Anspruch auf Elterngeld; Bemessung bei eingeschränkter Erwerbstätigkeit des Elterngeldberechtigten nach der Geburt des Kindes
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger weitere 90,00 € an Elterngeld vorläufig zu gewähren hat.
Der am 13.09.1969 geborene Kläger ist selbständiger Rechtsanwalt und führt seine Kanzlei zusammen mit einem Partner. Die anfallenden
Betriebskosten (Mai 2011: 10.258,62 €; Juni 2011: 6.676,78 €) werden geteilt. Der Kläger erzielte im Mai/Juni 2011 aus anwaltlicher
Tätigkeit Einnahmen iHv 6.711,57 €. Am 10.06.2011 erfolgte eine Einkommenssteuervorauszahlung iHv 3.169,00 €. Im Mai und Juni
2011 wendete der Kläger zu seiner Krankenversicherung monatlich jeweils 321,87 € und für seine Altersvorsorge beim Versorgungswerk
monatlich 1.094,50 € auf.
Der Kläger und seine am 29.11.1972 geborene Ehefrau nahmen das am 19.04.2010 geborene Kind J. F. am 06.05.2010 in Adoptionspflege
in ihren Haushalt auf.
Am 27.05.2010 beantragte die Ehefrau des Klägers für den ersten bis zum zwölften Monat nach dem Zeitpunkt der Aufnahme des
Kindes in den Haushalt die Gewährung von Elterngeld. Der Kläger stellte klar, dass er zu einem späteren Zeitpunkt einen Antrag
auf Elterngeld für voraussichtlich zwei Monate stellen werde. Am 10.02.2011 beantragte dann auch der Kläger Elterngeld für
den 13. und 14. Monat nach Aufnahme des Kindes in den Haushalt (06.05.2011 bis 05.07.2011). Er führte aus, er werde seine
selbständige Tätigkeit durch die Vertretung des Mitkanzleiinhabers und weitere organisatorische Maßnahmen reduzieren. Der
Kläger legte ua den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 28.02.2011 sowie eine Gewinnermittlung für den Zeitraum
vom 06.05. bis 05.07.2011 vor, ausweislich derer sich ein Verlust von 10.040,00 € ergab. Die Kosten seien nahezu konstant,
die Tätigkeit werde aber nur noch zehn Stunden wöchentlich ausgeübt. Der Kläger führte des Weiteren aus, im Jahre 2009 weniger
als 250.000,00 € im Jahr verdient zu haben. Er wies auch die Einkommensteuervorauszahlungen für die Jahre 2010 bis 2012 nach
sowie die von ihm zu entrichtenden Beiträge zur Krankenversicherung und zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 13.05.2011 dem Kläger für den 13. und 14. Monat nach Aufnahme seines Sohnes in den
Haushalt jeweils 1.755,00 €. Im Bescheid führte die Beklagte aus, wegen des im Bezugszeitraum voraussichtlich erzielten Einkommens
werde Elterngeld auf Basis des vom Kläger prognostizierten Einkommens nur vorläufig zugesagt. Nach Ablauf des Bezugszeitraums
werde die Höhe des Elterngeldanspruchs unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Einkommens endgültig festgelegt. Des
Weiteren teilte die Beklagte im Bescheid mit, Elterngeld werde nur unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall gewährt,
dass der Kläger die im Bescheid näher dargestellten Einkommensgrenzen nicht einhalte. Zur Berechnung des Elterngeldes legte
die Beklagte als steuerpflichtiges Nettoeinkommen vor Geburt monatlich 3.919,58 € und aufgrund des ausgewiesenen Verlusts
im Bezugszeitraum ein nachgeburtliches Einkommen von 0,00 € zugrunde.
