Erfüllung der Wartezeit in der Alterssicherung der Landwirte
Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Lückenlosigkeit gemäß § 90 Abs. 1 S. 1 ALG
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine höhere Altersrente nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG), nämlich unter Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten seiner Ehefrau (sog. Zusplittung).
Der am 1950 geborene Kläger heiratete am 01.07.1972 seine am 16.03.1951 geborene heutige Ehefrau, die damals bereits ein landwirtschaftliches
Unternehmen betrieb und deshalb Pflichtbeiträge für die Zeit vom 01.10.1971 bis 30.09.1979 nach dem Gesetz über die Altershilfe
für Landwirte (GAL) zur Rechtsvorgängerin der Beklagten entrichtete; ursprünglich bis Februar 1982 entrichtete Pflichtbeiträge
wurden ihr wieder erstattet. Ab 01.10.1979 übernahm der Kläger per Pachtvertrag dieses landwirtschaftliche Unternehmen und
entrichtete seinerseits vom 01.10.1979 bis 31.12.1994 Pflichtbeiträge nach dem GAL sowie vom 01.01.1995 bis 30.04.2016 Pflichtbeiträge
nach dem ALG. Seine Ehefrau wurde zum 01.10.1979 im Mitgliederverzeichnis der Rechtsvorgängerin der Beklagten gelöscht (Bescheid vom 27.11.1979).
Die ihr zugleich mitgeteilte Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung nahm sie nicht wahr. Vom 01.01.1995 bis 31.12.2015
entrichtete sie (als Ehegatte eines Landwirts) ebenfalls Pflichtbeiträge nach dem ALG.
Der Ehefrau des Klägers wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 06.05.2016 ab dem 01.10.2016 vorzeitige Altersrente nach
dem ALG bewilligt. Auch die in der Zeit vom 01.10.1971 bis 30.09.1979 von ihr gezahlten Pflichtbeiträge flossen in die Rentenberechnung
ein. Bei der Wartezeit wurden sie - so der Vermerk im Versicherungsverlauf des Bescheides - nicht berücksichtigt. Hinsichtlich
der Rentenberechnung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bl. 40 ff. LSG-Akte Bezug genommen. Mit weiterem Bescheid vom 10.05.2016
stellte die Beklagte das Ende der Versicherungsplicht der Ehefrau des Klägers zum 31.12.2015 fest; der diesem Bescheid beigefügte
Versicherungsverlauf enthielt ebenfalls den Vermerk, dass die Zeit vom 01.10.1971 bis 30.09.1979 nicht auf die Wartezeit anrechenbar
sei.
Antragsgemäß bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.03.2018 Regelaltersrente ab 01.01.2018 in Höhe von anfangs
(brutto) monatlich 576,32 EUR. Der Rentenberechnung lagen die obengenannten Pflichtbeitragszeiten des Klägers als landwirtschaftlicher
Unternehmer zu Grunde. Hinsichtlich der Rentenberechnung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bl. 29/1 ff. VA Bezug genommen.
In seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die von seiner Ehefrau entrichteten Pflichtbeiträge hätten auch einen Anteil
"Verheiratetenzuschlag" enthalten, so dass ihm dieser Anspruch als Zusplittungszeit zustehe. Mit Widerspruchsbescheid vom
30.05.2018, dem Kläger am 06.06.2018 zugegangen, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Zusplittung
der Pflichtbeitragszeiten seiner Ehefrau lägen nicht vor, da diese Zeiten bei ihr mangels Weiterentrichtung freiwilliger Beiträge
nicht nach § 90 ALG berücksichtigungsfähig seien.
Das vom Kläger am 02.07.2018 angerufene Sozialgericht Mannheim hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.11.2018 abgewiesen.
Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für eine Zusplittung von Beitragszeiten aus dem Versicherungskonto seiner Ehefrau nicht.
Hierfür wäre nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 ALG Voraussetzung, dass diese Zeiten im Versicherungskonto der Ehefrau bei der Feststellung der Wartezeit nach § 90 Abs. 1 ALG berücksichtigt werden könnten, was nicht der Fall sei, weil die Ehefrau des Klägers Beiträge nur noch bis einschließlich
September 1979 gezahlt und von der Möglichkeit freiwilliger Weiterentrichtung von Beiträgen keinen Gebrauch gemacht habe.
Soweit der Kläger insoweit einen Beratungsfehler rüge, folge hieraus kein günstigeres Ergebnis. Verfassungsrechtliche Bedenken
bestünden nicht.
Gegen den ihm am 24.11.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.12.2018 Berufung eingelegt. Er hat verschiedene
Berechnungen für verschiedene Fallvarianten vorgelegt und hält die Nichtberücksichtigung der streitigen Zeit weiterhin für
verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.11.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 07.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2018 zu verurteilen, ihm höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung
der von seiner Ehefrau vom 01.07.1972 bis 30.09.1979 entrichteten Pflichtbeiträge zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz
und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§
143,
144,
151 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein höherer Rentenanspruch
zu.
