LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 02.02.2021 - 11 KR 2043/20
Keine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten bei Aufnahme des Studiums nach Vollendung des 30. Lebensjahres
Keine Rechtfertigung der Überschreitung der Altersgrenze durch ein vorhergehendes Studium im Ausland
Für ein Studium, das erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen wird, besteht keine Versicherungspflicht in der
studentischen Krankenversicherung. Der Umstand, dass vor der Aufnahme dieses Studiums zunächst ein Studium im Ausland absolviert
wurde, rechtfertigt die Überschreitung der Altersgrenze auch dann nicht, wenn das Zweitstudium aufgenommen wurde, um damit
die Berufsaussichten in Deutschland zu verbessern.
Vorinstanzen: SG Karlsruhe 17.06.2020 S 13 KR 3644/19
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.06.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin in den Zeiträumen vom 01.10.2016 bis 31.12.2016, 01.03.2017 bis 31.03.2017, 01.07.2017 bis 31.05.2018
und 01.07.2018 bis 30.09.2018 in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) versichert war.
Die 1984 in der Ukraine geborene Klägerin mit belarussischer Staatsangehörigkeit siedelte 2012 infolge einer Eheschließung
am 28.12.2011 in die Bundesrepublik Deutschland über. Mit Wirkung zum 30.06.2013 beendete sie in Belarus ihr Studium im Studiengang
Mechanik (Angewandte Mathematik), das in Deutschland als einem deutschen Hochschuldiplom entsprechend anerkannt wurde (Schreiben
vom 03.04.2014 der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen im Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister
der Länder in der Bundesrepublik Deutschland - Kultusministerkonferenz -, Bl 45 SG-Akte). Sie meldete sich am 07.04.2014 arbeitslos, nahm im Anschluss im Alter von 30 Jahren am 01.04.2015 ein Studium der
Technomathematik am K. Institut für Technologie (K.) auf und war in der Folgezeit zunächst über ihren Ehemann bei der Beklagten
familienversichert.
Während ihres Studiums war die Klägerin bei zwei verschiedenen Arbeitgebern, beim K. und bei der e. GmbH, geringfügig beschäftigt.
Nachdem die Beklagte die Lohngeldunterlagen ausgewertet hatte, teilte sie der Klägerin mit Bescheid vom 11.05.2018 mit, es
gebe aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Verdienste unterschiedliche Beurteilungszeiträume für die Familienversicherung.
In den Zeiträumen vom 01.10.2016 bis 31.12.2016, 01.03.2017 bis 31.03.2017 und 01.07.2017 bis 31.12.2017 habe die Klägerin
die gesetzlich festgelegte Einkommensgrenze überschritten. Deshalb sei während dieser Zeit eine freiwillige Versicherung durchzuführen.
Während der Zeit vom 01.01.2017 bis 28.02.2017 und 01.04.2017 bis 30.06.2017 könne die Familienversicherung weiterhin durchgeführt
werden. Rechtsbehelfe gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.
Am 16.05.2018 stellte die Klägerin den Antrag auf Durchführung einer freiwilligen Versicherung. Mit Bescheid vom 07.06.2018
setzte die Beklagte die Beiträge für freiwillige Versicherung für die Zeit ab dem 01.06.2018 auf monatlich 180,67 € fest.
Für die Zeiten vom 01.10.2016 bis 31.12.2016, 01.03.2017 bis 31.03.2017 und 01.07.2017 bis 31.12.2017 sei ein Beitragsrückstand
in Höhe von 2.650,29 € entstanden. In der Folgezeit führte die Beklagte die freiwillige Versicherung wegen Überschreitens
der nach § 10 Abs 1 Nr 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V) zulässigen Gesamteinkommensgrenze auch in den Zeiträumen 01.07.2017 bis 31.05.2018 und 01.07.2018 bis 30.09.2018 weiter.
Ab dem 01.10.2018 bis 31.01.2019 war die Klägerin als Beschäftigte bzw als Bezieherin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(Arbeitslosengeld II) pflichtversichert. Mittlerweile besteht seit dem 01.10.2019 wieder eine Familienversicherung.