Mit seinem Widerspruch vom 24.05.2011 machte der Kläger geltend, bei einem Anspruchsfaktor von 65 % und einem zugrundegelegten
Einkommen iHv 3.919,58 € monatlich stehe ihm Elterngeld iHv 1.800,00 € zu. Wegen der während des Elterngeldbezugs erlittenen
Verluste in seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt könne dieser Betrag nicht reduziert werden. Negative Einkünfte könnten keine
Einkünfte iSd Gesetzes sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Rein rechnerisch würde der Elterngeldanspruch
für Lebensmonate des Kindes, in denen er kein Erwerbseinkommen erziele, 1.800,00 € betragen, nämlich das durchschnittliche
Nettoeinkommen vor der Annahme in den Haushalt in Höhe von 3.919,58 € monatlich multipliziert mit dem Anspruchsfaktor von
65 %, begrenzt auf den Höchstbetrag von 1.800,00 €. Diese Berechnung komme nur für Lebensmonate des Kindes in Betracht, in
denen kein Erwerbseinkommen erzielt werde. Werde eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, sei immer auch ein Erwerbseinkommen vorhanden,
das auch negativ sein könne. Hier gelte die Regel, dass für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person
ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erziele, das durchschnittlich geringer sei, als das nach § 2 Abs 1 BEEG berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, Elterngeld gemäß § 2 Abs 3 BEEG iHd nach § 2 Abs 1 oder 2 BEEG maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrags dieser durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit
gezahlt werde. Als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit sei dabei
höchstens der Betrag von 2.700,00 € anzusetzen. Insoweit unterscheide sich die Berechnung des Elterngeldes für Lebensmonate,
in denen Erwerbseinkommen erzielt werde bzw eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde von der Berechnung des Elterngeldes in Lebensmonaten
ohne Erwerbseinkommen bzw ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Da der Kläger während des Elterngeldbezugszeitraums selbständig
teilerwerbstätig gewesen sei, sei sein durchschnittlich erzieltes Einkommen in dieser Zeit bei der Berechnung des Elterngeldes
zu berücksichtigen. Da der Kläger voraussichtlich negative Einkünfte erziele, bei der Berechnung des Elterngeldes jedoch nur
positive Einkünfte Berücksichtigung fänden, gehe die Beklagte im Bezugszeitraum von einem voraussichtlichen durchschnittlichen
Nettoeinkommen von 0,00 € aus. Die Differenz zwischen dem vor Geburt zugrundezulegenden durchschnittlichen Nettoeinkommen
von 2.700,00 € monatlich und dem durchschnittlichen Nettoeinkommen nach Geburt iHv 0,00 € betrage damit 2.700,00 €. 65 % hiervon
betrügen 1.755,00 €.
Der Kläger hat am 16.06.2011 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und ausgeführt, die seitens der Beklagten vorgenommene Anwendung des § 2 Abs 3 BEEG auf Verluste sei rechtsfehlerhaft. Voraussetzung des § 2 Abs 3 BEEG sei die Erzielung von Einkünften. Damit seien ausschließlich positive Einkünfte gemeint und nicht erlittene Verluste. Auf
Verluste sei die Regelung nicht anwendbar.
Die Beklagte hat ausgeführt, jede Erwerbstätigkeit führe zu einem Einkommen, dessen konkrete Höhe in Ausnahmefällen allerdings
0,00 € betragen oder auch negativ sein könne. Negative Einkünfte würden im Rahmen des § 2 Abs 3 BEEG in der Form berücksichtigt, dass diese in die Berechnung mit 0,00 € einflössen. Das BEEG sehe insoweit ein "Meistbegünstigungs- oder Wahlprinzip" nicht vor.
