Sozialversicherungspflicht des Vorstandsmitglieds einer eingetragenen Genossenschaft; Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung
und selbstständiger Tätigkeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Statusfeststellung darüber, ob der Kläger als Vorstandsmitglied der T.-F.-Z. Karlsruhe
eG (im Folgenden: Beigeladene zu 2) ab 01.09.2007 abhängig beschäftigt ist und der Beitragspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung
unterliegt.
Der 1971 geborene Kläger ist im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) selbständiger Taxiunternehmer und beschäftigt
Arbeitnehmer. Sein monatlicher Gewinn als Taxiunternehmer beträgt ca 3.000,00 €. Daneben war er seit September 2007 als 2.
Vorstand der Beigeladenen zu 2) tätig. Die Beigeladene zu 2) ist eine Genossenschaft mit Sitz in Karlsruhe. Ihr Zweck ist
nach § 2 Abs 1 ihrer Satzung die wirtschaftliche Förderung und Betreuung der Mitglieder. Gegenstand des Unternehmens ist die
Stärkung und Sicherung der selbständigen Existenz der Mitglieder durch geeignete Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der
Werbung, der Ausstattung und anderer Dienstleistungen sowie der allgemeinen Beratung; der Abschluss von Rechtsgeschäften im
Interesse der oder für die Mitglieder der Genossenschaft, die Vornahme von Vermittlungs- und Delkrederegeschäften; die Errichtung
und der Betrieb von Anlagen und Einrichtungen, die geeignet sind, das Taxigewerbe zu fördern und zu koordinieren; der Handel
mit Waren, Rohstoffen und sonstigen Bedarfsartikeln; die Beteiligung oder Gründung und Betrieb von Gesellschaften oder Unternehmen
im Interesse der Genossenschaft (§ 2 Abs 2 der Satzung). Die Beigeladene zu 2) hat über 100 Genossen. Nach § 37 Abs 1 der
Satzung ist jedes Mitglied der Genossenschaft verpflichtet, sich mit vier Geschäftsanteilen zu je 766,94 € pro konzessioniertem
Fahrzeug zu beteiligen. Gemäß § 18 Abs 6 der Satzung kann die Generalversammlung jederzeit ein Vorstandsmitglied seines Amtes
entheben (Satz 1). Der Aufsichtsrat ist befugt, nach seinem Ermessen von der Generalversammlung abzuberufende Mitglieder des
Vorstands vorläufig bis zur Entscheidung der unverzüglich zu berufenden Generalversammlung von ihren Geschäften zu entheben
und wegen einstweiliger Fortführung derselben das Erforderliche zu veranlassen. Gemäß § 30 f der Satzung unterliegt der Widerruf
der Bestellung von Mitgliedern des Vorstandes der Beschlussfassung der Generalversammlung. Hierzu ist nach § 31 Abs 2 der
Satzung eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.
Der Kläger war seit September 2007 als 2. Vorstand der Beigeladenen zu 2) neben einem weiteren hauptamtlichen Vorstandsmitglied
tätig. Der Kläger arbeitete in der T.-F.-Z., im Büro, in der Werkstatt, im Funkraum und im Ersatzteillager. Er teilte die
Schichtpläne in der Zentrale ein, führte Besprechungen und Schulungen mit dem Funkpersonal durch und betreute das Werkstattpersonal.
Für die Tätigkeit als Disponent in der Funk-Zentrale erhielt er pro Stunde 14,00 €, für sonstige Tätigkeiten zunächst 16,30
€, später 20,00 €. Der Kläger war für die Beigeladene zu 2) zunächst ca 170 Stunden monatlich tätig, später im Schnitt ca
200 Stunden monatlich (Minimum im September 2007 mit 121 Stunden; Maximum im September 2009 mit 278 Stunden). Der Kläger wurde
als ehrenamtlicher Vorstand geführt, ein schriftlicher Vertrag über seine Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) wurde nicht
geschlossen.
