
dringenden Gefahr für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen (§ 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) sei es Aufgabe des Jugendamtes, diese Gefahr so rasch wie möglich abzuwenden und dafür zu sorgen, dass der Jugendliche in
ein geordnetes Dasein eingegliedert werde, in welchem seine auf Dauer berechnete Entwicklung und Erziehung gewährleistet erscheine
(§ 1 Abs. 1 SGB VIII). Mit der Bestellung eines Amtsvormunds durch das Familiengericht sei die Aufgabe des Jugendamtes, die Krisensituation zu
beseitigen, noch nicht erfüllt, denn allein durch die Vormundbestellung erhalte der Jugendliche noch keine Unterkunft und
schon gar nicht die gegebenenfalls erforderlichen erzieherischen Hilfen. Im Rahmen der Inobhutnahme sei es gemäß § 42 Abs. 1 Satz 5 SGB VIII Aufgabe der Jugendämter, für das Wohl des Jugendlichen zu sorgen, ihn in seiner gegenwärtigen Lage zu beraten und ihm Möglichkeiten
der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen; auch der bestellte Amtsvormund sei zu beraten und zu unterstützen. Bei der Einreise
unbegleiteter ausländischer Jugendlicher sei dabei zunächst zu klären, ob der Jugendliche nach Hause zurückkehren wolle oder
ein Asylantrag zu stellen sei. Wolle er einen Asylantrag stellen oder habe dies bereits getan oder sei ein solcher Antrag
angezeigt, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er innerhalb kürzerer Zeit in sein Heimatland zu verbringen sein werde;
es müsse dann geprüft werden, ob Hilfe zur Erziehung notwendig und geeignet sei. Diese sei daran ausgerichtet, ob der Jugendliche
überhaupt (noch) einer Erziehung bedürfe oder ob er erziehungsfähig sei. Falls dies zu bejahen sei, müsse die Art der Hilfe
zur Erziehung geprüft werden. Die Klärung dieser Fragen könne vom Jugendamt bereits vor der Bestellung des Amtsvormunds eingeleitet
werden. Die hierzu erforderliche Zeit, die zugleich den Rahmen für die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme bilde, lasse sich nicht
generell und verallgemeinernd festlegen, vielmehr komme es auf die konkrete Ausgestaltung des Einzelfalles an. Gleichwohl
lasse sich vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgestaltung der Inobhutnahme als vorübergehender Unterbringung zur Krisenintervention
in tatsächlicher Hinsicht feststellen, dass im Allgemeinen ein Zeitraum von drei Monaten für die Inobhutnahme ausreiche, um
den mit ihr beabsichtigten Zweck zu erreichen, so dass ein darüber hinausgehender Zeitraum - von besonderen Fallgestaltungen
abgesehen - nicht mehr als gesetzmäßige Aufgabenerfüllung im Sinne des § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angesehen werden könne. Innerhalb von drei Monaten könne der Jugendliche mit Hilfe eines Dolmetschers angehört, sein Betreuer
in der Erstversorgungseinrichtung gehört oder, wie üblicherweise geschehen, ein Erziehungsbericht angefordert und könne mit
dem bestellten Amtsvormund die weitere Vorgehensweise abgeklärt und auch begonnen werden. Der Einwand der Klägerin, Hilfe
zur Erziehung könne nur der Amtsvormund beantragen, so dass die Inobhutnahme bis zu diesem Antrag und in der Folge auch bis
zur Gewährung der Hilfe zur Erziehung rechtmäßig sei, treffe nicht zu. Das Jugendamt sei vielmehr verpflichtet, darüber zu
wachen, dass der Amtsvormund nicht untätig bleibe, und könne innerdienstlich auf den betreffenden Mitarbeiter einwirken, der
zwar weisungsunabhängig sei, aber der Rechtsaufsicht des Jugendamtes unterliege, das notfalls einen anderen Mitarbeiter mit
der Führung der Vormundschaft beauftragen könne und müsse.
