Keine Vergütung für Mehrarbeit des Hilfsbedürftigen bei Eingliederungsmaßnahme - kein Arbeitsverhältnis zum Maßnahmebetrieb
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Vergütung für Zeiten, die er zwischen dem 31.3. und 15.4.2005 über acht Stunden pro Tag hinaus im Betrieb
der Beklagten tätig war.
Die Beklagte betreibt in A einen Metallbaubetrieb. Der Kläger ist arbeitslos gemeldet und bezieht vom Landkreis B Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff SGB II. Der Landkreis B (Amt für Arbeit und Soziales) bewilligte dem
Kläger vom 31.3. bis 15.4.2005 die Teilnahme an einer betrieblichen Praxiserprobung nach § 16 Abs. 2 SGB II im Betrieb der
Beklagten. Die Leistungen nach § 19 ff SGB II bezog der Kläger weiterhin. Während der Praxiserprobung war er teilweise im
Betrieb und teilweise auf einer Montagebaustelle in Bensheim tätig. Der Kläger verlangt von der Beklagten für Tage, an denen
er mehr als acht Stunden gearbeitet habe, die Bezahlung von Überstunden. Der zeitliche Umfang und der Inhalt der Tätigkeit
sind zwischen den Parteien streitig.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens beider Parteien in erster Instanz, der vor dem Arbeitsgericht
gestellten Anträge und der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung
Bezug genommen (Bl. 72 - 79 d.A.).
Der Kläger hat gegen das ihm am 26.4.2006 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 5.5.2006 Berufung eingelegt und sie gleichzeitig
begründet.
Der Kläger vertritt weiterhin die Ansicht, die Beklagte habe ihn im Rahmen der Praxiserprobung nicht mehr als acht Stunden
pro Tag ohne zusätzliche Vergütung einsetzen dürfen. Das ergebe sich aus dem Zusatz im Formular "Teilnahmebescheinigung des
Unternehmens an einer betrieblichen Praxiserprobung", mit dem der Betrieb als Verpflichtung erklärt: "Die arbeitsrechtlichen
Bestimmungen werden von mir eingehalten". Damit sei im Rahmen der Maßnahme nur ein Einsatz von täglich acht Stunden erlaubt
und abgedeckt. Darüber hinaus geleistete Arbeiten begründeten eine Zahlungsverpflichtung des Betriebs nach §
612 BGB. Der Kläger behauptet, er sei aufgrund seiner beruflichen Erfahrung in der Lage gewesen, allein auf der Baustelle in Bensheim
bei der Montage eines Brückengeländers zu arbeiten. Für die einzelnen vom Kläger behaupteten Tätigkeiten und die Summe der
geleisteten Arbeitsstunden wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 5.10.2006, Seiten 2 u. 3, Bezug genommen (Bl. 106, 107
d.A.). Der Kläger hält eine Vergütung für seine Tätigkeit in Höhe von EUR 15,-- pro Stunde für angemessen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Fulda vom 15.3.2006, Az.: 3 Ca 260/05, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 907,50 EUR brutto, hilfsweise 550,50 EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie behauptet weiterhin, dass zwischen den Parteien die Erbringung
einer Arbeitsleistung des Klägers nicht vereinbart war und der Kläger auch keine Arbeiten für die Beklagte ausgeführt habe.
Sie habe dem Kläger lediglich die Möglichkeit gegeben, sich im Rahmen der vom Amt für Arbeit und Soziales zugewiesenen Beschäftigung
praktisch zu erproben.
Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 15.3.2006 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 3 b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§
66 Abs-. 1, 64 Abs.
6 ARbGG, 519, 520 Abs.
1 und
3 ZPO). Ebenso ist die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß §§ 65, 48 Abs. 1 ArbGG,
17 a Abs.
3 GVG gegeben, nachdem das Arbeitsgericht dies, ohne vorangegangene Rüge der Parteien, im Urteil bejaht hat. Das Berufungsgericht
ist dann gemäß § 65 ArbGG an diese Entscheidung gebunden (GMPM ArbGG 5. Aufl. § 65 Rz. 4a, 5). Deshalb sei nur kurz erwähnt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluss v. 8.11.2006
- 5 AZB 36/06) für den Streitfall die Sozialgerichte zuständig wären.
Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg, weil sie unbegründet ist. Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Bezahlung
der zwischen dem 31.3. und 15.4 2005 im Rahmen einer Maßnahme nach § 16 Abs. 2 SGB II geleisteten Stunden, die über einen
täglichen Einsatz von 8 Stunden hinausgingen, fehlt es gegenüber der Beklagten an einer Anspruchsgrundlage. Zwischen den Parteien
besteht weder eine Vergütungsabsprache noch ist §
612 BGB anwendbar.
Der Kläger war bei der Beklagten im Rahmen einer Eingliederungsleistung nach § 16 Abs. 2 SGB II tätig. Grundlage einer solchen
Leistung bzw. Maßnahme ist in der Regel, soweit nicht durch Verwaltungsakt angeordnet, eine Eingliederungsvereinbarung gemäß
§ 15 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 2 SGB II (Löns/Herold-Tews SGB II § 15 Rz. 5). Die Eingliederungsvereinbarung ist ein das Sozialrechtsverhältnis
zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Leistungsträger, d.h. der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem kommunalen Träger, konkretisierender
öffentlichrechtlicher Vertrag. Auf keinen Fall wird ein Vertrag mit dem Unternehmen, in dem die Maßnahme, hier die betriebliche
Praxiserprobung, stattfindet, begründet. Das Unternehmen verpflichtet sich lediglich gegenüber der Bundesagentur bzw. dem
kommunalen Träger, wie nach § 16 Abs. 3 SGB II, die Vorschriften über den Arbeitsschutz einzuhalten. Daraus folgt, dass durch
die Tätigkeit des Klägers im Betrieb der Beklagten keine schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien entstanden sind.
Anders als in § 16 Abs. 3 SGB II, der die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (die sog. Ein-Euro-Jobs) regelt,
sieht § 16 Abs. 2 SGB II keinerlei Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung gegen den Betrieb, in dem die Maßnahme stattfindet,
vor. Der Maßnahmebetrieb geht hier lediglich Verpflichtungen gegenüber dem Leistungsträger, nicht aber gegenüber dem Hilfebedürftigen,
ein. Der Hilfebedürftige hat nur gegenüber der Bundesagentur Ansprüche. An diese muss er sich auch wenden, wenn er der Meinung
ist, bei einer Maßnahme über Gebühr, über den Maßnahmezweck hinaus beansprucht zu werden.
An dieser Gestaltung der Rechtsbeziehungen ändert sich auch beim Überschreiten einer täglichen Tätigkeitsdauer von acht Stunden
nichts. Das Rechtsverhältnis verwandelt sich dann nicht in ein Schuldrechtsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem
Maßnahmebetrieb. Für eine betriebliche Praxiserprobung sind keine festen zeitlichen Grenzen ausdrücklich vorgeschrieben. Ebenso
wenig können sie aus dem Charakter der Maßnahme abgeleitet werden. Es ist im Gegenteil eher so, dass zum Erprobungszweck im
Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme auch gerechnet werden kann, die Belastbarkeit eines Arbeitnehmers beim Anfall von Überstunden
zu erproben. Teil des Erprobungszwecks muss grundsätzlich alles sein können, was auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses
auftreten könnte. Sollte ein Maßnahmebetrieb dabei die gesetzlich zulässigen Höchstgrenzen verletzen, folgt daraus kein Vergütungsanspruch
gegenüber dem Betrieb. Entsprechende Anweisungen des Betriebes können jedoch Auswirkungen auf die mit dem Leistungsträger
getroffene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II haben. Geht die Inanspruchnahme des Hilfebedürftigen über die gesetzlichen
Höchstgrenzen hinaus, besteht für ihn die Möglichkeit, eine Tätigkeit dieses Umfang zu verweigern, u. U. könnte auch die Wirksamkeit
der Eingliederungsvereinbarung in Frage gestellt sein (Sonnhoff in juris PK-SGB II § 15 Rz. 101 ff). Arbeitsrechtliche oder
sonstige privatrechtliche Beziehungen zum Maßnahmebetrieb, die Grundlage eines Vergütungsanspruchs sein könnten, entstehen
dadurch allerdings nicht.
Der Kläger hat gemäß §§
64 Abs.
6,
97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.
Das Landesarbeitsgericht hat gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.