Die Beklagte führte bei der Beigeladenen zu 2) im Rahmen der Auswertung eines Lohnsteuerprüfberichts eine Betriebsprüfung
durch für den Prüfzeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008, die zu keinen Feststellungen führte (Bescheid vom 13.05.2009).
Im November 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Statusfeststellung. Die Beklagte stellte das Verfahren mit Bescheid
vom 28.03.2011 ein, nachdem der Kläger trotz mehrfacher Mahnung keine Unterlagen vorgelegt hatte. Am 05.04.2011 stellte der
Kläger erneut einen Antrag auf Statusfeststellung. Nachdem das Verfahren zunächst mit Bescheid vom 16.06.2011 wiederum eingestellt
worden war, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 22.06.2011 nach Vorlage weiterer Unterlagen den Kläger und die Beigeladene
zu 2) zur beabsichtigten Feststellung des Vorliegens einer versicherungspflichtigen Beschäftigung an.
Mit Bescheiden vom 19.07.2011 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 2) fest, dass die Tätigkeit
des Klägers ab 01.09.2007 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werde und Versicherungspflicht in allen Zweigen
der Sozialversicherung bestehe.
Gegen den ihm am 24.09.2011 zugegangenen Bescheid legte der Kläger am 13.10.2011 Widerspruch ein und machte geltend, er sei
nicht weisungsgebunden, habe keine festen Arbeitszeiten und erhalte nur eine Aufwandsentschädigung. Die monatlichen Arbeitsstunden
seien wegen Umstellung der EDV stark angestiegen, da er insoweit über das technische Know-How verfüge. Generalversammlung
und Aufsichtsrat hätten gegenüber dem Vorstand keine Weisungsbefugnis. Da der Vorstand persönlich hafte, liege ein unternehmerisches
Risiko vor. Das Statusfeststellungsverfahren sei eingeleitet worden, weil aufgrund der Neudefinition der hauptberuflichen
Selbständigkeit nach §
5 Abs
5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) eine Überprüfung erforderlich sei. Da er als Taxiunternehmer Arbeitnehmer beschäftige, die mehr als geringfügig tätig seien,
gelte die selbständige Tätigkeit als hauptberuflich ausgeübt. Daher müsse weder die wirtschaftliche Bedeutung noch der zeitliche
Umfang geprüft werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.3.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gegenstand des Verfahrens sei nur die sozialversicherungsrechtliche
Beurteilung der Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Beigeladenen zu 2). Ein schriftlicher Vertrag bestehe nicht. Die Aufgaben
und Befugnisse richteten sich nach der durch den Aufsichtsrat bestätigten Satzung als Grundlage der Tätigkeit. Danach werde
die Genossenschaft durch zwei Vorstandsmitglieder gesetzlich vertreten, der Aufsichtsrat überwache die Geschäftsführung. Die
Mitglieder des Vorstands würden durch die Generalversammlung gewählt, welche ein Vorstandsmitglied jederzeit seines Amtes
entheben könne. Der Kläger führe die Verwaltungsgeschäfte der Genossenschaft, stelle seine Arbeitskraft ohne eigenes unternehmerisches
Risiko zur Verfügung und sei an die Satzung gebunden. Er übe die Tätigkeit überwiegend in Räumen der Genossenschaft aus im
zeitlichen Umfang mindestens einer regulären Vollzeitbeschäftigung. Angesichts des Stundensatzes von zuletzt 20,00 € sei es
lebensfremd, von einer ehrenamtlichen und nebenberuflichen Tätigkeit auszugehen. Die Weisungsgebundenheit sei nicht dadurch
aufgehoben, dass diese, wie bei Diensten höherer Art charakteristisch, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess
des Verbandes verfeinert sei. Der Kläger setze auch nicht eigenes Kapital mit dem Risiko des Verlustes ein, der Einsatz seiner
Arbeitskraft erfolge nicht mit ungewissem Erfolg, da er eine für die Dauer seiner Arbeitsleistung angemessene Vergütung erhalte.