Der vorliegende Fall weise keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigten, die Inobhutnahme über den Zeitraum von drei Monaten
hinaus aufrechtzuerhalten. Die Anhörung des Jugendlichen mit Hilfe des Dolmetschers sei - wie auch in vergleichbaren Fällen
- zügig erfolgt und der Amtsvormund durch das Familiengericht zügig bestellt worden; zögerlich sei jedoch die Abklärung des
eventuell bestehenden Bedarfs an Hilfe zur Erziehung im Zusammenwirken mit der Erstversorgungseinrichtung gewesen. Die Klägerin
gehe in einem Formularschreiben, das nach ca. drei Monaten an die Unterbringungseinrichtung versandt werde, "von einer durchschnittlichen
Verweildauer in Erstversorgungseinrichtungen von acht Monaten" aus. Dies stehe nicht mit der Zielrichtung der Inobhutnahme
in Einklang und werde durch die Wahrnehmung des Wohls des Jugendlichen nicht gerechtfertigt. Notwendige Erziehungsberichte
könnten bereits früher angefordert und auch erstellt werden; die Fortdauer der Aufnahme in der Erstversorgungseinrichtung
nach Ablauf von drei Monaten sei deshalb nicht mehr rechtmäßig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung der §§ 42, 89 f Abs. 1 SGB VIII und macht geltend, eine schematische Regelfrist für die rechtmäßige Dauer der Inobhutnahme sei unangemessen, vielmehr müsse
dem Vormund die jeweils im Einzelfall notwendige Zeit eingeräumt werden, um mit allen Beteiligten eine gemeinsame Perspektive
erarbeiten zu können.
Der Beklagte verfolgt mit seiner Anschlussrevision weiter den Rechtsstandpunkt, die Inobhutnahme sei nach dem 12. April 1999
(Bestellung des Amtsvormunds) unrechtmäßig gewesen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend der Auffassung, die Inobhutnahme sei jedenfalls nicht schon mit der Bestellung eines Amtsvormunds
beendet. Generelle, pauschalierende Zeitvorgaben für die Überleitung in eine dauerhafte Hilfe seien nicht möglich, vielmehr
müsse jeweils für die Entscheidung eine konkrete Einzelfallprüfung erfolgen.
II.
Revision und Anschlussrevision, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. §
125 Abs.
1 Satz 1 und §
101 Abs.
2 VwGO im erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, sind im Sinne der Zurückverweisung
begründet. Das Berufungsurteil ist mit Bundesrecht unvereinbar (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO), weil es den Beklagten mit Blick auf den streitgegenständlichen Zeitraum (13. April bis 4. Oktober 1999) zur Erstattung
der für M. A. T. bis zum 18. Mai 1999 aufgewendeten Jugendhilfekosten verurteilt, den weitergehenden Antrag aber abgewiesen
hat, ohne jeweils konkret festgestellt zu haben, ob und gegebenenfalls ab wann die in der Erstversorgungseinrichtung gewährte
Hilfe - wegen Ungeeignetheit oder weggefallenen Hilfebedarfs - nicht mehr geboten war oder die Klägerin Anlass hatte, die
Hilfe in eine weniger kostenintensive Hilfeform zu überführen. Insoweit besteht Aufklärungsbedarf. Das führt zur Aufhebung
des Berufungsurteils und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 VwGO).
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Klägerin den Beklagten aufgrund der Bestimmung des Bundesverwaltungsamts
zu Recht als erstattungspflichtiges Land nach § 89 d SGB VIII in der hier maßgeblichen, ab 1. Juli 1998 geltenden Fassung vom 29. Mai 1998 (BGBl I S. 1188) bzw. 8. Dezember 1998 (BGBl
I S. 3546) in Anspruch nimmt. Die Klägerin hat mit Verfügung vom 18. Februar 1999 den unbegleitet eingereisten, im Ausland
geborenen M. A. F. in Obhut genommen und ihm damit Jugendhilfe gewährt (§ 89 d Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 und 3 Nr. 1 SGB VIII). Gemäß § 89 d Abs. 1 Satz 3 SGB VIII bleibt die Erstattungspflicht nach Satz 1 unberührt, wenn die Person - wie hier der Jugendliche M. A. F. - um Asyl nachsucht
oder einen Asylantrag stellt (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 ff.). Dies wird auch von den Beteiligten nicht in Frage gestellt.
