SGB-II-Leistungen
Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung
Laktoseunverträglichkeit
Ernährung mit Vollkost
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eine Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011 streitig.
Die 1998 geborene Klägerin leidet unter Laktoseunverträglichkeit. Sie bezog im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit
ihrer alleinerziehenden Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes von dem Beklagten.
Mit Bescheid vom 26.08.2010 gewährte der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.03.2011
monatlich Leistungen in Höhe von insgesamt 986,60 EUR; auf die Klägerin entfielen 67,00 EUR Sozialgeld (251,00 EUR - 184,00
EUR Kindergeld) und 258,81 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung.
Am 27.12.2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Dem Antrag
beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung der Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. R. vom 14.12.2010, wonach bei der
Klägerin eine Laktoseintoleranz festgestellt worden sei, die zur Folge habe, dass Milch und Milchprodukte nicht oder nur in
sehr kleinen Mengen gegessen und getrunken werden dürften. Die spezielle laktosefreie Diäternährung sei teurer als normale
Milchprodukte.
Mit Bescheid vom 07.01.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung
ab. Die angegebene Krankheit stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar und sei nicht in dem
Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten. Die Kosten seien aus der Regelleistung zu bestreiten.
Der hiergegen am 10.01.2011 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2011 zurückgewiesen. Als Maßnahme
der Wahl für Laktoseintoleranz sei die Meidung/Reduzierung laktosehaltiger Nahrungsmittel anzusehen, wodurch nach bisheriger
Auffassung keine gravierend höheren Kosten entstünden. Eine Zulage komme bei besonders schweren Ausprägungen, zum Beispiel
im ersten Lebensjahr in Betracht.
Hiergegen haben die Klägerin und ihre Mutter am 25.03.2011 Klage (S 20 AS 1595/11) beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.
Mit Änderungsbescheiden vom 25.03.2011, 24.05.2011, 28.02.2012 und 16.05.2012 erfolgte eine Neuberechnung der Leistungen,
wobei jeweils höhere Kosten für Unterkunft und Heizung (zuletzt mit Bescheid vom 16.05.2012 für die Monate Oktober bis Dezember
2010 in Höhe von monatlich 293,48 EUR und für die Monate Januar bis März 2011 in Höhe von monatlich 320,85 EUR) bewilligt
wurden, Sozialgeld aber weiterhin in Höhe von 67,00 EUR geleistet wurde. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wurde
nicht berücksichtigt.
Nachdem die Klägerin am 15.01.2013 u.a. einen Nachweis über einen Zinsertrag im Jahr 2010 in Höhe von 11,95 EUR, der ihr im
Dezember 2010 gutgeschrieben worden war, vorgelegt hatte, hat der Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2013 die der Klägerin für
Dezember 2010 gewährten Leistungen in Höhe von 11,95 EUR und die Bescheide vom 26.08.2010, 25.03.2011, 24.05.2011, 28.02.2012
und 16.05.2012 insoweit aufgehoben.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2012 hat die Klägerbevollmächtigte den Antrag auf Leistungen an die Klägerin
beschränkt. Das SG hat deren Klage mit Urteil vom 13.01.2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Krankheit, an der die Klägerin leide,
sei nicht mit höheren Kosten für Ernährung verbunden. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung laktosehaltiger
Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Die Krankheit sei nicht mit den Krankheiten
vergleichbar, für die nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. eine
Krankenkostzulage vorgesehen sei. Vielmehr handle es sich um eine in der Bevölkerung weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit.
Deswegen gebe es inzwischen ein breites Angebot preisgünstiger laktosefreier Milchprodukte. Weitere Ermittlungen seien vor
diesem Hintergrund entbehrlich.
Auf die vom SG zugelassene Sprungrevision hat das Bundessozialgericht (BSG) die Sache mit Urteil vom 14.02.2013 (B 14 AS 48/12 R) das Urteil des SG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Die bei der Klägerin festgestellte Laktoseintoleranz stelle eine Krankheit im Sinne eines regelwidrigen
körperlichen oder geistigen Zustands dar. Insoweit sei es unerheblich, wie weit verbreitet dieser krankhafte Zustand in der
Bevölkerung sei. Die Annahme des SG, eine Laktoseintoleranz begründe von vornherein keinen Mehrbedarf, weil lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden werden
und durch andere, vom Regelbedarf abgedeckte Grundnahrungsmittel ersetzt werden müssten, vermenge die Prüfungsschritte in
unzutreffender Weise und verkenne die Maßstäbe des § 21 Abs. 5 SGB II. Das SG habe einen streitig gebliebenen krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall konkret aufzuklären.
