Anspruch des Sozialhilfeträgers bei Heimunterbringung des schwerbehinderten Kindes und Erbringung von Eingliederungshilfe
auf Erstattung des Kindergeldes von der Familienkasse; Familienleistungsausgleich für Christine A...
Tatbestand:
Das behinderte Kind Christine A..., geb. im Juli 1963, ist vollstationär in einer Behinderteneinrichtung untergebracht. Die
Eltern des Kindes kümmerten sich im streitigen Zeitraum (April 2001 bis Dezember 2001) um ihr Kind, indem sie z.B. die Wochenenden,
Feiertage und Ferien mit ihm verbrachten und die Aufwendungen in dieser Zeit für das Kind teilweise trugen. Die Kosten der
Unterbringung wurden von der Klägerin, der Stadt L.... als Sozialleistungsträger, übernommen. Da das Kind das 21. Lebensjahr
vollendet hatte, wurde von den Eltern des Kindes kein Kostenbeitrag erhoben. Die Klägerin hatte aber Aufwendungsersatz geltend
gemacht gegenüber dem betreuten Kind, sie hatte sich die Rente des Kindes abzüglich eines Selbstbehaltes auszahlen lassen.
Das Kind Christine A... erhielt eine Rente in Höhe von monatlich etwa DM 466 (Bruttobetrag). Im Jahr 2001 wurde für das Kind
Christine Wohngeld in Höhe von DM 113,44 gewährt. Zudem erhielt es Eingliederungshilfe nach Sozialhilferecht.
Die Klägerin stellte am 20. April 2001, eingegangen bei der Beklagten am 24. April 2001, einen als "Überleitungsanzeige" benannten
Antrag auf Leistungsbewilligung. Darin leitete sie den Anspruch auf Kindergeld auf sich über und bat um Auszahlung des Kindergeldes
an sich. Zur Begründung führte sie an, dass gemäß § 90 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - der Sozialhilfeträger den Anspruch eines Hilfeempfängers oder seiner Eltern gegen einen anderen, der nicht Leistungsträger
im Sinne des §
12 SGB I ist, bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf sich überleiten könne. Im Weiteren wird auf den Antrag Bezug genommen.
Die Beklagte wertete den Antrag der Klägerin als Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes nach §
74 Abs.
1 Einkommensteuergesetz -
EStG - und lehnte mit Bescheid vom 27. April 2001 den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie an, dass eine Unterhaltsverletzung
der Eltern vollstationär untergebrachter Kinder nicht vorliege, da grundsätzlich ein ungedeckter Unterhaltsbedarf verbleibe.
Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin hat Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, sie habe gemäß § 90 BSHG einen Anspruch auf Kindergeld aus übergegangenem Recht, jedenfalls habe sie einen Anspruch auf Erstattung des Kindergeldes.
Es handele sich hier um einen Forderungsübergang, der durch schriftliche Anzeige bewirkt werde. Ihren Anspruch habe sie mit
Verwaltungsakt geltend gemacht. Dieser sei nicht angegriffen worden - weder von der Beklagten noch von der Kindesmutter, der
Beigeladenen - und mithin bestandskräftig. Zumindest aber sei sie, die Klägerin, nach §
74 Abs.
2 EStG n.F. in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch - SGB X - erstattungsberechtigt. Sie habe auch ausdrücklich die Erstattung des Kindergeldes begehrt. Die Voraussetzungen hierfür
seien erfüllt, da das Kind zu einem monatlichen Kostenbeitrag aus seiner Rente herangezogen werde. Sie begrenze ihren Anspruch
auf den Zeitraum bis Dezember 2001, da aufgrund einer Gesetzesänderung ab dem 1. Januar 2002 gemäß § 91 Abs. 2 BSHG Eltern von behinderten oder pflegebedürftigen volljährigen Kindern bei deren vollstationärer Betreuungsbedürftigkeit in Höhe
von EUR 26 monatlich zum Unterhalt heranzuziehen sind. Dieser Unterhaltsbeitrag sind von der Kindesmutter gezahlt worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
ihr das Kindergeld für das Kind Christine A... für die Monate Mai 2001 bis Dezember 2001 auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Es handelt sich hier um eine ohne Vorverfahren zulässige - nicht fristgebundene
- allgemeine Leistungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO-, gerichtet auf Auszahlung von Kindergeld, da zwischen den Leistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht,
das zu einer Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 88/01, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2002, 1156). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beklagte im Vorverfahren bereits über den Antrag der Klägerin entschieden hat. Entscheidend
ist ausschließlich, dass sie bis jetzt eine Erstattung verweigert hat.
Die Beklagte hat die Erstattung des Kindergeldes für das Kind Christine A... für den Zeitraum Mai 2001 bis Dezember 2001 zu
Recht abgelehnt. Das Kind Christine A... ist unstreitig als Kind im Sinne des §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
3 EStG zu berücksichtigen. Die Klägerin hat jedoch keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten.
Ein Anspruch der Klägerin aus übergeleitetem Recht nach § 90 BSHG scheidet aus, da die Familienkasse Leistungsträger im Sinne von §
12 i.V.m. §
25 Abs.
1 und
3 SGB I ist. § 90 Abs. 1 BSHG betrifft nach seinem Wortlaut nur Ansprüche gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne von §
12 SGB I ist. Die Familienkasse und der Sozialleistungsträger stehen gleichrangig nebeneinander (vgl. Finanzgericht - FG - des Landes
Brandenburg Urteil vom 19. Juni 2002 6 K 981/01, (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2002, 1315).