Hiergegen richtet sich die am 10.04.2012 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Nach § 14 der Satzung und § 27 Abs 1 Genossenschaftsgesetz (GenG) leite der Vorstand in alleiniger Verantwortung die Genossenschaft ohne Unterscheidung zwischen haupt-, neben- oder ehrenamtlichen
Vorstandsmitgliedern. Der Vorstand habe eine unentziehbare Entscheidungsbefugnis und treffe alle wesentlichen unternehmerischen
Entscheidungen selbst. Aufsichtsrat und Generalversammlung hätten ihm gegenüber kein Weisungsrecht. Eine Weisungsgebundenheit
oder Integration in eine fremde Organisation liege damit nicht vor. Die Rechtsform der Genossenschaft unterscheide sich insoweit
von der GmbH. Der Kläger trage ein unternehmerisches Risiko, denn gemäß § 34 GenG hätten Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft anzuwenden,
was eine Haftungsverschärfung gegenüber dem allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstab des §
276 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) sei. Bei Pflichtverletzungen seien Vorstandsmitglieder der Genossenschaft zum Schadenersatz als Gesamtschuldner verpflichtet.
Auch sei das Vorstandsmitglied weder betriebsverfassungsrechtlich (§ 5 Abs 2 Nr 1 Betriebsverfassungsgesetz) noch kündigungsschutzrechtlich (§ 14 Abs 1 Nr 1 Kündigungsschutzgesetz) einem Arbeitnehmer gleichgestellt. Für Streitigkeiten zwischen der Genossenschaft und einem Vorstandsmitglied seien nicht
die Arbeitsgerichte, sondern das Landgericht zuständig (§ 2 Arbeitsgerichtsgesetz). Das Arbeitszeitgesetz gelte nicht (§§ 2, 18 Arbeitszeitgesetz). Der Vorstand hafte auch strafrechtlich nach §
15a Insolvenzordnung für einen nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bei wirtschaftlichen
Schwierigkeiten oder einer Insolvenzlage hafte der Vorstand mit seinem persönlichen Vermögen, Gläubiger der Genossenschaft
könnten sich den Anspruch der Genossenschaft aus § 34 GenG pfänden und überweisen lassen. Auch trage er ein unternehmerisches Risiko, weil er ein Geschäftsguthaben eingezahlt habe,
das bei Insolvenz verloren gehe. Gehe die Beigeladene zu 2) in Insolvenz, so dass keine Funkzentrale existiere, gefährde dies
zudem die wirtschaftliche Existenz des Klägers als Taxiunternehmer.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 30.04.2014 den Kläger sowie den 1. Vorstand der Beigeladenen zu 2) befragt und sodann
mit Urteil vom gleichen Tag die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht festgestellt, dass der Kläger als 2. Vorstand
der Beigeladenen zu 2) abhängig beschäftigt sei und der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterliege.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe die organschaftliche Stellung einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Der Vorstand einer Genossenschaft sei
insoweit nicht dem Vorstand einer Aktiengesellschaft gleichzustellen. Der Vorstand sei zwar keinen Weisungen der Generalversammlung
oder des Aufsichtsrats unterworfen, er könne aber jederzeit abbestellt werden, dh seine organschaftliche Stellung sei von
der Billigung der Tätigkeit durch die Generalversammlung abhängig. Der Kläger sei in den Betrieb der Beigeladenen zu 2) eingegliedert.