Das SG (S 15 AS 3600/13 ZVW) hat Beweis erhoben durch Befragung der behandelnden Ärztin der Klägerin Dr. R. als sachverständige Zeugin, Einholung
eines Gutachtens bei dem Internisten Dr. H. und Beiziehung eines ernährungswissenschaftlichen Gutachtens der Ernährungsberaterin
Dipl. oec. troph. M. aus dem Verfahren S 14 AS 1451/13 vor dem SG.
Dr. R. hat unter dem 10.01.2014 ausgeführt, die Klägerin sei am 12.04.2010, 10.07.2010 und 07.10.2010 wegen anhaltender Bauchschmerzen
vorstellig geworden. Da die Schmerzen überwiegend nach dem Essen aufgetreten seien, habe man beschlossen, einen Versuch mit
laktosefreier Ernährung zu machen. Am 11.10.2010 habe die Mutter berichtet, dass sich die Bauchschmerzen unter dieser Diät
deutlich verringert hätten. Daher sei die klinische Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt worden. Sie habe die Klägerin
erst wieder zur Jugenduntersuchung am 12.01.2012 gesehen. Hier seien die Bauchschmerzen kein Thema gewesen. Am 31.01.2012
sei die Klägerin wieder vorgestellt worden, es sei trotz laktosefreier Ernährung seit einiger Zeit wieder zu Bauchschmerzen
nach dem Essen gekommen. Der Ernährungsbedarf sei nach ihrer Kenntnis nicht erhöht. Die Ernährung mit laktosefreier Kost sei
kostenintensiver als mit normalen Milchprodukten.
Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 23.08.2014 mitgeteilt, mit dem am 18.07.2014 durchgeführten H2-Atemtest habe eine Laktoseintoleranz
eindeutig nachgewiesen werden können. Wegen der durch die Laktoseintoleranz hervorgerufenen Symptome sei der Verzehr von laktosehaltigen
Nahrungsmitteln zu vermeiden bzw. auf eine Quantität zu reduzieren, die eine hinreichende Beschwerdefreiheit erziele. Neben
Nahrungsmitteln, bei denen der Laktosegehalt von vornherein bekannt sei (z. B. Milch und Milchprodukte), gebe es zahlreiche
Zubereitungen, bei denen dies nicht der Fall sei, z. B. in Folge des Zusatzes von Milchpulver oder Laktose (Wurst) bei der
Fabrikation. Die durch Laktose hervorgerufenen Symptome (Bauchschmerzen, evtl. Durchfall, Darmgeräusche, Blähungen) seien
zwar lästig, eine gesundheitliche Schädigung werde aber durch den Verzehr von verträglicher Laktose nicht hervorgerufen, insofern
bestehe ein fundamentaler Unterschied zur Glutenunverträglichkeit (Zöliakie). Während auf andere laktosehaltige Nahrungsmittel
ohne Nachteil verzichtet werden könne, seien Milch und Milchprodukte wegen ihres Kalziumgehaltes unentbehrlich und im Übrigen
Teil eines normales Speisezettels. Der Markt biete laktosefreie Milch und Milchprodukte an; unter den Milchprodukten gebe
es z. B. bei Käse bestimmte Sorten, die laktosefrei seien und keine Mehrkosten verursachten, sodass es keiner speziell laktosefreien
Version bedürfe. Naturjoghurt werde trotz Laktosegehalt häufig problemlos vertragen. Als Alternative zur Beschränkung auf
laktosefreie bzw. -arme Kost bestehe die Möglichkeit, durch Zufuhr von Laktase (in Tablettenform) auch laktosehaltige Nahrung
wie Milch weitgehend verträglich zu machen. Aus dem Ergebnis des H2-Tests lasse sich nicht auf eine tatsächliche Intoleranz
gegenüber gering laktosehaltigen Nahrungsmitteln schließen. Laktosefreie Produkte seien nach einer österreichischen Studie
durchschnittlich 30% teurer als die vergleichbaren laktosehaltigen Lebensmittel. Diese Erhebung decke sich mit den vom Gutachter
selbst durchgeführten Recherchen bei verschiedenen Discountern. Unter Zugrundelegung der durchschnittlichen wöchentlichen
Ernährung der Klägerin sei vom monatlichen Mehrkosten in Höhe von 30,00 EUR auszugehen.
Dipl. oec. troph. M. hat in ihrem Gutachten dargelegt, es werde zur Deckung des Kalziumbedarfs medizinisch als notwendig erachtet,
täglich Milch/Milchprodukte zu essen. Alle Milchprodukte könnten grundsätzlich durch Milch ersetzt werden. Der von der Verbraucherzentrale
Hamburg durchgeführte "Marktcheck 2012" habe ergeben, dass von Laktoseintoleranz betroffene Menschen durchschnittlich 2,4
Mal so viel für Lebensmittel zahlen müssten, die als laktosefrei deklariert seien.
