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BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 8 C 38.95, FEVS 48, 49
Wohngeldrecht - Auf rückwirkende Wohngeldbewilligung gerichteter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, Behandlung eines verspätet gestellten Wohngeldantrag nach den Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB als rechtzeitig gestellt
»1. Der auf Naturalrestitution gerichtete sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, daß der Sozialleistungsträger zur Gewährung der Naturalrestitution durch eine zulässige Amtshandlung rechtlich in der Lage ist (im Anschluß an die stRspr. des BSG in BSGE 49, 76 [80 f.]; 52, 145 [147 ff.]; 55, 261 [262 ff.] m.w.N.; 60, 43 [48]; 65, 21 [26]; 66, 258 [265] m.w.N.; 73, 19 [25]).
2. Der richterrechtlich entwickelte Herstellungsanspruch ist mangels einer Regelungslücke voraussetzungsgemäß nicht gegeben, wenn der Gesetzgeber selbst die Rechtsfolgen einer Verletzung von Nebenpflichten des Sozialleistungsträgers in Richtung auf den Sozialleistungsanspruch des Betroffenen geregelt hat (im Anschluß an die Rspr. des BSG in BSGE 60, 158 [164]).
3. An einer der Ausfüllung durch Richterrecht zugänglichen Regelungslücke fehlt es namentlich dann, wenn das materielle Recht im einzelnen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Behörde einen Leistungsantrag ausnahmsweise noch berücksichtigen darf, obwohl der Antragsteller die gesetzliche Antragsfrist versäumt hat. Eine solche gesetzliche Regelung, bei deren Anwendung auch ein Fehlverhalten der Behörde zu berücksichtigen ist, läßt keinen Raum für einen Herstellungsanspruch, der damit begründet wird, das Verhalten des Sozialleistungsträgers sei ursächlich oder mitursächlich dafür geworden, daß die Leistung nicht fristgerecht beantragt worden sei (im Anschluß an die Rspr. des BSG in BSGE 56, 266 [270]; 73, 56 [59]).
4. Die im Wohngeldverfahren bei schuldloser Versäumung der gesetzlichen Antragsfristen vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schließt einen Herstellungsanspruch aufgrund unrichtiger behördlicher Auskunft, Belehrung oder Beratung aus.
5. Die in den §§ 242, 162 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken sind bei der Versäumung materiellrechtlicher Ausschlußfristen nur dann anwendbar, wenn eine Wiedereinsetzung von Rechts wegen als unstatthaft ausgeschlossen ist (im Anschluß an die Rspr. des BSG in BSGE 64, 153 [156 f.]; 73, 56 [59]). Ein verspäteter Wohngeldantrag kann deswegen nicht nach dem Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB als rechtzeitig behandelt werden, wenn die Wohngeldbehörde die Versäumung der Antragsfrist für die Bewilligung von Wohngeld durch eine falsche Rechtsbelehrung verursacht hat.
6. Eine objektiv unrichtige rechtswidrige behördliche Belehrung, die eine Versäumung der Antragsfrist verursacht, ist als unabwendbarer Zufall und damit - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - als ein Ereignis aus dem Bereich der höheren Gewalt im Sinne der Wiedereinsetzungsvorschriften anzusehen.«
Fundstellen: FEVS 48, 49, NJ 1997, 670, NJW 1997, 2966, NVwZ 1997, 1219, RdLH 1997, 166, SGb 1998, 75, SozSich 1998, 118, WuM 1997, 504, info also 1998, 44
Normenkette:
BGB § 162 § 242 § 276 § 839
,
GG Art. 20 Abs. 1 Art. 34
,
SGB I § 1 Nr. 14 § 4 Abs. 3 § 9 Abs. 1 S. 1 § 13 § 14 § 15 § 16 § 18 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 § 26 § 40 Abs. 1
,
SGB X § 27 § 44
,
VwGO § 60
,
VwVfG § 32
,
WoGG § 1 § 2 Abs. 1 S. 1 § 8 § 11 § 23 § 27 § 29 § 31
,
ZPO § 233 § 292 S. 1
Vorinstanzen: VG Bremen 29.06.1995 2 A 463/93

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