LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.2021 - 11 BA 660/21
Unzulässigkeit der Anfechtungsklage im sozialgerichtlichen Verfahren
Keine Verwaltungsaktseigenschaft der Ablehnung einer Aussetzung der Vollziehung – hier eines Betriebsprüfungsbescheids
Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 86a Abs 3 SGG bzw. die Ablehnung einer Aussetzung ist kein Verwaltungsakt.
Normenkette: ,
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SGB X § 31
Vorinstanzen: SG Freiburg 21.01.2021 S 12 BA 4270/19
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.01.2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung der sofortigen Vollziehung aus dem Betriebsprüfungsbescheid vom
11.01.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 26.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 mit
einer Beitragsnachforderung iHv 17.419,42 €.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in W. Gegenstand des Unternehmens sind der Ankauf, die
Modernisierung, der Verkauf und die Vermittlung von Immobilien. Zu Geschäftsführern waren bis 19.03.2018 die beiden Gründungsgesellschafter
T (51 % der Geschäftsanteile, ab 01.09.2017 100 % der Geschäftsanteile) und S (49 % der Geschäftsanteile bis zum 31.08.2017)
bestellt.
Die Beklagte führte hinsichtlich des Prüfzeitraums vom 01.01.2014 bis 31.12.2017 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach
§28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB IV) durch und setzte gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 11.01.2019 für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.08.2017 eine Beitragsnachforderung
iHv 19.132,55 € sowie stellte Versicherungspflicht hinsichtlich der Beschäftigung der S in allen Zweigen der Sozialversicherung
fest.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass es sich bei der Tätigkeit der S nicht um ein sozialversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis handele. Die Klägerin beantragte bis zur Entscheidung über den Widerspruch eine "stillschweigende
Aussetzung der festgesetzten Beträge". Mit Schreiben vom 26.02.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
ab, da keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Mit Änderungsbescheid vom 26.04.2019
half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin insoweit ab, als Umlagebeiträge U1 und U2 nicht mehr nachgefordert werden.
Sie reduzierte die Nachforderung auf insgesamt 17.419,42 €.
Durch Bescheid vom 22.05.2019 wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen wurde, als unbegründet zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 24.06.2019 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG; Az S 12 BA 2587/19).
Am 12.09.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut, die festgesetzten Beiträge von der Vollziehung auszusetzen.
Dazu teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 18.09.2019 mit, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen
Beitragsbescheid nach § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) keine aufschiebende Wirkung hätten. Der Beitragsbescheid sei also unmittelbar nach seiner Bekanntgabe sofort vollziehbar.
Gemäß § 86a Abs 3 Satz 1 SGG könne die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen und die über den Widerspruch zu entscheiden habe, die sofortige Vollziehung
ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung solle gemäß § 86a Abs 3 Satz 2 SGG erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden oder wenn die Vollziehung
für den Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Eine
unbillige Härte sei anzunehmen, wenn die Zahlung dem Betroffenen nicht wiedergutzumachende Schäden zufüge. Aus der Klagebegründung
ergebe sich kein neuer Sachverhalt, der zu einer Änderung der bisherigen Rechtsauffassung der Beklagten führe. Die Beklagte
empfahl bei Zahlungsschwierigkeiten, einen Antrag auf Ratenzahlung bei der zuständigen Krankenkasse zu stellen.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.10.2019 erhob die Klägerin "gegen die Verweigerung der Aussetzung der Vollziehung"
Widerspruch.
Am 01.10.2019 erhob die Klägerin eine "Vollstreckungsabwehrklage" zum SG (S 12 BA 3934/19). Am 10.10.2019 beantragte die Klägerin beim SG (S 12 BA 4036/19 ER), die aufschiebende Wirkung der Klage S 12 BA 2587/19 anzuordnen bzw festzustellen, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat. Das SG stellte durch Beschluss vom 30.10.2019 fest, dass die Klage S 12 BA 2587/19 gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 aufschiebende Wirkung
habe. Auf die Beschwerde der Beklagten hob der Senat den Beschluss des SG auf und lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab (Beschluss vom 09.01.2020, L 11 BA 4091/19 ER-B).
