Passivlegitimation des Sozialhilfeträgers bei Erstattung von Nothilfekosten infolge notfallbedingten Krankentransports in
ambulante medizinische Behandlung
Gründe:
I.
Unter den Beteiligten ist bereits seit längerem streitig, ob die Kosten der vom Kläger im Wege der Notfallhilfe gemäß § 121 BSHG durchgeführten Krankentransporte von Sozialhilfeempfängern, die im Gebiet des Beigeladenen ihren Wohnsitz, im Gebiet der
Beklagten aber den der Hilfeleistung zu Grunde liegenden akuten ambulanten Behandlungsbedarf haben, von der Beklagten oder
vom Beigeladenen zu erstatten sind.
Im vorliegenden Streitfall hat der Kläger den in O. im Gebiet des Beigeladenen wohnenden Sozialhilfeempfänger M. am frühen
Morgen des 30. März 2002 von einer Stelle im Stadtgebiet der Beklagten in die Städtischen Kliniken gebracht. Mit Rechnung
vom 10. April 2002 verlangte er von dem Beigeladenen die Erstattung der pauschalierten Einsatzkosten in Höhe von 373,79 EUR.
Der Beigeladene teilte daraufhin mit, zuständiger Kostenträger gemäß § 97 Abs. 1 BSHG sei die Beklagte, da der Patient von einer Stelle im Stadtgebiet der Beklagten zur ambulanten Behandlung zu einer anderen
Stelle im selben Stadtgebiet gebracht worden sei. Die Beklagte wiederum verwies den Kläger an den Beigeladenen.
Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2002) auf Zahlungsverpflichtung
der Beklagten erhobenen Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe einen Anspruch auf Erstattung der pauschalierten Einsatzkosten für den Krankentransport des Sozialhilfeempfängers
M., der sich aus §§ 121 i.V.m. § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG ergebe. Der Aufwendungsersatzanspruch des Nothelfers gemäß § 121 Satz 1 BSHG treffe denjenigen Sozialhilfeträger, der bei rechtzeitiger Kenntnis die Sozialhilfe zu gewähren gehabt hätte, und ordne damit
eine hypothetische Betrachtung an. Es sei zu unterstellen, der Hilfebedarf wäre nicht dem Nothelfer, sondern dem örtlich und
sachlich zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig bekannt geworden, um die für diesen Fall einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften
zur Anwendung zu bringen. Sinn des Gesetzes sei, mit der Erstattungspflicht denjenigen Träger der Sozialhilfe zu belasten,
der ohne das Eingreifen des Nothelfers die Kosten der gewährten Hilfe zu tragen gehabt hätte (BVerwGE 114, 326).
Vorliegend bestimme sich die hypothetische Zuständigkeit gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers. Ein Rückgriff auf die Zuständigkeitsregelungen des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen, denn es handele sich weder um eine Behandlung in einer Einrichtung noch um den Transport
zu einer Behandlung oder einem Aufenthalt in einer solchen, sondern lediglich um den Transport in ein Krankenhaus zu einer
ambulanten Behandlung. Auch für eine analoge Anwendung dieser Ausnahmevorschrift zu § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG bestehe kein Raum, denn nach Sinn, Zweck und Entstehungsgeschichte des § 97 Abs. 2 BSHG habe der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift nur eine Entlastung der Standorte von Anstalten und Heimen etc. schaffen wollen,
deren stationäre Benutzung erfahrungsgemäß mit besonders hohen Kosten verbunden sei. Für eine über den Wortlaut hinausgehende
Erstreckung auch auf Krankentransportfahrten, die praktisch von jedem beliebigen Ort zu jedem beliebigen anderen Ort führen
könnten und im Vergleich zu einer stationären Behandlung nur geringe Kosten verursachten, spreche nichts.
Der Hilfeempfänger habe seinen tatsächlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG im maßgeblichen Zeitpunkt im Gebiet der Beklagten gehabt. Zwar führten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
nur vorübergehende Änderungen des tatsächlichen Aufenthalts im Regelfall nicht zu einer Zuständigkeitsänderung beim Träger
der Sozialhilfe, doch würden Nothilfefälle im Sinne des § 121 BSHG gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2001 - BVerwG 5 C 21.00 - (BVerwGE 114, 326) von dieser wertenden Betrachtungsweise nicht erfasst. Die Fortdauer der Zuständigkeit des Trägers am Wohnort sei erst dann
gerechtfertigt, wenn eine stationäre, d.h. nach dem Begriff der Einrichtung in § 97 Abs. 4 BSHG und dem Zweck des § 97 Abs. 2 BSHG länger dauernde Pflege oder Behandlung stattfinde. Soweit es für die Fälle des § 97 Abs. 1 BSHG an einer dem § 103 Abs. 1 BSHG (bezogen auf Fallgestaltungen des § 97 Abs. 2 BSHG) entsprechenden Kostenerstattungsvorschrift fehle, entspreche es offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, dass nur bei
stationären Behandlungen und Aufenthalten eine Erstattungspflicht des Sozialhilfeträgers des laufenden Bezuges bestehen solle,
da andernfalls die Einrichtungsorte finanziell überbelastet und in der Folge dazu gedrängt würden, solche Einrichtungen in
ihrem Gebiet zu verhindern. Dieser Gesichtspunkt treffe jedoch auf den Bereich der Transportkosten nicht in vergleichbarer
Weise zu.
Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen seien erfüllt; ein Eilfall liege vor, weil eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers
zur Nachtzeit in einem medizinischen Notfall ausgeschlossen gewesen sei. Die Hilfeleistung wäre aber erfolgt, da der Hilfeempfänger
im laufenden Bezug stehe und der Transport erforderlich gewesen sei. Eine Krankenversicherung habe nicht bestanden, und der
Kläger habe den Erstattungsantrag innerhalb angemessener Frist, nämlich 10 Tage nach dem Transport, gestellt.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 121, 97 BSHG. Sie ist der Auffassung, dass für Nothilfeansprüche derjenige Sozialhilfeträger zuständig bleibe, der für die Bewilligung
und Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt zuständig sei. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni
2001 (a.a.O.) beziehe sich auf Krankentransporte mit anschließender stationärer Aufnahme und Behandlung des sozialhilfebedürftigen
Patienten und betreffe nicht Fälle der Gewährung ambulanter Hilfe in einem Eilfall.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Beigeladene beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die gemäß §
134 Abs.
1 VwGO zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§
144 Abs.
2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht entschieden, dass der Erstattungsanspruch des Nothelfers
sich auch dann gegen den Sozialhilfeträger am Ort der Eilhilfe richtet, wenn der Hilfeempfänger am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes
laufende Sozialhilfe bezieht.
Die Passivlegitimation für den Erstattungsanspruch des Nothelfers trifft nach § 121 BSHG den Sozialhilfeträger, der bei rechtzeitiger Kenntnis die Sozialhilfe zu gewähren gehabt hätte. Bezogen auf diesen Zeitpunkt
sind die Voraussetzungen einer Hilfegewährung durch den örtlich und sachlich zuständigen Sozialhilfeträger zu prüfen, wobei
§ 121 BSHG eine hypothetische Betrachtung anordnet. Der Sinn des Gesetzes ist, "mit der Erstattungspflicht denjenigen Träger der Sozialhilfe
zu belasten, der ohne das Eingreifen des Nothelfers die Kosten der gewährten Hilfe zu tragen gehabt hätte" (BVerwGE 114, 326, 329). Dies ist hier, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG die Beklagte.
§ 121 BSHG begründet keine eigene Zuständigkeit für Fälle der Nothilfe, sondern knüpft an die - in fiktiver Betrachtung zu ermittelnden
- Voraussetzungen einer gesetzlichen Zuständigkeit an. Örtlich zuständig ist für die Sozialhilfe gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält. Die Voraussetzungen des Satzes
1 dieser Vorschrift hat das Verwaltungsgericht zutreffend bejaht und einen Rückgriff auf § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG mit der zutreffenden und auch von der Revision nicht in Frage gestellten Begründung verneint, dass ein Transport in ein Krankenhaus
zu einer ambulanten Behandlung keine Hilfe in einer Anstalt im Sinne dieser Bestimmung darstelle.
Eine andere Beurteilung der Zuständigkeit ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht aus dem Umstand, dass der Notfallpatient
vom Beigeladenen Sozialhilfe bezog und dieser - wäre der Bedarf in seinem Zuständigkeitsbereich aufgetreten - für eine ambulante
Krankenhilfe einschließlich notwendiger Transportkosten zuständig gewesen wäre. Zwar trifft es zu, dass nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts bloß vorübergehende Änderungen des tatsächlichen Aufenthalts nicht stets zu einer Zuständigkeitsänderung
beim Träger der Sozialhilfe führen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass kurzfristige Aufenthalte im Zuständigkeitsbereich
eines anderen Sozialhilfeträgers in allen Fällen und insbesondere auch im Falle der Nothilfe rechtlich irrelevant seien. Vielmehr
hat der Senat hier die Besonderheiten des jeweiligen Bedarfs maßgeblich berücksichtigt. Der Senat ist bei Beurteilung der
zuständigkeitsrechtlichen Folgen kurzer Unterbrechungen des Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich eines sozialhilfepflichtigen
Trägers von dem Grundsatz ausgegangen, dass entsprechend dem auf die Effektivität der Anspruchsgewährleistung gerichteten
Zweck des § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG und aus Gründen einer effektiven Verwaltung ein kurzer Aufenthalt an einem anderen Ort weder (notwendig) eine Zuständigkeit