Mit Schreiben vom 09.04.2019 machte die Klägerin aufgrund eines Verlängerungstatbestandes nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V eine Mitgliedschaft in der KVdS geltend. Sie habe ihr Studium in Weißrussland am 30.06.2013 abgeschlossen; dieser Studiengang
sei durch die Kultusministerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland am 03.04.2014 als einem deutschen Hochschuldiplom
entsprechend anerkannt worden. In der Zwischenzeit habe die Klägerin diverse Sprach- und Integrationskurse besucht. Es habe
sich im Rahmen ihrer Arbeitslosenmeldung bei der Agentur für Arbeit herausgestellt, dass sie mit dem ausländischen Studienabschluss
in Deutschland nicht vermittelbar gewesen sei. Deshalb habe sie ein Studium am K. aufgenommen.
Mit Bescheid vom 21.05.2019 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) teilte die Beklagte mit, ein Verlängerungstatbestand für die KVdS
nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V greife bei der Klägerin nicht ein. Bei Aufnahme des Studiums am 01.04.2015 habe sie das 30. Lebensjahr bereits vollendet
gehabt. Somit habe zu Beginn des Studiums keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V bestanden, welche folglich auch nicht habe verlängert werden können.
Die Klägerin hat am 07.11.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben mit der bereits zuvor abgegebenen Begründung, das Studium sei notwendig gewesen, um überhaupt auf dem deutschen
Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Ergänzend hat sie vorgetragen, mehrmals vor Aufnahme der Tätigkeiten bei der Beklagten
nachgefragt zu haben, ob ihr dadurch Nachteile entstehen würden. Dies habe man immer verneint. Zudem hat sie die Höhe der
nachgeforderten Beiträge im Einzelnen bemängelt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2020 wies die Beklagte den in der Klageerhebung gesehenen Widerspruch als unbegründet zurück.
Werde der zweite Bildungsweg so spät beschritten, dass das anschließende Studium erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres
aufgenommen werden könne, so sei die Überschreitung der Altersgrenze regelmäßig nicht mehr durch den Erwerb der Zugangsvoraussetzungen
im zweiten Bildungsweg, sondern durch eine langjährige Berufsausübung vor dessen Beginn verursacht und damit wegen des zweiten
Bildungsweges allein nicht mehr gerechtfertigt. Da die Klägerin ihr Studium erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen
habe, habe bereits bei Beginn des Studiums keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V bestanden und eine solche auch nicht verlängert werden können. Wegen der Höhe der Einkünfte sei eine Familienversicherung
ebenfalls nicht möglich. Diese sei deshalb mit Bescheid vom 11.05.2018 beendet worden. Aufgrund der Teilzeittätigkeiten während
des Studiums komme auch eine Versicherungspflicht als Beschäftigter (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) nicht in Betracht, da die Arbeitszeiten unter der 20-Stundengrenze verblieben seien.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.06.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei mit Aufnahme ihres Studiums in den streitigen Zeiträumen nicht versicherungspflichtig
in der Krankenversicherung der Studenten geworden. Sie habe bei Aufnahme des Studiums am K. am 01.04.2015 und damit auch in
den von ihr geltend gemachten Zeiträumen das 30. Lebensjahr bereits vollendet, so dass sie grundsätzlich von der Versicherungspflicht
in der KVdS ausgeschlossen sei. Ein Verlängerungstatbestand nach § 5 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V komme vorliegend nicht in Betracht. Es handele sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Die Gründe müssten im Allgemeinen
von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise
die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluss verhinderten oder als unzumutbar erscheinen ließen. Die Hinderungsgründe müssten
für die Verzögerung ursächlich sein. Sei die Verzögerung nur teilweise durch anzuerkennende Hinderungsgründe, im Übrigen aber
