Festsetzung des Streitwerts im sozialgerichtlichen Verfahren; Berücksichtigung angefochtener Säumniszuschläge
Gründe:
Der Senat entscheidet über die Streitwertbeschwerde der Beklagten gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. mit § 66 Abs. 6 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in der Besetzung mit drei Berufsrichtern. Zwar handelt es sich bei der angegriffenen Streitwertfestsetzung durch die Kammervorsitzende
des Sozialgerichts um eine Einzelrichterentscheidung i. S. des §
66 Abs.
6 Satz 1 Halbsatz 1
SGG (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 16.12.2008 - L 10 R 5747/08 W-B - zur Veröffentlichung vorgesehen), jedoch hat der danach für Beschwerdeentscheidung an sich zuständige Berichterstatter
(§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. mit § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG) das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung übertragen.
Die Beschwerde gegen den in Anwendung des §
197 a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i. V. mit § 1 Satz 1 Nr. 4, § 63 Abs. 2 GKG ergangenen Streitwertbeschluss ist zulässig, insbesondere mit Blick auf den Beschwerdewert des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Streitwert für die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage
auf EUR 25.833,22 festgesetzt und dabei nicht nur die mit den angegriffenen Bescheiden nachgeforderten Versicherungsbeiträge,
sondern auch die zugleich erhobenen Säumniszuschläge berücksichtigt.
Nach § 52 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der
sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (Abs. 1). Betrifft der Antrag
des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (Abs. 3).
Dabei ist allerdings eine Streitwertobergrenze von EUR 2.500.000 zu beachten (Abs. 4). Darüber hinaus sieht § 43 Abs. 1 GKG vor, dass dann, wenn außer dem Hauptanspruch auch Früchte, Nutzungen, Zinsen oder Kosten als Nebenforderungen betroffen sind,
der Wert der Nebenforderungen nicht berücksichtigt wird.
In Anwendung dieser Regelungen ist der Streitwert auf den vom Kläger mit Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2007 geforderten Gesamtbetrag von EUR 25.833,22 festzusetzen. Denn der Kläger hat die
genannten, auf eine bezifferte Geldleistung im Sinne des § 52 Abs. 3 GKG gerichteten Behördenentscheidungen vollumfänglich angefochten. Auch schließt § 43 Abs. 1 GKG die Berücksichtigung der in den angegriffenen Bescheiden neben Versicherungsbeiträgen geforderten Säumniszuschläge in Höhe
von EUR 6.197,00 nicht aus (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2008 - L 4 R 6315/06 - nicht veröffentlicht). Denn die Regelung ist auf Säumniszuschläge nicht, auch nicht entsprechend anwendbar.
Zum einen findet § 43 Abs. 1 GKG auf Säumniszuschläge i. S. des §
24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) nicht unmittelbar Anwendung. Zwar sind die in Rede stehenden Zuschläge als Nebenforderungen nachgeforderter Versicherungsbeiträge
anzusehen. Indes handelt es sich bei Säumniszuschlägen nicht um Früchte, Nutzungen oder Kosten und stellen sie insbesondere
auch keine Zinsen dar (allg. Meinung: vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 29.01.2007 - L 6 RJ 1024/03 - zit. nach www.sozialgerichtsbarkeit.de, [zur Vorgängerregelung des § 22 GKG a. F.] sowie Behn, ZfS 2005, 198, 200, jew. m. w. N.). Vielmehr sanktioniert §
24 SGB IV die verspätete Beitragszahlung, indem durch die säumnisbedingte Erhöhung des Zahlbetrages einerseits eine "Druckfunktion"
auf den Schuldner ausgeübt wird; damit soll sichergestellt werden, dass die Sozialleistungsträger die entstandenen Beiträge
zum Fälligkeitstermin auch tatsächlich zur Erfüllung ihrer Leistungspflichten zur Verfügung haben. Andererseits wird vermittels
der Sanktion aber auch ein standardisierter Mindestschadensausgleich vorgenommen; hierdurch soll ausgeschlossen werden, dass
sich der Beitragsschuldner durch rechtswidriges Verhalten ein "zinsloses" Darlehen verschafft oder durch eine verspätete Beitragszahlung
selbst einen Zinsvorteil erlangt (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2004 - B 13 RJ 28/03 R - SozR 4-2400 § 24 Nr. 2 = BSGE 92, 150 ff. m. w. N.). Unterscheidet sich der Zweck der Säumniszuschläge damit grundlegend von demjenigen der Zinsen, nämlich der
bloßen Entgeltzahlung für die Kapitalüberlassung (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, Rdnr. 3 zu § 43 GKG), so unterfallen die Zuschläge dem Zinsbegriff nicht. Dem Umstand, dass mit der Erhebung der Zuschläge im Ergebnis auch -
also lediglich unter anderem - ein "Zinseffekt" verbunden ist (vgl. zu § 22 GKG a. F. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.11.2005 - L 5 B 192/05 KR - zit. nach juris; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.02.2000 - 9 K 47/98 - zit. nach juris; zur parallelen Regelung des §
