Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung.
Die 1982 geborene Klägerin war bis 30.09.2017 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seit 01.10.2017 besteht eine
laufende Versicherung bei der Beigeladenen.
Am 02.05.2016 ging bei der Beklagten ein Antrag der Klägerin auf Resektion überschüssiger Hautanteile am Unterbauch sowie
an der Innenseite der Oberschenkel nach erheblichem Gewichtsverlust ein. Beigefügt war ein ärztlicher Befundbericht von Prof.
Dr. K. vom 18.04.2016.
Mit Schreiben vom 24.05.2016 forderte die Beklagte Bilder bei der Klägerin an, um diese dem MDK zur Erstellung eines Gutachtens
zukommen zu lassen. Diese gingen nicht ein. Mit Bescheid vom 20.07.2016 lehnte die Beklagte den Antrag wegen unvollständiger
Unterlagen ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie machte ua den Eintritt der Genehmigungsfiktion geltend.
Mit Bescheid vom 29.11.2016 traf die Beklagte folgende Verfügungen: "1. Die durch Fiktion eingetretene Bewilligung der Bodylift
Operation an Bauch und Oberschenkel bds wird aufgehoben. 2. Dem Widerspruch vom 05.08.2016 wird abgeholfen. Der Ablehnungsbescheid
vom 20.07.2016 wird aufgehoben. 3. Soweit bisher Kosten im Widerspruchsverfahren entstanden sind, werden diese erstattet.
4. Im Übrigen wird die beantragte Bodylift Operation an Bauch und Oberschenkel bds abgelehnt."
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antrag nicht rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist verbeschieden worden sei.
Infolgedessen sei die Genehmigungsfiktion eingetreten. Daher sei der ablehnende Bescheid rechtswidrig. Da auf die beantragte
Versorgung mit einer Bodylift Operation an Bauch und Oberschenkel beidseits kein materieller-rechtlicher Anspruch bestehe,
sei die durch Verfristung eingetretene Genehmigungsfiktion aufzuheben. Im Ergebnis müsse daher über den Antrag neu entschieden
werden. Da aber weder die Laienfotodokumentation vorgelegt worden sei, noch ein Termin zur körperlichen Untersuchung beim
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) wahrgenommen worden sei, sei der Antrag abzulehnen.
Hiergegen erhob die Klägerin erneut Widerspruch. Sie ist am 14.12.2016 zu einer körperlichen Untersuchung beim MDK erschienen.
Dieser stellte mit Gutachten vom 15.12.2016 den folgenden Befund: "Im Bereich des Abdomen finden sich leichte Hautlappen die
den Schambereich nicht überschreiten. Keine Entzündungszeichen. Im Bereich der Oberschenkel bds. keine besonderen Hautlappen
von Krankheitswert oder Entzündungszeichen." Der Gutachter vertrat die Ansicht, es handle sich nicht um eine Erkrankung im
versicherungsrechtlichen Sinne. Mithin könne die beantragte Leistung nicht empfohlen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2017 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2016 zurück. Zur Begründung
führte sie aus, dass die fiktive Genehmigung nach § 45 SGB X zu Recht aufgehoben worden sei. Es bestehe kein materieller-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung. Ein schutzwürdiges
Vertrauen darauf, dass der Klägerin die beantragte Leistung zustehe und in Anspruch genommen werden könne, sei allein aufgrund
des Ablaufs der 3-wöchigen Bearbeitungsfrist nicht entstanden.
Hiergegen hat die Klägerin am 10.07.2017 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 16.02.2018 hat das SG den Bescheid vom 20.07.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.06.2017 insoweit aufgehoben, als mit ihm die beantragte Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung beidseits abgelehnt
worden ist. Der Bescheid vom 29.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2017 ist insoweit aufgehoben worden,
als mit ihm die Aufhebung der Genehmigungsfiktion verfügt worden ist. Das SG hat zudem die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung beidseits als Sachleistung
zu gewähren.
Gegen das der Beklagten am 09.03.2018 zugestellte Urteil hat diese am 09.04.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg
eingelegt.