Den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 18.09.2019 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2019
als unzulässig zurück. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung sei unzulässig, da gegen
eine solche Entscheidung kein Rechtsschutz gegeben sei. Die Verweigerung der Aussetzung der Vollziehung stelle keine zusätzliche
Beschwer neben dem Grundbescheid dar. Sie sei vielmehr als unselbständiger Annex des zugrundeliegenden Beitragsbescheids zu
werten. Gegen die Ablehnung der Aussetzung bleibe der gerichtliche Rechtsschutz im Eilverfahren nach § 86b Abs 1 SGG.
Dagegen hat die Klägerin am 28.10.2019 Klage zum SG erhoben (S 12 BA 4270/19) und die Aufhebung der Entscheidung vom 18.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2019, hilfsweise die Feststellung,
dass die Vorgehensweise der Beklagten rechtswidrig gewesen sei, begehrt. Die Klägerin hat zur Begründung ua vorgebracht, dass
die Beklagte mit Schreiben vom 18.09.2019 den Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt habe. Damit seien
die Voraussetzungen des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Legaldefinition eines Verwaltungsaktes gegeben. Die Beklagte habe nicht per Verwaltungsakt im vorliegenden Fall
handeln dürfen, sodass die Vorgehensweise rechtswidrig sei. Da die Beklagte nicht habe über die Aussetzung der Vollziehung
entscheiden dürfen, da sie ja selbst der Auffassung sei, dass die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes ausgesetzt sei, hätte
sie lediglich darauf hinweisen dürfen, dass man den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim SG stellen könne, sie hätte aber den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht ablehnen dürfen. Da die Beklagte daran zu messen
sei, wie sie gehandelt habe, und nicht, wie sie hätte handeln dürfen, seien die Bescheide hier mit Kostenfolge aufzuheben.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2021 (S 12 BA 3934/19) die Vollstreckungsabwehrklage abgewiesen (Berufungsverfahren unter den Az L 10 BA 659/21 anhängig).
Mit Gerichtsbescheid vom 21.01.2021 hat das SG die Klage betreffend die Ablehnung des Antrages auf Aussetzung der Vollziehung abgewiesen. Die Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG sei jedenfalls unbegründet. Die inhaltliche Richtigkeit des Schreibens vom 18.09.2019 (Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung
nach § 86a Abs 3 Satz 1 SGG) sei mittlerweile durch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 09.01.2020 (L 11 BA 4091/19 ER-B) bestätigt worden. Die Klägerin begehre vorliegend nicht die Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit, sondern störe
sich an der Formulierung des Schreibens bzw mache geltend, dass hier der Widerspruch zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen
worden sei, da es sich nach ihrer Auffassung bei dem Schreiben vom 18.09.2019 um einen Verwaltungsakt handele. Sofern ein
Widerspruch durch eine Behörde als unzulässig zurückgewiesen worden sei, werde die statthafte Klageart uneinheitlich beurteilt.
Teilweise werde eine Anfechtungsklage, gerichtet auf entsprechend § 79 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) isolierte Aufhebung des rechtswidrigen Widerspruchsbescheids, und Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung der
Behörde zum Erlass eines neuen Widerspruchsbescheids, als statthaft erachtet. Teilweise werde eine solche Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis
als unzulässig erachtet und eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, gerichtet auf das ursprüngliche Begehren, verlangt.
