Anspruch auf Arbeitslosengeld II, einstweilige Anordnung wegen Unwirksamkeit der Entziehung, Geltung von § 242 BGB
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgte Anspruch der Antragstellerin zielt darauf ab, die Antragsgegnerin
im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr wie im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 11. Mai 2006 verfügt,
das Arbeitslosengeld II (Alg II) vorläufig vom 1. September 2006 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 31. Oktober 2006
zu zahlen. Dieses Begehren hat sie in der auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antragsschrift vom 6. September
2006 ausdrücklich verlautbart. Nur diese Rechtsschutzform ist, was nach dem angegriffenen Beschluss allerdings unklar bleibt,
hier statthaft. Soweit das Sozialgericht, was zutreffend ist, vorrangig geprüft hat, ob die Antragstellerin die Zahlung aus
dem Bescheid vom 11. Mai 2006 mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wegen des Bescheids vom 25.
August 2006 erreichen kann und es ein solches Rechtsschutzbegehren nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) als statthaft angesehen hat, vermag der Senat letzterem nicht zu folgen. Zutreffend ist, dass die Antragsgegnerin mit schriftlichem
Bescheid vom 25. August 2006 verfügt hat, dass die der Antragstellerin bewilligten Leistungen ab 1. September 2006 entzogen
werden. Ein Widerspruch gegen diesen in Rechte der Antragstellerin eingreifenden und über Leistungen der Grundsicherung entscheidenden
Verwaltungsakt hätte freilich nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung (vgl.
§
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG) mit der Folge, dass einstweiliger und auf Erhalt der Rechte abzielender Rechtsschutz vorrangig über eine Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs zu erreichen ist. Voraussetzung ist in diesen Fällen jedoch, dass der in bewilligte Rechte eingreifende
Verwaltungsakt wirksam geworden ist. Die Wirksamkeit beurteilt sich nach § 39 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), denn für das Verfahren nach dem SGB II gilt gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II das SGB X. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam,
in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Regelungen zur Bekanntgabe enthält § 39 SGB X. Vorliegend lässt sich nicht feststellen, dass der mit einfachem Brief per Post übermittelte Bescheid vom 25. August 2006
der Antragstellerin bekannt gegeben worden ist. Entsprechend §
130 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (
BGB) ist bei Bekanntgabe mit einfachem Brief der Verwaltungsakt zugegangen, wenn er so in den Machtbereich des Empfängers gelangt
ist, dass - bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse - mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger
zu rechnen ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-1300 § 44 Nr. 19 m.w.N.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz
316 § 41 Nr. 2). Vorliegend fehlt jeder Anhalt dafür, dass der Bescheid vom 25. August 2006 überhaupt in den Machtbereich
der Antragstellerin gelangt ist. Sämtliche Schriftstücke, die die Antragsgegnerin im August und September 2006 an die Antragstellerin
gerichtet hat, sind mit dem Vermerk "Anschriftenberichtigung, Empfänger verzogen, Einwilligung zur Weitergabe der Anschrift
liegt nicht vor" zurückgelangt. Die Antragstellerin hat sich auch nie auf diesen Bescheid bezogen; sie hat vielmehr den Umstand,
dass die Leistungen zu Beginn des September 2006 nicht ihrem Konto gutgeschrieben waren, zum Anlass genommen, sich darüber
mit Schreiben vom 1. und 5. September zu beklagen. Nicht festgestellt werden kann auch, ob der mit Schreiben vom 1. September
2006 an die Anschrift I. B. 4, S. nachgesandte Bescheid dort in den Machtbereich der Antragstellerin gelangt ist. Noch am
7. Dezember 2006 hat die Antragstellerin nämlich um Übermittlung des Leistungseinstellungsbescheides gebeten, was ebenfalls
dafür spricht, dass der Bescheid vom 25. August 2006 sie bis dahin nicht erreicht hat. Auch das hierauf abgesandte Antwortschreiben
der Antragsgegnerin ist später wieder zurückgelangt. Bei dieser Sachlage lässt sich nicht feststellen, dass der Bescheid vom
25. August 2006 wirksam geworden ist.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer hier nur in Betracht kommenden Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG liegen nicht vor. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO)) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorwegnehmenden Eilentscheidung nach
§
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn
wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller
schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (zuletzt
Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen ist, von einer in die Gegenwart fortwirkenden Notlage
abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom
25. November 2005 aaO.). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert
eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht
(vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - abgedruckt in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt
der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. August 2005
- L 13 AS 3250/05 ER-B - und vom 25. November 2005 aaO. jeweils mit weiteren Nachweisen).
Vorliegend ist im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch zu verneinen.
Denn der Antragstellerin drohen ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung keine schweren nicht wieder gutzumachenden Nachteile.
Ihr sind nämlich für die streitbefangenen Monate September und Oktober 2006 vom Landratsamt B. mit Bescheid vom 23. November
2006 708,77 EUR und 648,77 EUR als Alg II bewilligt und auch gezahlt worden. Auch wenn der Bewilligungsbescheid vom 11. Mai
2006, mit welchem der Antragstellerin für diese Monate Alg II in Höhe von 771,77 EUR und 708,77 EUR bewilligt war, noch nicht
wirksam aufgehoben worden ist und die Antragsgegnerin auch kein Recht mehr zur vorläufigen Einstellung nach § 40 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 SGB II i.V.m. §
331 Abs.
1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) hat, sie vielmehr wegen der fehlenden fristgerechten Aufhebung die einbehaltene Leistung nachzahlen müsste (vgl. §
331 Abs.
2 SGB III), kann die Antragsgegnerin ihrerseits eine Leistung verweigern. Ungeachtet einer möglichen Erfüllungswirkung des vom Landratsamt
B. gezahlten Alg II ist sie dazu deshalb befugt, weil die Antragstellerin nicht fordern kann, was sie alsbald wieder zurückgewähren
muss. Nach dem bisherigen Verfahrensergebnis war die Antragstellerin nach § 7 Abs. 4a SGB II in der ab 1. August 2006 geltenden
Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) für die Antragsgegnerin nicht erreichbar und deshalb nicht leistungsberechtigt. Diese wesentliche Änderung in den Verhältnissen
bestand jedenfalls seit Anfang August 2006 und berechtigt die Antragsgegnerin auch ab 1. September 2006 zur Aufhebung der
Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Nach dem auch im öffentlichen Recht entsprechend geltenden sich aus §
242 BGB als Form der unzulässigen Rechtsausübung ergebenden Grundsatz, dass nicht gefordert werden kann, was alsbald wieder zurückgewährt
werden muss (vgl. BSGE 18, 293, 295; BSG, Urteil vom 23. September 1980 - 7 RAr 97/79 - in DBlR 2516a, AFG/§ 152), kann die Antragstellerin Ansprüche aus dem Bewilligungsbescheid für die streitbefangene Zeit
derzeit nicht erheben. Denn es steht zu erwarten, dass die Antragsgegnerin nach Anhörung der Antragstellerin alsbald die Bewilligung
wirksam aufhebt. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist ein Anordnungsanspruch zu verneinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. §
177 SGG).