Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger als Wegfall des Verfügungsgrundes für eine einstweilige Verfügung auf Ehegattenunterhalt
Gründe:
I. Der Antrag des Beklagten auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist gemäß §§ 719 Abs. l , 707Satz 1 zulässig und in der
Sache auch begründet.
1. Im einstweiligen Verfügungsverfahren kommt unter Berücksichtigung des in §
939
ZPO zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens nur ganz ausnahmsweise unter besonderen Umständen eine Einstellung der Zwangsvollstreckung
in Betracht (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann,
ZPO, 55. Aufl., Rdn. 2 zu §
719). Derartige besondere Umstände sind gegeben, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag feststeht,
dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann (OLG Celle, NJW 1990, 2380, 2381). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
2. Nach dem vorgetragenen Sachverhalt hat die Verfügungsklägerin seit Oktober 1996 fortlaufend Sozialhilfe erhalten. Wegen
des Anspruchsübergangs (cessio legis) seit Inkrafttreten der Neufassung des § 91
BSHG durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl. I 944) kann der Unterhaltsempfänger
der Sache nach für die vergangene Zeit Zahlung des Unterhalts nicht mehr an sich, sondern nur noch an den Sozialhilfeträger
verlangen, auch wenn er für die Zeit nach Antragstellung bzw. Klageerhebung prozessführungsbefugt bleibt (§
265 Abs.
2 Satz 1
ZPO).
Die Antragstellerin müsste nunmehr ihren Antrag auf Zahlung an den Sozialhilfeträger umstellen.
Der Erlass einer Leistungsverfügung, die über die Sicherung eines Anspruchs hinausgeht und zu seiner teilweisen Befriedigung
führt, setzt eine dringende Notlage voraus, der nur auf diese Weise abgeholfen werden kann. Der nach dem Übergang des Unterhaltsanspruchs
materiell berechtigte Sozialhilfeträger befindet sich offensichtlich nicht in einer derartigen Notlage. Anders als bei der
Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Notlage des Unterhaltsberechtigten selbst ist hier angesichts
der eindeutigen Folgen der gesetzlichen Neuregelung kein Raum mehr für Billigkeitserwägungen mit dem Ziel, dem Unterhaltsschuldner
keine Anreize für eine Leistungsverweigerung zu geben (so zutreffend OLG Bamberg, FamRZ 1995, 623, 624).
Nach überwiegender Ansicht, der sich auch der Senat anschließt, lässt der tatsächliche Bezug von Sozialhilfe den Verfügungsgrund
entfallen (Wieczorek/Schütze/Thümmel,
ZPO, 3. Aufl., Rdn. 36 zu §
940 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe bedeutet zwar, dass der Unterhaltsanspruch
als solcher unberührt bleibt (Verfügungsanspruch), nicht aber, dass der Antragsteller bei der Beurteilung der tatsächlichen
Notlage so zu behandeln wäre, als ob er keine Sozialhilfe bezogen hätte (Verfügungsgrund, vgl. OLG Nürnberg, FamRZ 1995, 184).
3. Es kann dahinstehen, ob die bloße Antragstellung auf Gewährung von Sozialhilfe den Verfügungsgrund auch für die Zukunft
entfallen lässt (verneinend OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 387), da es hierauf vorliegend nicht ankommt. Es geht allein um die Frage, welche Auswirkungen die Gewährung von Sozialhilfe
nach dem Erlass einer einstweiligen Verfügung und der damit verbundene Anspruchsübergang gemäß § 91
BSHG auf den Sozialhilfeträger hat. In einem solchen Fall wäre nämlich auf - geänderten - Antrag des Gläubigers im Rechtsmittelverfahren
dem Schuldner aufzugeben, an den Sozialhilfeträger zu leisten. Dieser könnte selbst ein Verfügungsverfahren nicht mit Erfolg
betreiben (Niepmann in Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, VI 92).
4. Bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes, dass Unterhaltsrückstände wegen der fehlenden Notlage im Wege einstweiliger
Verfügung nicht zuerkannt werden dürfen, müssen auch in der zweiten Instanz zum maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung durch
das Berufungsgericht allein wegen des Zeitablaufs nunmehr in der einstweiligen Verfügung titulierte und nicht vollzogene Beträge
als Rückstände behandelt werden (vgl. eingehend FamGb-Griesche, Rdn. 11 zu §
940
ZPO). Mangels Verfügungsgrund ist die in erster Instanz erlassene einstweilige Verfügung regelmäßig aufzuheben.
Soweit gegen dieses Ergebnis eingewendet wird, dass durch diese Auffassung das einstweilige Verfügungsverfahren jedenfalls
für den Fall, dass es durch zwei Instanzen betrieben wird, praktisch wertlos gemacht würde (so OLG Düsseldorf, FamRZ 1993,
962, 963), rechtfertigt dies nach Auffassung des Senats kein anderes Ergebnis. Die ausnahmsweise zulässige Leistungsverfügung
rechtfertigt sich nur für den Fall, dass die sofortige Regelung zur Abwendung einer Existenzgefährdung oder sonstiger Notlage
des Antragstellers erforderlich ist. Die einstweilige Verfügung ist ohne weiteres vollstreckbar und beschleunigt zu vollziehen
(§
929 Abs.
2
ZPO). Bei zügiger Vorgehensweise ist daher, sofern nicht vorher Vollstreckungsschutz gewährt wurde, die regelmäßig auf sechs
Monate befristete Leistungsverfügung bereits erledigt, bevor nach einem Widerspruch das Verfahren in die zweite Instanz gelangt.
Noch nicht beigetriebene Beträge können denknotwendig für bereits vergangene Zeiträume keine "Existenzgefährdung" mehr abwenden.
Es besteht daher auch kein Bedürfnis, für einen effektiven Rechtsschutz auf den Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung
abzustellen. Denn eine solche Betrachtungsweise wird weder dem Ausnahmecharakter der Leistungsverfügung als existenzsichernder
Maßnahme gerecht noch berücksichtigt sie hinreichend das Interesse des Unterhaltsschuldners, die Risiken eines summarischen
Verfahrens zu vermeiden.
5. Es ist auch nicht gerechtfertigt dem Sozialhilfeträger durch eine Titelumschreibung gemäß §
727
ZPO die Möglichkeit zu geben, aus einem Titel zu vollstrecken, den er selbst im einstweiligen Verfügungsverfahren mangels Verfügungsgrundes
nie hätte erlangen können.
Im Ergebnis kann daher die einstweilige Verfügung keinen Bestand haben.
II. Der Verfügungsklägerin war auf ihren Antrag notwendige Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§
119
ZPO).