Berechnung des Erwerbstätigenfreibetrages bei Prozesskostenhilfe
Gründe:
I.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde begehrt die Beteiligte Ziffer 1 (Beklagte/Beschwerdeführerin) die Herabsetzung der vom Arbeitsgericht
festgesetzten monatlichen Rate von EURO 45,00 auf EURO 30,00.
Mit ihrem am 19.03.2003 eingegangenen Antrag beantragte die Beteiligte Ziffer 1 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
die Rechtsverteidigung in der Sache 2 Ca 189/03. Am 26.03.2003 reichte die Beteiligte Ziffer 1 die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach.
Mit Beschluss vom 30.04.2003 bewilligte das Arbeitsgericht Ulm der Beklagten Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug und
setzte zugleich monatliche Raten in Höhe von EURO 45,00 fest. Den Freibetrag für Erwerbstätige setzte das Arbeitsgericht mit
EURO 90,00 an. Für die drei unterhaltsberechtigten Kinder veranschlagte das Arbeitsgericht unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen
insgesamt EURO 10,00. Die Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigte das Arbeitsgericht mit EURO 456,00.
Gegen den am 09.05.2003 zugestellten Beschluss legte die Beteiligte Ziffer 1 am 13.05.2003 sofortige Beschwerde ein. Sie begehrte
unter Hinweis auf den ihrer Ansicht nach zu niedrig angesetzten Freibetrag für Erwerbstätige eine Herabsetzung der monatlichen
Raten auf EURO 15,00. Mit Beschluss vom 13.06.2003 half das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab.
Mit Verfügung vom 25.06.2003 bat der Vorsitzende die Beteiligte Ziffer 1 um Klarstellung ihrer Berechnungsmethode zur Ermittlung
des Freibetrages für Erwerbstätige. Daraufhin teilte die Beteiligte Ziffer 1 mit, dass sie sich bei der Berechnung des Freibetrages
für Erwerbstätige am jeweiligen Eckregelsatz des Sozialhilferechts orientiere. Sie bat um Herabsetzung der Raten auf EURO
30,00.
In ihrer Stellungnahme vom 08.07.2003 nahm die beteiligte Staatskasse eine Berechnung des einzusetzenden Einkommens vor, das
in verschiedenen Punkten von der Berechnung der Beteiligten Ziffer 1 abwich. Im Ergebnis kam die Vertreterin der Staatskasse
ebenfalls auf eine monatliche Rate von EURO 30,00. Die Beteiligte Ziffer 1 erhielt die Berechnung der Vertreterin der Staatskasse
zur Stellungnahme. Sie teilte daraufhin am 18.07.2003 mit, dass sie anrege, eine monatliche Rate in Höhe von EURO 30,00 festzusetzen.
II.
Die gemäß §
127 Absatz
2 Satz 2
ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 ist im Umfang der zuletzt begehrten Abänderung begründet. Die Beteiligte
Ziffer 1 hat - wie zuletzt von beiden Beteiligten beantragt - lediglich Monatsraten von EURO 30,00 auf die Prozesskosten zu
zahlen.
1. Das monatliche Bruttoeinkommen der Beteiligten Ziffer 1 aus nicht selbständiger Tätigkeit beläuft sich auf EURO 874,39.
Das Kindergeld von EURO 462,00 ist hinzuzurechnen, so dass sich ein Gesamteinkommen von EURO 1 336,89 ergibt.
2. Von dem monatlichen Gesamteinkommen sind nach §
115 Absatz
1 ZPO folgende Beträge abzusetzen:
a) Die gesetzlichen Abzüge (§
115 Absatz
1 Nr.
1 ZPO iVm § 76 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BSHG) belaufen sich auf EURO 182,41. Als Werbungskosten können nach §
115 Absatz
1 Nr.
1 ZPO iVm § 76 Absatz 2 Nr. 4 BSHG die Fahrtkosten von der Wohnung zur Arbeitsstätte angesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg
(Beschluss vom 12.07.2001 - 19 Ta 4/01) entspricht der in § 3 Abs. 6 Nr. 1 der Durchführungsverordnung zu § 76 BSHG festgelegte Pauschalbetrag von nur EURO 5,20 für jeden Entfernungskilometer aufgrund der Geldentwertung nicht mehr der Realität.