auf andere Ursachen zurückzuführen, sei nur dann und nur insoweit ein Überschreiten der Grenze gerechtfertigt, als ein rechtzeitiger
Studienabschluss auch ohne die anderen Verzögerungszeiten nicht möglich gewesen wäre. § 5 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V stelle nach Wortlaut und Regelungszweck auf Verlängerungstatbestände ab, die für das Überschreiten der Altersgrenze ursächlich
gewesen seien; dies könnten nur solche Hinderungsgründe sein, die vor Erreichen dieser Grenze vorgelegen hätten. Anerkannte
Hinderungsgründe, die später aufgetreten oder zuvor aufgetreten seien, bis zum Erreichen der Altersgrenze aber nicht abgeschlossen
seien, könnten dagegen nicht mehr ursächlich für das Überschreiten der Altersgrenze sein. In der Art der Ausbildung liegende
Hinderungsgründe lägen hier ebenso wenig vor wie familiäre und persönliche Hinderungsgründe. Soweit die Klägerin im Verwaltungsverfahren
vorgetragen habe, sie habe das zweite Studium am K. aufgenommen, weil sich bei ihrer Arbeitslosmeldung am 07.04.2014 herausgestellt
habe, dass sie mit dem ausländischen Studienabschluss in Deutschland nicht vermittelbar sei, so sei hierin nach den voranstehenden
Darlegungen kein Rechtfertigungsgrund zu erblicken, der ein Überschreiten der Altersgrenze des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V rechtfertige. Die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt gehindert gewesen, das Studium am K. früher aufzunehmen. Ihre Gesundheit
habe sich erst nach Aufnahme des Studiums verschlechtert und sei deshalb nicht zu berücksichtigen. Soweit die Klägerin in
ihrer Klagebegründung immer wieder darauf verweise, sie habe der Beklagten die Aufnahme der beiden Beschäftigungen mitgeteilt
und man habe ihr zugesagt, dies habe keine negativen Auswirkungen, so ändere dies grundsätzlich nichts an der hier allein
streitigen und zu verneinenden Frage, ob bei der Klägerin in den streitigen Zeiten eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V eingetreten sei. Die wegen der Durchführung der freiwilligen Versicherungen und auf Grundlage ihres Antrages hierzu erhobenen
Beiträge seien nicht Gegenstand des hier angegriffenen Bescheides vom 21.05.2019.
Gegen den ihr am 23.06.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24.06.2020 Berufung beim Landessozialgericht
Baden-Württemberg (LSG) eingereicht mit der Begründung, ihre fehlerhafte Einstufung als Familienversicherte sei allein auf
ein Verschulden der Beklagten zurückzuführen. Überdies hätte die Beklagte die Klägerin als Studentin versichern müssen, da
bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V vorlägen. Bei der Klägerin seien vorliegend persönliche, familiäre wie auch persönliche Gründe der Art der Ausbildung zu
berücksichtigen. Sie sei in Weißrussland geboren und aufgewachsen und habe dort ein Studium mit der Fachbezeichnung Technik
und Mathematik absolviert. Dieser Abschluss sei in Deutschland jedoch nicht bekannt. Die Klägerin habe sich daher unter teilweiser
Anrechnung von dem in Weißrussland erworbenen Studienabschluss für ein Studium der Fachrichtung Mathematik am K. immatrikuliert.
Der im Herkunftsland der Klägerin erworbene Abschluss hätte ihr keine berufliche Perspektive in Deutschland geboten. Zwischenzeitig
habe sich die Klägerin von ihrem Ehemann aufgrund wiederholter häuslicher Gewalt getrennt. Die familiären Umstände hätten
mithin zusätzlich zu einer Verzögerung des Studiums geführt. Die häuslichen Übergriffe seien polizeilich dokumentiert. Zuletzt
hat die Klägerin noch vorgetragen, sie hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt ihr Studium aufgenommen, doch sei ihr dies
in Ermangelung des hierfür notwendigen Nachweises der bestandenen Sprachprüfungen nicht möglich gewesen. Richtig sei, dass
die Klägerin in ihrem Herkunftsland ein Studium der Fachrichtung Technik und Mathematik absolviert habe, doch sei dieses Studienfach
in Deutschland gänzlich unbekannt und werde daher in dieser Form auf dem Arbeitsmarkt auch nicht anerkannt. Um ihrer Qualifikation
entsprechend eine Tätigkeit in Deutschland aufzunehmen zu können, sei sie daher gezwungen gewesen, ein Zweitstudium aufzunehmen.