Er verrichte seine Tätigkeiten in deren Räumlichkeiten und arbeite Hand in Hand mit den anderen dort Beschäftigten. Die Bezahlung
erfolge nicht erfolgsabhängig, sondern nach Stunden. Er sei keinen Einzelweisungen ausgesetzt, aber die Generalversammlung
könne ihn jederzeit abberufen. Mit seinen zwölf Genossenschaftsanteilen habe er keine Sperrminorität und damit nicht die Rechtsmacht,
seine Abberufung zu verhindern. Er trage kein unternehmerisches Risiko, denn er habe außer seinen Genossenschaftsanteilen
keine Mittel aufgewendet, keine Darlehen oder Bürgschaften für die Genossenschaft übernommen. Er verwende auch keine eigenen
Betriebsmittel. Nicht ausreichend für die Annahme eines unternehmerischen Risikos sei das Haftungsrisiko (unter Hinweis auf
BSG 19.06.2001, B 12 KR 44/00 R). Die Tätigkeit des Klägers sei nicht nur Ausfluss seiner Mitgliedschaft oder seiner organschaftlichen Stellung. Wenn Funktionäre
Arbeiten verrichteten, die von Dritten gegen angemessenes Entgelt verrichtet würden und die gleiche oder eine nur geringfügig
geringere Bezahlung erhielten, seien sie hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht wie Dritte zu behandeln. Auch nach den
Grundsätzen des BSG zum Ehrenamt sei keine andere Bewertung angezeigt. Danach liege abhängige Beschäftigung vor, wenn Verwaltungsaufgaben wahrgenommen
würden, die über Repräsentationsaufgaben hinausgingen und das Bild prägten. Es bestehe auch Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung. Der Kläger sei nicht versicherungsfrei wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze.
Diese habe er 2007 und 2008 nicht, und 2009 bis 2011 nur in einzelnen Monaten überschritten (2009 Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze
von 4.050,-- € im Juli, August, September und Oktober; 2010 Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze von 4.162,50 € im
März, April, Juni, Juli, August und September; 2011 Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze von 4.125,-- € im Januar,
März und Mai). Der Kläger sei auch nicht versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
5 Abs
5 SGB V i.V.m. Abs
1 Nr
1 wegen hauptberuflich selbständiger Erwerbstätigkeit. Hauptberuflichkeit liege vor, wenn die Tätigkeit von der wirtschaftlichen
Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteige und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit
bilde. Der Kläger sei selbständiger Taxiunternehmer und daneben mit durchschnittlich 50 Stunden wöchentlich für die Beigeladene
zu 2) tätig. Dies entspreche mehr als einer Vollzeittätigkeit. Hierfür habe er monatlich (mit Ausnahme September 2007) deutlich
über 3.000,00 € erhalten. Sein monatlicher Gewinn als selbständiger Unternehmer betrage ca 3.000,00 €. Damit übersteige die
selbständige Tätigkeit weder nach zeitlichem Aufwand noch nach der erzielten Einnahmen die Tätigkeit bei der Beigeladenen
zu 2), so dass eine hauptberufliche Selbständigkeit nicht vorliege.
Gegen das vom SG am 19.05.2014 versandte Urteil (Eingangsdatum auf dem Empfangsbekenntnis der Bevollmächtigten des Klägers nicht eingetragen)
richtet sich die am 17.06.2014 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Beigeladene zu 2) ein Zusammenschluss selbständiger Taxiunternehmer sei,
die es diesen Unternehmern ermöglichen solle, ihrer selbständigen Tätigkeit nachzugehen, wie sich aus § 2 Abs 2 der Satzung
ergebe. Sämtliche Mitglieder der Beigeladenen zu 2) seien selbständige Unternehmer. Der Kläger arbeite auch im Rahmen der
Genossenschaft als selbständiger Unternehmer, jedoch auf der Position des Vorstandsmitglieds. Es passe nicht zusammen, dass
der Kläger als selbständiger Unternehmer im Rahmen einer Genossenschaft tätig sei, dort sogar Mitglied der Leitungsorgans
sei und gerade deswegen einem Arbeitnehmer gleichgestellt werden solle. Eine solche Schlussfolgerung sei widersinnig und nicht
nachvollziehbar. Nach § 27 Abs 1 GenG habe der Vorstand die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Die Willensbildung im Vorstand erfolge im Wege
von Beschlüssen. Nach § 19 Abs 1 Satz 3 der Satzung gelte bei Stimmengleichheit ein Antrag als abgelehnt. Gegen den Willen
des Klägers könne daher kein Vorstandsbeschluss erlassen werden, da hier ein zweiköpfiger Vorstand existiere. Es existiere
keinerlei Weisungsgebundenheit des Vorstands, so dass sich diese auch nicht zu einer "funktionsgerecht dienenden Teilhabe
am Arbeitsprozess verfeinern" könne. Der Vergleich des SG mit einem GmbH-Geschäftsführer gehe fehl. Er sei unvollständig, da er den Kommanditisten einer KG nicht hinreichend berücksichtige.