Mit Urteil vom 28.09.2011 hat das SG die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 13.05.2011 sowie des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 verurteilt, dem
Kläger für den 13. und 14. Monat nach Aufnahme dessen Sohnes J. F. in den Haushalt vorläufig Elterngeld iHv monatlich 1.800,00
€ zu zahlen. Vom Gesetzgeber anscheinend unbeabsichtigt, stelle der neue § 2 Abs 2 Satz 2 BEEG berechtigte Personen, die nach Geburt des Kindes kein Erwerbseinkommen erzielten, besser als Berechtigte mit Erwerbseinkommen
auch nach der Geburt. Für beide Gruppen sei Elterngeld bislang auf höchstens 1.800,00 € monatlich begrenzt gewesen. Dieser
Höchstbetrag werde in § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG weiterhin ausdrücklich genannt und habe sich für Berechtigte mit nachgeburtlichem Erwerbseinkommen rechnerisch aus § 2 Abs 3 Satz 2 BEEG ergeben. Mit der Neuregelung werde für diese Gruppe aber nicht nur der Abgeltungssatz abgesenkt, sondern auch der erreichbare
Höchstbetrag. Er liege nunmehr mit 65 % von allenfalls 2.700,00 € bei 1.755,00 €, während Berechtigten ohne Einkommen aus
Erwerbstätigkeit weiterhin bis zu 1.800,00 € monatlich zu zahlen seien. Im Falle des Klägers komme die Besonderheit hinzu,
dass er während des Elterngeldbezugs einen Verlust mit seiner Rechtsanwaltskanzlei erwirtschaftet habe. Vorliegend sei § 2 Abs 1 Satz 1, 2 BEEG anwendbar. Diese Vorschrift gelte, wenn kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt werde. In § 2 Abs 1 Satz 2 BEEG sei der Begriff des Einkommens definiert. Danach werde als Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Summe der positiven im Inland
zu versteuernden Einkünfte aus den verschiedenen Einkunftsarten berücksichtigt. Derartige positive Einkünfte habe der Kläger
nicht gehabt. Mithin habe er kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Sein Elterngeldanspruch sei daher nach § 2 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 7 bis 9 BEEG auf 1.800,00 € monatlich zu errechnen.
Gegen das ihr am 10.10.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.10.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG)
die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Sie sei der Auffassung, das Urteil des SG sei rechtsfehlerhaft, da es zu vom Gesetz nicht vorgesehenen weitreichenden Konsequenzen in der Rechtsanwendung für eine
Vielzahl von Fällen führe, die der Gesetzessystematik vollkommen fremd seien. Der gekürzte Betrag ergebe sich aus der Anwendung
des Haushaltsbegleitgesetzes. Für Bezugsmonate, in denen die elterngeldberechtigte Person ein Erwerbseinkommen erziele, auch
wenn dieses negativ sei bzw im Ergebnis Null betrage, gelte § 2 Abs 3 BEEG. Danach sei als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit höchstens
der Betrag von 2.700,00 € anzusetzen. Auf Grund der zum 01.01.2011 auf 65 % abgesenkten Ersatzrate für Einkommen von 1.240,00
€ und mehr könne sich somit in diesen Fällen ein etwas geringeres Höchstelterngeld ergeben. Um möglichst wenige Änderungen
vorzunehmen, habe sich der Gesetzgeber im Rahmen der zum 01.01.2011 in Kraft getretenen Neuregelungen entschieden, auf eine
Anpassung des berücksichtigungsfähigen Einkommenshöchstbetrags zu verzichten. Die damit verbundenen Auswirkungen seien für
diejenigen, die während des Elterngeldbezuges Erwerbseinkünfte aus selbstständig wie auch aus nichtselbstständiger Arbeit
hätten, zwar spürbar, aber doch begrenzt. Der Auslegung von Ziffer 2.3.1 der Richtlinien zum BEEG folgend seien von § 2 Abs 1 BEEG lediglich Personen, die während des Elterngeldbezuges nicht erwerbstätig seien, erfasst; jegliche Form von Erwerbstätigkeit
während des Elterngeldbezuges sei hingegen nach § 2 Abs 3 BEEG zu erfassen. Es werde zwar der Auslegung des SG zugestimmt, dass als Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs 1 Satz 2 BEEG nur die Summe der positiven Einkünfte zu berücksichtigen sei. Allerdings seien negative Einkünfte als Zwischenrechnungsposten
sehr wohl zu berücksichtigen. So seien beispielsweise negative und positive Einkünfte aus derselben Einkunftsart miteinander
zu verrechnen. Nach der gesetzgeberischen Zielsetzung solle nur der vertikale und nicht der horizontale Verlustausgleich ausgeschlossen
sein. Als Ausgangspunkt der Einkommensermittlung werde nunmehr bereits in § 2 Abs 1 Satz 2 BEEG der Rückgriff auf das Einkommensteuerrecht geregelt. Mit der Anknüpfung an die Summe der positiven Einkünfte werde die spezifisch
steuerrechtliche Möglichkeit des Verlustausgleichs zwischen den Einkunftsarten ausgeschlossen. Selbst wenn angenommen werden
könnte, dass der Gesetzgeber nicht bedacht habe, dass Personen mit negativen Einkünften im Bezugszeitraum maximal ein monatliches
Elterngeld iHv 1.755,00 € erhalten könnten, so dürfe das SG diese vermeintliche Lücke nicht durch Anwendung von § 2 Abs 1 BEEG schließen. § 2 Abs 1 BEEG sei bereits nach dem Wortlaut nicht anwendbar. Hinzu komme, dass im Zuge der Verabschiedung des Haushaltsbegleitgesetzes
2011 streng an die steuerlichen Verhältnisse angeknüpft werde. Nunmehr werde insgesamt auf die steuerlich zugrundeliegenden
Maßstäbe abgestellt. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift nur für den Spezialfall des Klägers komme nicht in Betracht.