4 Abs.
1 Halbsatz 2
Zivilprozessordnung [ZPO] LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 17.10.2006 - L 11 [8] R 57/06 - zit. nach juris; BGH Beschluss vom 27.06.1956
- V ZR 134/54 - NJW 1956, 1562), kommt mithin insoweit keine Bedeutung zu.
Eine entsprechende Anwendung des § 43 Abs. 1 GKG auf Säumniszuschläge scheidet im Ergebnis ebenfalls aus (a. A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.08.2007 - L 6 U 1140/06 - zit. nach juris; zu § 22 GKG a. F. Thüringer LSG, aaO.; LSG Rheinland-Pfalz aaO.; FG Baden-Württemberg aaO.; zu §
4 Abs.
1 Halbsatz 2
ZPO LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.; BGH aaO.).
Zum einen ist nämlich die Regelung als Ausnahmevorschrift (vgl. Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG-JVEG, 2007, Rdnr. 1 zu § 43) eng auszulegen und enthält sie daher eine abschließende Aufzählung der bei der Streitwertermittlung nicht zu berücksichtigenden
Arten von Nebenforderungen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, aaO., Rdnr. 3 zu § 43 GKG; Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, aaO., Rdnr. 3 zu §
43; Behn, aaO., S. 200; vgl. zu §
4 Abs.
1 Halbsatz 2
ZPO auch Musielak,
ZPO, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 12 zu §
4).
Zum anderen liegt auch keine Gesetzeslücke vor (vgl. auch hierzu Behn, aaO., S. 200). Dass der Erhebung von Säumniszuschlägen
- wie oben ausgeführt - im Ergebnis auch ein "Zinseffekt" zukommt, legt eine solche Lücke für sich allein nicht nahe. Denn
der Zweck der in § 43 Abs. 1 GKG getroffenen Regelung besteht darin, die Wertberechnung zu vereinfachen (vgl. zu § 22 GKG a. F. LSG Rheinland-Pfalz aaO.; FG Baden-Württemberg aaO.; zu §
4 Abs.
1 Halbsatz 2
ZPO LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.) und knüpft damit nicht an die Frage der Auswirkungen der Säumniszuschläge oder deren Nähe
zu Zinsforderungen an. Dieser Zweck des § 43 Abs. 1 GKG erfordert aber die Nichtberücksichtigung von Säumniszuschlägen bei der Streitwertermittlung nicht. Säumniszuschläge lassen
sich nämlich anders als die in § 43 Abs. 1 GKG aufgeführten Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten, die verfahrensbegleitend fortlaufenden oder doch zumindest häufigen Veränderungen
(Erhöhungen) unterworfen und daher zeitraubend zu berechnen (vgl. vgl. zu § 22 GKG a. F. FG Baden-Württemberg aaO.) sind, ohne Weiteres ermitteln. Denn sie unterfallen der das Rechtsschutzinteresse für die
Erhebung einer Leistungsklage ausschließenden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 17 vor §
51) Befugnis der Sozialverwaltungsträger zum Erlass von Beitragsbescheiden und sind damit nach Lage der Dinge nur im Rahmen
einer Anfechtungsklage, also dann Gegenstand der gerichtlichen Prüfung und mithin auch der Streitwertfestsetzung, wenn sie
in ihrer Höhe durch Verwaltungsakt festgesetzt und mithin bereits beziffert sind.
Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG), die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).