Es sei allgemein anerkannt, dass Kommanditisten einer KG, die grundsätzlich vom Gesetz her sowohl von der Geschäftsführung
als auch der Vertretungsmacht ausgeschlossen werden könnten, durchaus selbständig und versicherungsfrei sein könnten, wenn
etwa der Gesellschaftsvertrag dem Kommanditisten die Geschäftsführung ganz oder teilweise übertrage oder den Komplementär
an die Zustimmung des Kommanditisten binde. Als Vorstandsmitglied habe der Kläger neben der persönlichen Haftung aus § 34 GenG für schuldhaftes Handeln auch ein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen. Geriete die Beigeladene zu 2) in wirtschaftliche
Schwierigkeiten, könne das Geschäftsguthaben des Klägers verlorengehen. Zudem entfiele mit dem Untergang der Beigeladenen
zu 2) auch die Grundlage seiner unternehmerischen Tätigkeit. Auch seien die Unterschiede zwischen einer Aktiengesellschaft
und einer Genossenschaft nicht so groß, wie das SG meine. Soweit das SG darauf abstelle, dass der Kläger jederzeit abberufen werden könne, sei dies zwar in der Satzung vorgesehen, erfordere aber
eine Dreiviertelmehrheit der in der Generalversammlung abgegebenen Stimmen. Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme,
sei zu würdigen, mit welchen Schwierigkeiten und Aufwendungen eine theoretisch leichte Abberufung eines Vorstandsmitgliedes
verbunden sein könne. Dass der Kläger in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 2) tätig sei, sei sachlich begründet, da sich
die Funkzentrale und die Werkstatt in einem Gebäude der Beigeladenen zu 2) befinde, gleichermaßen die EDV. Der Kläger erhalte
einen pauschalierten Aufwendungsersatz von 14,00 € bis 20,00 € pro Stunde. Warum ein Aufwendungsersatz sozialversicherungspflichtig
sein solle, könne nicht nachvollzogen werden. Bei dem Kläger sei auch weder Urlaub noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
vereinbart, wie es bei einem Anstellungsvertrag üblich sei. Auch dies hätte in die Gesamtwürdigung miteinfließen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. April 2014 und die Bescheide der Beklagten vom 19. Juli 2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 12.03.2012 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als zweites Vorstandsmitglied
für die Beigeladene zu 2) ab 01.09.2007 nicht der Sozialversicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung,
der sozialen Pflegeversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Tätigkeit des Klägers als Taxiunternehmer und als Vorstand der Genossenschaft müssten unterschieden werden. Wie das SG richtig herausgestellt habe, sei der Fortbestand der Tätigkeit als Vorstand von der Billigung des Aufsichtsrates abhängig,
einer Absetzung könne sich der Kläger nicht widersetzen. Nicht von Bedeutung sei im Zusammenhang mit dieser bestehenden Rechtsmacht
die Schilderung der bürokratischen Probleme, die sich hier offenbar auftun könnten. Die Gefahr, die Genossenschaftsanteile
bei Insolvenz der Beigeladenen zu 2) zu verlieren, stelle kein Unternehmerrisiko dar, das mit der Tätigkeit als Vorstand einhergehe,
sondern treffe jedes Mitglied.
Die Beigeladene zu 2) hat mitgeteilt, dass mit Beschluss der Generalversammlung vom 30.09.2014 der bisherige Vorstand abberufen
worden sei und der Kläger zudem mit Wirkung vom 31.12.2014 auch aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) eingelegte Klage ist statthaft (§
143 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 19.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 12.03.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger ab 01.09.2007 als Vorstand der Beigeladenen zu 2) abhängig beschäftigt ist und
damit der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterliegt.