Sie ist der Auffassung, dass eine Kostenübernahmepflicht durch sie nach dem 30.09.2017 nicht mehr bestehe, da die Klägerin
ihre Mitgliedschaft bei ihr zum 30.09.2017 gekündigt habe. Der Anspruch auf Leistungen sei mit dem Ende der Mitgliedschaft
gemäß §
19 Abs
1 SGB V erloschen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.02.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen
Sie beruft sich ausschließlich auf die eingetretene Genehmigungsfiktion, gegebenenfalls zulasten der Beigeladenen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, jedoch darauf hingewiesen, dass die verfahrensrechtliche Bindungswirkung einer
Genehmigungsfiktion sich aus ihrer Sicht bei Krankenkassenwechsel nicht auf die nachfolgende Krankenkasse erstrecke.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte
sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat überwiegend Erfolg.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig und überwiegend begründet. Das SG hat zwar zu Recht die streitgegenständlichen Bescheide teilweise aufgehoben, aber die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung einer
Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung verurteilt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung
gegenüber der Beklagten. Gleiches gilt auch bzgl. einer eingetretenen Genehmigungsfiktion gegenüber der Beigeladenen.
Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass die Genehmigungsfiktion gemäß §
13 Abs
3a SGB V betreffend den Antrag auf Gewährung einer Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung beidseits eingetreten ist. Insoweit
wird auf die Ausführungen im Urteil verwiesen.
Auch hat das SG zutreffend dargelegt, dass die Aufhebung der eingetretenen Genehmigungsfiktion mit Bescheid vom 29.11.2016 rechtswidrig ist,
und deshalb der Bescheid vom 29.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2017 aufzuheben war. Die Voraussetzungen
nach § 45 SGB X liegen nicht vor. Die Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 1 SGB X sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Genehmigung rechtmäßig ist. Wie der Senat bereits anderweitig entschieden hat,
ist Maßstab der Rechtmäßigkeit der Genehmigung ausschließlich §
13 Abs
3a SGB V selbst. Auf die Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten ist entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht abzustellen (Senatsurteil vom 13.03.2018, L 11 KR 3154/17 mwN; BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 39 ).
Dennoch besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung kein Anspruch mehr aus der eingetretenen Genehmigungsfiktion
gegenüber der Beklagten. Denn der sich alleine aus der Genehmigungsfiktion ergebende Sachleistungsanspruch hat sich mit der
wirksamen Kündigung der Mitgliedschaft zum 30.09.2017 erledigt. Da die Klägerin bis heute die Operation noch nicht hat durchführen
lassen, hat sich der Sachleistungsanspruch aus §
13 Abs
3a SGB V auch nicht in einen Kostenerstattungsanspruch gewandelt.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig
durchsetzbarer Anspruch. Ein solcher Anspruch auf Leistung, den ein Versicherter aufgrund fingierter Genehmigung erlangt,
gehört zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 06.11.2018, B 1 KR 30/18 R, Rn 18, juris mwN). Der Anspruch besteht allerdings nur aufgrund der formellen Position der eingetretenen Genehmigungsfiktion
auf der Grundlage eines fiktiven Verwaltungsaktes, nicht aufgrund eines eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruchs.
Eine fingierte Genehmigung - wie jene der Klägerin - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen,
anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung
für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos,
wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht. In diesem Sinne ist eine Krankenkasse nach Fristablauf nicht mit allen
Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass
sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden
Verwaltungsakts verliert (BSG 06.11.2018, B 1 KR 30/18 R, Rn 32, juris).
Die Beklagte hat zwar die fingierte Genehmigung nicht wirksam aufgehoben, jedoch hat diese sich mit Wirksamkeit der Kündigung
erledigt. Denn der Bestand der Genehmigung ist für jeden Versicherten und damit auch für die Klägerin erkennbar von vornherein
an den Fortbestand der Mitgliedschaft gebunden. Es ist offensichtlich, dass ein Sachleistungsanspruch das Bestehen einer Mitgliedschaft
voraussetzt. Dies ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des §
19 Abs
1 SGB V, wonach der Anspruch auf Leistungen grundsätzlich mit dem Ende der Mitgliedschaft erlischt. Die Mitgliedschaft bei der Beklagten
endete zum 30.09.2017. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin den fingierten Anspruch nicht realisiert. Sie war demnach
bezüglich eines Anspruchs gegenüber der Beklagten auch nicht mehr schutzbedürftig.