Mit Urteil vom 17.04.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die - näher dargelegten
- Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung lägen nicht vor. Nach dem Ergebnis
der medizinischen Ermittlungen leide die Klägerin nachweislich an Laktoseintoleranz; hierbei handle es sich um eine Krankheit,
die grundsätzlich einen Mehrbedarf auslösen könne. Die Klägerin müsse sich nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlungen
aufgrund dieser Krankheit auch besonders ernähren, da sie wegen der durch die Erkrankung hervorgerufenen Symptome den Verzehr
von laktosehaltigen Nahrungsmitteln vermeiden bzw. reduzieren müsse. Die notwendige besondere Ernährung führe aber im vorliegend
zu beurteilenden konkreten Einzelfall nicht zu einem höheren, einen Mehrbedarf auslösenden Kostenaufwand. Dies ergebe sich
zunächst aus den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe in der vierten,
neu erarbeiteten Auflage vom 10.12.2014 (im Folgenden: Mehrbedarfsempfehlungen 2014), die nach Ziff. III. 2. nunmehr ausdrücklich
auch für Kinder und Jugendliche gelten. Zwar gehe die Rechtsprechung bislang ganz überwiegend davon aus, dass den Mehrbedarfsempfehlungen
nach ihrer Konzeption und Entstehungsgeschichte nicht die Rolle antizipierter Sachverständigengutachten zukomme und sie erst
recht nicht normähnlich angewandt werden könnten. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass den - zum Zeitpunkt der auf sie Bezug
nehmenden Entscheidungen teilweise mehrere Jahre alten - Empfehlungen die Einstufung als antizipiertes Sachverständigengutachten
unter anderem mit der Begründung abgesprochen worden sei, sie stellten nicht mehr den aktuellsten Stand der medizinischen
Erkenntnisse dar. Die aktuelle Auflage verhalte sich aber ausdrücklich und ausführlich zur Frage einer kostenaufwändigen Ernährung
bei Laktoseintoleranz. Der Gesetzgeber beziehe sich im Zusammenhang mit der Feststellung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger
Ernährung auf die Mehrbedarfsempfehlungen und führe in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aus, dass bei der Bestimmung eines
ernährungsbedingten Mehrbedarfs die vom Deutschen Verein entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten
Empfehlungen herangezogen werden könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei ein Abweichen
von dem Empfehlungen sogar begründungsbedürftig. Nach den überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des Gutachters
Dr. H. könne ohne Nachteil auf alle laktosehaltigen Nahrungsmittel mit Ausnahme von Milch und Milchprodukten verzichtet werden.
Unter Hinzuziehung des Gutachtens der Ernährungsberaterin M., die ausführe, dass sämtliche Milchprodukte durch Milch ersetzt
werden könnten, gehe die Kammer davon aus, dass rein unter gesundheitlichen Aspekten eine laktosefreie Ernährung durch ausschließlichen
Verzehr laktosefreier Milch möglich sei. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) empfehle für 13-18-jährige Jugendliche
aufgrund des starken Wachstums eine Kalziumzufuhr von etwa 1.200 mg/Tag (im Gegensatz zu 1.000 mg/Tag für Erwachsene) sowie
eine tägliche Zufuhr von 200 - 250 mg Milch/Milchprodukten und 50 - 60 g fettarmer Käse. Die sich aus den nachvollziehbaren
Ermittlungen des Gutachters Dr. H. ergebende Differenz zwischen laktosehaltiger und laktosefreier Milch ergebe Mehrkosten
von etwa 30 %. Ein Liter Milch reiche nach den Empfehlungen der DGE für drei bis vier Tage. Im Monat würden somit rund siebeneinhalb
bis zehn Liter Milch benötigt. Dies ergäbe monatliche Mehrkosten in Höhe von rund 2,00 EUR bis 2,60 EUR, was weniger als 1
% des im Leistungszeitraum relevanten Regelbedarfs der Klägerin entspreche. Zwar gebe es nach der Rechtsprechung des BSG im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine allgemein anerkannte Bagatellgrenze, jedoch hielten sich die ermittelten
Mehrkosten zur Überzeugung der Kammer in einem Rahmen, der ohne weiteres durch den Regelsatz gedeckt werden könne. Soweit
Dr. H. in seinem Gutachten von monatlichen Mehrkosten in Höhe von 30,00 EUR ausgehe, sei zu berücksichtigen, dass dieser Berechnung
die Ernährungsangaben der Klägerin zugrunde liegen. Nach Auffassung der Kammer sei unter Heranziehung der Empfehlungen der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Mehrbedarfsempfehlungen indes ein wöchentlicher Verzehr von fünf Litern Milch,
acht Stück Joghurt/Fruchtquark und zwei Portionen Milchreis/Grießpudding - gerade beim Vorliegen einer Laktoseunverträglichkeit
- keineswegs erforderlich.
