Zulässigkeit einer Anfechtungs- und Leistungsklage im sozialgerichtlichen Verfahren beim Streit um ein Hörgerät
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für von ihr angeschaffte Hörgeräte der Marke "Flash FL-m",
die über den von der beigeladenen Krankenkasse übernommenen Festbetrag hinausgehen.
Die am 1961 geborene Klägerin ist als Erzieherin in einem Kinderheim beschäftigt. Sie leidet an einer Innenohrschwerhörigkeit
beidseits, derentwegen sie seit Jahren mit Hörgeräten versorgt ist.
Ein von der Klägerin bei der Agentur für Arbeit M. im August 2006 gestellter Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
dem ein Kostenvoranschlag der Firma Hörgeräte Sch. & M. GmbH (im Folgenden: Fa. Sch. und M.) für Hörgeräte der Marke "Shape"
beigefügt war (Gesamtpreis: 3.800,00 €; Eigenanteil: 2.598,00 €), wurde von der Agentur für Arbeit noch im selben Monat an
die Beklagte weitergeleitet und von der Beklagten mit Bescheid vom 24.10.2006 und Widerspruchsbescheid vom 12.01.2007 sowie
der Begründung abgelehnt, die begehrte Übernahme der Kosten für höherwertige Hörgeräte könne nicht erfolgen, weil diese Hörgeräte
nicht wegen besonderer beruflicher Anforderungen erforderlich seien.
Am 13.02.2007 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Mannheim (S 10 R 562/07) Klage erhoben. Nach mehrmaligem Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf anstehende Entscheidungen des Bundessozialgerichts
(BSG) und u.a. Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. Z. hat das Sozialgericht im Mai 2010
von der Klägerin erfahren, dass sie zwischenzeitlich, im April 2008, Hörgeräte der Marke "Flash FL-m" gekauft hat (vgl. die
von der Klägerin vorgelegte Rechnung der Fa. Schaaf & Maier vom 07.04.2008 über Hörgeräte der Marke "Flash FL-m": Gesamtkosten
in Höhe von 3.056,80 €, Eigenanteil der Klägerin 1.860,00 €).
Mit Urteil vom 24.10.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der in §
15 des
Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB IX) normierte Kostenerstattungsanspruch sei zu verneinen, wenn der Betroffene sich die Leistung bereits vor einer Entscheidung
der Beklagten selbst beschafft habe. Entsprechendes gelte, wenn der Versicherte - wie vorliegend die Klägerin - sich während
des gerichtlichen Verfahrens ein anderes als das ursprünglich noch im Verwaltungsverfahren begehrte Hörgerät beschafft und
nunmehr die Erstattung der hieraus resultierenden Kosten begehre, obwohl insoweit noch keine Entscheidung getroffen sei. Die
Klägerin habe die Hörgeräte "Flash FL-m" im April 2008 beschafft, ohne die Übernahme der Kosten für diese Hörgeräte vorher
bei der Beklagten beantragt zu haben. Beantragt habe sie nämlich die Übernahme der Kosten für das Hörgerät "Shape".
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 14.11.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.12.2011 beim Landessozialgericht
(LSG) Berufung eingelegt und angesichts der Länge des Bewilligungsverfahrens Zweifel geäußert, ob ihr effektiver Rechtsschutz
gewährt worden sei. Das Urteil des Sozialgerichts sei im Übrigen überraschend, da es das klare Feststellungen zu ihren Gunsten
treffende Gutachten des Dr. Z. gänzlich ignoriere. Das SG habe sich lediglich in formalistischen Erwägungen ergangen und nicht die Frage beantwortet, warum sie auch von anderen möglichen
Kostenträgern "im Regen stehen" gelassen werden dürfe. Soweit das SG ausgeführt habe, dass sie dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist hätte setzen müssen, sei dies in ihrem speziellen
Fall unzumutbar. Denn wenn sie sich diese Zeit genommen hätte, hätte sie nach so vielen Jahren ihren Arbeitsplatz verloren.
Ebenso unhaltbar sei es, von ihr zu verlangen, dass sie erst Jahre warten müsse, bis die Beklagte entscheide. Im Ergebnis
führe dies dazu, dass der Leistungsträger - wie vorliegend - dafür belohnt werde, dass er mit allen Mitteln und unsinnigen
Argumenten die Entscheidung verzögere. Fest stehe, dass sie von Sommer 2006 bis April 2008 bis an die Grenze der Zumutbarkeit
mit der Beschaffung gewartet habe. Nun solle sie allerdings leer ausgehen, weil sie ein gleichwertiges Hörgerät einer anderen
Marke beschafft habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24.10.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.10.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2007 zu verurteilen, ihr 1.860,00 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II. Der Senat entscheidet über die nach den §§
143,
144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dabei hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass der
Klägerin kein Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten im Zusammenhang mit der Beschaffung der Hörgeräte der Marke "Flash FL-m"
zusteht. Indessen erweist sich die hier von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage aus den vom
Sozialgericht genannten Gründen - fehlende Befassung der Beklagten mit der Beschaffung der Hörgeräte der Marke "Flash FL-m"
- bereits als unzulässig.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 24.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2007,
mit dem die Beklagte den auf Versorgung mit Hörgeräten, und zwar mit solchen der Marke "Shape" gerichteten Antrag der Klägerin,
als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ablehnte. Denn ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht
gestellten Antrages, den die Klägerin sinngemäß im Berufungsverfahren weiter verfolgt, begehrt die Klägerin die Aufhebung
dieser Bescheide (Anfechtungsklage). Weitere Bescheide der Beklagten sind nicht ergangen, sodass als Gegenstand der Anfechtungsklage
auch nur diese Bescheide in Betracht kommen.
Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1860,00 € für den Kauf der Hörgeräte der
Marke "Flash FL-m". Sie macht insoweit einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe des von ihr verauslagten Eigenanteils geltend
(Leistungsklage).
Nach §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG kann mit der Anfechtungsklage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes oder seine Abänderung begehrt werden. Sie ist, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn die Klägerin behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein
(Satz 2). Insoweit reicht es zwar schon aus (BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R m.w.N.), dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und die Klägerin die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre
eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der sie behauptet, sie sei nicht rechtmäßig. An der Klagebefugnis fehlt es
aber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt, weil hinsichtlich des eigentlichen Klagebegehrens eine
gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG, aaO.; vgl. zur Klagebefugnis auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, §
54 Rdnrn. 9, 10, 12 ff.). So liegt der Fall hier.
Hätte sich die Klägerin die von ihr ursprünglich beantragten Hörhilfen selbst beschafft, wäre in dem anhängigen Rechtsstreit
darüber zu befinden, ob ihr ein Anspruch auf Erstattung der dann von ihr hierfür aufgewendeten Kosten (Differenzbetrag zum
Festbetrag) zustünde. Da sich die Klägerin die beantragten Geräte der Marke "Shape" jedoch tatsächlich nicht beschafft, sie
sich im Jahr 2008 vielmehr für die Anschaffung von Hörgeräten der Marke "Flash FL-m" entschieden hat, ist - ausgehend von
dem gestellten Leistungsantrag der Klägerin - vorliegend die Frage im Streit, ob die Klägerin Erstattung der Kosten für die
Anschaffung des Hörgeräts "Flash FL-m" verlangen kann, soweit der Festbetragsrahmen überschritten wurde, mithin in der beantragten
Höhe von 1.860,00 €. Dies ist das prozessuale Begehren der Klägerin.
Diese Umstände erhellen, dass die Klägerin ihr ursprüngliches Anliegen - die Versorgung mit Hörgeräten der Marke "Shape" -
nicht mehr weiter verfolgt. Allein über die Frage einer Versorgung mit Hörgeräten der Marke "Shape" entschied die Beklagte
aber in den angefochtenen Bescheiden. Denn die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten der Marke
"Shape" ab. Damit bezogen sich die angefochtenen Bescheide allein auf diese Hörgeräte. Da die Klägerin tatsächlich diese Hörgeräte
nicht beschafft hat und sie auch nicht mehr beabsichtigt, diese Hörgeräte zu beschaffen, kann die Klägerin auch nicht mehr
geltend machen, durch die Ablehnung ihres ursprünglichen Antrages noch immer in Rechten verletzt zu sein. Sie begehrt vielmehr
die Erstattung der von ihr getragenen Kosten für die Beschaffung anderer Hörgeräte (nämlich der der Marke "Flash FL-m"). Über
diese Hörgeräte aber entschied die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden nicht, sodass die Bescheide insoweit, was die
tatsächlich beschafften Hörgeräte anbelangt, die Klägerin auch nicht in Rechten verletzen können. Der Klägerin fehlt somit
die Klagebefugnis für die Anfechtungsklage, die sich deshalb als unzulässig erweist.
Gleiches gilt für die Leistungsklage. Denn Zulässigkeitsvoraussetzung einer solchen Klage ist u.a., dass der im Klageverfahren
in Anspruch genommene Leistungsträger zuvor über den geltend gemachten Anspruch entschieden hat (BSG, aaO.; Keller, aaO., Rdnr. 39 ff. m.w.N.). Gerade hieran fehlt es. Denn die Beklagte entschied nicht über eine Beschaffung
der Hörgeräte der Marke "Flash FL-m", die die Klägerin im Laufe des Klageverfahrens angeschafft hat und für deren Beschaffung
sie einen Eigenanteil zu tragen hatte, der nun Gegenstand der Leistungsklage ist. Wie ausgeführt beschränkte sich die ablehnende
Entscheidung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden auf Hörgeräte der Marke "Shape". Damit erweist sich auch die Leistungsklage
- mangels vorausgegangener Verwaltungsentscheidung - als unzulässig.
Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wäre - wie das Sozialgericht zutreffend
entschieden hat - auch ein materiell-rechtlicher Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erstattung des von ihr getragenen
Eigenanteils für die tatsächlich beschafften Hörgeräte der Marke "Flash FL-m" zu verneinen, selbst wenn ein Anspruch auf Sachleistung
gegen die Beklagte unterstellt würde. Denn die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen der vorliegend als Anspruchsgrundlage
allein in Frage kommenden (BSG, Urteil vom 20.10.2009, B 5 R 5/07 R in SozR 4-3250 §
14 Nr. 8) Regelung des §
15 SGB IX. Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung der Frage, dass die Beklagte schon deshalb nicht gemäß §
14 Abs.
2 SGB IX umfassend zuständig sein kann, weil überhaupt kein Antrag in Bezug auf die tatsächlich beschafften Hörgeräte vorliegt, also
auch nicht weitergeleitet worden sein kann, und es bedarf auch keiner näheren Betrachtung, nach welchen Regelungen hier dann
ein Sachleistungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Grundlage des Kostenerstattungsanspruches zu prüfen wäre.
Nach Abs.
1 Satz 1 bis
3 des §
15 SGB IX besteht ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für eine erforderliche Rehabilitationsbehandlung dann, wenn der Rehabilitationsträger
nicht innerhalb der Fristen des §
14 Abs.
2 SGB IX entschieden und dem Antragsteller die Hinderungsgründe nicht mitgeteilt hat und dieser sich nach Ablauf einer von ihr gegenüber
dem Rehabilitationsträger gesetzten angemessenen Frist die Leistung selbst beschafft hat. Nach §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX besteht eine Erstattungspflicht des Rehabilitationsträgers auch dann, wenn dieser eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig
erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend schon deshalb nicht erfüllt, weil sich die Klägerin die Leistung nicht nach Ablauf einer
der Beklagten gesetzten Frist zur Entscheidung selbst beschafft hat. Sie hat sich die Leistung, nämlich die Hörhilfen der
Marke "Flash FL-m", vielmehr beschafft, ohne die Beklagte hierüber zuvor in Kenntnis zu setzen und die entsprechende Leistung
bei ihr zu beantragen. Dem entsprechend liegt, wie ausgeführt, auch keine Ablehnung der Leistung vor.
Es handelte sich auch nicht um eine unaufschiebbare Leistung (s. hierzu BSG, Urteil vom 16.12.1993, 4 RK 5/92 in SozR 3-2500 § 13 Nr. 4), insbesondere nicht deshalb, weil es - so die Klägerin - unzumutbar gewesen sein soll, bei der Beklagten vor der Beschaffung
einen entsprechenden Antrag zu stellen bzw. ihr im Falle einer nicht fristgemäßen Entscheidung eine Frist zu setzen. Hiergegen
spricht bereits, dass die Klägerin mit (alten) Hörgeräten versorgt war. Auch der sich über lange Zeit hinweg ziehende Anpassungsprozess
zeigt, dass die Annahme einer dringlichen Bedarfslage ungeachtet des Vorbringens der Klägerin, die neuen Hörgeräte vor allem
für ihren Beruf zu benötigen, fernliegend ist. Entsprechend ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass mit einer entsprechenden
Fristsetzung eine Verzögerung der Leistung und ein Verlust des Arbeitsplatzes hätte verbunden sein können.
Auch der Umstand, dass das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, das nach Ansicht der Klägerin ihr Begehren
stützt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. So kann ein zu Unrecht eingeholtes Gutachten bereits nicht die Anspruchsvoraussetzungen
für die geltend gemachte Leistung ersetzen. Um Übrigen hat das Sozialgericht dieses Gutachten in Unkenntnis der Tatsache eingeholt,
dass die Klägerin sich nicht die beantragte Hörhilfen, sondern völlig andere Geräte beschafft hat. Denn bis zur Vorlage der
Rechnung vom 07.04.2008 über die Geräte der Marke "Flash FL-m" mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18.05.2010 hat für
das Sozialgericht keinerlei Veranlassung zu der Annahme bestanden, dass die Klägerin letztlich eine andere Versorgung als
beantragt gewählt hat. Sie hat das Sozialgericht und die übrigen Beteiligten vielmehr über einen Zeitraum von mehr als zwei
Jahren in Unkenntnis darüber gelassen, dass die beantragte Versorgung nicht mehr begehrt wird.
Eine für sie günstigere Entscheidung kann die Klägerin auch nicht aus der Dauer des gerichtlichen Verfahrens herleiten. Ein
solcher Aspekt fließt bei der Prüfung des § 15 SGB X nicht ein. Im Übrigen ist der Umstand, dass die Klägerin letztlich nicht die Hörhilfe angeschafft hat, deren Gewährung sie
bei der Beklagten beantragte, und sich statt dessen für eine andere Versorgung entschieden hat, in keiner Weise der Dauer
des gerichtlichen Verfahrens anzulasten, nachdem die Klägerin sich, wie das Rechnungsdatum 07.04.2008 ausweist, bereits vor
mehr als vier Jahren auf eine andere als die beantragte Versorgung festgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.