Keine Pflicht des Geschäftsführers einer Beitragsschuldnerin zur Zahlung von Säumniszuschlägen nach Verpflichtung zur Leistung
von Schadensersatz wegen Nichtabführung von Arbeitnehmer-Anteilen für die Sozialversicherung
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten als ehemalige Geschäftsführer der On Snnnnnn GmbH, einer Beitragsschuldnerin der Klägerin,
auf Schadenersatz wegen Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung in Anspruch. Nach den Beitragsnachweisen
der Beitragsschuldnerin sind folgende Beträge nicht gezahlt worden:
Dezember 2002 7.351,35 Euro
Januar 2003 7.443,50 Euro
Februar 2003 6.975,37 Euro
März 2003 6.891,50 Euro
April 2003 6.941,10 Euro
Gesamt 35.602,82 Euro
Das Landgericht hat der Klage bezüglich der Monate Februar bis April 2003 stattgegeben, mit Ausnahme der geltend gemachten
Säumniszuschläge gemäß §
24 Absatz
1 SGB IV, insoweit hat das Landgericht nur Verzugszinsen zugesprochen. Bezüglich der Beiträge für die Monate Dezember 2002 sowie Januar
2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Der Klägerin ist das Urteil des Landgerichts vom 7. August 2006 am 15. September 2006 zugestellt worden. Mit ihrer am 2. Oktober
2006 eingelegten und am 14. November 2006 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter, soweit dieser
abgewiesen worden ist.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. August 2006 zu Geschäftszeichen 24 O 31/06 abzuändern und wie folgt neu zu fassen:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 36.327,82 Euro zuzüglich 1 % des ab dem 1. Mai 2003 am
16. eines jeden Folgemonats noch offenen auf volle 50,00 Euro nach unten abgerundeten Hauptforderungsbetrages in Höhe von
3.602,82 Euro zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 35.602,82 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
oberhalb des Basiszinssatzes gemäß §
247 BGB seit dem 16. Dezember 2005 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auch Anspruch auf Schadenersatz gemäß §
823 Absatz
2 BGB in Verbindung mit §
266 a Absatz
1 sowie §
14 Absatz
1 Nr.
1 StGB für die nicht gezahlten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die Monate Dezember 2002 sowie Januar 2003 in Höhe
von 7.351,35 Euro sowie 7.443,50 Euro.
Insoweit liegen die Voraussetzungen der §
823 Absatz
2 BGB in Verbindung mit §
266 a Absatz
1 sowie §
14 Absatz
1 Nr.
1 StGB ebenso vor, wie vom Landgericht für die Monate Februar bis April 2003 festgestellt. Die Beklagten haben als Geschäftsführer
der On Snnnnnn GmbH, mithin als deren vertretungsberechtigte Organe, der Klägerin als Einzugsstelle der Arbeitnehmerbeiträge
zur Sozialversicherung die Beiträge für die Monate Dezember 2002 sowie Januar 2003 vorenthalten. Sie haben diese Beiträge
bei Fälligkeit vorsätzlich nicht bezahlt. Die Höhe der Beiträge ergibt sich aus den von der Beitragsschuldnerin eingereichten
Beitragsnachweisen. Auf die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil wird insoweit Bezug genommen werden.
Der Schadenersatzforderung der Klägerin steht eine Anfechtbarkeit durch den Insolvenzverwalter des am 1. August 2006 eröffneten
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beitragsschuldnerin nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass es an einem schadensursächlichen
Versäumnis der Beklagten fehlt, wenn die bei Fälligkeit geleisteten Beitragszahlungen im späteren Insolvenzverfahren erfolgreich
mit der Folge der Verpflichtung zur Rückgewähr der Leistung nach den Vorschriften der
InsO angefochten worden wären (vgl. BGH NJW 2005, 2546; 2002, 1123; 2001, 967).
Insoweit sind jedoch keinerlei tatsächliche Feststellungen erfolgt, die diese Annahme rechtfertigen würden.