Der Umstand, dass teilweise Kurse des bereits in Belarus absolvierten Studiums im Rahmen des nunmehr in Deutschland aufgenommenen
Studiums der Fachrichtung TechnoMathematik anerkannt würden, belege, dass es sich bei dem derzeitigen Studium der Klägerin
um ein Aufbaustudium handele. Zahlreiche der in Weißrussland bereits absolvierten Kurse seien der Klägerin auch anerkannt
worden. Es läge somit ein Verlängerungstatbestand vor. Sämtliche Nachweise über die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse
seien durch die jeweiligen Arbeitgeber direkt und umgehend an die A. übermittelt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass
die A. daher nicht bemerkt habe, dass die Klägerin zwei Arbeitsverhältnisse eingegangen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.06.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2019 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2020 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in den Zeiten vom 01.10.2016 bis
31.12.2016, 01.03.2017 bis 31.03.2017, 01.07.2017 bis 31.05.2018 und 01.07.2018 bis 30.09.2018 in der Krankenversicherung
der Studenten (KVdS) versichert war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat erwidert, die Klägerin sei bei zwei Arbeitgebern jeweils in Teilzeit tätig gewesen. Dies sei der Beklagten erst nachträglich
bekannt geworden, da es sich nicht um versicherungspflichtige Beschäftigungen gehandelt habe. Entgegen den Darstellungen des
Anwalts habe die Beklagte ihre Klärungsaufgaben durchgeführt. So sei die Versicherte auch um die Vorlage von Verdienstnachweisen
zur Prüfung gebeten worden. Sie habe die Beklagte dazu an ihren Anwalt verwiesen. Dieser habe mitgeteilt, dazu keine Vollmacht
zu haben. Durch diese Umstände und Versäumnisse der Klägerin seien die Klärungen erst mit Verspätung möglich gewesen. Ein
Ausnahmetatbestand nach § 5 Abs 1 Nr 9 SBG V liege nicht vor. Eine rechtliche Begründung für diese Behauptung sei dem Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten nicht zu
entnehmen. Auch wenn die Weiterversicherung der Klägerin nicht als freiwillige Mitgliedschaft geführt worden wäre, hätte eine
Weiterversicherung im Rahmen des § 188 Abs 4 SGB V zur Krankenversicherung und der Pflichtversicherung in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs 3 SGB XI in den streitigen Zeiten in jeden Fall erfolgen müssen. Die Beiträge wären dann in gleicher Höhe entstanden. Die Klägerseite
übersehe dies offensichtlich. Im Übrigen werde auf die Begründung im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- sowie
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30.04.2020, worin die Beklagte die Voraussetzungen der KVdS abgelehnt hat. Ob sich der Widerspruchsbescheid noch auf weitere
Bescheide (freiwillige Mitgliedschaft, Höhe der Beiträge etc) bezieht, kann offenbleiben, da die Klägerbevollmächtigte - wie
aus ihrem im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ersichtlich - jedenfalls die Berufung auf die Frage der KVdS
beschränkt hat. Zulässige Klageart ist die Anfechtungs- und Feststellungsklage (Bundessozialgericht [BSG] 15.10.2014, B 12 KR 1/13 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 25, Rn 12).
Nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V sowohl in der ab 01.01.2016 bzw 01.01.2017 geltenden Fassung (G v 21.12.2015 BGBl I 2408) als auch in der wortgleichen ab
01.08.2017 geltenden Fassung (G v 04.04.2017 BGBl I 778) sind Studenten versicherungspflichtig, die an staatlichen oder staatlich
anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluss
des vierzehnten Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres; Studenten nach Abschluss des vierzehnten
Fachsemesters oder nach Vollendung des dreißigsten Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung
oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des
Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.
