Rechtsstreit über die Anerkennung einer Berufskrankheit im sozialgerichtlichen Verfahren; Notwendige Beiladung des Unternehmers
bei Aussetzung eines zeitgleichen arbeitsgerichtlichen Verfahrens
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt ihre Beiladung zu einem Verfahren auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 und
4302 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung bzw. als Wie-BK.
Die Klägerin war bei der Antragstellerin als Krankenschwester tätig. Sie führt ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die
zur Arbeitsunfähigkeit und zum Krankengeldbezug führten, auf Einwirkungen während ihrer versicherten Tätigkeit bei der Antragstellerin
zurück. Deshalb beantragte sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK, was diese ablehnte. Hiergegen richtet sich das
beim Sozialgericht Mannheim anhängige Klageverfahren S 13 U 2362/14. Nahezu zeitgleich hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Mannheim (14 Ca 405/14) ein Klage gegen die Antragstellerin u.a. auf Schadensersatz wegen durch ihre Erkrankung entgangenem Arbeitsentgelt erhoben,
die das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 12.12.2014 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des sozialgerichtlichen Klageverfahrens
gemäß §
108 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) ausgesetzt hat. Den Antrag der Antragstellerin auf Beiladung zum Rechtsstreit hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 31.03.2015
abgelehnt. Gegen den ihr am 07.04.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 05.05.2015 Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Sie ist zum Rechtsstreit beizuladen.
Nach §
75 Abs.
1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden,
beiladen. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur
einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen (§
75 Abs.
2 Alt. 1
SGG).
Hier liegt - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beteiligten, soweit sie sich gehäußert haben - ein Fall der
sog. notwendigen Beiladung nach §
75 Abs.
2 Alt. 1
SGG vor. Deshalb erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin in Bezug auf §
75 Abs.
1 Satz 1
SGG und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Soweit die Antragstellerin sowohl gegenüber dem Sozialgericht als auch im Beschwerdeverfahren ihre Beiladung "gemäß §
75 Abs.
1 Satz 1
SGG" beantragt, ist dies ohne weitere Bedeutung. Insbesondere schränkt dies den Prüfungsumfang des Senats nicht ein. Denn die
Antragstellerin verfolgt das Ziel, überhaupt beigeladen zu werden. Dabei ist die Beiladung - weder die einfache Beiladung
nach § 75 Abs. 1 Satz 1 ("... von Amts wegen oder auf Antrag ...") noch die notwendige Beiladung nach §
75 Abs.
2 SGG ("... ist beizuladen") - von einem Antrag abhängig. Ein gleichwohl gestellter Antrag hat lediglich die Bedeutung einer Anregung
(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
75 Rdnr. 15), eben weil das Gericht die Frage einer Beiladung von Amts wegen zu prüfen hat.
Allerdings muss das Rechtsverhältnis zwischen Versichertem (hier der Klägerin) und dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
(hier der Beklagten) grundsätzlich nicht einheitlich, insbesondere gegenüber dem Unternehmer (hier der Antragstellerin) festgestellt
werden (BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 27/10 R in SozR 4-2700 §
109 Nr. 1). Dem entsprechend werden in Streitigkeiten betreffend Versicherungsfälle nach dem
SGB VII regelmäßig die Arbeitgeber nicht beigeladen.
Anderes gilt aber, wenn der Rechtsstreit dazu dienen soll, gerade auch im Verhältnis zum Arbeitgeber eine solche Rechtskraft
der Entscheidung des Sozialgerichts herbeizuführen (BSG, Urteil vom 29.11.2011, a.a.O.). So liegt der Fall hier.