Nach §
7a Abs
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) in der hier anzuwendenden, seit 01.01.2009 geltenden Fassung des Art 1 Nr 1 des 2.
SGB IV ÄndG vom 21.12.2008 (BGBl I 2933) können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach §
7a Abs
1 Satz 3
SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger
hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Diese entscheidet
aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, ob eine Beschäftigung vorliegt (§
7a Abs
2 SGB IV). Das Verwaltungsverfahren ist in Absätzen 3 bis 5 der Vorschrift geregelt. §
7a Abs
6 SGB IV regelt in Abweichung von den einschlägigen Vorschriften der einzelnen Versicherungszweige und des
SGB IV den Eintritt der Versicherungspflicht (Satz 1) und die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (Satz 2). Abs 7 der
Vorschrift ordnet die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch bezüglich der Fälligkeit der Beiträge an (Satz 1). Mit
dem rückwirkend zum 01.01.1999 durch das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl 2000 I, Seite 2) eingeführten Anfrageverfahren soll eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage erreicht werden;
zugleich sollen divergierende Entscheidungen verhindert werden (BT-Drucks 14/1855, Seite 6).
Einen entsprechenden Antrag auf Statusfeststellung hat der Kläger am 26.11.2010 gestellt. Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung
einer Beschäftigung durch einen anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist nicht ersichtlich.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterlagen im streitgegenständlichen Zeitraum in der Kranken-, Pflege-,
Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
<SGB V>, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, § 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, § 25 Abs 1 Sozialgesetzbuch
Drittes Buch). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist §
7 Abs
1 Satz 1
SGB IV in der ab 01.01.1999 geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in
einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer,
Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich
bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und
Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten
Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen BSG 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17 mwN).
Zur Feststellung des Gesamtbilds kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen
Abreden zu. Zwar hat das BSG noch im Urteil vom 22.6.2005 (BSG, B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 5) ausgeführt, dass beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag geben.
Jedoch hat es diese Aussage in Zusammenfassung älterer Entscheidungen nachfolgend präzisiert: Danach sind die das Gesamtbild
bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus
der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten,
so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis
der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung
erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die
hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung
vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich
ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört
daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen
Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert
wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG 29.08.2012 aaO).
Nach den genannten Grundsätzen gelangt der Senat unter Abwägung aller Umstände zu der Überzeugung, dass der Kläger ab 01.09.2007
bei der Beigeladenen zu 2) eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat und daher Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
bestanden hat.
Der Kläger war als Vorstandsmitglied der Beigeladenen zu 2) nicht in seinem eigenen, sondern einem fremden Betrieb tätig und
im Rahmen einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess eingegliedert. Seine Tätigkeit erschöpfte sich nicht
in der Wahrnehmung der Funktionen eines gesetzlichen Vertreters als Ausfluss der genossenschaftsrechtlichen Organstellung,
sondern umfasste darüber hinaus die Arbeit in der Taxi-Funk-Zentrale (wie sie auch von fest angestellten Disponenten der Beigeladenen
zu 2) ausgeübt wird), im Büro, in der Werkstatt, im Funkraum und im Ersatzteillager. Der Kläger teilte die Schichtpläne in
der Zentrale ein, führte Besprechungen und Schulungen mit dem Funkpersonal durch und betreute das Werkstattpersonal. Vom zeitlichen
Umfang her ging die Tätigkeit sogar über eine übliche Vollzeittätigkeit hinaus. Damit war der Kläger umfassend für die Beigeladene
zu 2) tätig, weit über die übliche Tätigkeit eines ehrenamtlichen Vorstands hinaus. Ein schriftlicher Vertrag über die Tätigkeit
des Klägers als 2. Vorstand der Beigeladenen zu 2) existiert nicht. Ausgehend von seiner organschaftlichen Stellung war der
Kläger rechtlich nicht in der Lage, Weisungen an sich zu verhindern. Aus § 27 GenG, der in Abs 1 die Leitungsbefugnis des Vorstands (nicht des einzelnen Vorstandsmitglieds) im Innen- und die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis
vorsieht, folgt nichts anderes. Die Bestimmung steht der Bewertung der Tätigkeit eines besoldeten Vorstandsmitglieds (§ 24 Abs 3 Satz 1 GenG) als abhängige Beschäftigung nicht entgegen (BSG 21.02.1990, 12 RK 47/87, SozR 3-2940 § 3 Nr 1). Zwar trifft zu, dass gegen den Willen des Klägers als Mitglied eines zweiköpfigen Vorstands kein Vorstandsbeschluss
getroffen werden kann (§ 19 Abs 1 Satz 3 der Satzung). Allerdings ist der Kläger abhängig von den Beschlüssen der Generalversammlung.