Gegen das am 08.05.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.05.2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg
eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie vorgetragen, die Gutachten
des Dr. H. und der Dipl. oec. troph. M. bestätigten, dass eine laktosefreie Ernährung erforderlich und mit Mehrkosten verbunden
sei. Bei der Bezifferung sei neben der objektiv ausreichenden Ernährung auch die subjektive Seite der Ernährung zu beachten.
Ein Abstellen auf das objektiv Erforderliche gehe an der Lebensrealität vorbei, denn im familiären Alltag werde es aus nachvollziehbaren
und guten Gründen dazu kommen, dass Eltern stets darauf achteten, dass Kinder nicht nur gesund ernährt werden, sondern so,
dass sie gerne und mit Freude essen und trinken. Die Auffassung, man könne den Mehrbedarfszuschlag unter Zugrundelegung eines
theoretisch objektiv erforderlichen Nahrungsmittelerfordernisses beziffern, stelle einen Rückfall in den Anfang der Regelsatzbezifferung
zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) dar. Es komme aber eben nicht darauf an, was objektiv erforderlich sei, sondern darauf, ob das so erzielte Ergebnis geeignet
sei, innersoziale Loyalität als Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die minderjährige Klägerin gesund und unter Berücksichtigung
der Erkrankung, die sie habe, ernährt werde. Gerade wenn es sich um Minderjährige handle, sei eine gewisse Großzügigkeit,
die in der Familie dazu motiviere, alles dafür zu tun, dass eine gesunde Ernährung realisiert werde, nicht nur angemessen,
sondern auch von Nöten. Die beiden vorliegenden Gutachten gäben sinnvolle und nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Bezifferung
des Mehrbedarfs zwischen 20,00 EUR und 30,00 EUR. Die Bezifferung auf Null, wie sie das SG vorgenommen habe, sei weder angemessen noch sinnvoll. Es sei kaum sinnvoll, in jedem einzelnen Verfahren unter Berücksichtigung
der jeweils individuellen Ernährungsgewohnheiten und -vorlieben, einen Mehrbedarf zu beziffern. Vielmehr sei - auch zur Vermeidung
eines exorbitanten Verwaltungsaufwands - eine gewisse Pauschalierung erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. April 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 7.
Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2011 sowie der Änderungsbescheide vom 16. Mai 2012 und 16. April
2013 zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung eines angemessenen Mehrbedarfszuschlags wegen Laktoseintoleranz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die erstinstanzliche Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich im Rahmen eines Erörterungstermins am 10.11.2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG (S 15 AS 3600/13 ZVW und S 20 AS 1559/11) sowie der Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden
konnte, ist nicht begründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung
nach § 21 Abs. 5 SGB II hat.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
02.03.2011, mit welchem der Antrag vom 27.12.2010 auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung abgelehnt
wurde. Zwar kann die Behörde nicht abschließend für die Zukunft und damit für künftige Bewilligungsabschnitte über einen geltend
gemachten Mehrbedarf entscheiden; auch kann die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kein zulässiger
isolierter Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (u.a. BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R; Urteil vom 14.02.2013, B 14 AS 48/12 R, a.a.O., [...]). Der angefochtene Bescheid ist insoweit jedoch so auszulegen, dass mit ihm auf den Antrag vom 27.12.2010
im Rahmen eines Änderungsantrags nach §§ 44, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über die Höhe der Leistungen im laufenden Bewilligungsabschnitt entschieden wurde. Damit hat die Beklagte mit Bescheid vom
07.01.2011 entschieden, dass für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 keine höheren Leistungen (unter Berücksichtigung eines
Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung) zu gewähren sind. Die Änderungsbescheide, die den Zeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011
betreffen, namentlich der zuletzt ergangene Änderungsbescheid vom 16.05.2012 und der Aufhebungsbescheid vom 16.04.2013, sind
nach §
96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
Nachdem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG in dem Verfahren S 20 AS 1559/11 am 13.01.2012 nur noch Leistungen für die Klägerin beantragt wurden, hat deren Mutter die ursprünglich auch von ihr erhobene
Klage bereits konkludent im Sinne des §
102 Abs.
1 SGG zurückgenommen. Jedenfalls hat sie die ursprünglich auch von ihr eingelegte Sprungrevision zurückgenommen.
Der Senat stellt fest, dass die am 04.03.1998 geborene Klägerin in dem streitigen Zeitraum nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt nach dem SGB II war, da sie mit einer erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, ihrer Mutter, in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Ziff. 4 SGB II lebte.