Vielmehr sind die Beträge zugrundezulegen, die steuerrechtlich als Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle
anerkannt werden. Diese Beträge belaufen sich derzeit für die ersten 10 Kilometer auf EURO 0,36 und für jeden weiteren Kilometer
auf EURO 0,40. Entsprechend der Berechnung der Vertreterin der Staatskasse können somit EURO 63,36 anerkannt werden.
b) Der Freibetrag für die Beteiligte Ziffer 1 (§
115 Absatz
1 Nr.
2 ZPO) beträgt seit 01.07.2003 EURO 364,00. Die Freibeträge für die drei unterhaltspflichtigen Kinder hat das Arbeitsgericht in
der Weise berücksichtigt, dass es den dreifachen Freibetrag mit der Gesamtsumme der Unterhaltszahlungen des Vaters verrechnet
hat. Hiernach verblieb noch ein Freibetrag von EURO 10,00. Da jedoch §
115 Absatz
1 Ziffer 2 Satz 2
ZPO besagt, dass sich der Unterhaltsfreibetrag um eigenes Einkommen der unterhaltsberechtigten Person verringert, erscheint eine
personenbezogene Berechnung - wie von der Vertreterin der Staatskasse vorgenommen - zutreffend. Hiernach verbleibt für das
Kind xxxxxxx kein Freibetrag mehr, während für die Kinder xxxxxx und xxxxxxxx je EURO 25,00 anzusetzen sind. Der zusätzliche
Kinderfreibetrag für minderjährige, unverheiratete Kinder beläuft sich auf EURO 20,50 bei zwei oder mehr Kindern (§ 76 Absatz 2 Nr. 5 BSHG).
c) Mit ihrer Beschwerde hat die Beteiligte Ziffer 1 den ihrer Auffassung nach zu geringen Ansatz des Erwerbstätigenfreibetrages
durch das Arbeitsgericht angegriffen. Nach §
115 Absatz
1 Ziffer 1
ZPO iVm § 76 Absatz 2a Nr. 1 BSHG sind vom Einkommen Beträge in jeweils angemessener Höhe für Erwerbstätige abzusetzen. Zur Bestimmung des angemessenen Betrages
werden in Rechtsprechung und Literatur die unterschiedlichsten Auffassungen vertreten. Das Arbeitsgericht hat sich der Rechtsauffassung
des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 04.04.1995 - 11 BAr 153/94 - JurBüro 1995, 533; ebenso OLG Schleswig-Holstein, 07.02.1996 - 9 W 12/96 - JurBüro 1996, 433) angeschlossen, wonach der Freibetrag für Erwerbstätige 25 % des allgemeine Freibetrages für die Partei (also seit 01.07.2003
EURO 91,00) beträgt. Eine andere Auffassung will hingegen den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge folgen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs; Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Auflage, Randziffern 259 ff.;
Künzl/Koller, Prozesskostenhilfe, 2. Auflage, Randziffern 115 ff.; Schoreit-Dehn, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 7.
Auflage, §
115 Randziffer 20; Zöller-Phillippi,
ZPO, 23. Auflage, §
115 Randziffer 29; OLG Hamburg, 20.02.1995 - 12 UF 129/94 - MdR 1995, 644). Hiernach sind höchstens 50 % des höchsten Eckregelsatzes in der Sozialhilfe (derzeit EURO 297,00) in Abzug
zu bringen. Bei um gesetzliche Abzüge und Werbungskosten bereinigten Einkünften, die EURO 564,,00 (Stand: 30.06.2003) nicht
übersteigen, ist eine gesonderte Berechnung durchzuführen. Schließlich knüpft eine dritte Auffassung an die Freibeträge an,
die nach den verschiedenen unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate vorgesehen sind (vgl. die Nachweise bei Künzl/Koller,
a. a. O., Randziffer 118).