Würde entgegen der Gesetzesintention gleichwohl im Falle der Erzielung von negativen Einnahmen nicht § 2 Abs 3 BEEG angewandt, sondern das Elterngeld gemäß § 2 Abs 1 BEEG gewährt, ergäbe sich ein nicht hinzunehmender Systembruch. Mangels Vergleichbarkeit von § 2 Abs 1 und § 2 Abs 3 BEEG komme eine Umgehung des "Deckelungsbetrages" des § 2 Abs 3 Satz 2 BEEG nicht in Betracht. Auch daraus, dass der Gesetzgeber erwäge, die Einkommensgrenze des § 2 Abs 3 Satz 2 BEEG auf 2.770,00 € anzuheben, sei ersichtlich, dass eine analoge Anwendung von § 2 Abs 1 BEEG auch für diese Fälle nicht beabsichtigt gewesen sei. Es könne nicht sein, dass das SG eine dem Gesetzgeber zu überlassende Korrektur eigenmächtig dadurch vornehme, dass es nicht miteinander vergleichbare Vorschriften
wechselseitig anwende, so dass dies ergebnisorientiert zur Korrektur von vermeintlichen Ungerechtigkeiten führe. Es sei möglich,
dass bei der Anwendung des BEEG gewisse Härten aufträten, diese seien aber im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinzunehmen,
sofern sich diese in nicht zu großem Umfang hielten. Das Haushaltsbegleitgesetz sei mit der Intention geschaffen worden, Einsparungen
vorzunehmen. Zudem gehe es hier lediglich um 45,00 € monatlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28.09.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages hat der Kläger ausgeführt, gemäß § 2 Abs 3 BEEG sei Voraussetzung, dass Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt worden sei. Er habe jedoch kein Einkommen erzielt, sondern
Verluste hingenommen, um mit seinem Sohn die Elternzeit zu verbringen. Verluste seien weder nach dem BEEG noch nach den steuerlichen Regelungen Einkünfte iSd Gesetzes. Auch führe nicht jede Erwerbstätigkeit zu Einkommen. Dies gelte
sowohl für das BEEG als auch für das Steuerrecht. Der Gesetzgeber habe im BEEG zwischen der Erzielung von Einkommen und der Situation, dass kein Einkommen vorhanden sei, unterschieden. Weder Verluste
noch Einkommen von 0,00 € unterfielen der Regelung des § 2 Abs 3 BEEG.
Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten in einem Termin am 04.05.2012 erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses
wird auf Blatt 40 und 41 der Senatsakte Bezug genommen. Mit Schreiben vom 07.05.2012 hat der Berichterstatter die Diskussion
im Erörterungstermin zusammengefasst (wegen des Inhalts vgl Blatt 43, 44 der Senatsakte).
