Prozesskostenhilfe: Zeitpunkt der Beurteilung der Vermögensverhältnisse
Gründe:
I.
Der Kläger ist seit dem 01.11.1995 bei der Beklagten als Produktionsarbeiter zu einem durchschnittlichen Bruttoarbeitsverdienst
von DM 4.000,00 beschäftigt.
Die Beklagte beschäftigt über zehn Vollzeitkräfte ausschließlich der Auszubildenden.
Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Mit Schreiben vom 31.10.1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 16.11.1997.
Der Kläger hat gegen diese Kündigung mit einem am 17.11.1997 beim Arbeitsgericht Bremerhaven eingegangenen Schriftsatz Klage
erhoben.
In der Verhandlung vom 29.01.1998 schlossen die Parteien folgenden Vergleich:
1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung vom 31.10.1997 unter Beachtung
der tariflichen Kündigungsfrist zum 16.11.1997 sein Ende gefunden hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß,
einschließlich der anteiligen Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) abzurechnen und der sich daraus ergebende Nettobetrag an den
Kläger bis zum 05.02.1998 zur Auszahlung zu bringen.
2. Die Beklagte stellt dem Kläger bis zum 05.02.1998 ein qualifiziertes, seinem beruflichen Fortkommen dienliches Zeugnis
aus.
3. Für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an den Kläger in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Verbindung mit §
3 Ziffer 9
EStG eine Abfindung in Höhe von DM 20.000,00.
4. Damit ist der Rechtsstreit zum Aktenzeichen 1 Ca 853/97 erledigt.
Mit der Klage hat der Kläger zugleich beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin zu bewilligen.
Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers beigefügt, die allerdings
nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis durch einen am 02.02.1998 beim Arbeitsgericht Bremerhaven eingegangenen Schriftsatz
aktualisiert wurde.
Das Arbeitsgericht Bremerhaven hat durch Beschluss vom 13.02.1998 den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.
Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Bl. 39 ff. d. PKH-A. verwiesen.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger mit einem am 09.03.1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt,
der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.
Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht Bremerhaven habe die Vermögensverhältnisse, die zum Zeitpunkt der Antragstellung
noch nicht vorgelegen hätten, nicht berücksichtigen dürfen. Auch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe
sei die Abfindungszahlung noch nicht gewährt worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht bei seiner Entscheidung für die Frage, ob eine Bedürftigkeit im Sinne des §
114 ZPO vorliegt, auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung abgestellt.
Grundlage jeder gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz ist nämlich grundsätzlich der letzte Erkenntnisstand des
Gerichts, also der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Daß dies für die Beurteilung der Bedürftigkeit
gilt, folgt schon aus §
124 Nr. 3
ZPO. Hiernach kann nämlich sogar eine bereits gewährte Prozesskostenhilfe aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen dafür nicht
vorgelegen haben (vgl. dazu OLG Frankfurt, Juristisches Büro 1982 S. 1260; OLG Saarbrücken, Juristisches Büro 1985 S. 600; OLG Karlsruhe, FamRZ 1985 S. 1274; OLG Zweibrücken, Juristisches Büro 1986 S. 1251; OLG Bamberg, Juristisches Büro 1990 S. 1644; LAG Düsseldorf, Juristisches Büro 1986 S. 608; Zöller,
ZPO 20. Aufl. §
119 Rdn. 44).
2. Die sehr hohe Abfindungszahlung von DM 20.000,00 mußte für die Beurteilung der Frage der Bedürftigkeit vom Arbeitsgericht
berücksichtigt werden.
Das Landesarbeitsgericht Bremen - 4. Kammer - hält zwar an seiner Auffassung fest, daß es sich bei der gemäß den §§ 9, 10 KSchG gewährten Abfindung um eine Zahlung handelt, die - ähnlich wie das Schmerzensgeld - zweckgebunden ist und die deshalb teilweise
auch als soziales Schmerzensgeld bezeichnet wird (vgl. Nikisch, Arbeitsrecht Bd. I 3. Aufl. §
51 IX Ziff. 6; Auffarth, DB 1996 S. 528; Zöller,
ZPO a.a.O. §
115 Rdn. 59; LAG Bremen LAGE §
115 ZPO Nr. 29). Die Kammer hat aber in der zitierten Entscheidung schon darauf hingewiesen, daß es der Partei unter Berücksichtigung
der Vorschrift des §
115 Abs.
2 ZPO nur dann nicht zumutbar ist, eine solche Abfindung als Vermögen einzusetzen, wenn es sich um eine Abfindung handelt, die
sich in den Grenzen der §§ 9, 10 KSchG hält. Eine in angemessener Höhe gezahlte Abfindung bewegt sich in dem Rahmen, den der Gesetzgeber bei Verlust des Arbeitsplatzes
zum Ausgleich der zu erwartenden Nachteile für angemessen hält.
§
115 Abs.
2 ZPO verweist auf § 88 BSHG. Die entsprechende Anwendbarkeit dieser Vorschrift führt nicht dazu, daß jegliches Vermögen einzusetzen ist. Denn § 88 Abs. 2 BSHG bestimmt ausdrücklich, welche Vermögensgegenstände von der Verwertung ausgenommen werden. Darüber hinaus enthält § 88 BSHG in seinem 3. Absatz eine Härteklausel. So darf die Gewährung von Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines
Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten
Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Diese Härtefallklausel eröffnet die Möglichkeit, über § 88 Abs. 2 BSHG hinaus auch Barbeträge von dem Einsatz oder von der Verwertung auszunehmen. Diese Ausnahme vom Einsatz und von der Verwertung
ist wegen der Zweckgebundenheit einer wegen Verlust des Arbeitsplatzes gewährten Abfindung zu bejahen, wenn die Abfindungszahlung
die sich aus den §§ 9, 10 KSchG ergebenden Grundsätze bzgl. der Höhe der Abfindung einhält. Nur dann ist davon auszugehen, daß die Abfindung in voller Höhe
zweckgebunden ist und damit auch keine Teilbeträge als einzusetzendes Vermögen in Betracht kommen.
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat dies im einzelnen begründet und auf seine Ausführungen kann verwiesen werden. Bei einem Arbeitsverhältnis,
das zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung zwei Jahre bestanden hat, wäre eine Abfindung, die sich an den durch die Rechtsprechung
konkretisierten Vorgaben der §§ 9, 10 KSchG hält, in Höhe von allenfalls DM 6.000,00 (75 %) eines Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr als angemessen (Obergrenze)
anzusehen gewesen. Die Zahlung von DM 20.000,00 geht weit über das vom Gesetzgeber vorgesehene soziale Schmerzensgeld hinaus
und war deshalb als Vermögen anzusehen, das der Kläger einsetzen muß, bevor er auf Kosten des Staates den Rechtsstreit führen
kann.
3. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, daß zum Vermögen auch realisierbare Forderungen gehören. Auf die Ausführungen
des Arbeitsgerichts wird verwiesen.
Nach allem war die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beschwerdewert ergibt sich aus dem Betrag, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aus der Staatskasse zu zahlen gewesen
wäre, wenn der Kläger obsiegt hätte.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 70 ArbGG.