Das Landgericht hat allein die Anfechtbarkeit der Zahlung der Beitragsschuldnerin vom 22. April 2003 untersucht. Insoweit
stehen die Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit außer Streit. Allerdings kann von der Anfechtbarkeit der Zahlung vom 22
April 2003 nicht auf eine Anfechtbarkeit der am 15. Januar 2003 fälligen Beiträge für Dezember 2002 sowie der am 15. Februar
2003 fälligen Beiträge für Januar 2003 geschlossen werden. Mögen die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung der Zahlung
vom 22 April 2003 auch vorgelegen haben. Dass damit auch bereits im Januar oder Februar 2003 diese Voraussetzungen gegeben
waren, steht damit nicht fest.
Für den 15. Januar 2003 sowie 15. Februar 2003 haben weder die Beklagten vorgetragen, dass die von der Klägerin in Abrede
gestellten Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit nach Vorschriften der
InsO bereits vorgelegen haben, noch ist dies sonst ersichtlich. Es ist nichts vorgetragen, was auf eine Anfechtbarkeit hindeuten
könnte.
Unabhängig davon, ob die Klägerin - wie die Beklagten meinen - die Beweislast für das Fehlen von Anfechtungsgründen nach der
InsO im Zeitpunkt der Zahlung trägt, hätten die Beklagten zu möglichen Anfechtungsgründen in tatsächlicher Hinsicht vortragen
müssen. Insoweit obliegt den Beklagten jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast (vgl. zu den Voraussetzungen BGH NJW 2002,
1123).
2.
Die Klägerin hat lediglich Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß
§§
286 Absatz
1,
288 Absatz
1 BGB.
Die Klägerin kann dagegen von den Beklagten nicht die Säumniszuschläge gemäß §
24 Absatz
1 SGB IV als Schadenersatz gemäß §
823 Absatz
2 BGB verlangen.
a) §
266 a Absatz
1 StGB stellt allein das Vorenthalten der Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung unter Strafe. Säumniszuschläge gemäß
§
24 Absatz
1 SGB IV werden hiervon nicht erfasst. Unerheblich ist hierbei, dass §
24 Absatz
1 SGB IV die Funktion zukommt, sowohl auf den Beitragsschuldner Druck zum Zwecke der pünktlichen Bezahlung auszuüben, als auch Zinsnachteile,
die die Sozialversicherungsträger durch unpünktliche Beitragszahlungen erleiden, auszugleichen.
b) Die Säumniszuschläge sind auch keine mittelbare Schadensfolge der unerlaubten Handlung.
c) Schließlich stellt §
24 Absatz
1 SGB IV kein Schutzgesetz im Sinne von §
823 Absatz
2 BGB dar.
Die Frage, ob einer Rechtsnorm Schutzgesetzcharakter zukommt, bestimmt sich nicht nach der Wirkung des Gesetzes, sondern danach,
ob dessen Inhalt nach dem Willen des Gesetzgebers in Form eines bestimmten Gebotes oder Verbotes - zumindest neben anderen
Zwecken auch - einem gezielten Individualzweck dient und gegen eine näher bestimmte Art. der Schädigung eines im Gesetz festgelegten
Rechtsgutes oder Individualinteresses gerichtet ist. Es genügt nicht, dass die Norm im allgemeineren Sinn Schutz und Förderung
einzelner Bürger oder bestimmter Personenkreise bewirkt oder bezweckt. Vielmehr muss die Schaffung eines individuellen Schadenersatzanspruches
erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen. (BGH
VersR 1976, 982)