Nach § 45 Abs 1 GenG können die Mitglieder eine Versammlung erzwingen, wenn mindestens 1/10 von ihnen die Einberufung verlangt. Die Generalversammlung
kann den Kläger jederzeit abberufen, wie dies während des laufenden Berufungsverfahrens auch tatsächlich geschehen ist. Der
Vortrag des Klägers, es handele sich lediglich um eine theoretische Möglichkeit, die praktisch nicht durchsetzbar sei, ist
damit eindrücklich widerlegt. Von der Rechtsmacht her war der Kläger damit nicht in einer beherrschenden Position, die einer
abhängigen Beschäftigung entgegen stehen könnte (vgl auch LSG Berlin-Brandenburg, 07.09.2012, L 1 KR 185/10; und Thüringer LSG 18.12.2012, L 6 KR 1130/09, beide [...]).
Kein Indiz für die Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von selbstständiger Tätigkeit ist, dass in die Beteiligten keine
Arbeitnehmerschutzrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsansprüche vereinbart haben. Denn solche Vertragsgestaltungen
sind als typisch anzusehen, wenn beide Seiten eine selbstständige freie Mitarbeit wollten. Ebenso ist der Gedanke der Schutzbedürftigkeit
des in Betracht kommenden Personenkreises kein Merkmal dafür, ob es sich um eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige
Tätigkeit handelt (BSG 24.10.1978, 12 RK 58/76, SozR 2200 § 1227 Nr 19).
Ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist das mit dem Einsatz eigenen Kapitals verbundene Unternehmerrisiko.
Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch
mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss
ist (BSG 12.12.1990, 11 RAr 73/90, [...]; BSGE 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R, [...]). Ein derartiges Risiko hat der Kläger nicht getragen. Die Gefahr der Entwertung seiner Genossenschaftsanteile hängt
nicht von seiner Vorstandstätigkeit ab, sondern sie trifft jeden Genossen. Der Kläger hatte auch nicht das Risiko zu tragen,
ob der Einsatz seiner Arbeitskraft überhaupt mit einem Entgelt entlohnt wird, da eine Vergütung mit festem Stundenlohn nach
geleisteten Arbeitsstunden erfolgte. Mit einer Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit hat die gezahlte Vergütung
für eine vom Umfang her mehr als Vollzeit ausgeübte Tätigkeit ersichtlich nichts zu tun. Die den Kläger als Vorstand persönlich
treffende Gefahr der Haftung für durch schuldhaftes Verhalten entstandene Schäden begründet kein Unternehmerrisiko (Thüringer
LSG 18.12.2012, aaO). Der Arbeitseinsatz des Klägers kann dem Wagniskapital eines Unternehmers nicht gleichgesetzt werden
(vgl BSG 19.06.2001, B 12 KR 44/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr 18).
Die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände überwiegen nach alledem bei weitem.
Das SG hat im Übrigen zutreffend festgestellt, dass der Kläger auch nicht wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze oder
wegen einer hauptberuflich selbstständigen Tätigkeit in der Krankenversicherung versicherungsfrei wäre. Auf die zutreffenden
und überzeugenden Ausführungen des SG wird insoweit Bezug genommen und die Berufung zur Vermeidung von Wiederholungen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
zurückgewiesen (§
153 Abs
2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.