Unter Berücksichtigung des Sozialgeldes, das nach § 28 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 Ziff. 1 SGB II in der ab dem 06.03.2009 gültigen Fassung vom 02.03.2009 i.V.m. § 77 Abs. 4 Ziff. 3 SGB II in der ab dem 01.01.2011 gültigen Fassung vom 20.06.2011 im streitigen Zeitraum vom Beginn des siebten bis zur Vollendung
des 14. Lebensjahres und damit bei der damals zwölf Jahre alten Klägerin 60 v.H. der maßgebenden Regelleistung oder 251,00
EUR betrug und ihres Bedarfs für Kosten der Unterkunft und Heizung für die von ihr und ihrer Mutter gemeinsam bewohnte Wohnung
(anteilig 293,48 EUR für Oktober bis Dezember 2010 und 320,85 EUR für Januar bis März 2011) sowie des anzurechnenden Einkommens
in Form von Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR ergibt sich ein nicht gedeckter Bedarf für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.12.2010
in Höhe von monatlich 360,48 EUR und für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.03.2011 in Höhe von monatlich 387,85 EUR. Die Beklagte
hat außerdem mit Bescheid vom 16.04.2013 die Bewilligung für den Monat Dezember 2011 wegen des nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzurechnenden Einkommens aus im Dezember 2011 gutgeschriebenen Zinseinkünften in Höhe von 11,95 EUR nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB X zu Recht aufgehoben.
Die Klägerin hat somit Anspruch auf Leistungen für die Zeit vom 01.10.2010 bis 30.11.2010 in Höhe von monatlich 360,48 EUR,
für Dezember 2010 in Höhe von 348,53 EUR und für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.03.2011 in Höhe von monatlich 387,85 EUR.
Ein darüber hinaus gehender höherer Leistungsanspruch ergibt sich für die Klägerin aufgrund des geltend gemachten ernährungsbedingten
Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II nicht.
Nach § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf
in angemessener Höhe anerkannt. Ein gesonderter Antrag nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist dabei nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.02.2013, a.a.O., m.w.N.).
Voraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
des BSG (Urteil vom 14.02.2013, a.a.O.), der der Senat folgt, dass der Leistungsberechtigte an einer Krankheit im Sinne der üblichen
krankenversicherungsrechtlichen Begriffsdefinition leidet, wobei bereits eine drohende Erkrankung ausreicht, dass sich der
Leistungsberechtigte "besonders" (im Sinne einer Krankenkost) ernähren muss und diese besondere Ernährung aufgrund der Krankheit
medizinisch notwendig ist (ursächlicher Zusammenhang) und dass die im Einzelfall erforderliche Kost gegenüber der in der Bevölkerung
üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung, kostenaufwändiger ist.
Hierzu stellt der Senat zunächst fest, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum nach den vorliegenden ärztlichen Äußerungen
und dem durch das SG eingeholten und insoweit überzeugenden Gutachten des Dr. H. vom 23.08.2014 unter Laktoseintoleranz leidet. Die klinische
Diagnose einer Laktoseintoleranz der Kinderärztin Dr. R. wurde durch den im Rahmen der Begutachtung durch Dr. H. durchgeführten
H2-Atemtest bestätigt. Die festgestellte Laktoseintoleranz (ICD-10-GM E 73) stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung im
Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II, nämlich eine Krankheit in Form eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustandes dar (BSG, Urteil vom 14.02.2013, a.a.O.).
In Folge dieser Erkrankungen war die Klägerin im streitigen Zeitraum auf eine besondere Ernährung angewiesen. So führt Dr.
H. nachvollziehbar und für den Senat überzeugend aus, dass wegen der durch die Laktoseintoleranz hervorgerufenen Symptome
der Verzehr von laktosehaltigen Nahrungsmitteln zu vermeiden oder auf eine Quantität zu reduzieren ist, mit der eine hinreichende
Beschwerdefreiheit zu erzielen ist.
Durch die besondere Ernährung entstehen aber keine über die im Regelbedarf enthaltenen hinausgehenden Kosten. Ausgehend von
der Konkretisierung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Relation zum Regelbedarf ist kostenaufwändiger im
Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II eine Ernährung, die von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt ist (BSG, Urteil vom 20.02.2014, B 14 AS 65/12 R, [...], Rdnr. 19). Ernährung mit Vollkost unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das
Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (BSG, Urteil vom 10.05.2011, a.a.O., [...], Rdnr. 25). Da die Vollkosternährung von dem Regelbedarf gedeckt ist, besteht eine
kostenaufwändige Ernährung grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform (BSG, Urteil vom 20.02.2014, a.a.O., [...]).