Solange die Rechtsverordnung zu § 76 BSHG keine Festlegung des Freibetrags für Erwerbstätige enthält (die für die Gerichte nicht bindend wäre, aber eine Leitlinie
bilden könnte), sprechen nach Auffassung der Kammer die besseren Gründe dafür, den Unterhaltsfreibetrag nach den Empfehlungen
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu bemessen. Diese Berechnungsmethode wird ausdrücklich in den
Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 12/6963, Seite 12) angesprochen. Soweit im Regierungsentwurf eine zweite Berechnungsmethode
dargestellt wird, die an den Unterhaltsfreibetrag für die Partei anknüpft (max. 2 x 20,4 % des Freibetrag von EURO 364,00;
vgl. Kalthoener u.a., a.a.O., Randziffer 264), so kommt diese Berechnungsmethode praktisch zum selben Ergebnis wie die Empfehlung
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. In beiden Fällen beläuft sich der maximale Freibetrag für Erwerbstätige
derzeit (seit 01.07.2003) auf EURO 148,50. Für die am Eckregelsatz orientierte Berechnung des Freibetrages spricht ferner,
dass das Sozialhilferecht weitere Freibeträge kennt, die ebenfalls an den Eckregelsatz anknüpfen (Zöller-Phillippi, a. a.
O., Randziffer 29a; Künzl/Koller, a. a. O., Randziffer 119). Wegen der engen Verknüpfung zwischen dem Prozesskostenhilfe-
und dem Sozialhilferecht erscheint es wenig sinnvoll, abweichende Berechnungsmethoden für das Prozesskostenhilfeverfahren
anzuwenden.
d) Nach §
115 Absatz
1 Nr.
3 ZPO sind die Kosten der Unterkunft und Heizung abzusetzen, soweit sie nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zu den Lebensverhältnissen
der Partei stehen. Danach sind abzusetzen die Kosten für die Kaltmiete von EURO 365,00 und die Nebenkosten abzüglich der Stromkosten.
Die Stromkosten gehören, sofern die Heizung nicht elektrisch betrieben wird, zu den Kosten der allgemeinen Lebenshaltung und
werden durch die Freibeträge, die das Existenzminimum sicherstellen sollen, ausgeglichen (Kalthoener u.a., a. a. O., Rand-Ziffer
273; Zöller-Phillippi, a. a. O., § 115 Randziffer 37). Hiernach verbleibt für die Nebenkosten ein Abzugsbetrag von EURO 24,92.
e) Als besondere Belastungen im Sinne des §
115 Absatz
1 Nr.
4 ZPO können die Fahrtkosten (Bus) für die beiden Kinder xxxxx und xxxxx von je EURO 22,00 und die Kosten für die "verlässliche
Grundschule" für das Kind xxxxx von EURO 10,00 anerkannt werden.
3. Insgesamt ergibt sich ein einzusetzendes Einkommen von EURO 63,70. Die geringfügige Abweichung von der Berechnung der Vertreterin
der Staatskasse beruht darauf, dass als zusätzlicher Kinderfreibetrag ein weiterer Betrag von EURO 10,25 eingestellt wurde.
Bei einem einzusetzenden Einkommen von EURO 63,70 beläuft sich die Monatsrate auf EURO 30,00.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§
127 Absatz
4 ZPO). Eine Gerichtsgebühr nach der Gebührenziffer 9302 des Gebührenverzeichnisses ist nicht zu erheben, weil die sofortige Beschwerde
Erfolg hatte. Die Rechtsbeschwerde war nach §
574 Abs.
3 ZPO iVm § 78 Satz 2 ArbGG zuzulassen, weil die Rechtssache angesichts der unterschiedlichen Rechtsprechung zur Höhe des Erwerbstätigenfreibetrag grundsätzliche
Bedeutung hat. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall die Rechtsbeschwerde trotz ihrer Statthaftigkeit
unzulässig sein dürfte, weil angesichts der übereinstimmenden Antragstellung beider Beteiligten und der antragsgemäßen Entscheidung
keine Beschwer zu Lasten eines der Beteiligten vorliegt.