Vorliegend scheitert eine Versicherung in der KVdS daran, dass die Klägerin ihr 30. Lebensjahr am 14.07.2014 und damit bereits
vor Aufnahme des Studiums in Deutschland vollendet hat. Zwar kann in Ausnahmefällen die KVdS auch erst nach Vollendung des
30. Lebensjahres beginnen (vgl Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB V, 4. Aufl, § 5 SGB V, Stand: 16.09.2020, Rn 83; BSG 30.09.1992, 12 RK 3/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 8, Rn 15), doch fehlt es vorliegend an einer Rechtfertigung für die Überschreitung der Altersgrenze iSd § 5 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V.
Die Art der Ausbildung rechtfertigt keine solche Überschreitung der Altersgrenze. Die Klägerin hat in Belarus bereits ein
Studium abgeschlossen im Bereich Mechanik/angewandte Mathematik. Dieses Studium wurde von der Kultusministerkonferenz als
einem deutschen Hochschuldiplom entsprechend anerkannt (Schreiben vom 03.04.2014). Das in Deutschland aufgenommene Studium
der Technomathematik am K. steht mit dem vorangegangenen Studium in keinem Zusammenhang und kann daher weder als Aufbau- noch
als Ergänzungsstudium gewertet werden. Vielmehr hat die Klägerin hierzu vorgetragen, ein weiteres Studium aufgenommen zu haben
vor dem Hintergrund, mit ihrem bisherigen, in Deutschland unbekannten Abschluss keine Berufschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt
gehabt zu haben. Dass einzelne Kurse des ausländischen Studiums im Rahmen des aktuellen Studiums in Deutschland anerkannt
wurden, wie die Klägerin zuletzt argumentiert hat, macht das deutsche Studium nicht zu einem Aufbaustudium. Zwar mag der ausländische
Abschluss das Studium in K. erleichtern, da sich Studieninhalte decken, doch wurde weder vorgetragen noch ist aus den Unterlagen
ersichtlich, dass das Studium in K. ein vorangegangenes Studium wie das der Klägerin voraussetzt oder auch nur in irgendeiner
Weise darauf Bezug nimmt. Dies verwundert nicht, da doch nach dem Klägervortrag der in Belarus absolvierte Studiengang in
Deutschland unbekannt ist. Die Art der Ausbildung hat somit vorliegend nicht zu einer Überschreitung der Altersgrenze geführt,
sondern nur die persönliche Ausbildungswahl durch die Klägerin.
Auch kann die Klägerin keine familiären oder persönlichen Gründe für die Überschreitung der Altersgrenze anführen. Wie dargelegt,
hat die Klägerin das Zweitstudium aufgenommen, um ihre Berufsaussichten zu verbessern. Dies reicht nicht aus, um ein Überschreiten
der Altersgrenze zu rechtfertigen. Zum einen liegen die Gründe für das Zweitstudium der Klägerin nicht individuell in ihrer
Person (etwa wie Erkrankung, Behinderung, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, vgl BT-Drucks 11/2237
S 159), sondern in den Anforderungen des Arbeitsmarktes, denen letztlich alle Arbeitnehmer ausgesetzt sind. Zum anderen widerspräche
dies dem Sinn und Zweck der Regelung des § 5 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V, nämlich nur in eng auszulegenden Ausnahmefällen eine Überschreitung der Altersgrenze ausreichen zu lassen (vgl hierzu ausführlich
BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150-155, SozR 3-2500 § 5 Nr 4, Rn 19). Vielmehr könnten sich dann alle Personen, die sich erst spät für ein Studium entscheiden,
weil ihre bisherige Ausbildung keinen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt bietet, auf einen Rechtfertigungsgrund stützen, wodurch
§ 5 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V seinen Ausnahmecharakter verlöre (so auch bei Nichtanerkennung eines ausländischen Studienabschlusses LSG Schleswig-Holstein
22.08.2000, L 1 KR 14/00, Rn 17 - 20, juris; Krauskopf/Vossen, 106. EL März 2020, SGB V § 5 Rn 46; vgl auch BSG 30.09.1992, 12 RK 8/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 7, Rn 14; SG Mainz 19.09.2006, S 6 KR 400/04, Rn 15, juris; vgl zum Weiterbildungsstudium Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 04/20, § 5 SGB V, Rn 383). Dementsprechend hat das BSG wiederholt entschieden, es reiche nicht aus, ein Studium aufzuschieben, weil dies als zweckmäßig oder sinnvoll erscheine
(BSG 30.09.1992, 12 RK 40/91, BSGE 71, 150-155, SozR 3-2500 § 5 Nr 4, Rn 19; BSG 30.09.1992, 12 RK 50/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 6, Rn 14). Ein Zweitstudium aufzunehmen, weil dies im Hinblick auf die Berufsaussichten sinnvoll erscheint, kann damit
ebenso wenig als Rechtfertigungsgrund für die Altersüberschreitung dienen.
