Kein einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis eines SGB-II-Leistungsempfängers aufgrund der fehlenden Darlegung einer besonderen Dringlichkeit
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach §
172 Abs.
1,
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der seit dem 25.10.2013 geltenden Fassung statthaft. Die Berufung in der Hauptsache bedürfte nicht der Zulassung (Abs.
3 Nr. 1). Das Sozialgericht Ulm (SG) hat auch nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, sondern die Erfolgsaussicht
des Begehrens auf einstweiligen Rechtsschutz (Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a). Die Beschwerde wurde zudem form- und fristgerecht (§
173 i.V.m. §
64 Abs.
3 SGG) eingelegt. Sie ist daher zulässig.
Sie ist aber nicht begründet, denn das SG hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt.
Nach §
73a SGG i.V.m. §
114 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht
im Sinne des §
114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige
Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht <BVerfG> BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Rechtsschutzverfahrens
als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang
nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102, 2103; Bundesgerichtshof NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 1998 - VI B 120/98 = [...]) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl BVerfG NJW-RR
2002, 1069; NJW 2003, 2976, 2977). Darüber hinaus soll die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische
Verfahren zu verlagern. Dieses Verfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich
machen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. März 2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach summarischer Prüfung hatte das einstweilige Rechtsschutzverfahren der Antragstellerin
keine Aussicht auf Erfolg. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war unzulässig. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bereits das allgemeine Rechtsschutzinteresse fehlte. Der Senat schließt sich den
Ausführungen des SG ausdrücklich an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug (§
142 Abs.
2 S. 3
SGG).
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist lediglich ergänzend auszuführen, dass es der Antragstellerin - entgegen ihrer
Auffassung - zumutbar gewesen wäre, vor der Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes beim SG am 10.07.2015, sich wegen der (am 26.06.2015 per Telefax durch Herrn B. von der C. Ost-Württemberg und am 30.06.2015 persönlich)
begehrten Abänderung des Bescheids vom 06.05.2015 zum 01.07.2015 erneut an den Antragsgegner zu wenden. Denn aus der Beschwerdebegründung
geht hervor, dass es ihr im Wesentlichen um höhere Leistungen ab dem Monat Juli 2015 ging. Das Kindergeld für den Monat Juli
2015 wäre jedoch erst am 16.07.2015 ausgezahlt worden. Bereits mit Bescheid vom 14.07.2015 hat der Antragsgegner aber das
Kindergeld nicht mehr bedarfsmindernd berücksichtigt. Er hat damit zeitnah, und damit noch in der normalen Bearbeitungszeit,
den (Abänderungs-)Antrag der Antragstellerin durch Verwaltungsakt beschieden. Wäre es der Antragstellerin darauf angekommen,
bereits eine Entscheidung des Antragsgegners im Zeitraum vom 01.07. bis 13.07.2015 zu erhalten, hätte sie diesen nochmals
kontaktieren und auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hinweisen müssen. Wenn der Antragsteller - wie vorliegend - bereits
laufende SGB-II-Leistungen bezieht, handelt es sich im Hinblick auf die (nochmalige) Kontaktierung des Antragsgegners mit dem Ziel, auf die
Dringlichkeit besonders hinzuweisen, auch nicht um eine unzumutbare Obliegenheit.
Nur ausnahmsweise kann in einem solchen Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens
bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen
kann, bei der Behörde kein Gehör zu finden (vgl. Udsching in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens,
6. Aufl. 2011; Kap. V RdNr. 46). Denn in der Regel ist es dem Antragsteller zuzumuten, Kontakt mit der Behörde aufzunehmen,
das Begehren darzulegen und die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes anzukündigen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 12.04.2012 - L 7 AS 372/12 B = [...] m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Denn zu beachten ist, dass die Antragstellerin
bereits seit dem 01.06.2015 SGB II-Leistungen i.H.v. monatlich 727,76 € bezog (Bescheid vom 06.05.2015), somit ihr Bedarf gesichert war. Es ging ihr lediglich
um die Nichtanrechnung von Kindergeld ab Juli 2015, mithin um weitere Leistungen i.H.v. 154,00 € monatlich. Eine "existenzielle
Wichtigkeit" - wie von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren behauptet -, die ein Abwarten einer Entscheidung des Antragsgegners
innerhalb einer normalen Bearbeitungszeit unzumutbar gemacht hätte, kann vor diesem Hintergrund nicht erkannt werden. Darüber
hinaus hat die Antragstellerin den Antragsgegner nicht auf die von ihr angenommene "existenzielle Wichtigkeit" hingewiesen.
Insoweit hat der Antragsgegner keine Veranlassung für die Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegeben.
Hinzu kommt, dass die vollständigen PKH-Unterlagen erst am 17.07.2015 beim SG eingegangen sind und zu diesem Zeitpunkt auch keine Erfolgsaussicht in der Sache bestand, da der Antragsgegner bereits mit
Bescheid vom 14.07.2015 die begehrten höheren Leistungen an die Antragstellerin gewährt hat.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).