Mit Schriftsatz vom 24.05.2012 hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, wenn negative Einkünfte kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit
mehr darstellten, funktioniere auch der horizontale Verlustausgleich nicht mehr. Hinzu komme, dass sie bei der vorgeschlagenen
Berechnungsweise einem unzumutbaren Verwaltungsaufwand ausgesetzt wäre. Des Weiteren sei zu betonen, dass selbständige Antragsteller
gerade keine regelmäßigen Einnahmen hätten und die Einnahmen zeitlich in der Regel nicht mit den Ausgaben zusammenfielen.
Ein Ausgleich positiver und negativer Einkünfte innerhalb aller Monate, in denen entweder die Tätigkeit aktiv ausgeübt werde
oder steuerlich relevante Einnahmen und Ausgaben angefallen seien, sei daher geboten. Auch halte sie es verfassungsrechtlich
nicht für bedenklich, dass vorliegend Einsparungen und Kürzungen stattgefunden hätten. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden,
dass geringfügige Ungerechtigkeiten aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Typisierung gemessen am Zweck der Regelung
hinzunehmen seien. Hinzu komme, dass die maximale Beschwer 45,00 €/Monat betrage. Auch würden nicht alle Antragsteller mit
Einkommen nach Geburt benachteiligt werden. Nach derzeitiger Verwaltungspraxis liege nur eine Benachteiligung derjenigen vor,
bei denen das Einkommen vor Geburt über 2.700,00 € liege und nach Geburt Einkommen (und sei es auch nur ein Verlust) erzielt
werde, also eine Erwerbstätigkeit im steuerrechtlichen Sinne ausgeübt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats und die
beigezogenen Akten des SG sowie der beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten - über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheiden konnte (§§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG) - ist nach Zulassung durch das SG statthaft, zulässig und auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger vorläufig Elterngeld iHv 1.800,00 € monatlich für den 13. und 14. Lebensmonat
nach Aufnahme des Kindes J. F. in den Haushalt zu gewähren.
Gegenstand der vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom 13.05.2011 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids 26.05.2011, mit dem die Beklagte die Gewährung eines höheren Elterngeldes als monatlich
1.755,00 € für den 13. und 14. Monat nach Aufnahme des Kindes J. F. abgelehnt hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Obwohl die Beklagte über die Gewährung von Elterngeld nur vorläufig entschieden hat, beschränkt sich der gerichtliche Prüfungsumfang
nicht bloß auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer vorläufigen Leistungsgewährung. Anders als zB in den Fällen einer vorläufigen
Leistungsgewährung gemäß §
43 SGB I bzw §
328 SGB III, wo das "ob" als auch die Höhe der Leistung im Ermessen der Behörde stehen, hat die Behörde bei einer vorläufigen Leistungsbewilligung
gemäß § 8 Abs 3 Satz 1 BEEG nicht nur die Voraussetzungen einer vorläufigen Leistungsgewährung zu prüfen. Vielmehr muss die Behörde sämtliche Voraussetzungen
des Elterngeldanspruchs prüfen, bejahen und ausgehend von den ermittelten bzw glaubhaft gemachten Angaben des Elterngeldberechtigten
vorläufig über die Leistungshöhe entscheiden. Die Höhe des vorläufig zu gewährenden Elterngeldes steht hier gerade nicht im
Ermessen der Behörde. Insoweit muss der von der Behörde festgesetzte Elterngeldbetrag unter Anwendung des zum Zeitpunkt der
Entscheidung über den Antrag maßgeblichen Rechts und unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen
und des sich hieraus ergebenden Einkommens aus Erwerbstätigkeit zutreffend sein. Dies ergibt sich auch schon aus § 8 Abs 3 Satz 1 BEEG, als dort darauf abgestellt wird, dass "Elterngeld ... vorläufig ... gezahlt" wird. Damit konnte der Senat auch die Höhe
des vorliegend bewilligten Elterngeldes überprüfen, obwohl die Beklagte diese nur vorläufig festgesetzt hatte; eine endgültige
Festsetzung des dem Kläger zustehenden Elterngeldbetrages ist bislang nicht erfolgt.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der Fassung des Art 14 Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011) vom 09.12.2010 (BGBl I 1885). Nach dessen § 1 Abs 1 hat Anspruch auf Elterngeld,
wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr
2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Der Kläger hatte
seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Antragstellung am 10.02.2011 in Deutschland, lebte mit seiner Ehefrau und
dem Kind J. F. in einem Haushalt, betreute und erzog dieses Kind und übte während des streitigen Zeitraums keine volle Erwerbstätigkeit
aus; seine Erwerbstätigkeit war im 13. und 14. Monat nach Aufnahme des Kindes auf 10 Stunden pro Woche reduziert.