Jedenfalls sei die hiesige Klage, da sie als reine Anfechtungsklage erhoben worden sei, unzulässig, da das begehrte Urteil
(Aufhebung des Bescheids) die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung der Klägerin nicht verbessern würde (Hinweis auf Bundessozialgericht
<BSG> 22.03.2012, B 8 SO 24/10 R). Auch bei sachdienlicher Auslegung der Klage in dem Sinne, dass hier Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
habe erhoben werden sollen, wäre die Klage abzuweisen, da sie jedenfalls unbegründet sei. Die Beklagte habe den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2019 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Der Bescheid verletzte die Klägerin nicht
in ihren Rechten. Zutreffend verweise die Beklagte darauf, dass es sich bei dem Schreiben vom 18.09.2019 nicht um einen Verwaltungsakt
im Sinne des § 31 SGB X handele, sondern die Frage der aufschiebenden Wirkung lediglich ein unselbständiger Annex des Beitragsbescheides darstelle.
Selbst wenn die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit aktiv anordne und damit von dem gesetzlich vorgesehenen Normalfall abweiche,
stelle dies nur einen unselbständigen Annex dar. Erst recht könne die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung,
also lediglich die Ablehnung von der Abweichung der gesetzlichen Grundregel, keine selbständige Regelung im Sinne des § 31 SGB X darstellen. Auch die Aussetzung der Vollziehbarkeit nach § 86a Abs 3 Satz 1 SGG sei kein Verwaltungsakt, da sie kein Verwaltungsverfahren abschließe und auch keine Regelung im Sinne des § 31 SGB X enthalte. Wenn also gegen die Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit kein Widerspruch und keine Anfechtungsklage möglich
seien, dann könne das für den gegenteiligen Akt, nämlich die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehbarkeit, nicht anders sein.
Auch aus dem System des Gesetzes lasse sich entnehmen, dass die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht isoliert
anfechtbar sei. Denn das Gesetz sehe als Rechtsmittel gerade einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs 1 Nr 2 SGG vor. Würde nun eine Überprüfung der behördlichen Entscheidung zur Ablehnung eines Antrages zur Aussetzung der Vollziehung
als Gegenstück zu der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Wege einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage möglich sein,
so bestünde die Gefahr von divergierenden Entscheidungen. Auch sei ein Widerspruchsverfahren gegen eine behördliche Entscheidung
zur Ablehnung eines Antrages auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung von vornherein nicht effektiv. Da die Entscheidung
der Behörde, die sofortige Vollziehung auszusetzen oder nicht, keinen Verwaltungsakt darstelle, sei die Entscheidung auch
nicht der materiellen Bestandskraft zugänglich. Die Beklagte habe auch die Formulierung "Der Antrag wird abgelehnt" wählen
können. Allein die Formulierung entscheide nicht über die Verwaltungsakt-Qualität. Im Übrigen sei dies eine klare und verständliche
Formulierung. Dass der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte wolle eine Sperrwirkung durch den Erlass eines Bescheides erreichen,
nicht zutreffe, werde dadurch deutlich, dass die Beklagte, obwohl sie bereits die Aussetzung mit Schreiben vom 26.02.2019
abgelehnt habe, erneut über den neuen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entschieden und sich gerade nicht auf die Bestandskraft
des Schreibens vom 26.02.2019 berufen habe. Im Übrigen zeigten auch die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, dass die Beklagte
gerade nicht von einem Verwaltungsakt ausgehe. Die hilfsweise erhobene Feststellungsklage auf Feststellung, dass die Vorgehensweise
der Beklagten rechtswidrig gewesen sei, sei bereits unzulässig. Eine Gestaltungs- und Leistungsklage habe Vorrang gegenüber
einer bloßen Feststellungsklage. Hier sei die hilfsweise Feststellungsklage subsidiär zu der Möglichkeit einer kombinierten
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Im Übrigen wäre eine Feststellungsklage unbegründet, da die Vorgehensweise der Beklagten
aus den oben dargestellten Gründen nicht rechtswidrig gewesen sei.
Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 23.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 22.02.2021
beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung, die unbegründet geblieben ist.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.01.2021 aufzuheben und "den Bescheid vom 18.09.2019" in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2019 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass die Vorgehensweise der Beklagten rechtswidrig
war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das SG hat in dem Rechtsstreit S 12 BA 2587/19 nach Beiladung der S und der T1Krankenkasse die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 16.03.2021); insofern ist unter dem
Az L 10 BA 1167/21 ein Berufungsverfahren anhängig.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 19.07.2021 behauptet, dass sich "das Verfahren in der Hauptsache
erledigt" habe. Die Klägerin ist am 20.07.2021 darauf hingewiesen worden, dass in einem kostenpflichtigen Verfahren (§ 197a Sozialgerichtsgesetz <SGG>) eine einseitige Erledigungserklärung nicht zur Beendigung des Verfahrens führe und eine solche Erklärung nicht als
Berufungsrücknahme gewertet werden könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des SG S 12 BA 2587/19, S 12 BA 3934/19, S 12 BA 4036/19 ER und S 12 BA 4270/19 sowie des LSG Baden-Württemberg L 11 BA 4091/19 ER-B, L 11 BA 660/21, L 10 BA 659/21 und L 10 BA 1167/21 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Der Senat konnte trotz Ausbleiben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 über ihre Berufung entscheiden,
nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin in der ihm am 16.06.2021 zugestellten Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass
auch im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann. Im Hinblick auf den Schriftsatz des
Bevollmächtigten der Klägerin vom 19.07.2021 hat der Senat diesen am 20.07.2021 darauf hingewiesen, dass der Termin zur mündlichen
Verhandlung bestehen bleibt.
Der Senat hatte über die Berufung der Klägerin zu entscheiden. Der Rechtsstreit hat sich in der Hauptsache nicht auf andere
Weise erledigt. Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihres rechtskundigen Bevollmächtigten weder die Klage (vgl § 102 SGG) noch das von ihr eingelegte Rechtsmittel der Berufung zurückgenommen (vgl § 156 SGG), sondern die Behauptung aufgestellt, dass sich das Verfahren in der Hauptsache "erledigt" habe, freilich ohne ein erledigendes
Ereignis zu benennen. Unabhängig davon, ob diese Erklärung als Erledigungserklärung auszulegen ist, führt eine solche (einseitige
Erledigungserklärung) in einem gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a SGG - wie dem vorliegenden - nicht zu einer Erledigung in der Hauptsache (vgl Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl 2020, § 125 Rn 7). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20.07.2021 den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt,
sondern ausdrücklich die Zurückweisung der Berufung beantragt.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zutreffend als unzulässig abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der rechtskundig vertretenen Klägerin auf Aufhebung des "Bescheids" vom
18.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2019, wobei die Klägerin nachdrücklich die Auffassung vertritt,
dass das Schreiben der Beklagten vom 18.09.2019 einen Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X beinhaltet. Damit hat sie eine isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG erhoben und geltend gemacht, dass sie durch einen Verwaltungsakt vom 18.09.2019 beschwert ist (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach § 95 SGG der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2019, auch wenn die Beklagte den Widerspruch
der Klägerin mangels anfechtbarem Verwaltungsakt als unzulässig zurückgewiesen hat (BSG 18.09.1997, 11 RAr 85/96, SozR 3-4100 § 34 Nr 4; LSG Baden-Württemberg 21.06.2018, L 10 R 1361/18, Justiz 2018, 537). Hilfsweise für den Fall, dass die Anfechtungsklage mangels Verwaltungsakts im Schreiben der Beklagten vom 18.09.2019 keinen
Erfolg hat, hat sie Feststellungsklage erhoben mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Verhaltensweise der Beklagten festzustellen
(vgl § 55 Abs 1 Nr 1 SGG).
Mit diesen Begehren hat die Klägerin keinen Erfolg.