Eine mit höheren Kosten verbundene Ernährung, die von der Vollkost abweicht, ist im Falle der Klägerin nicht erforderlich.
Hierzu ist zunächst auf die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 zu verweisen, die zur Überzeugung des Senats dem aktuellen wissenschaftlichen
Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen. Zur Laktoseintoleranz ist dort unter III.3.2.1 folgendes ausgeführt: "Die
Laktoseintoleranz wird meist durch eine abnehmende Expression von Laktase im Darm mit zunehmendem Lebensalter verursacht.
Die Verträglichkeit von Laktose unterliegt hierbei keinen eindeutigen systematischen Regeln, sondern ist individuell unterschiedlich.
In der Regel werden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, sodass eine Substitution mit speziellen
Nahrungsmitteln nicht erforderlich ist. Therapeutisch gibt es bei Laktoseintoleranz keine spezielle Diät. Es wird Vollkost
mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische Behandlung besteht im Meiden
von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden (z.B. Kuhmilch). Die Deckung des Kalziumbedarfs ist insbesondere durch Verzehr
von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Eine kostenaufwändige
Ernährung ist damit in der Regel nicht erforderlich. Ausnahmen gelten für Besonderheiten im Einzelfall, beispielsweise bei
einem angeborenen Laktasemangel, der einer medizinischen Behandlung bedarf. Für Kinder bis zum 6. Lebensjahr (Regelbedarfsstufe
6) sind die Empfehlungen in diesem Text nicht anwendbar. Wachstumsbedingt kann bei dieser Personengruppe die Substitution
von Kuhmilch durch laktosefreie Milch erforderlich sein, wenn der Kalziumbedarf auf andere Weise nicht gedeckt werden kann.
Hier besteht im Einzelfall Prüfungsbedarf."
Die in einer interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, der Sozialrechtler, Ärzte, Verwaltungsfachkräfte und Ernährungswissenschaftler
angehörten, erstellten und somit im Rahmen wissenschaftlicher Erhebungen zustande gekommenen Empfehlungen sind für den Senat
überzeugend und nachvollziehbar. Zwar geht die Rechtsprechung bislang ganz überwiegend davon aus, dass den Mehrbedarfsempfehlungen
nach ihrer Konzeption und Entstehungsgeschichte nicht die Rolle antizipierter Sachverständigengutachten zukommt und sie erst
recht keine Rechtsnormqualität aufweisen (vgl. zu den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nur BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R, [...]). Allerdings wurden den - zum Zeitpunkt der auf sie Bezug nehmenden Entscheidungen teilweise mehrere Jahre alten
- Empfehlungen die Einstufung als antizipierte Sachverständigengutachten insbesondere mit der Begründung abgesprochen, sie
stellten nicht mehr den aktuellsten Stand der medizinischen Erkenntnisse dar (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, B 14 /7b AS 64/06 R, [...] Rdnr. 26:".derzeit.nicht als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen"). Im Falle der Laktoseintoleranz
wurde zudem beanstandet, dass diese Erkrankung in den Mehrbedarfsempfehlungen bislang nicht genannt war (so auch ausdrücklich
BSG, Urteil vom 14.02.2013, a.a.O., [...] Rdnr. 16:"wenn weit verbreitete Erkrankungen wie die Laktoseintoleranz in den Mehrbedarfsempfehlungen
2007 nicht genannt sind, kann dieser Umstand damit nur eine Orientierungshilfe sein, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall
steuert"). Aufgrund der Aktualisierung von 2014 geben die Empfehlungen indes nunmehr zur Überzeugung des Senats den neuesten
Stand der medizinischen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnis wieder. Sie befassen sich insbesondere ausführlich mit der
Frage einer kostenaufwändigen Ernährung bei Laktoseintoleranz. Die Einschätzung der Mehrbedarfsempfehlungen 2014 entspricht
auch dem wissenschaftlichen Kenntnisstand der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Danach können die meisten Betroffenen
einer Milchzuckerunverträglichkeit geringere und auch höhere Dosen beschwerdefrei tolerieren, wenn sie über den Tag verteilt
verzehrt werden. Ein vollständiger Verzicht auf laktosehaltige Lebensmittel ist nicht erforderlich (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil
vom 28.05.2015, L 5 AS 570/13, [...], Rdnr. 56 unter Hinweis auf Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in The EFSA Journal 2010, 8 (9),
1777). Unabhängig von der Frage, ob die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen
sind, können sie, insbesondere aufgrund der Aufnahme der Laktoseintoleranz, jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es
sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von dem Empfehlungen abweichende
Bedarfe substantiiert geltend gemacht werden (zu den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 bereits BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 AS 100/10 R, [...], Rdnr. 23, Behrend in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rdnr. 66). Dieser Einordnung entsprechen auch die Gesetzesbegründung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG). Der Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit der Feststellung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung
auf die Mehrbedarfsempfehlungen bezogen und in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeführt, dass "zur Angemessenheit des
Mehrbedarfs [ ] die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen
ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden" können (BT-Drs. 15/1516, S. 57 zu § 21 Abs. 5 SGB II). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist ein Abweichen von dem Empfehlungen jedenfalls begründungsbedürftig und setzt entsprechende
Fachkompetenz voraus (BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006, 1 BvR 2673/05, [...] Rdnr. 19). Da die Empfehlungen keine Rechtsnormqualität aufweisen, gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin
enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen
bzw. in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die - wie hier - vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen
lagen (BSG, Urteil vom 10.05.2011, a.a.O., [...], Rdnr. 23, m.w.N., Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.05.2015,
a. a. O.).