Die Höhe des Elterngeldes bestimmt sich nach § 2 BEEG in der vom 01.01.2011 bis zum 02.12.2011 geltenden Fassung. Danach galt Folgendes:
§ 2 Höhe des Elterngeldes
(1) Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich
erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1 800 Euro monatlich für volle Monate
gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist
die Summe der positiven im Inland zu versteuernden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger
Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit nach §
2 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 bis 4 des
Einkommensteuergesetzes nach Maßgabe der Absätze 7 bis 9 zu berücksichtigen.
(2) In den Fällen, in denen das durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt geringer
als 1 000 Euro war, erhöht sich der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die das maßgebliche
Einkommen den Betrag von 1 000 Euro unterschreitet, auf bis zu 100 Prozent. In den Fällen, in denen das durchschnittlich erzielte
monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1 200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um
0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1 200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent.
(3) Für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das
durchschnittlich geringer ist als das nach Absatz 1 berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit
vor der Geburt, wird Elterngeld in Höhe des nach Absatz 1 oder 2 maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser
durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich
erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist dabei höchstens der Betrag von 2 700 Euro anzusetzen.
..."
Auch wenn § 2 Abs 3 Satz 1 BEEG zur Abgrenzung vom Anspruch nach § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG darauf abstellt, dass der Berechtigte Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt hat und § 2 Abs 1 Satz 2 BEEG den Begriff des "Einkommens aus Erwerbstätigkeit" als die Summe der positiven im Inland zu versteuernden Einkünfte aus Land-
und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit nach §
2 Abs
1 Satz 1 Nr
1 bis 4
EStG nach Maßgabe des § 2 Abs 7 bis 9 BEEG definiert, wird der Kläger vorliegend von § 2 Abs 3 BEEG erfasst und nicht von § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG. Ist der Elterngeldberechtigte nach der Geburt erwerbstätig, greift § 2 Abs 3 BEEG unabhängig davon, ob er Einkünfte hieraus erzielt oder nicht. Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs und
dem Zweck der gesetzlichen Regelung.
In der Gesetzesbegründung heißt es: "Nach Absatz 3 wird Elterngeld auch für die Monate gezahlt, in denen ein Elternteil die
Erwerbstätigkeit nicht unterbricht, sondern nur einschränkt. Maßstab für die Höhe des Elterngeldes ist auch in diesen Fällen
der tatsächliche Einkommensausfall" (BT-Drucks 16/1889 S 20). Der Gesetzgeber unterscheidet also deutlich zwischen einer Unterbrechung
und einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit. Entscheidend ist auch nicht (allein) der Begriff des Einkommens, sondern der
Zweck der Regelung. § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG soll den Höchstbetrag des Elterngeldes festlegen, wenn die Eltern ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen und deshalb kein Einkommen
erzielen. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass Maßstab ein Nettoeinkommen von 2.700 € sein soll, weil in diesem Fall
das zugrunde liegende Bruttoeinkommen der Höhe nach in einem Bereich liegt, wie er bei der Festlegung der Beitragsbemessungsgrenze
im Recht der Sozialversicherung akzeptiert ist. Der Höchstbetrag des Elterngeldes ergibt sich dann, indem der Prozentsatz
von 67 auf das Referenzeinkommen von 2.770 € angewandt wird, was einen Betrag von 1.809 € ergibt (BT-Drs 16/1889 S 19 f).