Soweit sich die Klägerin zuletzt noch auf eine Verzögerung ihres Studiums durch familiäre Gründe (Probleme in der Ehe) berufen
hat, können diese Gründe bereits deshalb nicht als Rechtfertigungsgründe dienen, weil sie erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres
eingetreten sind (vgl hierzu BSG 15.10.2014, B 12 KR 1/13 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 25, Rn 17; BSG 30.09.1992, 12 RK 3/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 8, Rn 16; Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB V, 4. Aufl, § 5 SGB V, Stand: 16.09.2020, Rn 86). Das BSG hat bereits wiederholt - jedenfalls für Fälle einer "späten" Aufnahme des Studiums, dh bereits in einem fortgeschritteneren
Lebensalter - entschieden, dass der Hinderungsgrund für die Überschreitung der Altersgrenze konkret kausal gewesen sein muss
(BSG 30.06.1993, 12 RK 6/93, BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 13 S 44; BSG 30.09.1992, 12 RK 50/91, SozR 3-2500 § 5 Nr 6 S 23; BSG 15.10.2014 aaO). Eine solche Kausalität liegt naturgemäß nicht vor, wenn das Studium nach Vollendung des 30. Lebensjahres
aufgenommen wird und erst danach Gründe eintreten, die das Studium als solches verzögern. Gleiches gilt für die gesundheitlichen
Einschränkungen, die ebenfalls erst nach Beginn des Studiums und damit nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgetreten sind.
Auch bei Vorliegen einer etwaigen Fehlberatung durch die Beklagte, die diese allerdings bestreitet, ergibt sich nichts anderes.
Hier wäre allenfalls an das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu denken. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch
setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG auf der Tatbestandsseite eine dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnende Pflichtverletzung voraus, durch welche
dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist (vgl zB BSG 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, juris Rn 16; BSG 11.12.2014, B 11 AL 2/14 R juris Rn 39 mwN; BSG 04.09.2013, B 12 AL 2/12 R, juris Rn 19). Rechtsfolge des Bestehens eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist der Anspruch gegen die Behörde
auf Vornahme einer rechtlich zulässigen Amtshandlung, durch die der Zustand wiederhergestellt werden könnte, der bestehen
würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (vgl etwa BSG 11.12.2014 aaO Rn 39; BSG 03.04.2014, B 5 R 5/13 R, juris Rn 37; BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/13 R, juris Rn 24). Vorliegend hätte auch eine zutreffende Beratung der Klägerin nicht dazu geführt, dass dieser Rechtfertigungsgründe
für die Überschreitung der Altersgrenze im Rahmen des § 9 Abs 1 Nr 9 2. Hs SGB V zur Seite gestanden hätten. Allenfalls hätte die Klägerin bei zutreffender Beratung ihre Minijobs so im Umfang gekürzt, dass
wegen geringerer Einnahmen eine Familienversicherung möglich gewesen wäre. Jedoch ist zum einen die Frage einer Familienversicherung
hier nicht Streitgegenstand, und zum anderen ist es der Beklagten nicht im Wege einer rechtlich zulässigen Amtshandlung möglich,
den Zustand ohne Pflichtverletzung wiederherzustellen, weil sie schlicht das zu hohe Einkommen der Klägerin nicht ungeschehen
machen kann.
Im Ergebnis scheidet damit eine Versicherung der Klägerin in der KVdS aus, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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