2. Ebenfalls zutreffend hat die Vorinstanz dargelegt, dass die Inobhutnahme in den Fällen einer wegen des Ruhens der elterlichen
Sorge erforderlichen Vormundbestellung (§ 42 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB VIII, §§
1674,
1693 BGB) nicht bereits mit der Vormundbestellung ihre Rechtsgrundlage verliert.
Die Aufgabe des Jugendamtes, gefährdeten Jugendlichen in einer Krisensituation Unterbringung und Betreuung zu gewährleisten,
und der mit der Inobhutnahme verbundene Schutzauftrag sind mit der Bestellung eines Amtsvormunds durch das Familiengericht
noch nicht erfüllt, denn die bloße Existenz eines Personensorgeberechtigten, der anderweitige Hilfen beantragen könnte, löst
nicht das Problem des akuten Unterkunfts- und Betreuungsbedarfs. Das Jugendamt, das sich mit der Inobhutnahme in einer besonderen
Pflichtenstellung gegenüber den betroffenen Jugendlichen befindet und dabei in der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung zusätzlich
die Rolle des Vormunds übernimmt, die es gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einzelnen seiner Beamten oder Angestellten überträgt, bleibt jugendhilferechtlich verpflichtet, im Zusammenwirken mit dem
die Vormundschaft ausübenden Beamten die Art des jugendhilferechtlichen Bedarfs zu klären und eine Entscheidung über die gebotene
Hilfe herbeizuführen. Es hat dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahren in der gebotenen zügigen Weise mit dem Ziel einer Krisenklärung
(entweder - bei andauerndem erzieherischen Bedarf - Überleitung der Inobhutnahme in eine Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 30, 34 SGB VIII oder - bei Wegfall eines jugendhilferechtlichen Bedarfs - Beendigung der Inobhutnahme) abgewickelt werden. Als "vorläufige
Unterbringung" (§ 42 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) eines Kindes oder Jugendlichen und vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer Krisenintervention bleibt die Inobhutnahme darauf
gerichtet, die Krisensituation zu beseitigen bzw. ihr mit geeigneten Hilfeangeboten zu begegnen, ist aber nicht bereits selbst
die vom Gesetz intendierte dauerhafte Lösung erzieherischer Probleme.
3. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung der Vorinstanz, eine Verpflichtung zur Kostenerstattung aus der Inobhutnahme gefährdeter
und sowohl unterbringungs- wie betreuungsbedürftiger Jugendlicher aus der besonderen Gruppe unbegleitet eingereister ausländischer
Jugendlicher bestehe grundsätzlich für einen Zeitraum von drei Monaten ab Beginn der Inobhutnahme, der im Allgemeinen zur
Abklärung eines eventuell bestehenden Bedarfs an Hilfe zur Erziehung ausreichend sei, aber nicht mehr für die Zeit danach,
weil die Inobhutnahme mit Ablauf dieser Frist von einer rechtmäßigen erstattungsfähigen in eine rechtswidrige, nicht erstattungsfähige
Maßnahme umschlage.
Nach § 89 f Abs. 1 SGB VIII sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, "soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften dieses Buches entspricht.