Diese Voraussetzungen sind für §
24 Absatz
1 SGB IV nicht gegeben.
Dies hat der BGH für die alte Fassung dieser Vorschrift bereits ausgesprochen (ZIP 1985, 996). Danach handelt es sich bei Säumniszuschlägen nicht um eine gesetzlich zugelassene pauschalierte Berechnung des Verzugsschadens,
sondern um eine neben den Beitrag tretende Ungehorsamsfolge, deren Verhängung die pünktliche Zahlung der Beiträge in der Zukunft
gewährleisten soll. Nicht anderes gilt für die Neufassung des §
24 Absatz
1 SGB IV. Soweit der BGH in ZIP 1985, 996 darauf abgestellt hat, dass der Säumniszuschlag nach der alten Fassung in das pflichtgemäße Ermessen des Sozialversicherungsträgers
gestellt war, ist dies nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur Änderung des
§
24 Absatz
1 SGB IV. Nach dem Entwurf der Bundesregierung zum Zweiten Gesetz zur Änderung des SGB (Bundestagsdrucksache 12/5187 S. 27) diente
die Neufassung der Verschärfung der Vorschrift über die Erhebung des Säumniszuschlages in der Sozialversicherung, weil - worauf
der Bundesrechnungshof (Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 10. September 1990 - Bundestagsdrucksache 11/7810)
seinerzeit hingewiesen hat - Untersuchungen der Rentenversicherungsträger bei mehreren Krankenkassen in den Jahren 1985 bis
1989 ergeben hatten, dass ein großer Teil der Beiträge von den Arbeitgebern verspätet gezahlt wurde. Auch bei der Neufassung
der Vorschrift stand mithin die Druckfunktion im Vordergrund. Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass nach der Neufassung
grundsätzlich vom ersten Tag der Säumnis an der Zuschlag zu erheben ist. Hiermit sollte verhindert werden, dass der größte
Teil der säumigen Beitragszahler die einwöchige Schonfrist nach der alten Fassung der Vorschrift ausnutzten, um die Fälligkeit
der Beiträge bis zu sieben Tage sanktionsfrei hinauszuschieben (vgl. Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 10. September
1990 - Bundestagsdrucksache 11/7810 - Ziff. 17.3 - S. 46). Freilich sah der Bundesrechnungshof (a.a.O. Ziff. 17.6 - S. 46)
wie auch das BSG (ZIP 1984, 1513; NZS 1999, 562) in der neuen wie in der alten Regelung des §
24 Absatz
1 SGB IV auch ein Instrument, durch säumiges Zahlungsverhalten entstehende Nachteile auszugleichen. Auch ist diese Ausgleichsfunktion
mittlerweile neben der Druckfunktion allgemein anerkannt (Hauck/Noftz/Udsching,
SGB IV, 35. Lfg., K § 24, Rn. 1; Winkler/Wietek, LPG-
SGB IV, §
24, Rn. 3; Figge, Sozialversicherungshandbuch Beitragsrecht, Lfg. 88, Kap. 7.5.3.3; s.a. Kasseler Kommentar/Seewald, 54. Lfg.,
SGB IV, §
24, Rn. 1).
Allein diese der Regelung des 24 Absatz 1
SGB IV innewohnende Ausgleichsfunktion rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass diese Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers
gegen eine konkrete Schädigung eines konkreten Rechtsgutes gerichtet ist und einen individuellen Schadenersatzanspruch statuieren
soll. Es fehlt an einer in der Vorschrift näher bestimmten Art. der Schädigung eines Individualinteresses. Der Schutz vor
Liquiditäts- und Zinsnachteilen bei den Sozialversicherungsträgern im allgemeineren Sinn reicht hierfür nicht aus. Vielmehr
muss die Schaffung eines individuellen Schadenersatzanspruches erkennbar vom Gesetz erstrebt sein, was vorliegend nicht der
Fall ist.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Umstand, dass Normadressat des §
24 Absatz
1 SGB IV die Beitragsschuldner sind, nicht jedoch deren vertretungsberechtigte Organe bzw. Vertreter.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
91 Absatz 1 Satz 1,
92 Absatz
1 und
2 Nr.
1 sowie 97 Absatz
1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§
708 Nr. 11,
711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 sowie 713
ZPO.
Die Revision war gemäß §
543 Absatz
2 Nr.
1 ZPO zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob §
24 Absatz
1 SGB IV ein Schutzgesetz im Sinne von §
823 Absatz
2 BGB ist, ist für die nunmehr geltende Fassung der Vorschrift höchstrichterlich soweit ersichtlich noch nicht entschieden.