Orientiert an den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 hat die Klägerin im hier streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf
für kostenaufwändige Ernährung.
Anhaltspunkte für eine Abweichung von den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 sind im Falle der Klägerin nicht ersichtlich. Eine
Abweichung ergibt sich zunächst nicht aufgrund des Alters der Klägerin, die im streitigen Zeitraum 12 Jahre alt und damit
minderjährig war. Die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 haben sich mit dem wachstumsbedingten besonderen Kalziumbedarf Minderjähriger
beschäftigt, sehen aber einen (möglichen) besonderen Bedarf lediglich bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr und halten nur bei
dieser Personengruppe einen gesonderten Prüfbedarf für erforderlich. Auch liegt bei der Klägerin nach dem Gutachten von Dr.
H. kein angeborener Laktasemangel vor.
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG, wonach im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 5 SGB II kaum Fälle denkbar seien, bei denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die
Ernährung habe, ein anderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall
verneinen lasse (BSG, Urteil vom 14.02.2013, a a.O., [...]), weshalb - ungeachtet der Mehrbedarfsempfehlungen - unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des Einzelfalles geprüft werden müsse, ob die gesundheitlichen Einschränkungen einen tatsächlichen Mehrbedarf auslösen,
ergibt sich keine andere Beurteilung.
Unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin sowie des vom SG beigezogenen Gutachtens der Ernährungsberaterin Dipl. oec. troph. M. und des vom SG eingeholten Gutachtens des Dr. H. vom 23.08.2014 sowie der sachverständigen Zeugenaussage der Dr. R. sind auch bei Betrachtung
des konkreten Einzelfalls die Voraussetzungen für die Annahme eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Sinne
von § 21 Abs. 5 SGB II nicht festzustellen.
Ein Krankheitsbild, das von dem durch die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 hinsichtlich der Laktoseintoleranz angenommenen, abweicht,
liegt bei der Klägerin nicht vor. Die bei der Klägerin nach dem Gutachten von Dipl. oec. troph. M. über die Nahrung erforderliche
Kalziumzufuhr von 1.000 mg pro Tag kann zum einen durch Milch und Milchprodukte erfolgen, jedoch auch durch Konsum anderer
Lebensmittel, wie Gemüse, Obst, Kräuter, Nüsse oder Vollkornprodukte. Dies bedeutet, dass die Klägerin ihren Kalziumbedarf
nicht ausschließlich durch Milch und Milchprodukte, in ihrem Fall laktosefrei, decken muss und deckt. Insoweit ist auch zu
berücksichtigen, dass es, wie Dr. H. darlegt, unter den Milchprodukten z. B. bei Käse bestimmte Sorten gibt, die laktosefrei
sind, so dass es keiner speziellen laktosefreien, ggf. keiner Mehrkosten verursachenden Version bedarf. Diese Annahme deckt
sich auch mit den Mehrbedarfsempfehlungen 2014, wonach die Deckung des Kalziumbedarfs insbesondere durch Verzehr von Milchprodukten
möglich ist, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Auch wird Naturjoghurt trotz des
Laktosegehalts häufig problemlos vertragen. Dr. H. verkennt in seiner Berechnung, dass es nicht erforderlich ist, dass die
Klägerin ihre Kalziumzufuhr ausschließlich mit Milch oder Milchprodukten vornimmt. Es ist ihr durchaus zumutbar und möglich,
auch auf andere Lebensmittel zurückzugreifen. Bei einer entsprechenden "Mischung" ergeben sich keine Mehrkosten oder deutlich
niedrigere Kosten. Ausreichend ist daher eine Vollkost, die - wie dargelegt - von dem der Regelleistung zugrunde liegenden
Bedarf für Ernährung umfasst ist.
Da der Kalziumbedarf auch durch laktosefreie Produkte gedeckt werden kann, ist für den streitigen Zeitraum keine durch die
Erkrankungen der Klägerin bedingte Notwendigkeit einer "besonderen Ernährung" im Sinne einer notwendigen Substitution der
zu meidenden Laktose enthaltenden Nahrungsmittel, insbesondere durch den Verzehr laktosefreier Milch oder laktosefreier Milchprodukte,
feststellbar und auch kein dadurch bedingter finanzieller Mehraufwand beim Bedarf für Ernährung gegenüber dem in der Bevölkerung
üblichen, der bei Festlegung des Regelbedarfs berücksichtigt wurde.
Die durch Dr. H. errechneten monatlichen Mehrausgaben von rund 30,00 EUR berücksichtigten allein die Ernährungsgewohnheiten
der Klägerin, eine medizinische Notwendigkeit der vollständigen Substitution aller Nahrungsmittel durch eine laktosefreie
Variante ist indes nicht gegeben. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn
es aus gesundheitlichen Gründen objektiv erforderlich ist. Subjektive Ernährungsgewohnheiten sind insoweit nicht zu berücksichtigen.
Diesen kann gegebenenfalls durch eine Umschichtung der in der Regelleistung enthaltenen Beträge Rechnung getragen werden.
Soweit die Klägerin zur Deckung ihres Kalziumbedarfs bzw. aufgrund persönlicher Vorlieben auf andere Milchprodukte als allein
auf laktosefreie zurückgreifen möchte, ist dies im Rahmen des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern sind ihr, wie jedem anderen Hilfebedürftigen, der eine besondere Ernährung wünscht, Umschichtungen
innerhalb der in der Regelleistungen enthaltenen Beträge zumutbar. Sie kann über die Verwendung des festgelegten Regelbedarfs
im Einzelnen bestimmen und einen ggf. höheren (subjektiven) Bedarf durch geringere Ausgaben in anderen Bereichen kompensieren.
Selbst wenn man die Substitution von Kuhmilch durch laktosefreie Milch als notwendig ansehen wollte und insoweit Mehrkosten
von ca. 2,00 EUR bis 2,60 EUR (vgl. dazu die ausführliche Berechnung des SG, auf die der Senat verweist) errechnet, begründet dies nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag.
Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des BSG im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine allgemein anerkannte Bagatellgrenze, da ansonsten dem Betroffenen
Leistungen vorenthalten würden, obwohl er einen Anspruch hat (BSG, Urteil vom 04.06.2014, B 14 AS 30/13 R zu § 21 Abs. 6 SGB II, [...]). Jedoch halten sich die ermittelten Mehrkosten zur Überzeugung des Senats in einem Rahmen, der ohne weiteres durch
den Regelsatz gedeckt werden kann. Die Mehrkosten, die die regelmäßige Kalziumzufuhr durch laktosefreie Produkte verursachen,
lassen sich beim Einkauf auch durch Einsparungen bei anderen Lebensmitteln ausgleichen (zu vom Gesetzgeber als grundsätzlich
zumutbar erachteten Einsparmöglichkeiten durch "Umschichtung" vgl. auch BT-Drs. 17/1465, Seite 6 und 8). Eine entsprechende
preisbewusste Einkaufsweise erachtet der Senat insoweit als durchaus zumutbar. Der im Regelsatz berücksichtigte Ansatz für
Nahrungsmittel und Getränke, der einen pauschalen Anteil für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung enthält, lässt Spielraum
für individuelle Bedürfnisse, wie sie bei Erkrankungen wie bei der Klägerin bestehen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen,
dass sich der Preis für laktosefreie Milch im normalen Preisspektrum für Milch allgemein befindet, da z. B. die laktosefreie
Milch beim Discounter in etwa so viel kostet wie normale laktosehaltige Milch im übrigen Lebensmitteleinzelhandel. Insgesamt
hat sich auf dem Gebiet der laktosefreien Nahrungsmittel bereits ein derart umfangreiches Angebot entwickelt, das es der Klägerin
ermöglicht, mit den aus der Regelleistung für Ernährung zur Verfügung stehenden Mitteln eine ausgewogene Ernährung auch unter
Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen sicherzustellen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.