Bei diesem Prozentsatz ist es unerheblich, ob deshalb kein Einkommen erzielt wird, weil die Erwerbstätigkeit unterbrochen
oder weil sie (nur) eingeschränkt wurde. Eine Änderung ergibt sich erst, seit der Gesetzgeber mit dem Haushaltsbegleitgesetz
von 2011 den Prozentsatz von 67 bei höheren vorgeburtlichen Einkommen auf 65 reduziert hat, ohne gleichzeitig das Referenzeinkommen
(2.700 €) zu ändern. Dies führt nun dazu, dass in diesen Fällen der Höchstbetrag von 1.800 € nicht mehr dem maßgeblichen Prozentsatz
des Referenzeinkommens entspricht (65 % von 2.700 € sind nur 1.755 €). Daraus folgt aber nicht, dass diejenigen, die trotz
eingeschränkter Erwerbstätigkeit kein Einkommen erzielen, ebenfalls den Betrag von 1.800 € beanspruchen können.
Die Systematik der Leistungen an Erwerbstätige iSd § 2 Abs 3 BEEG spricht ebenfalls für die vom Senat vorgenommene Auslegung. Denn bei denjenigen, die aus ihrer Erwerbstätigkeit nach der
Geburt ein positives Einkommen erzielen, ist Maßstab für die Höhe des ihnen zustehenden Elterngeldes der Höchstbetrag von
1.755 €. Wird zB ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 200 € erzielt, errechnet sich hieraus ein Elterngeld in
Höhe von 1.625 € (2.700 € - 200 € = 2.500 €, hiervon 65% sind 1.625 €). Anders ausgedrückt werden 65% des monatlichen Einkommens
von 200 € (= 130 €) von dem sich aus § 2 Abs 3 BEEG ergebenden Höchstbetrag abgezogen (1.755 € - 130 € = 1.625 €). Für alle, die Einkommen erzielen, ist deshalb das Elterngeld
die Differenz zwischen dem Betrag von 1.755 € (Minuend) und 65% des nachgeburtlichen Einkommens (Subtrahend). Damit wird deutlich,
dass diejenigen, die ein Einkommen von Null erzielen, nicht den Betrag von 1.800 € erhalten können, weil dieser Betrag höher
ist als der für alle Erwerbstätige geltende Referenzbetrag von 1.755 €. Andernfalls würden Personen, die Einkommen erzielen,
verhältnismäßig (ausgehend von 1.755 € und nicht von 1.800 €) weniger Elterngeld erhalten als diejenigen, die ebenfalls erwerbstätig
sind, aber kein Einkommen oder gar Verluste erzielen. Eine derartige Ungleichbehandlung ist aber nicht zu rechtfertigen. Dagegen
lassen sich für die Unterscheidung zwischen Eltern, die nicht mehr erwerbstätig sind (und deshalb kein Einkommen erzielen),
und solchen, die noch eingeschränkt erwerbstätig sind (aber nur Verluste erzielen), sachliche Gründe anführen. Für diejenigen,
die gar keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen, spricht die Vermutung, dass sie noch mehr Zeit für die Betreuung der Kinder
zur Verfügung haben. Werden sie - geringfügig - besser gestellt als Eltern, die trotz Erwerbstätigkeit nur Verluste erwirtschaften,
ist dies kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art
3 GG. Es besteht deshalb auch kein Grund, den Höchstbetrag nach § 2 Abs 3 Satz 2 BEEG von 2.700 € qua Auslegung auf 2.770 € anzuheben, um auf diese Weise ein Elterngeld von 1.800 € zu erhalten (65% von 2770
sind 1.800,50), ganz abgesehen davon, dass der Senat an einer solchen Auslegung durch den eindeutigen Wortlaut der Norm gehindert
wäre. Der Gesetzgeber beabsichtigt im Übrigen, eine Änderung mit Wirkung für die Zukunft vorzunehmen. Der Bundestag hat am
14.06.2012 beschlossen, in § 2 Abs 3 Satz 2 BEEG die Angabe "2700" durch die Angabe "2770" zu ersetzen (BR-Drucks 347/12).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung des § 2 Abs 1 Satz 2 bzw Abs 3 BEEG in Fällen mit negativem oder Null-Einkommen sowie im Hinblick auf die bereits anhängige Revision B 10 EG 2/12 R wird die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.