Die Anfechtungsklage ist unzulässig. Gegenstand der Anfechtungsklage ist die teilweise oder vollständige Beseitigung eines
Verwaltungsaktes. Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage ist, dass diese sich gegen einen Verwaltungsakt
richtet (Bieresborn in BeckOGK, SGG, Stand 01.05.2021, § 54 Rn 54; Groß in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 54 Rn 9; Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 Rn 8a). Daran fehlt es hier. Das Schreiben der Beklagten vom 18.09.2019 beinhaltet keinen Verwaltungsakt. Mit dem Schreiben
vom 18.09.2019 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin (Schriftsatz vom 11.09.2019) auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung
des Betriebsprüfungsbescheids vom 11.01.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 26.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 22.05.2019 (ua Beitragsnachforderung iHv 17.419,42 €) nach § 86a Abs 3 SGG abgelehnt. Zwar handelt es sich bei der Aussetzung der Vollziehung nach § 86a Abs 3 SGG bzw deren Ablehnung um eine Entscheidung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, jedoch keine (eigenständige)
Regelung eines Einzelfalls iSd § 31 SGB X, sondern um eine unselbständige Annexentscheidung zum Ausgangsverwaltungsakt (vgl Binder in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 86a Rn 24; Jüttner/Wehrhahn in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 86a Rn 47; Wahrendorf in BeckOGK, SGG, Stand 01.05.2021, § 86a Rn 110). Die Aussetzung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs 3 SGG ist ein prozessuales Instrument zur Regelung der Interimszeit bis zum endgültigen Abschluss eines Verwaltungsverfahrens oder
eines gerichtlichen Verfahrens (Wahrendorf in BeckOGK, SGG, Stand 01.05.2021, § 86a Rn 110). Die Aussetzung und ihre Ablehnung sind nicht eigenständig anfechtbar (Binder in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 86a Rn 29; Jüttner/Wehrhahn in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 86a Rn 47; Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl 2020, § 86a Rn 30; Richter in jurisPK- SGG, 2017, § 86a Rn 83; Wahrendorf in BeckOGK, SGG, Stand 01.05.2021, § 86a Rn 132). Mithin sind die Beklagte und das SG zu Recht davon ausgegangen, dass das Schreiben vom 18.09.2019 keinen Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X enthält. Schließlich handelt es sich bei dem formlosen Schreiben der Beklagten vom 18.09.2019, das auf den Ausgangsbescheid
vom 11.01.2019 Bezug nimmt, den Gegenstand der Entscheidung (Antrag nach § 86a Abs 3 SGG) umschreibt, nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist und nicht als "Bescheid" etc gekennzeichnet ist, weder nach
Form noch Inhalt um einen Verwaltungsakt im formellen Sinne, das den Anschein entfaltet, ein Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X zu sein (vgl nur Bieresborn in BeckOGK, SGG, Stand 01.05.2021, § 54 Rn 96). Demnach ist die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage unzulässig (vgl BSG 29.01.1975, 5 RKnU 12/74, BSGE 39, 86; LSG Baden-Württemberg 21.06.2018, L 10 R 1361/18, Justiz 2018, 537).
Auch die hilfsweise erhobene Feststellungsklage ist unzulässig, weil die Klägerin neben dem Eilrechtsschutz nach § 86b Abs 1 SGG, von dem sie Gebrauch gemacht hat (S 12 BA 4036/19 ER und L 11 BA 4036/19 ER), sowie dem Hauptsacheverfahren betreffend den Betriebsprüfungsbescheid vom 11.01.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids
vom 26.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 kein rechtlich geschütztes Interesse hat, die akzessorische
und unselbständige Nebenentscheidung der Beklagten im Schreiben vom 18.09.2019 einer gesonderten gerichtlichen Kontrolle zu
unterziehen. Im Übrigen wäre eine Feststellungsklage auch unbegründet, weil die "Vorgehensweise der Beklagten" mit Schreiben
vom 18.09.2019 nicht rechtswidrig war.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs 1 SGG i.V.m. §§ 1 Abs 2 Nr 3, 47, 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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