des Sozialhilfeträgers am Ort des kurzfristigen Aufenthalts begründet noch die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort
des gewöhnlichen Aufenthalts beendet. § 97 Abs. 1 BSHG fixiert vielmehr die örtliche Zuständigkeit des einmal zuständig gewordenen Sozialhilfeträgers "für die Regelung zumindest
derjenigen Bedarfslagen, die im Verantwortungsbereich dieses Sozialhilfeträgers nicht nur entstanden und ihm zur Kenntnis
gelangt sind, sondern von ihm auch durch Erledigung des Hilfefalles hätten beseitigt werden können" (vgl. Urteile des Senats
vom 24. Januar 1994 - BVerwG 5 C 47.91 - >BVerwGE 95, 60, 63< und vom 5. März 1998 - BVerwG 5 C 12.97 - >Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr. 9< s.a. Urteile vom 17. November 1994 - BVerwG 5 C 13.92 - >BVerwGE 97, 103,105<; vom 22. Dezember 1998 - BVerwG 5 C 21.97 - >Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr. 10<; vom 23. Juni 1994 - BVerwG 5 C 26.92 - >BVerwGE 96, 152, 153<). Diese Rechtsprechung bezieht sich somit auf bereits entstandene und zur Kenntnis des Sozialhilfeträgers gelangte
Bedarfslagen, die bereits vor einer Aufenthaltsveränderung bearbeitet werden konnten. Ihr ist jedoch entgegen der Auffassung
der Revision kein Grundsatz einer "Gesamtfallverantwortlichkeit" zu entnehmen, wonach alle Bedarfe eines Sozialhilfeempfängers
unabhängig von Art und Entstehung generell vom Sozialhilfeträger am Wohnsitzort bzw. Ort des gewöhnlichen Aufenthalts zu decken
wären. Vielmehr ist eine den Gesichtspunkten einer möglichst wirksamen sozialhilferechtlichen Betreuung, dem Schutzzweck der
Norm und der Eigenart der jeweiligen Bedarfslagen Rechnung tragende Betrachtung geboten.
Für die vorliegend aus Anlass eines ambulanten medizinischen Versorgungsbedarfs, der nicht schon im Zuständigkeitsbereich
des Beigeladenen, sondern erst im Zuständigkeitsbereich der Beklagten aufgetreten war, erwachsenen Nothilfekosten bedeutet
dies, dass für die von § 121 BSHG geforderte hypothetische Zuständigkeitsbestimmung auf den Ort des konkreten Auftretens des Bedarfs und nicht darauf abzustellen
ist, wo der Hilfebedürftige bereits anderweitig Sozialhilfe empfängt. Mit der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort
der Eilhilfe wird
"der besonderen Bedeutung des § 121 BSHG, die spontane Hilfsbereitschaft freiwilliger Helfer in Eilsituationen im Interesse in Not geratener Menschen zu erhalten
und zu stärken (BVerwGE 91,245 >248<), Rechnung getragen. Damit wird sichergestellt, dass der Nothelfer mit seinem innerhalb
angemessener Frist (§ 121 Satz 2 BSHG) geltend zu machenden Aufwendungserstattungsanspruch nicht an unübersichtlichen Zuständigkeitsregelungen innerhalb der Sozialverwaltung
scheitert oder unzumutbar belastet wird. Der Nothelfer soll sich im Interesse des in Not geratenen Bürgers auf die Gewährung
der Nothilfe konzentrieren dürfen und nicht Kraft und Zeit auf die ansonsten unter Umständen sehr aufwendige Ermittlung des
zuständigen Leistungsträgers verwenden müssen" (BVerwGE 114, 326, 332).
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind diese Überlegungen nicht auf den Fall stationärer Hilfe beschränkt, sondern umfassen
auch ambulante Hilfefälle.
Auch die weiteren Einwendungen der Beklagten gegen diese Auslegung der §§ 121, 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG greifen nicht durch. Der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Zuständigkeitsbegründung gemäß § 97 Abs. 2 BSHG für stationäre Hilfen dem Gedanken des Schutzes der Anstaltsorte bereits auf der Zuständigkeitsebene Rechnung getragen hat,
lässt keine Rückschlüsse zu, dass entsprechendes auch für ambulante Hilfen zu gelten hätte. Soweit die Beklagte auf den Gesichtspunkt
eines Schutzes der Standortgemeinden hinweist, kommt diesem Aspekt Bedeutung nur nach Maßgabe seiner konkreten gesetzlichen
Ausgestaltung zu; diese sieht jedoch in §§ 121, 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG einen besonderen Schutz der Nothilfe- oder Unfallorte nicht vor. Dem Gesichtspunkt der Effektivität der Nothilfe trägt das
Gesetz nicht durch eine umfassende Zuständigkeit eines anderweitig Sozialhilfe leistenden Trägers, sondern durch eine Anknüpfung
an den Ort des Nothilfebedarfs Rechnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
2, §
162 Abs.
3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§
188 Satz 2
VwGO).