Der Senat kann offen lassen, ob die Klägerin einen eigenständigen, von der Genehmigungsfiktion unabhängigen materiell-rechtlichen
Anspruch auf Gewährung einer Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung beidseits gehabt hat. Denn ein solcher wäre mit
wirksamer Kündigung der Mitgliedschaft zum 30.09.2017 gem §
19 Abs
1 SGB V erloschen. Hiernach erlischt der Anspruch auf Leistungen mit dem Ende der Mitgliedschaft, soweit in diesem Gesetzbuch nichts
Abweichendes bestimmt ist. Das führt generell dazu, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine konkrete Behandlungsmaßnahme
nicht von der Mitgliedschaft im Zeitpunkt des Versicherungsfalles, sondern von der im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung
abhängt (BSG 20.11.2001, B 1 KR 26/00 R, SozR 3-2500 § 19 Nr 4, SGb 2001, 99). Mit dem Ende der Mitgliedschaft in einer Krankenkasse ist deswegen ein Wechsel der Leistungszuständigkeit für alle danach
durchgeführten Behandlungen verbunden und zwar unabhängig davon, ob der sie veranlassende Versicherungsfall schon vorher eingetreten
war. Das ist letztlich Ausfluss des reinen Versicherungsprinzips, wonach Leistungen nur an Versicherte gewährt werden (BT-Drs.
11/2237 S 166; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung,
SGB V §
19 Rn 3, beck-online).
Es besteht auch (derzeit) kein Sachleistungsanspruch gegenüber der Beigeladenen aus der ursprünglich eingetretenen Genehmigungsfiktion.
Die Genehmigungsfiktion vermittelt einen eigenständigen Sachleistungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger, der für die Leistung
im Zeitpunkt der Antragstellung zuständig war. Der Anspruch entsteht, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion
erfüllt sind. Mit Eintritt der Erledigung (siehe oben) kann die Genehmigungsfiktion keine formellen Rechtswirkungen mehr entfalten.
Eine Feststellungswirkung einer eingetretenen Genehmigungsfiktion gegenüber künftigen anderen Krankenkassen müsste gesetzlich
geregelt sein, sieht das Gesetz aber nicht vor (vgl BSG 08.09.2015, B 1 KR 16/15 R, BSGE 119, 298-303, SozR 4-2500 § 16 Nr 1, Rn 22, juris). Die Tatbestandswirkung (Drittbindungswirkung) von Verwaltungsakten besagt demgegenüber
lediglich, dass Behörden und Gerichte die in einem bindenden Bescheid getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich
hinzunehmen und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben (BSG 08.09.2015, B 1 KR 16/15 R, BSGE 119, 298-303, SozR 4-2500 § 16 Nr 1, Rn 22, juris). Hier hat die Genehmigungsfiktion jedoch mit Wirksamwerden der Kündigung der Mitgliedschaft
keinen Bestand mehr.
Eine Genehmigungsfiktion zulasten der Beigeladenen ist nicht eingetreten. Dazu fehlt es schon am Antrag gegenüber der Beigeladenen.
Mit Eintritt der Genehmigungsfiktion ist das ursprüngliche Verwaltungsverfahren abgeschlossen und hat sich der ursprüngliche
Leistungsantrag erschöpft. Denn ein Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) endet ua mit dem Erlass bzw der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (Mutschler in KassKomm, SGB X § 8 Rn 11, beck-online). Demnach wirkt auch der ursprüngliche Leistungsantrag nicht gegenüber der Beigeladenen fort.
Im Übrigen fehlt es, unabhängig davon, ob überhaupt ein neuer Antrag gestellt worden ist, an einer Verwaltungsentscheidung
der Beigeladenen über den Anspruch auf Gewährung der begehrten Operationen. Deshalb kann der Senat auch mangels Verwaltungsentscheidung
im Rahmen der Anfechtungs- und Leistungsklage nicht über den Sachleistungsanspruch entscheiden. Eine diesbezügliche Klage
wäre derzeit unzulässig. Demnach hat die Klägerin sich folgerichtig im Berufungsverfahren auch nur auf die Genehmigungsfiktion
gestützt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte ursprünglich die Gewährung einer Bauchdeckenplastik und Oberschenkelstraffung wegen
Eintritts der Genehmigungsfiktion und rechtswidriger Aufhebung jener zu Unrecht abgelehnt und insoweit Veranlassung zur Klageerhebung
gegeben hat.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG).