Entschädigung von Zeugen im sozialgerichtlichen Verfahren; Verdienstausfall bei fehlendem Anspruch auf Lohnfortzahlung und
Anspruch auf Entgeltersatz bei der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten
Gründe:
I. Der Antragsteller ist in seinem Rechtsstreit gegen die B. Ersatzkasse zum Erörterungstermin am 28. Juli 2009 geladen worden;
sein persönliches Erscheinen war angeordnet.
Er ist zum Erörterungstermin am 28. Juli 2009 erschienen und hat mit Entschädigungsantrag vom 7. August 2009 Fahrtkosten in
Höhe von insgesamt 57,50 € für die Benutzung von Pkw, Bahn und Straßenbahn sowie Verdienstausfall geltend gemacht, wobei er
insgesamt von 6:30 Uhr bis 17:15 Uhr unterwegs war. In der Bescheinigung des Arbeitgebers (E. O. F.) war hierzu angegeben,
dass bei regulärer Arbeitszeit von 7,7 Stunden und einem Stundenlohn von 20,63 € der Verdienstausfall 158,85 € betrage. Gleichzeitig
war angekreuzt, dass der Antragsteller bezahlten Urlaub gehabt habe.
Die Kostenbeamtin des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) hat die Entschädigung des Antragstellers für die Teilnahme
am Termin vom 28. Juli 2009 auf 87,30 € festgesetzt (57,50 € Fahrtkosten und 30 € Freizeitausgleich für zehn Stunden).
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung vom 27. Oktober 2009. Wie ihm
telefonisch mitgeteilt worden sei, beruhe die Zahlung von 30 € darauf, dass der Dienstgeber bezahlten Urlaub angekreuzt habe.
Er habe indes keinen bezahlten Urlaub gehabt, sondern sei vom Dienst freigestellt worden. Es solle daher der Verdienstausfall
gezahlt werden.
Auf Nachfrage hat der Arbeitgeber mit Schreiben vom 8. Februar 2010 mitgeteilt, gemäß § 34 Abs. 3 der Arbeitsvertragsordnung
für den kirchlichen Dienst in der E. F. (AVO) bestehe bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem
Recht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, soweit die Beschäftigten Anspruch auf Ersatz des Entgelts geltend machen könnten.
Das fortgezahlte Entgelt gelte in Höhe des Ersatzanspruches als Vorschuss auf die Leistungen der Kostenträger, die Beschäftigten
hätten den Ersatzanspruch geltend zu machen und die erhaltenen Beträge an den Dienstgeber abzuführen.
Der Antragsgegner hat gegen eine Entschädigung des Verdienstausfalls Bedenken geäußert und einen Hinweis der Bezirksrevisorin
vom 14. April 2008 an die Verwaltungsleiter der Sozialgerichte des Landes vorgelegt. Dieser bezieht sich auf die Entschädigung
von Behördenmitarbeitern, die vor Gericht als Zeugen vernommen werden. Danach soll Verdienstausfall nur gewährt werden, wenn
ein solcher bescheinigt ist und der Nachweis geführt wird, dass der Verdienstausfall bei der nächsten Gehaltsabrechnung verrechnet
wird.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die
Verfahrensakte L 4 KR 783/07 Bezug genommen.
II. Der Antrag des Antragstellers auf richterliche Kostenfestsetzung nach § 4 Abs. 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes
(JVEG) ist zulässig und in der Sache auch teilweise begründet. Der Antragsteller hat Anspruch auf Entschädigung seines Verdienstausfalls,
wenn auch nicht in Höhe des tatsächlichen Stundenlohns von 20,63 €, sondern des gesetzlich vorgesehenen Maximalbetrags von
17 € pro Stunde.
Nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG entscheidet der gesamte Senat, da die Berichterstatterin ihm das Verfahren übertragen hat.
Dem Antragsteller werden nach §
191 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) wegen der Anordnung seines persönlichen Erscheinens auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet.
Nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 19 Abs. 1 JVEG erhalten Zeugen als Entschädigung u.a. Fahrtkostenersatz, Ersatz für Zeitversäumnis
und Entschädigung für Verdienstausfall. Soweit die Entschädigung nach Stunden bemessen ist, wird sie für die gesamte Dauer
der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch für nicht mehr als zehn Stunden je Tag, gewährt
(§ 19 Abs. 2 JVEG). Nach § 22 JVEG erhalten Zeugen, denen ein Verdienstausfall entsteht, eine Entschädigung, die sich nach
dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet und für
jede Stunde höchstens 17 € beträgt.
Ausgangspunkt ist somit, dass dem Antragsteller tatsächlich ein Verdienstausfall entstanden sein muss. Entgegen der Auffassung
des Antragsgegners bezweifelt der Senat dies angesichts der vorliegenden Arbeitgeberauskunft vom 8. Februar 2010 nicht. Der
zunächst missverständlich neben dem bescheinigten Verdienstausfall angegebene bezahlte Urlaub, der einer Entschädigung entgegen
stünde (vgl. Schneider, JVEG, § 22 Rdnr. 26 m.w.N.), lag nicht vor. Nach § 34 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz AVO besteht bei Erfüllung
allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten kein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts, soweit die Beschäftigten Anspruch auf
Ersatz des Entgelts geltend machen können. Das fortgezahlte Entgelt gilt in Höhe des Ersatzanspruchs als Vorschuss auf die
Leistungen der Kostenträger. Die Beschäftigten haben den Ersatzanspruch geltend zu machen und die erhaltenen Beträge an den
Dienstgeber abzuführen (§ 34 Abs. 3 Satz 2 und 3 AVO).
Damit steht fest, dass der Antragsteller in Höhe der gesetzlich nach § 22 JVEG vorgesehenen Entschädigung keinen Anspruch
auf Entgeltfortzahlung hat und ihm insoweit ein Verdienstausfall entstanden ist. Für die Frage der Erstattungsfähigkeit des
Verdienstausfalls spielt es dagegen keine Rolle, in welcher Form das zunächst durch den Arbeitgeber weitergezahlte Entgelt
von diesem zurückgefordert oder verrechnet wird. Ob eine Verrechnung mit der Gehaltszahlung des nächsten Monats erfolgt -
was der Antragsgegner ausreichen lassen würde - oder der Arbeitnehmer vertraglich zur Abführung der Entschädigung an den Arbeitgeber
bei Weiterzahlung der Bezüge als Vorschuss auf die Entschädigung verpflichtet ist, macht für die Frage, ob ein Verdienstausfall
entstanden ist, keinen Unterschied.
Dem Antragsteller ist somit für 7,7 Stunden reguläre Arbeitszeit ein Verdienstausfall von 17 € pro Stunde, somit 130,90 €
zu vergüten. Eine höhere Vergütung ist auch dann nicht geboten, wenn nachweislich - wie hier - ein höherer Stundenlohn vom
Arbeitgeber gezahlt wird. Denn es handelt sich um eine staatsbürgerliche Ehrenpflicht, die keinen vollen Ausgleich gebietet
(vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 2. Februar 2009 - L 15 SF 12/07 AL KO - [juris]; Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., § 22 JVEG Rdnr. 7). Zusätzlich erhält der Antragsteller für weitere 2,3 Stunden Freizeitausgleich insgesamt 6,90 €, womit insgesamt
der höchstens zu entschädigende Zeitraum von zehn Stunden erreicht ist (§ 19 Abs. 2 JVEG).
Insgesamt errechnet sich nach alledem eine Entschädigung in Höhe von 195,10 € (Fahrtkosten 57,30 €, Verdienstausfall 130,90
€, Freizeitausgleich 6,90 €).
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).