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen Erstattungsanspruch aus §
74 Abs.
2 EStG in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB X berufen. Denn § 104 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB X finden keine Anwendung, da diese Gleichartigkeit der Leistungen voraussetzen, es sich bei den Leistungen von Sozialleistungsträger
und Familienkasse jedoch nicht um gleichartige Leistungen aufgrund der Art. der Ansprüche handelt (FG Rheinland-Pfalz Urteil
vom 30. April 2002 - 2 K 1072/01, n.v.; Dienstanweisung, DA 74.3.1 Abs. 1, Bundessteuerblatt - BStBl. - I 2002, 365 (454)). Im Gegensatz zum Kindergeld, bei
dem es sich um eine allgemeine Leistung des Staates zum Ausgleich der wirtschaftlichen Belastung, die durch Kinder entsteht,
handelt, ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung zu mildern und den behinderten Menschen in die
Gesellschaft einzugliedern (Dienstanweisung, DA 74.3.1 Abs. 3, BStBl. I 2002, 365 (454)).
Ebenso kommt ein Erstattungsanspruch gemäß §
74 Abs.
2 EStG n.F. in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X nicht in Betracht. Danach ist Voraussetzung für eine Erstattung, dass gegenüber dem Kindergeldberechtigten oder dem Kind
selbst ein Kostenfestsetzungsbescheid erlassen oder Aufwendungsersatz geltend gemacht werden kann. Vorliegend fehlt es jedoch
an einem auf das Kindergeld bezogenen Kostenfestsetzungsbescheid oder Aufwendungsersatz.
Gegenüber der Beigeladenen ist kein Kostenfestsetzungsbescheid erlassen worden.
Der Aufwendungsersatz in Höhe der Rente des Kindes ist abzüglich eines Selbstbehaltes an die Klägerin ausgezahlt worden.
Nicht ausreichend ist für einen Erstattungsanspruch im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X - wie die Klägerin meint - das bloße Geltendmachen irgendeines Aufwendungsersatzes bzw. die Erhebung eines Kostenfestsetzungsbescheides.
Beide müssen ausdrücklich das Kindergeld als Anspruch dem Grunde und der Höhe nach beinhalten.
Denn die Regelung des § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X stellt dem Wortlaut nach weniger einen Erstattungsanspruch dar als vielmehr eine Form der Vollstreckung durch Forderungsübergang.
Der Träger der Sozialleistung, der ansonsten die Pfändung des Kindergeldanspruchs betreiben müsste, kann auf Grund des durch
Verwaltungsakt festgesetzten Kostenbeitrages oder des geltend gemachten Aufwendungsersatzes von der Familienkasse die Auszahlung
des Kindergeldes verlangen. Danach entspricht die Rechtsposition des Sozialleistungsträgers im Rahmen des § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X derjenigen eines Pfändungspfandgläubigers, wobei der den Kostenbeitrag festsetzende Verwaltungsakt bzw. der geltend gemachte
Aufwendungsersatz den für die Pfändung erforderlichen Titel ersetzt. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X stellt mithin eine verkürzte Zwangsvollstreckung dar; funktional handelt es sich demzufolge um die Pfändung einer Sozialleistung
(so auch FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 22. November 2002 - 4 K 1903/01, EFG 2003, 631; ebenso Bundessozialgericht -BSG-Urteil vom 22. Januar 1998 B 14/10 KG 24/96 R, SozR 31300 § 104 Nr. 13).
Wenn der Aufwendungsersatz wie im Streitfall nun nicht das Kindergeld beinhaltet, besteht für die Familienkasse daraus folgend
keine Leistungspflicht. Hinzukommt, dass der Aufwendungsersatz, der gegenüber der Rentenkasse in Höhe der Rente, abzüglich
des Selbstbehaltes, erhoben wurde, mit Zahlung der Rente erfüllt ist, mithin für eine weitere Erstattung durch die Familienkasse
kein Raum mehr ist.
Im Übrigen ist nach Auffassung des erkennenden Senats die Formulierung des § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X ein Kostenfestsetzungsbescheid erlassen oder Aufwendungsersatz geltend gemacht werden "kann" dahingehend zu verstehen, dass
für den Erstattungsanspruch der tatsächliche Erlass eines Kostenfestsetzungsbescheides oder das tatsächliche Geltendmachen
eines Aufwendungsersatzes zwingend erforderlich ist. Die nur rechtliche Möglichkeit des Erlasses oder der Geltendmachung reicht
hingegen nicht aus. Denn mit dieser Vorschrift soll der Zahlungsweg abgekürzt werden -die direkte Zahlung von der Familienkasse
an den Sozialleistungsträger ohne Einschaltung des Kindergeldberechtigten soll ermöglicht werden. Wenn nun der Sozialleistungsträger
tatsächlich keine Forderung geltend macht, kann er auch keine Zahlung von Dritten erhalten. Darüber hinaus dient das Vorliegen
eines entsprechenden Leistungsbescheides sowohl der Rechtssicherheit als auch einem effektiven Rechtsschutz (so das BSG Urteil
vom 10. Dezember 2002 B 9 VG 6/01 R, RegNr. 25978 (BSG-Intern)).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.