Gegenstand des Rechtstreits ist der Bescheid vom 07.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2018, allerdings
nur insoweit als der Kläger den dort von der Beklagten festgestellten Anspruch auf monatliche Rente mit der Anfechtungsklage
angreift und mit der Leistungsklage die Gewährung höherer Rente begehrt.
Nach § 23 Abs. 1 ALG ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die Steigerungszahl, der Rentenartfaktor und der allgemeine Rentenwert mit ihrem
Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Nach Abs. 2 Satz 1 der Regelung ergibt sich die Steigerungszahl,
indem die Anzahl der Kalendermonate mit (u.a.) Beitragszeiten mit dem nach Abs. 3 maßgebenden Faktor (je nach Art der Zeit
0,0833 oder 0,0417) vervielfältigt wird. Dem entsprechend erhöht sich der Rentenanspruch mit jedem Monat anzurechnender Zeiten.
Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG gelten für den Ehegatten (eines Landwirts) für die Ehezeit in der Zeit vom 01.10.1957 bis 31.12.1994, für die der andere
Ehegatte Beiträge als Landwirt nach § 14 GAL gezahlt hat, Beiträge als gezahlt, soweit diese Zeiten nicht vor Vollendung des
18. Lebensjahres des Ehegatten liegen und für den Ehegatten nicht bereits mit anrechenbaren Beitragszeiten als Landwirt belegt
sind und sofern (u.a.) die Beitragszeiten des Landwirts nach § 90 Abs. 1 (Wartezeit) berücksichtigt werden (Nr. 5). Die letztgenannte Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil § 90 Abs. 1 ALG die Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeiten bei der Ehefrau in Bezug auf die Wartezeit ausschließt.
Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Ehegatten von Landwirten durch das als Art. 1 des Gesetztes zur Reform der
agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz, ASRG 1995; BGBl. I, S. 1890) in Kraft getretene ALG seit dem 01.01.1995 unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 ALG (sog. Fiktivlandwirte) einen eigenen Anspruch u.a. auf Altersrente erwerben. Nach dem zum 31.12.1994 geltenden GAL (Aufhebung
durch Art. 47 ASRG 1995) hatten sie nur dann einen Anspruch u.a. auf Altersrente, wenn sie ebenfalls ein landwirtschaftliches
Unternehmen bewirtschafteten oder wenn beide Ehegatten das Unternehmen gemeinsam bewirtschafteten und gemeinsam leiteten (§
14 Abs. 4 GAL). Anders lag es, wenn die Ehegatten das Unternehmen gemeinsam bewirtschafteten, aber nur einer der Ehegatten
das Unternehmen überwiegend leitete. Dann war nach § 14 Abs. 6 GAL nur der Ehegatte beitragspflichtig, welcher das Unternehmen
überwiegend leitete. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GAL erhielt er dann allerdings ein um rund 50 % höheres Altersentgelt (sog. Verheiratetenzuschlag).
Mit der Einführung der Pflichtversicherung für den Ehegatten eines Landwirts wurde dieser nicht nur beitragspflichtig, sondern
er erwarb durch die Entrichtung dieser Beiträge auch entsprechende Leistungsansprüche, u.a. auf Altersrente. Konsequenterweise
wurde der Verheiratetenzuschlag in das ALG nicht übernommen. Hieran knüpft § 92 ALG an, indem dem Ehegatten eines Landwirts mit Inkrafttreten des ALG jene Beiträge des Landwirts zugerechnet werden, die dieser zuvor nach GAL entrichtete und die zuvor den dem Landwirt selbst
zustehenden Anspruch auf Verheiratetenzuschlag begründeten. Damit wurden mit Inkrafttreten des ALG unmittelbare Anwartschaften des Ehegatten auf Grund der vom Landwirt entrichteten Beitragszeiten nach GAL begründet.
Indessen liegen hier die Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG nicht vor. Denn die von der Ehefrau des Klägers von Oktober 1971 bis September 1979 entrichteten Pflichtbeiträge sind bei
ihr nicht auf die Wartezeit anrechenbar.
Dies folgt allerdings noch nicht aus der Bestandskraft (§
77 SGG) der gegenüber der Ehefrau des Klägers ergangenen Bescheide. Abgesehen davon, dass diese Bescheide gerade nicht gegenüber
dem Kläger ergingen, ihm gegenüber also schon deshalb keine Bestandskraft eintrat, sind sowohl die im Bescheid vom 10.05.2016
über die Beendigung deren Versicherungspflicht (als Fiktivlandwirt) als auch im Bescheid vom 06.05.2016 über die Bewilligung
einer vorzeitigen Altersrente jeweils aufgeführten Versicherungsverläufe nicht Teil des jeweiligen Verfügungssatzes und sie
nehmen daher auch nicht an der Bestandskraft der Verfügungssätze teil.
Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 ALG werden Beitragszeiten vor dem 01.01.1995 auf die Wartezeit für eine Rente an Landwirte nur angerechnet, wenn der Versicherte
- hier also die damals versicherte Ehefrau des Klägers - mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres oder bis zum Eintritt
von Erwerbsunfähigkeit im Sinne des bis zum 31.12.2000 geltenden Rechts, mit Ausnahme der Zeiten des Bezugs eines vorzeitigen
Altersgeldes, einer Landabgaberente oder eines Hinterbliebenengeldes, längstens jedoch bis 31.12.1994, anrechenbare Beitragszeiten
(also - soweit hier von Interesse - nach § 17 Abs. 1 Satz 1 und § 18 Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge) zurückgelegt
hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Ehefrau des Klägers nicht, weil sie ab Oktober 1979 keine Beiträge mehr entrichtete
(bzw. damals entrichtete Beiträge wieder erstattet wurden). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Dem entsprechend
wurde diese Zeit bei der Ehefrau des Klägers von der Beklagten auch nicht bei der Wartezeit berücksichtigt (vgl. den Versicherungsverlauf
zum Bescheid vom 06.05.2016).
Hieran ändert der Umstand nichts, dass die von der Ehefrau des Klägers von Oktober 1971 bis September 1979 entrichteten Pflichtbeiträge
in die Berechnung deren Rente einflossen. Denn für die Rentenberechnung enthält § 23 Abs. 1 ALG keine dem § 90 ALG für die Wartezeit vergleichbare Einschränkung.
Wie das Sozialgericht sieht auch der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das ALG stellt eine umfassende neue Regelung der Alterssicherung der Landwirte dar. Unter der Geltung des GAL war für die dort geregelte
Altershilfe (insbesondere Altersgeld und vorgezogenes Altersgeld) ebenfalls die Erfüllung einer Wartezeit von 180 Kalendermonaten
(§ 2 Abs. 1 Buchst. b GAL) bzw. fünf Jahren (§ 2 Abs. 2 Buchst. b GAL) Voraussetzung, und zusätzlich die Entrichtung von Beiträgen
mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres (siehe die bereits zitierten Regelungen). Dieses Erfordernis der Lückenlosigkeit
der Beitragsentrichtung ist durch § 90 Abs. 1 Satz 1 ALG über den 31.12.1994 hinaus in das geltende Recht verlängert worden (BSG, Beschluss vom 18.02.2004, B 10 LW 10/03 B). Sollte aber somit durch § 90 ALG hinsichtlich der Wartezeit die bisherige Rechtslage auch unter dem neuen Recht fortgeschrieben werden, kann nicht davon ausgegangen
werden, dass das ALG Ansprüche schaffen wollte, die unter Geltung des früheren GAL bereits nicht mehr bestanden hatten (Bayerisches Landessozialgericht,
Urteil vom 13.11.2002, L 16 LW 46/01, bestätigt durch BSG, a. a. O.). Ansprüche auf Leistungen, die vor dem Inkrafttreten des ALG wegen der Nichterfüllung der Wartezeit ausgeschlossen waren, sollten somit durch das ALG nicht begründet werden (BSG, a. a. O. mit weiteren Nachweisen). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG, Beschluss vom 19.10.2000, B 10 LW 22/99 B m.w.N.; zum GAL siehe BSG, Urteil vom 21.03.1991, 4 RLw 1/90).
Soweit der Kläger annimmt, ihm würde durch § 90 ALG der frühere Verheitratetenzuschlag entzogen, trifft dies nicht zu. Denn das erhöhte Altersgeld stand gerade nicht dem Ehegatten
(also damals dem Kläger), sondern dem Landwirt zu; folglich hatte nach dem GAL allenfalls die Ehefrau des Klägers Aussicht
auf eine entsprechende Anwartschaft (die allerdings schon nach dem GAL entfiel, weil von der Ehefrau keine Beiträge mehr entrichtet
wurden). Dem entsprechend ging dem Kläger mit Wegfall des Verheiratetenzuschlages auch keine von Art.
14 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) geschützte Rechtsposition verloren.
Soweit der Kläger verschiedene Fallvarianten darstellt, kommt dem keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu. Denn maßgebend
sind die tatsächlichen Umstände des vorliegenden Falles und nicht denkbare alternative Geschehensabläufe. Lediglich am Rande
weist der Senat darauf hin, dass der Kläger in seinen Darlegungen die Versicherungspflicht des Ehegatten eines Landwirts (Fiktivlandwirt)
auf die Zeit vor deren Inkrafttreten (01.01.1995) ausdehnt.
Grund dafür, dass die streitigen Zeiten seiner Ehefrau beim Kläger keine Berücksichtigung finden, ist - wie erwähnt - die
damals fehlende Bereitschaft seiner Ehefrau, freiwillige Beiträge zu zahlen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eine
fehlerhafte Beratung durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten behauptet, ist dies ohne rechtliche Bedeutung. Insbesondere
kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Dieses Rechtsinstitut
lässt als Rechtsfolge nämlich nur die Herbeiführung rechtmäßiger Zustände zu. Die Gewährung höherer Altersrente ist aber -
wie dargelegt - nicht zulässig; ein Herstellungsanspruch würde insbesondere die fehlenden Beiträge nicht ersetzen (so u. a.
BSG, Urteil vom 21.03.1991, 4 RLw 1/90) und die Frage einer Weiterentrichtung von Beiträgen ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.