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren nimmt die Klägerin die Antragstellerin wegen jener Einwirkungen u.a. auf Schadensersatz
in Anspruch, wegen derer sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK beantragt. Damit hat das Arbeitsgericht über eine
entsprechende Haftung der Antragstellerin wegen einer gesundheitlichen Schädigung zu befinden, die zugleich - so die Annahme
der Klägerin - einen Versicherungsfall nach dem
SGB VII (§
7 Abs.
1: u.a. Berufskrankheiten) begründen kann. §
104 Abs.
1 Satz 1
SGB VII beschränkt in derartigen Schadensfällen die Haftung des Unternehmers auf Vorsatz und Abs. 3 der Regelung sieht eine Minderung
bestehender Ersatzansprüche um Leistungen auf Grund des Versicherungsfalles vor. Schon angesichts von §
104 Abs.
3 SGB VII spielt es somit keine Rolle, dass die Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine vorsätzliche Schädigung durch die Antragstellerin
behauptet.
Im Hinblick auf §
104 SGB VII bestimmt §
108 Abs.
1 SGB VII, dass das über die Haftungsbeschränkung entscheidende Gericht an eine unanfechtbare Entscheidung nach dem
SGB VII (durch den Unfallversicherungsträger) oder nach dem
SGG (durch das Sozialgericht), u.a. ob ein Versicherungsfall vorliegt, gebunden ist. Danach wäre das Arbeitsgericht an die Entscheidung
des Sozialgerichts, ob der Versicherungsfall einer BK in Bezug auf die von der Klägerin bei der Antragstellerin verrichteten
Tätigkeiten mit den dortigen Einwirkungen vorliegt, gebunden. Dem entsprechend hat das Arbeitsgericht sein Verfahren nach
der zwingenden Vorgabe des §
108 Abs.
2 Satz 1
SGB VII (das Gericht hat sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist) im Hinblick auf das anhängige
sozialgerichtliche Verfahren ausgesetzt.
Wegen dieser Regelung des §
108 Abs.
1 SGB VII wird - wie für §
75 Abs.
2 Alt. 1
SGG erforderlich - durch die Entscheidung des Sozialgerichts in die Rechte der möglicherweise haftungsprivilegierten Antragstellerin
eingegriffen (BSG, a.a.O.). Stünde nämlich gegenüber der Antragstellerin unanfechtbar fest, dass in Bezug auf die von der Klägerin angeschuldigten
Einwirkungen der Versicherungsfall einer BK vorliegt, könnte sich die Antragstellerin gegenüber den von der Klägerin geltend
gemachten Schadensersatzansprüchen auf die mit prozessrechtlicher Bindung (§
108 Abs.
1 SGB VII) entschiedene Vorfrage berufen, und sei es auch nur in Bezug auf die Höhe (§
104 Abs.
3 SGB VII). Stünde umgekehrt fest, dass kein Versicherungsfall einer BK vorliegt, wäre der Antragstellerin der Einwand der Haftungsbegrenzung
nach §
104 SGB VII im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwehrt.
Dabei muss - um die Bindung des Arbeitsgerichts an die Entscheidung des Sozialgericht gegenüber den eigenen Prozessparteien
( Klägerin und Antragstellerin) zu gewährleisten - auch eine Bindung der Antragstellerin jedenfalls im Falle einer ihr ungünstigen
Entscheidung des Sozialgerichts an die sozialgerichtliche Entscheidung eintreten (s. hierzu Ricke in KassKomm, Sozialversicherungsrecht,
§
108 SGB VII Rdnr. 2a m.w.N. zur Rechtsprechung des BGH). Dies wiederum setzt die Beteiligung der Antragstellerin am sozialgerichtlichen
Verfahren der Klägerin voraus. Denn ein nicht beigeladener Arbeitgeber ist an die Entscheidung des Gerichts nicht gebunden.
Da es ihm - mangels Beteiligung - nicht wirksam gemacht wird, wird es ihm gegenüber weder formell rechtskräftig (BSG, a.a.O.) noch materiell rechtskräftig (BSG, Beschluss vom 04.06.2002, B 12 KR 36/01 B). Die formelle und materielle Rechtskraft mit der damit verbundenen Bindungswirkung tritt nur für die am Verfahren Beteiligten
ein.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Teil der Kosten der Hauptsache, so dass eine gesonderte Kostenentscheidung nicht
ergeht.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).