Dabei gelten die Grundsätze, die im Bereich des tätig gewordenen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens angewandt werden." Die
gerichtliche Kontrolle der Gesetzeskonformität aufgewendeter Jugendhilfekosten im Rahmen der Prüfung des Umfangs der Kostenerstattung
gemäß § 89 f SGB VIII ist in der hier vorliegenden besonderen Fallgestaltung in Obhut genommener unbegleitet eingereister ausländischer Jugendlicher
(§ 89 d SGB VIII) in einer Einrichtung, welche bei materieller Betrachtung bereits eine grundsätzlich bedarfsgeeignete Hilfe erbringt, im
Hinblick auf den kostenerstattungsrechtlichen Interessenwahrungsgrundsatz darauf beschränkt, ob die in der Erstversorgungseinrichtung
gewährte Hilfe - wegen Ungeeignetheit oder weggefallenen Hilfebedarfs - nicht mehr geboten war oder ob die Klägerin Anlass
hatte, diese Hilfe bereits früher in eine weniger kostenintensive Hilfeform zu überführen. Eine solche Betrachtung ist deswegen
geboten, weil die Kosten der Unterbringung und Betreuung in einer Erstversorgungseinrichtung dem Beklagten nach § 89 f SGB VIII dann nicht mehr in Rechnung gestellt werden können, wenn ein jugendhilferechtlicher Bedarf nicht mehr bestand oder zwar noch
bestand, aber nicht mehr in/von der Erstversorgungseinrichtung gedeckt werden konnte. In den Fällen der dem Senat insgesamt
vorliegenden vierzehn Erstattungsverfahren, in denen die Klägerin die in der Erstversorgungseinrichtung gewährte Hilfe ohne
anschließende Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 30, 34 SGB VIII beendet hat, ist deshalb zu prüfen, ob ein jugendhilferechtlicher Bedarf für die Unterbringung und Betreuung in der Erstversorgungseinrichtung
bis zum Ende der tatsächlichen Leistungserbringung bestanden hat. In denjenigen Fällen, in denen die Hilfe in der Erstversorgungseinrichtung
auf der Grundlage der Entwicklungsberichte und Erziehungskonferenzen durch eine Hilfe zur Erziehung nach § 30 SGB VIII (Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer) abgelöst werden konnte, deren Kosten nach Angaben der Klägerin erheblich unter denen
der Betreuung in Erstversorgungseinrichtungen liegen, da sie die Kosten für Unterbringung und Verpflegung nicht mit umfassen,
hängt die Kostenerstattung für die bis zur Anschlusshilfe fortgeführte Hilfe in der Erstversorgungseinrichtung jeweils davon
ab, ob die Klägerin Anlass gehabt hätte, die Inobhutnahme bereits früher in die weniger kostenintensive Hilfeform nach § 30 SGB VIII zu überführen. In den Fällen, auch denen der Gewährung von Anschlusshilfe in Form von Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII, kann mit Rücksicht auf den Interessenwahrungsgrundsatz Kostenerstattung nur nach Maßgabe der von mehreren gleich effektiven
Hilfemaßnahmen weniger kostenintensiven verlangt werden.
Diesen kostenrechtlich differenzierten Kriterien wird der Prüfungsmaßstab der Vorinstanz, welcher für die Kostenerstattung
die Zäsur zwischen erstattungsfähiger und nichterstattungsfähiger Inobhutnahme unter dem Gesichtspunkt des Gebots einer zügigen
Krisenklärung einheitlich nach dem reinen Zeitkriterium einer Dreimonatsfrist setzt, nicht gerecht. Es ist nämlich nicht auszuschließen,
dass im Einzelfall bereits vor Erreichen des vom Verwaltungsgerichtshof gewählten Stichtages der zunächst bestehende Betreuungs-
und Erziehungsbedarf nicht mehr bestand und die jugendhilferechtlichen Aufwendungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt gänzlich
erspart werden konnten oder dass - in den Fällen der Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach § 30 SGB VIII als Anschlusshilfe - erkennbar geworden war, dass diese weniger kostenintensive Hilfe ausreichend war; umgekehrt ist - insbesondere
in Fällen einer kostenintensiveren Anschlusshilfe nach § 34 SGB VIII - nicht auszuschließen, dass auch mit einer über die Dreimonatsfrist hinausreichenden Hilfe in einer Erstversorgungseinrichtung
ein weiterer jugendhilferechtlicher Bedarf bis zu einem späteren Hilfewechsel bedarfsgerecht erfüllt wird. Dabei ist die Entscheidung
über die individuell erforderlichen Hilfemaßnahmen von dem erstattungsberechtigten Jugendhilfeträger in eigener Verantwortung
zu treffen und daher dessen Einschätzung für den erstattungspflichtigen Träger maßgeblich (vgl. auch § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).
Auf der Grundlage dieser Maßstäbe gelangt der Senat im vorliegenden Erstattungsverfahren zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Es fehlen tatsächliche Feststellun-
gen dazu, ob die Klägerin Anlass hatte, die in der Erstversorgungseinrichtung geleistete Hilfe bereits früher in eine weniger
kostenintensive Hilfeform zu überführen und gegebenenfalls von welchem Zeitpunkt ab sie einen Wechsel hätte herbeiführen können.